Q8 – Quartiere bewegen: Das sozialräumliche Engagement der Evangelischen Stiftung Alsterdorf

Armin Oertel, Karen Haubenreisser

Die Evangelische Stiftung Alsterdorf (ESA) ist mit ihren rund 6.200 Mitarbeitenden ein modernes diakonisches Dienstleistungsunternehmen. Sie engagiert sich in Hamburg und in Schleswig-Holstein in vielseitigen Aufgabenfeldern: Sie bietet Assistenz-, Wohn- und Bildungsangebote für Menschen mit Behinderung sowie Angebote in der Kinder- und Jugendhilfe. Ebenso zählen medizinische und therapeutische Behandlungen in den Krankenhäusern der Stiftung zum Stiftungsportfolio wie auch Bildungsangebote in Kindertagesstätten und Schulen sowie die Arbeit im Feld der Seniorenhilfe und der Pflege. Der Vorstand der Stiftung hat darüber hinaus auch den Anspruch formuliert, aktiv an der Weiterentwicklung und Neugestaltung sozialer Strukturen und Rahmenbedingungen mitzuwirken (Haas 2012). Das Hauptziel dabei: Inklusion in allen Lebensbereichen zu befördern.

1. Der Weg ins Quartier: Historische Entwicklungslinien der ESA

Die Entwicklung der Evangelischen Stiftung Alsterdorf in den letzten 35 Jahren ging einher mit der Auflösung zentraler stationärer Heimstrukturen und dem Aufbau stadtteilintegrierter und lebensweltnaher Leistungen. Mit der Entwicklung ambulanter Assistenzstrukturen, dem Aufbau neuer Wohn-, Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb von Werkstätten und dem Brückenbau in die jeweiligen Stadtteile hinein (z. B. durch Stadtteil-Treffpunkte) wurden die Möglichkeiten sozialer Teilhabe für Menschen mit Behinderung deutlich erweitert.

In der Stiftung wurde dieser „Ambulantisierungsprozess“ stets mit einer lebendigen Diskussion darüber begleitet, wie Integration, später auch Inklusion, in der Gesellschaft klug und nachhaltig befördert werden kann. Die Grundbewegung der Dezentralisierung der Angebote führte dabei auch zum Thema Sozialraum. Wichtige Entwicklungsschritte markieren hier die drei Kongresse „Community Care“ (2000)[1], „Community Living“ (2006)[2] und „Enabling Community“ (2009)[3].

In der Praxis wurden sozialräumliche Strukturen auf unterschiedlichen Wegen weiter entwickelt. So z. B. durch den Aufbau von Treffpunkten als Brücken im Quartier:„Die ESA übernimmt für die ambulantisierten Leistungen Stützpunktfunktion und wird ein entsprechendes Konzept vorlegen“, so die Zielvereinbarung mit der Hamburger Sozialbehörde 2005. „Treffpunkte sind explizit nicht als feste Orte zu verstehen. Sie sind Räume, an denen Begegnung und Vernetzung stattfinden sollen. Dieser Ort kann jeder Raum im Quartier sein“(Stiefvater/Achilles 2011), so ein wichtiges Fazit nach sechs Jahren Treffpunktarbeit, die auch durch die Hamburger Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) begleitet wurde.

Die Verhandlungen zu den neuen Leistungsvereinbarungen zwischen mehreren Sozialdienstleistern der Eingliederungshilfe (EGH) und dem Kostenträger, der Hamburgischen Sozialbehörde, lösten im Jahre 2010 eine weitere Dynamik aus: Verbunden mit der Hoffnung, sozialräumliche Potenziale besser mobilisieren zu können, vereinbarten die Verhandlungspartner einen sogenannten Sozialraumzuschlag auf alle erbrachten EGH-Leistungen. Die ESA entschied sich seinerzeit dazu, den Zuschlag für das stiftungsübergreifende Sozialraumprojekt Q8 einzusetzen.

Logo Q8

Mit Q8 sollte nach neuen Wegen gesucht werden, wie die praktische Arbeit in der Eingliederungshilfe durch die sozialräumliche Orientierung erweitert und die bisherige Einzelfallorientierung überwunden werden könnte. Die zentrale Frage: Wie kann das Quartier als Handlungs- und Steuerungsebene genutzt werden? Und wie kann dies gleichermaßen für die Weiterentwicklung der Stiftungsarbeit erschlossen werden und dabei Schritte in die Richtung gegangen werden, „das Soziale neu zu organisieren“ (Nordmetall-Stiftung 2014)?

Verbunden war dies mit der Forderung, sich auf den Weg zu machen, hin zu einer inklusiven Quartiergesellschaft. Nachbarschaft und die Quartierressourcen aller Lebensbereiche sollten dabei als grundlegender Bestandteil von Unterstützungsstrukturen in den Blick genommen werden – und dies nicht weiter „nur“ als Add-On, sondern als grundlegender Bestandteil von Unterstützungssettings.

Konkret bedeutet dies als Aufgabe für Q8, Antworten auf drängende Fragen zu geben: Was ist zu tun, damit Menschen mit Pflege- und Assistenzbedarf gut und sicher in ihrem Quartier leben und sich versorgen können? Welche Strukturen können helfen, die vorhandenen Ressourcen besser zu nutzen? Welche Rahmenbedingungen sind erforderlich, um gesellschaftliche Inklusion nachhaltig zu sichern?

Im Kern geht es bei Q8 also um nichts weniger als den Anspruch uneingeschränkter gesellschaftlicher Teilhabe aller Menschen, auch vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention als Menschenrechtskonvention.

Gleichzeitig sollten mit Q8 auch Wege gefunden werden, zentralen gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Wandlungsprozessen zu begegnen:

Ein wachsendes Interesse an Selbstbestimmung und Mitgestaltung in der Gesellschaft bedeutete für Q8 auch, nach Möglichkeiten zu suchen, die Sorgeverpflichtung aus dem Privaten zu befreien.

2. Das Quartiersprojekt Q8

Seit 2011 arbeitet Q8 in mehreren Quartieren in Hamburg und Schleswig-Holstein mit folgenden Zielen:

Den Hintergrund hierzu bildete die begründete Annahme, dass die Entwicklung starker und tragfähiger Wohnquartiere einen wesentlichen Zugang zur Erreichung dieser Ziele bildet. Die Idee: Geht es dem Quartier gut, geht es auch den QuartiersbewohnerInnen mit Unterstützungsbedarf besser.

In jedem der Q8-Quartiere engagiert sich eine Projektleitung als MittlerIn (IntermediärIn), um die Entwicklungspotenziale des Quartiers sichtbar zu machen und neue Netzwerke aufzubauen. Dazu bringt sie Bewohnerinnen und Bewohner, Unternehmen, Institutionen und öffentliche Verwaltung zusammen. Langfristig geht es darum, einen Perspektivwechsel zu gestalten, vom Quartier aus zu denken und Entwicklungen im Stadtteil zu unterstützen.

Ihre thematischen wie praktischen Anknüpfungspunkte finden die Projektleitungen in der Verbindung acht zentraler Lebensfelder in den Quartieren: Wohnen & Wohnumfeld, Bildung, Kunst & Kultur, Gesundheit & Pflege, Ausbildung & Beschäftigung, Lokale Ökonomie, Assistenz & Service, Kommunikation & Partizipation sowie Spiritualität & Religion (Schulz 2010). Sie wird dabei seit Beginn an vom Institut für Stadtteilentwicklung, Sozialraumorientierte Arbeit und Beratung (ISSAB) der Universität Duisburg-Essen unter der Leitung von Prof. Dr. Wolfgang Hinte wissenschaftlich begleitet und evaluiert.

2.1 Wie werden die Q8-Quartieren ausgewählt?

Mit Fehren und Hinte gehen wir davon aus, dass Sozialräume doppelt bestimmte Konstrukte ganz verschiedener Größen sind: „Der Sozialraum als operativer Ort sozialer Dienste erfordert eine gewisse oszillierende Unschärfe, da er unter sozialarbeiterischen und steuerungstechnischen Aspekten eine doppelte Bedeutung besitzt“ (Fehren/Hinte 2013). Das bedeutet für die Praxis: Die individuellen Sozialräume der Menschen sind vielfältig und in Bewegung, da Menschen ihre Aufenthaltsorte und Aktivitäten verändern. Menschen verfügen zudem über verschiedene Sozialräume, wie etwa das nahe Wohnumfeld, Freizeitorte oder Arbeitsplätze in anderen Stadtteilen. Nur ein Teil der menschlichen Sozialräume deckt sich also mit dem Wohnumfeld im Quartier. Hier entstehen – aus den Sozialräumen einer Vielzahl von Menschen – Überschneidungen und Verdichtungen, die ein Wohnumfeld, eine Umgebung, einen Platz oder Straßenzüge mit Bedeutung versehen.

Sozialräume als Planungs- und Steuerungszonen der Akteurinnen und Akteure aus Politik und Verwaltung definieren sich dagegen klar abgegrenzt als Finanzierungs- und Steuerungsdimensionen, sei es z. B. als Wahlkreis, als Einzugsgebiet einer Schule oder als Raum für die Zuwendung von Jugendhilfemitteln. Auch wenn diese Grenzen oft differieren: Der Sozialraum als verbindende Größe kann den verschiedenen – oft getrennt voneinander agierenden – kommunalen Sektoren fachübergreifendes aufeinander bezogenes Handeln erleichtern.

Die Kunst ist es nun, bei der Auswahl der Quartiere als Handlungsorte die beiden Dimensionen so zu verbinden, dass sich die Potentiale persönlicher Netzwerke, fachlicher Perspektiven und institutioneller Ressourcen verbinden lassen. Das Quartier muss groß genug sein, dass zentrale Steuerungsrelevanzen aus den verschiedenen Lebensbereichen enthalten sind (z. B. die Stadtteilschule, eine Moschee oder das bezirkliche Sozialraummanagement) und überschaubar genug, um verschiedene „sozialräumliche Verdichtungen“ in Beziehung zueinander setzen zu können (Hinte/Fehren 2013). Es wird immer nur annähernd gelingen, die Dimensionen beider Bereiche in Deckung zu bringen, so etwa wenn bezirkliche Grenzen und Kirchenkreise anders definiert sind, eine Stadtteilschule Standorte in zwei Stadtteilen hat oder Straßenzüge Wohngebiete und personenbezogene Nahräume zerschneiden.

Diese Komplexität im Blick, geht Q8 in der Quartiersauswahl einen pragmatischen Weg: Es orientiert sich an bestehenden und auf diese Weise leicht zu kommunizierenden Formaten und wählt im Zweifel größere Gebiete aus, deren verschiedene Sozialräume sich im Verlauf der Projektentwicklung heraus arbeiten lassen. Mit Ausnahme der Stadt Bad Oldesloe ist Q8 in gewachsenen Quartieren und nicht in Verwaltungseinheiten aktiv (vergl. Kalter/Sauter 2014). Die Quartiere differieren dabei nicht nur in Bezug auf ihre Einwohnerzahlen, die zwischen 21.000 und 42.000 liegen. Auch im Hinblick auf demographische, sozialstrukturelle und infrastrukturelle Gegebenheiten existieren teilweise große Unterschiede.

Betrachtet man die Räume, auf die sich die Arbeit der Q8-Projektleitungen bezieht, dann zeigt sich die bereits zitierte „oszillierende Unschärfe“. Kalter und Sauter halten dazu fest: „Zum einen reichen sie über das umschriebene Gebiet hinaus, insbesondere wenn Kooperationsbezüge (bspw. mit der Bezirksverwaltung) und hiermit verbundene Themenstellungen (bspw. Freiwilligenagentur) dies erfordern. Zum anderen werden mit zielgerichteten Aktivitäten auch bestimmte Teilbereiche (Wohngebiete, Straßenzüge etc.) innerhalb des Quartiers fokussiert. Entsprechend folgt – ausgehend vom jeweiligen Quartier – die Definition des operativen Orts von Q8 konkret immer wieder neu entlang von „Mikroprojekten“, welche die im Quartier erkannten Themen, Bedarfe und Schwerpunktsetzungen aufgreifen. Bei der Suche nach Bündnispartnern und dem Bestreben um Verschränkung bzw. Bündelung von Perspektiven, Ressourcen und Unterstützungsnetzwerken weist Q8 aber i. d. R. zugleich über die einzelnen Quartiere hinaus“ (Kalter/Sauter 2014).

Insgesamt lässt sich festhalten, dass sich die Quartiere und der Aktivitätsraum der Projektleitung aus dem praktischen Prozess heraus verändert hat – sich auch im Prozess verändern durfte. Häufig, nicht immer, fokussierten sich die Projektleitungen dabei auf deutlich kleinere soziale Räume.

2.2 Wie arbeitet Q8?

Im Mittelpunkt der ersten Projektphase (2011 bis 2013) stand für die Q8-Projektleitungen das Kennenlernen[4], das Knüpfen von Kontakten und insbesondere die Erkundung der Potenziale des Quartiers: Wie sieht die Infrastruktur aus? Wo gibt es nachbarschaftliches Engagement? Wie arbeiten die vorhandenen sozialen Dienstleistenden zusammen? Welche sozialen Hilfen brauchen die Bewohnerinnen und Bewohner? Wo gibt es Lücken im System?

In der Regel erstellten die Q8-Projektleitungen ein Quartierprofil, das ihnen als Basis für die weitere Arbeit diente. Die Erfahrungen zeigen deutlich, dass ein solches Vorgehen in komplexen Sozialräumen mindestens sechs bis zwölf Monate benötigt. Unterstützung holte sich Q8 bei dieser Aufgabe u. a. bei der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg (HAW) und der Geographin Prof. Dr. Wotha aus Kiel. Gemeinsam mit den WissenschaftlerInnen wertet Q8 in jedem Stadtteil quantitative Daten aus und befragt professionelle Akteurinnen und Akteure und dort lebende Schlüsselpersonen nach Ressourcen und Entwicklungspotenzialen im Stadtteil.

Die aus der Strukturanalyse und den qualitativen Expertenbefragungen resultierenden Ergebnisse bezüglich der Potentiale des Quartiers einerseits und der örtlichen Bedarfslage andererseits konnten in allen Quartieren für den weiteren Diskussionsprozess mit den örtlichen Akteurinnen und Akteuren aufbereitet und genutzt werden. Auf diese Art und Weise wurden der qualitative Diskurs mit der Fachbasis, den Bürgerorganisationen und den Trägern von Einrichtungen vertieft und unterschiedliche Inklusionsprozesse angestoßen (vgl. Kalter/Sauter 2014).

Ausgehend von den Quartiersanalysen und den gefundenen Potenzialen stärkten die Q8-Projektleitungen im Sozialraum vorhandene Netzwerke und Gremien oder initiierten neue quartiersbezogene Strukturen. Begleitet wurde dieser Prozess in der Regel von der Entstehung kleinerer und größerer Projekte, deren Entwicklung Q8 ebenfalls initiierte und/oder begleitete. Häufig verschafften sogenannte „Mikroprojekte“ (Kalter/Sauter 2014) den Akteurinnen und Akteuren sowie der Q8-Projektleitung mit ihren kleinen verbindenden Erfolgen auch die Basis, um gemeinsam umfangreichere Projekte zu entwickeln.

Als Kompass für die Auswahl, Entwicklung und Begleitung größerer Projekte sind für Q8 folgende Kriterien handlungsleitend:

Die Projektleitungen folgen dabei der übergreifenden Zielsetzung, in den Quartieren die Möglichkeiten für ein inklusives Zusammenleben zu verbessern und die Basis für einen Selbsthilfe-Technik-Quartier-Profi-Mix zu schaffen.

Insgesamt lassen sich aktuell vier Wege beschreiben, die Q8 zur Verbesserung der quartiersnahen Versorgung der Menschen beschritten hat und die in der laufenden Projektphase (2014 – 2018) weiter ausgebaut werden.

3. Erste Wege zur Verbesserung der (Selbst-)Versorgung im Quartier

3.1 Intermediäre für das Soziale

Für die Nachhaltigkeit vieler Projekte, Netzwerke und Strukturen, die der Verbesserung der (Selbst-)Versorgung der Menschen und langfristig auch einer inklusiven Gesellschaft dienen, gilt: Der Erfolg ist damit verbunden, dass sie lokal initiiert und durchgeführt werden. Häufig gelingt dieser Prozess nur, wenn sich dafür Menschen, wir haben sie zunächst „Intermediäre für das Soziale“ genannt, als neutrale VermittlerInnen und „Kümmerer“ engagieren.

Dabei stehen vor allem die unterschiedlichen Prozesse, nicht zu zuallererst die großen Projekte im Vordergrund. Angelehnt ist die Vorgehensweise der meisten Q8-Projektleitungen an die Tradition der Gemeinwesenarbeit. Hinte beschreibt dies als einen „projekt- und themenunspezifischen Prozess einer (in der Regel) mehrjährigen Aktivierung der Wohnbevölkerung, der zwar einzelne Leuchtturmprojekte nicht ausschließt, sich jedoch vornehmlich über eine Vielzahl kleinerer Aktivierungsaktionen darauf richtet, anhand direkt geäußerter und durchaus wechselnder Interessen der Wohnbevölkerung gleichsam eine „Grundmobilisierung“ eines Wohnquartieres zu bewirken, die den Humus für größere Einzelprojekte darstellt“ (Hinte 2006).

So liegt auch dem Rollenprofil der Q8-Projektleitungen der Gedanke eines intermediär agierenden Menschen zu Grunde. Auch sie müssen „die Pfade in Politik und Verwaltung“ erforschen und mit Blick auf Ihre Quartiere, aber auch auf die gesamte Stadt, über Kenntnisse verfügen, wie sich der Wohnungs- oder der Arbeitsmarkt darstellt, wie sich die regionale Verwaltung aufstellt oder welche Interessen die lokale Ökonomie verfolgt. Gleichzeitig sind sie „aber auch präsent im Stadtteil, sie fragen respektvoll nach Betroffenheit, Interessen und Ärgernissen der Menschen und organisieren immer wieder Dialoge (gelegentlich auch recht konflikthafte) zwischen Betroffenen innerhalb der Lebenswelt, zwischen Lebenswelt und Bürokratie sowie auch innerhalb der Bürokratie. Oft geht es darum, die zum Teil widerstreitenden Interessen zu benennen, diskussionsfähig zu machen, die Menschen an einen Tisch zu bringen, ohne dass sie aufeinander einschlagen“ (Hinte 2006).

Für die Aufgabenstellung der Q8-Projektleitungen ergibt sich daraus: Sie

In der Praxis konnte so auf Initiative der Q8-Intermediärin in Bad Oldesloe mit Unterstützung lokaler Initiativen, Betriebe und BewohnerInnen in einem sozial benachteiligten Viertel ein Nachbarschaftszentrum aufgebaut werden, von dem aus eine Versorgung des Viertels in den Blick genommen wird. Ein erstes Ergebnis: Die Menschen lernen sich dabei kennen und kümmern sich gegenseitig mehr um die Sorgen und Anliegen ihrer NachbarInnen.

In Quartier Wandsbek/Hinschenfelde stößt der von Q8 initiierte Verein „Machbarschaft“ auf großes Interesse. Nach einjähriger Entwicklungsphase zählte der Verein Mitte 2015 bereits über 100 Mitglieder. Unter dem Motto: „Wir sind da, wo die Profis noch nicht sind", organisiert „Machbarschaft“ Unterstützung und soziale Begegnung in Einem. Der Verein ermöglicht niedrigschwellige nachbarschaftliche Hilfen von Mitgliedern für Mitglieder: Die Helfenden bringen ein Regal an die Wand, putzen die Fenster, begleiten Einkäufe und Spaziergänge oder organisieren Fahrdienste. Wer Hilfen in Anspruch nimmt, zahlt dafür 8,60 € die Stunde, von denen 6,80 € an die Hilfeleistende geht und 1,80 € an den Verein zur Deckung der Kosten, z. B. für Versicherungen. Die Arbeit im Verein selbst (z. B. Verwaltungsarbeit) ist ehrenamtlich. Für die hilfeleistenden Vereinsmitglieder handelt es sich um einen steuerfreien Zuverdienst im Rahmen der Nachbarschaftshilfe (max. in Höhe der „Übungsleiterpauschale“ von 2.400 €/Jahr). Sie können sich die 6,80 € auszahlen lassen oder als Guthaben stehen lassen und für eigenen Bedarf wieder einsetzen. Darüber hinaus können sich die Vereinsmitglieder regelmäßig in einem von der ESA aufgebauten Stadtteiltreff begegnen. Dort wird gesprochen, gesungen, sich kennengelernt, und es werden persönliche Ängste abgebaut. Eine – sich über dem Treffpunkt befindliche – WG für Menschen mit Demenz ist zunehmend in die Aktivitäten eingebunden.

3.2 Der Aufbau von „Umschlagplätzen“ im Quartier

„Umschlagplätze“ bieten Gelegenheiten, Bedarf und Hilfe im Stadtteil zu verbinden. Je nach den Voraussetzungen und dem Bedarf im Quartier können sie in ganz verschieden Formen erscheinen, z. B. als Infozentrum, als Mittagstisch oder als Netzwerk. Sie können neu eröffnen oder Bestehendes auf ein gemeinsames Ziel ausrichten. Gemeinsam ist ihnen, dass sie allen Menschen im Quartier einen Überblick über relevante Angebote ermöglichen, den Zugang dazu erleichtern, dass sie professionelles und freiwilliges Engagement verbinden und fachübergreifend nach Lösungen im Quartier suchen.

Grundlegendes Q8-Motto: Gelegenheiten schaffen

In der Q8 Projektentwicklung ist Kairos, der Gott der guten Gelegenheit, ein wichtiger Begleiter. Die GriechInnen stellten sich ihn humorvoll so vor: mit Glatze und einem Schopf an der Stirn, den es – im richtigen Moment – zu packen galt. Gelingt das nicht, rutscht die Hand ohne Halt über den Kopf und die Gelegenheit ist vertan. Auch bei Q8 geht es immer wieder um diese guten Momente, die es zu ergreifen gilt. Wenn es etwa gelingt, zum richtigen Zeitpunkt das Netzwerk eines Infozentrums mit den an anderer Stelle stattfindenden Entwicklungen einer Freiwilligenagentur zu verbinden, so dass etwas Neues entstehen kann. Glück oder Zufall? In jedem Fall geht es darum, die Bälle der vielen Möglichkeiten so in der Luft zu halten, dass Kairos genug Lust hat zu erscheinen – und seine Anwesenheit nicht zu übersehen.

Exkurs altonavi: Informationszentrum und Freiwilligenagentur

Initiiert und unterstützt von Q8, wurde im August 2013 eine neuartige Servicestelle für alle Menschen in Altona eröffnet: 20 soziale Träger und Initiativen, die bereits seit vielen Jahren nebeneinander vor Ort agierten, haben „altonavi“ zusammen mit dem Bezirksamt und der Hamburger Sozialbehörde konzipiert. Drei der mitwirkenden Organisationen haben im fachübergreifenden Verbund die Trägerschaft übernommen. Gefördert wird die Einrichtung über einen Finanzierungsmix, zu dem bisher elf Institutionen, u. a. die öffentlichen Hand, Stiftungen, die Kirche, Wohnungsunternehmen und das lokalen Gewerbe, beitragen.

altonavi informiert über soziale Angebote, vermittelt Hilfesuchende und freiwillig engagierte Menschen an die richtigen Stellen und unterstützt Nachbarschaften, eigene Ideen zu verwirklichen. Mit dem Kombiprojekt aus Informationszentrum und Freiwilligenagentur geht Altona neue Wege, um insbesondere Menschen mit Unterstützungsbedarf aufgrund von Alter, Krankheit oder Behinderung ein selbständiges Leben im Stadtteil zu ermöglichen und Versorgungsstrukturen weiter zu entwickeln.

Inzwischen erfreut sich altonavi eines stetig wachsenden Zuspruchs der AnwohnerInnen: Allein im Jahr 2014 wurden dort über 1200 Anfragen aufgenommen und bearbeitet. Das im letzten Jahr gegründete ‚Netzwerk altonavi‘ nimmt inzwischen auch soziale Bedarfe auf, die durch die Anfragen bei altonavi als Lücken im System ?erkannt werden. Es hat die Aufgabe, diese Lücken zu schließen oder aber bei Politik und Verwaltung ?zu platzieren. Bereits vereinbart sind regelmäßige Berichte an den bezirklichen Altonaer Sozialausschuss.

Schaubild: Funktionsweise altonavi und netzwerk altonavi

Schaubild: Funktionsweise altonavi und netzwerk altonavi
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Die Erfahrungen des Projekts sollen auch anderen Stadtteilen zu Gute kommen. Als Gelingensfaktoren lassen sich bisher folgende Bausteine formulieren:

Das Potenzial und die Wirkung von altonavi lassen sich in „Geschichten“ aus der Praxis erkennen, die von den MitarbeiterInnen aufgezeichnet wurden:

Herr T. und Frau M.: Engagementbereitschaft trifft auf Hilfebedarf

Der 56jährige Herr T. wendet sich an altonavi, weil er sich in seiner Nachbarschaft engagieren möchte. Bis vor kurzem hatte Herr T. noch einen „Ein-Euro-Job“ bei einem Beschäftigungsträger in Altona. In diesem Job hatte er Menschen mit Behinderungen und Mobilitätseinschränkungen unterstützt. Herr T. bezieht eine Erwerbsminderungsrente und erhält Unterstützung durch einen Träger der Eingliederungshilfe.

Über einen Quartierlotsen des Qplus-Projekts erfährt altonavi etwa zeitgleich von der 50jährigen Frau M., die 2007 gemeinsam mit ihrer Mutter eine Eigentumswohnung in der Nähe bezogen hatte. Frau M. hat einen Förderschulabschluss, jedoch nie eine eigene Lohnarbeit aufgenommen. Nach dem Tod ihrer Mutter im Jahr 2013 erkrankte Frau M. schwer. Seit einer Operation ist sie auf den Rollstuhl angewiesen. Ein ambulanter Pflegedienst versorgt sie in ihrer Wohnung. Eine pädagogische Assistentin unterstützt sie drei Stunden in der Woche, z. B. bei Arztbesuchen, beim Schreiben von Briefen und bei der Freizeitgestaltung. Außerdem kommen eine Ergotherapeutin, ein Physiotherapeut und eine Logopädin zu ihr nach Hause. Frau M. fühlt sich oft einsam. Sie möchte deshalb einen Computerkurs und den kostenfreien Mittagstisch im benachbarten Seniorenzentrum besuchen und auch sonst mehr Zeit außerhalb ihres Hauses verbringen. Ohne Hilfe kann sie ihre Wohnung aber nicht verlassen.

altonavi bringt Frau M. und Herrn T. daraufhin in Kontakt. Bei einem Quartier-Frühstück lernen die beiden sich kennen. Sie verbringen nun mehrmals in der Woche Zeit miteinander. Gemeinsam gehen sie an der Elbe spazieren, besuchen das Seniorenzentrum, verabreden sich zum Kino oder führen den Hund von Herrn T. aus. Mittlerweile ist daraus eine Freundschaft entstanden. Um auch längere Ausflüge mit ihr unternehmen zu können, besucht Herr T. auf Anregung des Quartierlotsen einen Pflegekurs. Nun kann er Frau M. auch ohne die Hilfe eines Pflegedienstes unterstützen. Dafür erhält er eine Aufwandsentschädigung nach § 45b SGB XI. Frau M. wird in wenigen Wochen zudem mit einer Halbtagsbeschäftigung in einer Tagesförderstätte beginnen. Sie hofft, dass sie bis dahin einen elektrischen Rollstuhl erhalten wird, mit dem sie eigenständig das Haus verlassen und auch zu ihrem neuen Arbeitsplatz fahren kann.

3.3 Wohnraumentwicklung und Stadtplanung als zentrale Prozessfelder

Zur Förderung und zum Erhalt von sozialer Integration und Selbständigkeit im Falle von Unterstützungsbedarf ist nicht nur eine Mischung aus funktionierenden Unterstützungsnetzen, ein Miteinander der Generationen und freiwillig engagierter Angehöriger und NachbarInnen hilfreich, sondern auch eine entsprechende bauliche und technische Infrastruktur. Es liegt daher nahe, dass Q8 einerseits die Zusammenarbeit mit der Wohnungswirtschaft suchte und andererseits auch städtebauliche Planungs- und Entwicklungsprozesse in den Fokus nimmt, um die Voraussetzung für eine gelungene Umsetzung quartierbezogener (Selbst-) Versorgungskonzepte durch eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Wohnungswirtschaft und sozialen DienstleisterInnen befördern zu können.

LeNa – Lebendige Nachbarschaft

Im Projekt Lebendige Nachbarschaft (LeNa, Start 2014) mit der öffentlichen Wohnungsbaugesellschaft SAGA/GWG im Hamburger Rungequartier unterstützt Q8 beispielsweise die Entwicklung einer lebendigen Nachbarschaft, ergänzt durch professionelle DienstleisterInnen, die bei Bedarf Hand in Hand auch eine Rund-Um-Die-Uhr-Assistenz ermöglichen. Hauptziel von LeNa ist es, innovative Versorgungsformen eingebettet in quartiersbezogene Strukturen aufzubauen, damit alle BewohnerInnen auch bei steigendem Unterstützungsbedarf in der eigenen Wohnung und im vertrauten Umfeld bleiben können.

Die wichtigsten Bausteine des Projekts:

Eine weitere Kooperation mit der „Allgemeinen Deutschen Schiffszimmerer-Genossenschaft“ wird seit Beginn 2015 im Hamburger Quartier Rübenkamp aufgebaut.

Forum: Eine Mitte für Alle

Neue Wege hinsichtlich einer inklusiven Stadtplanung geht Q8 im Stadtteil Altona. Dort werden auf einem ehemaligen Bahngelände 3500 Wohnungen entstehen, die sogenannte „Mitte Altona“.

Im Forum Eine Mitte für Alle leisten die Akteurinnen und Akteure ihren Beitrag, damit Planung und Bau des neuen Stadtteils möglichst inklusiv gestaltet werden. Am Forum nehmen Bürgerinnen und Bürger, Institutionen aus vielen Bereichen, VertreterInnen aus Politik und Verwaltung, Kreativwirtschaft und Stiftungen, aus Universitäten, Initiativen und Baugemeinschaften, aus Kirche und Stadtplanung, sowie Menschen mit und ohne Behinderung und aus verschiedenen Altersgruppen teil. Q8 initiierte Eine Mitte für Alle mit einer Auftaktveranstaltung im Februar 2012, an der 220 Menschen teilnahmen und moderiert seither den Prozess.

Als zentralen Meilenstein entwickelte das Forum einen umfangreichen, 30 Items umfassenden Planungskatalog für einen barrierefreien und inklusiven Stadtteil. Ziele und Vorschläge gehen dabei quer durch alle Lebensbereiche. Aus dem Planungskatalog des Forums wurden Empfehlungen einer inklusiven und barrierefreien Stadtplanung abgeleitet, die nach einem einstimmigen Beschluss der Bezirksversammlung Altona zukünftig bei allen Bauvorhaben in Altona berücksichtigt werden sollen.

Fotoaktion des Hamburger Straßenmagazins Hinz & Kunzt: Eine Mitte für Alle – Alle Akteurinnen und Akteure an einem Tisch
Fotoaktion des Hamburger Straßenmagazins Hinz & Kunzt: Eine Mitte für Alle – Alle Akteurinnen und Akteure an einem Tisch
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Auch von der Behörde für Stadtplanung wurden die Empfehlungen für das neue Quartier „Mitte Altona“ aufgegriffen und mit einem eigenen Kapitel zur Inklusion in den städtebaulichen Vertrag aufgenommen, der zwischen der Stadt und den privaten EigentümerInnen geschlossen wurde. Möglichst viele Wohneinheiten sollen barrierefrei gestaltet werden, die Kitas sollen Angebote der Eingliederungshilfe berücksichtigen, und das geplante Quartiersmanagement bekommt den Auftrag, inklusive Strukturen zu entwickeln, die evaluiert werden sollen.

Begleitend formuliert das Forum Empfehlungen zur Konkretisierung der inklusiven Strukturen, z. B. zum Thema „Wohnen mit Unterstützung“ oder zur „Inklusiven lokalen Ökonomie“, die mit der Stadtentwicklungsbehörde, dem Bezirksamt und den Eigentümern beraten werden. Die Hamburger Regierungsparteien haben Eine Mitte für Alle in das Regierungsprogramm 2015-2020 aufgenommen: „Die Erfahrungen, die in Mitte Altona im Prozess Eine Mitte für Alle gemacht wurden, bilden die weiterzuentwickelnde Grundlage einer zukünftigen inklusiven Stadtentwicklung“, so die Zusage im Koalitionsvertrag.

3.4 Qplus – Neue Unterstützungsstrukturen im Quartier

Im Leistungsgeschehen in der Eingliederungshilfe in Hamburg folgt die Leistungsplanung und -umsetzung in der Regel folgender Logik: Nach Leistungsbewilligung, Einstufung nach Metzler, Gesamtplanung und Zielformulierung erbringen professionelle DienstleisterInnen im ambulanten oder stationären Setting bedarfsgerecht ihre Leistungen und rechnen diese ab. Dabei gilt: Je höher der Hilfebedarf des Menschen, desto höher das Entgelt. Und der Leistungserbringer „profitiert“ davon, wenn Menschen möglichst lange im Profisystem verbleiben.

Mit dem neuen Teilprojekt Qplus sucht Q8 nach Möglichkeiten, diese Logik umzukehren: BezieherInnen sozialer Dienstleistungen, zunächst aus dem Spektrum der Sozialgesetzbücher XI und XII, stellen sich mit Unterstützung einer Quartierlotsin ihren individuellen Unterstützungsmix zusammen, bestehend aus eigenen Ressourcen, Technik, den Quartiersmöglichkeiten und Profileistungen. Darüber hinaus wird überlegt, was der oder die Leistungsberechtigte selbst in das Quartier einbringen kann. Auf diese Weise entstehen im Rahmen einer konsequent selbstgewählten Alltagsgestaltung individuelle Lösungswege.

Das gelingt allerdings nur, wenn der Prozess von Regularien der bisherigen institutionellen Profi-Strukturen flexibilisiert wird und alle Ressourcen, auch die finanziellen, so eingesetzt und miteinander verzahnt werden können, wie der einzelne Mensch sie für seinen selbstgewählten Alltag braucht. Nur so sind unkonventionelle Lösungen denkbar, die zudem auch die Entstehung inklusiver Quartierstrukturen unterstützen. Gewährleistet werden soll dies mit Hilfe eines lokalen Trägerbudgets, das den Leistungsberechtigten und ihren QuartierlotsInnen Freiheit im Einsatz der Mittel erlaubt.

Das Projekt Qplus befindet sich noch in der Aufbauphase, in der es eine große Zahl aufwendiger und kleinteiliger Prozesse zu meistern gilt – eine Suchbewegung, die einen langen Atem benötigt. Erst nach und nach wird sich zeigen, wie es gelingen kann, erfolgreich neue Unterstützungssettings zu bauen und welche konstruktiven Irritationen für die Linie ausgelöst werden können.

4. Zwischenfazit und Perspektiven

Erste Erfolge legen nahe, dass die im Quartier vermuteten Potenziale tatsächlich dazu beitragen können, das Soziale neu zu organisieren und, dass es sich lohnt, neutrale Kümmererinnen und Kümmerer in die Quartiere zu schicken, die als soziale Intermediäre die quartiersbezogenen Prozesse begleiten, moderieren und unterstützen. Doch wollen auch wir uns durch einen vielerorts aufscheinenden „Hype“ des Quartiers als Handlungsort, an dem alle unsere aktuellen sozialen Probleme gelöst werden, den nüchtern Blick auf die realen Chancen nicht versperren lassen: Sozialraumorientierung gibt nicht die Antwort auf alle gesellschafts- und sozialpolitischen Fragestellungen, aber sie kann wichtige Beiträge dazu liefern – in jedem Quartier liegen Potenziale und Schätze verborgen, die es noch zu heben gilt!

Q8 hat in kurzer Zeit vielfältige und zahlreiche Effekte im Sinne struktureller Veränderungen auf den Weg gebracht. Beteiligte erleben „das Verbindende“ von Q8 als besondere Qualität, die zu aktiver Mitarbeit motiviert (Kalter/Sauter 2014). Mit zunehmender Dauer entwickelt sich in einzelnen Q8-Quartieren eine themen- und ressortbündelnde Verdichtung und Optimierung der Gremienstrukturen, aus der heraus zunehmend auch konkrete inklusionsgerichtete Kooperationen und Aktivitäten aufgebaut werden. Dies alles weist darauf hin, dass es mit Q8 immer wieder gelungen ist, eine positive Energie zu entfalten, die auf die angestrebte Etablierung neuartiger Unterstützungs- und Versorgungsstrukturen gerichtet ist.

Q8 verbindet dabei Konzepte der Sozialraumorientierung, Quartierentwicklung und Inklusion zu einem strategischen Handlungs- und Entwicklungsansatz. Das Projekt lebt dabei, wie andere Sozialraumprojekte auch, von der Kooperation und der Überschreitung der Linien. Dies gelingt allerdings immer nur dort, wo Verwaltung, Politik und Sozialdienstleistende den Sozialraum als Handlungs- und Orientierungsfeld ernst nehmen. Nur so eröffnen sich die Chancen, dass z. B. aus Konkurrenzen und dem Nebeneinander der gemeinnützig und kommerziell Tätigen Kooperationen werden. Um aus dem Nebeneinander ein Miteinander zu machen, wird eine gemeinsame Klammer benötigt, die Interessensgegensätze der Akteurinnen und Akteure intelligent einbindet. Diese Klammer gilt es immer wieder neu zu finden, zu definieren und zu verabreden: Eine Perspektive, die allen nützt oder anders formuliert: Wer nicht nach dem Win-Win möglichst aller Akteurinnen und Akteure sucht, wird wenig Erfolg haben.

Bei der Gestaltung der Prozesse vor Ort nehmen die Q8-Projektleitungen eine zentrale Schlüsselrolle ein. Bestimmend für die erfolgreiche Arbeit der Q8-Projektleitungen ist – neben deren Zeitressourcen, besonderen fachlichen Kompetenzen und persönlichen Qualitäten – vor allem deren Vermittlung als intermediäre Instanzen. Die Hoffnung, man könnte in relativ kurzer Zeit Strukturen entwickeln, die sich dann von selbst tragen, können wir nicht bestätigen. Dies gilt ebenso für die Frage, wie und ob ein sozialer Intermediär seine Aufgabe an eine andere Person übergeben kann. Unser Erfahrung zeigen: Die intermediär handelnde Person, die von ihrer Persönlichkeit ausgehende Ausstrahlung und Haltung, die von ihr aufgebauten Beziehungen, der von Ihnen gespendete Kitt in den Netzwerken sind zu zuallererst individuell geprägt und wenig austauschbar. Eine schnelle Übergabe oder ein Auswechseln von Personen gelingt nur selten. Dagegen kann die Schaffung von personeller Kontinuität, gepaart mit großer Unabhängigkeit, den Boden für gute Entwicklungen befördern.

Zugleich erfordern die sozialräumlichen Entwicklungen zeitliche Ressourcen, die insbesondere kleineren Institutionen und Trägern kaum zur Verfügung stehen und die in den Regelprogrammen, -maßnahmen und -strukturen nicht vorgesehen sind. Dies verweist gleich auf mehrerlei Probleme, die Q8 bisher erfolgreich umschiffen konnte: Vergleichbare Programme sind zeitlich häufig auf drei Jahre, oder noch kürzer ausgerichtet – zu kurz, um nachhaltige Quartiersprozesse gestalten zu können.

Und an dieser Stelle wollen wir noch auf ein weiteres Problem hinweisen: Zwar arbeiten die Q8-Projektleitungen alles andere als im Verborgenen. Dennoch sind ihre Erfolge bei der Netzwerkbildung, bei Moderationsprozessen usw. häufig nicht sichtbar, bleibt ihre initiierende, vermittelnde und begleitende Tätigkeit im Hintergrund. Sind Ergebnisse deutlich sichtbar, beispielsweise in Form von größeren Projekten (wie altonavi, dem Projekt SchanZe, dem Bürgerverein „Machbarschaft; vergl. www.q-acht.net), dann steht der Name Q8 i. d. R. „nicht an der Tür“, da die Methode und Rollenzuweisung für Q8 keine operative Trägerschaft vorsieht.

Die Verantwortlichen in den Steuerungszentralen müssen daher viel Mut und Geduld aufbringen, den Entwicklungen in den Quartieren Zeit und Raum zu lassen. Dazu braucht es entsprechendes Vertrauen, ein sorgfältige Auswahl des Personals, eine ausreichende Klärung von Zielen, Inhalten und Steuerungsfragen – und eine große Portion unternehmerischen Geistes, Mut und Kreativität. Denn der Ansatz,

unterscheidet sich grundlegend von der Methode, Konzepte oder fertige Projektideen vor Ort zu implementieren. Q8 verbindet damit jedoch das Versprechen, ein inklusives Miteinander im Quartier zu befördern, um gute Lebensbedingungen und sichere (Selbst-) Versorgungsstrukturen für alle Menschen aufzubauen.

Nach den aktuellen Planungen wird die Evangelische Stiftung Alsterdorf ihre Q8-Arbeit in den kommenden Jahren bis mindestens 2018 fortsetzen und mit dem Ausbau des Qplus Projektes weiter vertiefen. Möglich wird das Engagement von Q8 insbesondere durch die bereits beschriebenen Kooperationen mit der SAGA/GWG, der Schiffzimmerergenossenschaft sowie mit der Hamburger Kirchengemeinde Winterhude-Uhlenhorst und dem Kirchenkreis Ost. Partnerschaftlich begleitet und maßgeblich unterstützt werden Q8 schließlich auch von der Hamburger Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration, der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz, der Aktion Mensch sowie von der Nordmetall-Stiftung.

Weitere Informationen unter: http://www.q-acht.net

Literatur

Evangelische Stiftung Alsterdorf (2001): Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung. Dokumentation des Kongresses Community Care vom 23.bis 25. Oktober 2000. Hamburg.

Fehren, Oliver/Hinte, Wolfgang (2013): Sozialraumorientierung – Fachkonzept oder Sparprogramm? Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge. Berlin.

Haas, Hanns-Stephan u. a. (Hrsg.) (2010): Enabling Community – Anstöße für Politik und soziale Praxis. Evangelische Stiftung Alsterdorf. Hamburg.

Haas, Hanns-Stephan/Verstl, Jörg (2012): Stiftungen bewegen – Ein Perspektivenwechsel zur Gestaltung des Sozialen. Stuttgart.

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Fussnoten

[1] Evangelische Stiftung Alsterdorf (2001): Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung, Dokumentation des Kongresses Community Care vom 23.bis 25. Oktober 2000

[2] Maas u. a. 2007: Communitiy Living – Bausteine für eine Bürgergesellschaft

[3] Haas u. a. 2010: Enabeling Community – Anstöße für Politik und soziale Praxis

[4] Der Start in den Q8-Quartieren erfolgt nicht zeitgleich, daher beschreiben wir hier der Komplexität wegen einen idealtypischen Projektverlauf.


Zitiervorschlag

Oertel, Armin und Karen Haubenreisser (2015): Q8 – Quartiere bewegen: Das sozialräumliche Engagement der Evangelischen Stiftung Alsterdorf. In: sozialraum.de (7) Ausgabe 1/2015. URL: https://www.sozialraum.de/q8-quartiere-bewegen.php, Datum des Zugriffs: 28.03.2024