Die GWA im sozialräumlichen ‚Governancekonzert‘

Herbert Schubert

Die gesellschaftspolitisch fundierte GWA der 70er Jahre spielte im Quartier eine Sonderrolle. Der Rückzug auf eine Sonderposition im Quartier war mit dafür verantwortlich, dass die GWA keine Antworten auf den Modernisierungsprozess der pluralisierten und individualisierten Gesellschaft fand. Nach der funktionalen und kategorialen Konzentration auf die Herstellung von „Gemeinschaft" in Armutsquartieren geriet die GWA in den Folgejahren zunehmend selbst in eine marginale Position; in ihrem Methodenkoffer entstand wenig Neues. Erst unter der aktuellen partizipativ angelegten Steuerungslogik der „Governance" erhält die GWA wieder einen anerkannten Platz. Im Kontext integrierter Sozialraumkonzepte wirkt sie im ‚Konzert‘ der professionellen und nicht-professionellen Akteure im Sozialraum koordiniert mit und wird vom ‚Einzelkämpfer‘ zum ‚Mannschaftsspieler‘ für die Entwicklung der lokalen Demokratie.

1. Die GWA als ‚Einzelgänger‘

Nach dem Zweiten Weltkrieg importierte die amerikanische Besatzungsmacht im Rahmen der „Reeducation-Strategie" auch das GWA-Prinzip nach Deutschland: Die Bevölkerung sollte in einem demokratisierten Verständnis ‚gemeinschaftsfähig‘ werden und im Gemeinwesen über die lokale Infrastruktur miteinander verbunden werden. In den 50er und 60er Jahren verbreitete sich diese sozialintegrative Form der GWA von Murray G. Ross: Sie wurde von der Utopie einer herrschaftsfreien Gesellschaft ohne Unterdrückung geprägt, in der sich Menschengruppen nicht mehr hierarchisch an formellen Führern orientieren, sondern über informell Führende in gemeinschaftlichen Netzwerkformen selbst zu helfen wissen - unterstützt von den wohlfahrtsstaatlichen Angeboten im Gemeinwesen (vgl. Müller 1971).

Parallel verbreiteten sich Impulse einer als revolutionär verstandenen GWA-Form in Deutschland (vgl. Aich/Bujard 1972). Die sozialplanerische Perspektive, in einem Sozialraum nach dem Bedarf zu fragen und ihn mit der Bereitstellung erforderlicher Versorgungsangebote zu decken, war für diese so genannte „aggressive GWA" nicht hinreichend. Sie bezog sich stattdessen auf Saul Alinskys Postulat: Weil die Macht in der Gesellschaft ungleich verteilt sei, müsse die benachteiligte Bevölkerung als ‚Gegenmacht' geschlossen organisiert werden. Allerdings geben die so genannten „Praxisberater" in diesem GWA-Verständnis selbst keine Ratschläge, sondern unterstützen die „informellen Führer" bei der Zuspitzung von Konflikten, in denen sich die Gegenmacht durch gemeinsames Handeln und soziale Kohäsion bildet.

Die aggressive GWA wollte das Gemeinwesen nicht als harmonische Einheit entwickeln, sondern setzte - im Kontext der marxistischen Klassenanalyse - auf die politische Aktivierung zur Überwindung bestehender Machtdifferenziale, damit die Macht im Gemeinwesen gerechter verteilt und das gesellschaftspolitische System verändert werden kann. Die GWA befolgte dabei das Prinzip des historischen Materialismus, die ‚unterdrückte (Arbeiter-) Klasse‘ als Kollektiv mit gemeinsamen objektiven Interessen zu organisieren und zum Widerstand zu befähigen. Nach der dichotomischen „Ausbeuter-Ausgebeuteten"-Logik ergriff sie Partei für benachteiligte Minderheiten im Gemeinwesen. Diese Art der GWA wies ein Demokratie-Defizit auf, weil nicht gewartet werden sollte, bis die Mehrheit der Bewohnerschaft im Wohnquartier Aktionen für notwendig hält. Es ging vorrangig darum, Minderheiten Gegenmacht zu verschaffen, die das bestehende System stören und durch Demonstrationen, Sit-Ins, Mietstreiks oder Besetzungen beseitigen konnte. Die GWA nahm damit eine ‚Einzelgänger‘-Rolle wahr, die kaum bzw. nur schwach ins wohlfahrtsstaatliche System des Sozialraums zurückgekoppelt wurde.

Im Rückblick ist festzuhalten, dass die Möglichkeiten, Minderheiten im Gemeinwesen zum Widerstand zu motivieren, in den 70er Jahren überbewertet worden sind. Denn die urbanen ‚lumpenproletarischen‘ Minderheiten waren nicht in der Lage, sich kontinuierlich und strategisch geschickt für ihre Interessen einzusetzen. Der Glaube, die GWA könne die Ursachen von Benachteiligung und Unterdrückung durch politische Aktivierung vor Ort beseitigen, erwies sich als Illusion. Aber das marxistisch orientierte Konzept hatte die Programmatik, das Vokabular und das Image der GWA insgesamt auf Jahre hinaus geprägt.

Vor diesem Hintergrund setzte in den 80er Jahren eine Abgrenzung vom GWA-Begriff ein, der - in Folge des ‚unkalkulierbaren‘ aggressiven ‚Lone Wolf‘-Musters im Stadtteil - sowohl unter den Akteuren der Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung als auch unter Professionellen der Sozialen Arbeit ein schlechtes Image erworben hatte. Hinte erfand die GWA daher neu als „Stadtteilbezogene Soziale Arbeit": In diesem Modell wird der sozialen Arbeit die Rolle einer „intermediären Instanz" zugewiesen, die Verbindungen zwischen Bewohnerschaft und Institutionen der Kommunalverwaltung herstellt (vgl. Hinte / Karas 1989, vgl. auch Hinte / Lüttringhaus / Oelschlägel 2001). Indem die Verwaltung vom Gegner zum Partner wird, streift die GWA auch die ‚Einzelgänger‘-Rolle ab. Ihre Aufgabe wurde es nun, zwischen den beiden Seiten zu vermitteln und „Dialogmanagement" zu leisten.

2. Die GWA im Abseits

Die GWA ist unter Bedingungen der ‚Großgruppengesellschaft‘ des 19. Jahrhunderts entstanden. Denn die Vorläufer der Gemeinwesenarbeit (GWA) sind aus sozialen Bewegungen heraus entstanden, in denen sich Angehörige der gebildeten Mittelschicht aus ethischen Motiven in Armutsquartieren der Großstädte engagierten und versuchten, die Lebenssituation der dort lebenden Bevölkerung zu verbessern. In England und in den USA waren es so genannte „Settlements": Pastoren und junge Akademiker/innen näherten sich in diesen Quartieren dem Phänomen der Verarmung und der Verelendung an. Daraus entwickelten sie eine „Community-Work", die einerseits von Ross sozial integrativ angelegt und andererseits von Alinsky eher widerständig ausgerichtet wurde (vgl. Biesel 2007). Zugrunde liegt das vereinfachte dichotomische Gesellschaftsbild des Klassenantagonismus von Bürgertum und Proletariat - zugespitzt auf "die Mächtigen da oben" und "die Unterdrückten da unten". Dieses Bild der Großgruppengesellschaft bestimmte auch am Ende des 20. Jahrhunderts die Strategien der GWA: Innerhalb der Großgruppe einer benachteiligten Quartiersbevölkerung sollten Strukturen der Solidarität aufgebaut werden und zugleich die gesellschaftlichen Verhältnisse verändert werden. Aber so einfach waren städtische Gemeinwesen in der jüngeren Vergangenheit nicht mehr ‚gestrickt‘: Im gesellschaftlichen Wandel vom Fordismus zum Postfordismus sind sie viel komplexer geworden.

In gewisser Weise hatte die GWA diese Veränderung in den vergangenen Jahrzehnten ‚verschlafen‘. Entstanden im sich zuspitzenden Klassenantagonismus des Präfordismus, hatte die GWA ihre Hochzeit in den Widersprüchen des Fordismus erlebt und hat heute Mühe, den Anschluss an die professionellen Anforderungen im Postfordismus zu finden. Denn in der aktuellen Phase des Postfordismus hat sie durch das Festhalten an alten Prinzipien die Orientierung verloren und durchläuft eine Metamorphose (vgl. Klages / Timpf 2009):

Im Ergebnis passt der alte Gemeinwesen-Begriff zunehmend weniger in die postfordistischen Entwicklungsstrategien von benachteiligten Wohngebieten. Die kollektive Ausrichtung steht im Widerspruch zu der zunehmenden Individualisierung der Lebensstile; auch die Menschen in benachteiligten Quartieren sind von der „dreifachen Individualisierung" als neuer Art der Vergesellschaftung betroffen (vgl. Beck 1986):

In diesem gesellschaftlichen Modernisierungsprozess zu einer pluralisierten und individualisierten Gesellschaft im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich die GWA nicht von innen heraus weiterentwickelt, sondern geriet durch das Festhalten an präfordistischen und fordistischen Orientierungen ins ‚professionelle Abseits‘. Sie ignorierte den neuen Vergesellschaftungsmodus und blieb lange von der Vorstellung befangen, dass unter der Bevölkerung eines Quartiers eine „Schichtkristallisation" bzw. die kollektive Wahrnehmung einer „gemeinsamen Lebenslage" erzeugt werden müsse. Möglicherweise wird die Marginalität paradoxerweise sogar verschärft, wenn nicht die Individuen gefördert werden, um der neuen Art der Vergesellschaftung gerecht werden zu können, sondern ein imaginäres Sozialraum-Kollektiv. Damit es zur Schicht- oder Klassenkristallisation kommen kann, müssen die Bewohner/innen ihre gemeinsamen Problemlagen und ähnlichen Interessenlagen erkennen sowie gegnerische Gruppierungen identifizieren. Das kann kaum gelingen, zumal sie sich an den Konsumstandards (Stichwort - z.B. Mediamarkt: „Ich bin doch nicht blöd!") und an den Kulturstandards (Stichwort: DSDS und kommerziell konstruierte Musikstile) der individualisierten Milieus orientieren.

Längst hat die Pluralisierung von Habitusformen, die Bourdieu als individuelle Wahrnehmungs-, Denk-, Interpretationsschemata beschreibt, auch die Armutsquartiere erreicht. Dem scheinbaren Zusammenhang im Raum sozialer Positionen - ökonomisches Kapital, soziales Kapital, kulturelles Kapital - steht eine deutliche Differenzierung im Raum der Lebensstile, d.h. bei der Güterverwendung, in der Geschmackskultur und in den Lebenspraktiken gegenüber. Das gilt insbesondere auch für die Bewohner/innen mit Migrationshintergrund, wie die vor wenigen Jahren publizierten Sinus-Studien gezeigt haben (2007; vgl. auch Wippermann/Flaig 2009). In ein und demselben physischen Raum sind unterschiedliche Milieus mit unterschiedlicher Kapitalausstattung und Interessen anzutreffen. In manchen Milieus, die nur über wenig ökonomisches Kapital verfügen, kann beispielsweise ein hoher Zusammenhalt innerhalb der Community bestehen - z.B. von der homogenen Herkunftssprache getragene Milieus mit Migrationshintergrund; dagegen können autochthone Gruppen (wie z.B. Modernisierungsverlierer deutscher Herkunft) im Sozialraum wegen unterschiedlicher Orientierungshorizonte kaum Bezugspunkte untereinander aufweisen (vgl. Stoik 2007). Allerdings hat die Sinus-Studie auch deutlich gemacht, dass die Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland keinen soziokulturell homogenen Zusammenhang bilden. Auch dieser Bevölkerungsteil wird inzwischen von einer vielfältigen und differenzierten Milieulandschaft geprägt. Die Migranten-Milieus unterscheiden sich weniger nach ethnischer Herkunft und sozialer Lage als nach ihren Wertvorstellungen, Lebensstilen und ästhetischen Vorlieben. Daher kann die GWA heute nicht mehr von der Herkunftskultur auf das Milieu schließen. Vielleicht fehlen gerade wegen der milieuspezifischen Fragmentierung der Bevölkerung eines Sozialraums Zugänge zu Entscheidungsstrukturen und gesellschaftlichen Institutionen sowie Beziehungen zu den Menschen aus den zahlreichen anderen Milieus. Die GWA muss sich dieser differenzierteren Gesellschaftsstruktur daher stellen und aus der Nische, Kollektive im Sozialraum generieren zu wollen, heraustreten.

In dieser Nische hat die GWA einen unbeabsichtigten Spezialisierungsprozess durchlaufen, indem sie in den vergangenen Jahrzehnten funktional und kategorial enggeführt wurde - quasi als ‚Spezialeinsatzkommando‘ für Quartiere mit einem hohen Problemdruck oder für mikrosoziale Sonderaufgaben. Unter dem Druck des gesellschaftlichen Wandels hat sich teilweise der Definitionsrahmen der GWA verschoben: Die geografische Ausrichtung auf ein urbanes Territorium wurde zwar beibehalten, aber der Arbeitsansatz richtete sich immer seltener auf die gesamte Wohnbevölkerung. Insofern überwiegt zunehmend eine funktionale Ausrichtung auf inhaltliche Problemlagen der Armut, aber es gibt auch Tendenzen zu einer kategorialen Ausrichtung auf spezifische Lebenssituationen wie Alter und Migrationshintergrund. So sind mittlerweile auch GWA-Ansätze für ältere Menschen in neu gebauten Altenwohnanlagen zu finden (vgl. Schubert/Veil 2010).

Im Alltag hat die GWA daher viele Gesichter angenommen: Das Spektrum reicht von der soziokulturellen Arbeit und vom Aufbau selbständiger Bürgerorganisationen (im Sinne des Community Organizing) über den Aufbau bzw. die Stärkung der lokalen Ökonomie und die sozialpolitische Vertretung von benachteiligten Bevölkerungsgruppen, bis hin zur Anwaltsplanung bei der Umgestaltung von Wohngebieten und zur Partnerschaft mit Wohnungsbaugesellschaften beim Erstbezug von neuen Wohnquartieren oder zur unabhängigen Mieterberatung (vgl. Ries et al. 1997). Die Weiterentwicklung der GWA seit Mitte der 80er Jahre kann deshalb als ‚ungeplante Spezialisierung‘ bezeichnet werden, in deren Verlauf die Aktivierung der Ressourcen eines Gemeinwesens auf die Armutsbekämpfung und die Armutsprävention fokussiert wurde. Die GWA spezialisierte sich auf die Mobilisierung der Bewohnerschaft in Stadtgebieten mit hoher Arbeitslosigkeit und mit hoher Kriminalitätsrate. Mit Foucault (1976) argumentiert wird sie zu einer zusätzlichen ‚Disziplinierungsinstanz‘ in Gebieten mit hohem Problemdruck, die unter spezifischen Bevölkerungsgruppen zu einer Selbstverbesserung der Lebensqualität beitragen und beim Aufbau „handlungsmächtiger" Beziehungen helfen soll (vgl. Rothschuh 2001).

Der Arbeitsansatz veränderte sich dabei sukzessiv: Die traditionelle Kollektivorientierung löste sich auf und veränderte sich hin zu differenzierteren Vorgehensweisen. Die GWA reagierte auf veränderte Rahmenbedingungen in der Bevölkerung: Anstatt die aktivierende Großversammlung (nach dem Motto ‚Proletarier aller Straßen, vereinigt Euch!‘) durchzuführen, wendet sie sich funktionalen und situationsspezifischen Aufgaben zu - wie z.B. Probleme von Eltern im Quartier mit der Tagesbetreuung und mit der Lernbegleitung von Schulkindern oder Probleme von Mieterhaushalten. Statt eine Initiativgruppe im Gemeinwesen (monozentrisch) zu installieren, fördert die funktional und kategorial fokussierte GWA vielfältige Verantwortlichkeiten (polyzentrisch) in situativen Kontexten (vgl. Schubert 2000a).

3. Wiederkehr des Raums nach dem ‚Spatial Turn‘

Durch den „Spatial Turn" in den 90er Jahren wurde eine Renaissance der Raumorientierung in der sozialen Arbeit angestoßen. Ende der 80er Jahre hat der Geograf Edward Soja die Überwindung der Raumvergessenheit des radikalen abendländischen Denkens thematisiert (2000). Er prägte den Begriff des „Spatial Turn", also die Wiederbeachtung des Raumes in den Sozialwissenschaften. Während die fordistische Moderne die Kategorie der Zeit hervorgehoben hatte, wird im Postfordismus die „Verräumlichung des Zeitlichen" hervorgehoben. Das war eine Reaktion auf die Modernisierungseuphorie der 80er Jahre: David Harvey hatte damals noch vom „Verschwinden des Raumes" durch die „Time-Space-Compression" geschrieben und meinte damit die medien- und verkehrstechnisch induzierte Verdichtung der raumzeitlichen Wahrnehmungshorizonte (vgl. Döring / Thielmann 2008). Der „Spatial Turn" kennzeichnet eine Gegenbewegung: In der „Reterritorialisierung der Diskurse" wurden die Grenzen der Enträumlichung aufgezeigt. Der Soziologe Manuel Castells hat mit der Denkfigur des „Space of Flows" Mitte der 90er Jahre ‚Räume im Fluss‘ als Merkmal der Netzwerkgesellschaft beschrieben, aber auch darauf hingewiesen, dass die Territorialität als eines der organisierenden Prinzipien sozialer Beziehungen elementar bleibe (2001). Der Raum wird dabei nicht mehr als Ursache oder Grund betrachtet, von der oder dem die Ereignisse oder deren Erzählung ihren Ausgang nehmen; er wird selbst vielmehr als eine Art Text betrachtet, dessen Zeichen oder Spuren zu entziffern sind (vgl. Lindner 2004). Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte hat sich deshalb die Erkenntnis verbreitet, dass der gebaute Raum Skripte und Choreographien des Handelns bereitstellt (vgl. Schubert 2010b, ders. 2000b). Martina Löw (2001) hat diesen Diskurs in ihrer „Raumsoziologie" für die deutschsprachigen Raumwissenschaften aufgearbeitet. Der Abschied vom Behälterraum als vorausgesetzter Umwelt des Handelns hatte allerdings schon früher eingesetzt. Mit dem „Spatial Turn" wird das soziale Gemachtsein von Räumen - das so genannte „Spacing" - betont. Damit wird auch eine Verräumlichung von Bourdieus Kaptalbegriff betrieben: Der Raum als Ergebnis und Mittel von handlungsspezifischen Konstitutionsprozessen enthält in dieser Hinsicht „Spatial Capital" - oder auch nicht (Döring / Thielmann 2008: 34). Der Ressourcenansatz in der Sozialen Arbeit möchte dieses Raumkapital abschöpfen (vgl. z.B. Hinte / Litges / Springer 2001).

Mit dem „Spatial Turn" gewinnt die GWA wieder Oberwasser. Allerdings reicht es nach dem „Spatial Turn" nicht mehr aus, nur auf die Verbesserung von Lebensbedingungen in benachteiligten Wohnquartieren unter aktiver Mitwirkung der Wohnbevölkerung zu zielen. Die Aktionsformen der GWA müssen zugleich ein ‚Spacing‘, also eine Neukonstitution des Quartiers und eine Aufwertung des Raumkapitals bewirken (vgl. Baum 2007, Kessl / Otto / Ziegler 2005). Weil die GWA dafür keine eigenständigen methodischen Instrumente und Arbeitsansätze entwickelt hatte, wird sie seit den 1990er Jahren eingebettet in räumliche Entwicklungsstrategien, bei denen sie mit Professionen zusammenarbeitet, die davon etwas verstehen - wie z.B. die Stadtplanung (vgl. Hamacher et al. 2006). In Entwicklungsgebieten des Förderprogramms „Soziale Stadt" ist die GWA aufgefordert, nicht eine Kollektivperspektive einzubringen, sondern Subjektperspektiven, indem die Deutungen und Aneignungsweisen von Quartierbewohner/innen, die sich täglich in diesen Räumen bewegen, ethnografisch analysiert werden, damit daran angesetzt werden kann. Exemplarisch ist das beim „Quartiermanagement" in städtebaulichen und sozialen Entwicklungsgebieten zu beobachten (vgl. Alisch 1998). Dort kooperiert die GWA oft eng mit anderen intermediären Akteuren vor Ort und mit Gebietsbeauftragten innerhalb der Kommunalverwaltung. Die GWA ist dabei aber nicht gleichzusetzen mit Quartiermanagement, sondern ist ein sozial fokussiertes Element in einem komplexen Konzept zur Gestaltung von Wohnquartieren, an dem auch andere Akteure (etwa Verwaltung, intermediäre Instanzen, Unternehmen usw.) mit anderen Methoden beteiligt sind (vgl. Schubert / Spieckermann / Hänschke 2004). Die GWA verantwortet die Aktivierung der Wohnbevölkerung, begleitet Gruppen und Initiativen, kümmert sich um die Vernetzung von formellen und informellen Ressourcen und wirkt teilweise an der Organisation eines Stadtteilbüros mit (vgl. Schubert 2005). Dazu kann sie inzwischen auf ein entwickeltes Instrumentarium der Sozialraumarbeit zurückgreifen (vgl. Deinet / Gilles / Knopp 2006, Früchtel et al. 2007, Kessl et al. 2005, Riege/Schubert 2010, dies. 2005, Schubert/Spieckermann 2004). Daneben sind intermediäre Instanzen als Bindeglied zwischen den Lebenswelten im Stadtteil und nach Sektoren geordnete Bürokratien, Institutionen und Organisationen tätig. Sie entwickeln spezifische Einzelprojekte und führen Geld, Menschen, Bedarfe und Ideen systematisch zusammen. Diese intermediären Instanzen verfügen über Sachkompetenz, etwa in den Bereichen Beschäftigungspolitik, Wohnungspolitik, Jugend- und Sozialhilfe, sie organisieren Dialoge (auch konflikthafte) innerhalb des Quartiers, zwischen Bewohnern und Bürokratie sowie auch innerhalb der Bürokratie.

In Evaluationen werden nicht die projekt- und themenunspezifischen Prozesse und die „Grundmobilisierung" der GWA wahrgenommen, sondern die Erfolge der spezifisch operierenden, d.h. nicht zielgruppen- und bereichsübergreifend arbeitenden Akteure. Die GWA hat bisher versäumt, ihre fruchtbare Rolle in den Prozessen der sozialen Stadtentwicklung nachzuweisen. Konrad Maier (2006) stellt in diesem Zusammenhang fest, dass im Bereich der GWA eine professionelle Identität im Sinne eines Bewusstseins des eigenen Wissens und Könnens nur sehr gering entwickelt ist: Das kategorische Verbot eines eigenen Expertentums und das Gebot, dass die Betroffenen selbst handeln müssen, sei paradox; denn es stehe einer selbstbewussten Darstellung des eigenen Handelns immer wieder im Wege.
Kessl/Reutlinger (2009) fordern daher eine stärkere Professionalisierung zur „Sozialraumarbeit": Die Soziale Arbeit soll im Sozialraum nicht mehr auf GWA und Stadtteilarbeit reduziert werden, weil nicht mehr allein der physische Raum Ausgangspunkt der professionellen Handlungen sein kann. Die Eigenheiten der verschiedenen Milieus und ihrer Raumskripte sollen berücksichtigt werden, um den Zugang zu erleichtern. Das Kapital, das Wissen und die Erfahrungen, die in den Milieus vorhanden und im physischen Raum quasi eingeschmolzen sind, werden in der Sozialraumarbeit zum Ausgangspunkt für die Initiierung von emanzipatorischen Lernprozessen vor Ort erklärt.

4. Exkurs: Governance als neues Steuerungsprinzip im Sozialraum

Der „Governance"-Begriff repräsentiert eine neue analytische Perspektive auf die politische Steuerung, unter der diese nicht mehr traditionell auf staatliche Institutionen fixiert bleibt, sondern auch die mitwirkende Rolle der zivilgesellschaftlichen und privatwirtschaftlichen Akteure betont wird. Holtkamp und Bogumil diagnostizieren in diesem Zusammenhang Tendenzen einer gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Selbststeuerung über Verhandlungssysteme und Politiknetzwerke (2007: 231f.). Dabei werden die lokalen Akteure in eine neue soziale Ordnung eingebettet und bewegen sich in komplexen Abhängigkeiten der föderalen Mehrebenenstruktur, was Schimank „Multilevel Governance" nennt (2007: 29).

Aus dem Governance-Begriff wurde die Vision der „Bürgerkommune" abgeleitet. In der Bürgerkommune kommen Elemente der kooperativen Demokratie - wie z.B. Bewohnerforen als neue Politiknetzwerke - zum Einsatz; dadurch soll gesellschaftliches Wissen für die Gewinnung problemadäquater Lösungen und neuer Ideen genutzt werden, die staatliche Ressourcen ergänzen können (ebd.: 233). Viele Kommunen wenden sich daher vom neuen Steuerungsmodell ab und hin zum pluralistischen, diskursiven Verhandlungssystem der Bürgerkommune, in der Effektivität und demokratische Legitimation durch Partizipation - d.h. durch den Einbezug von Bürgergruppen und unorganisierten Bürger/innen in die Politikformulierung - erzielt werden können (Holtkamp 2009: 65; vgl. auch Heinelt 2004). Die Bürgerkommune setzt sich gegenüber der hierarchischen und marktlichen Abstimmung als effektivere Koordinationsform durch, weil sie zu Synergieeffekten zwischen Verwaltung und Bürgerschaft führt und dabei problemgerechtere Lösungen gefunden werden als im Rahmen eines reinen ‚New Public Management‘ (vgl. Holtkamp 2009: 82f.).
Das Leitbild, das der Bürgerkommune zu Grunde liegt, folgt fünf Zielen (Holtkamp / Bogumil 2007: 235 f.): (1.) Die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit den kommunalen Dienstleistungen und Projekten soll erhöht werden. (2.) Die Bürgerschaft soll stärker an der demokratischen Willensbildung und an der kommunalen Demokratie teilnehmen. (3.) Die soziale Kohäsion und Solidarität, die sich in der Gestalt der Unterstützungsnetzwerke zeigt, soll gestärkt werden. (4.) Durch den Einbezug und die Nutzung der bürgerschaftlichen Potenziale sollen die kommunalen Haushalte entlastet werden. (5.) Schließlich wird als Folge einer Governance-Orientierung erwartet, dass die Ergebnisse im Sinne der politischen Zielsetzungen besonders wirkungsvoll ausfallen.

Ein breites Governance-Verständnis reicht allerdings über diese Ziele hinaus bis hin zu einer notwendigen Umgestaltung des kommunalen Entscheidungssystems. Denn es muss eine ressort- bzw. politikfeldübergreifende Koordination der Bürgerbeteiligung ermöglicht werden - also ein „Partizipationsmanagement" implementiert werden, das Verantwortung auf die Sozialraumebene in den Stadtteilen delegiert und bei den Einrichtungen und Bürgergruppen dezentralisiert (ebd.: 237). Die Etablierung von Governance-Strukturen muss von einem umfassenden Kulturwandel bzw. kollektiven Lernprozess begleitet werden, in dem die Beteiligung der Bürger als Bereicherung und nicht als Kompetenzverlust oder als Gefährdung der Routinen wahrgenommen wird (ebd., S. 238). Durch den Netzwerkcharakter von Governance-Strukturen verschiebt sich sukzessiv das Interventionsgefüge: Der Haupteinfluss liegt zuneh-mend bei privaten und zivilgesellschaftlichen Akteuren in Netzwerken und die staatlichen Akteure sind nur noch rudimentär beteiligt. „Statt Hard Law wird nun Soft Law produziert", schreiben Rüb und Seifer (ebd.: 171) und verweisen auf den Bedeutungsanstieg weicher Vorgaben wie Leitbilder und Selbstverpflichtungen der beteiligten Akteure.

Der Governance-Begriff kann auch organisationsfokussiert dargestellt werden. Betrachtet wird dann die Governance der Unternehmung bzw. allgemeiner einer Organisation und ihres organisationalen Feldes. Diese Herangehensweise ist insbesondere aus einer sozialwirtschaftlichen Perspektive sinnvoll, bei der die Aufmerksamkeit auf die Verantwortungsstrukturen von und zwischen Diensten, Einrichtungen, Leistungs- und Kostenträgern des Sozialwesens in einem Sozialraum gerichtet wird (vgl. Wendt 1999). Die organisationale Governance in der Sozialwirtschaft wird einerseits von der institutionellen Umwelt (Gesetze, Politikstile, Regeln, Konventionen, Sitten, Gebräuche, Gewohnheiten) beeinflusst. Andererseits spielt verstärkt der Mechanismus der Kooperation eine Rolle (vgl. Williamson 1996: 4). Die Governance-Strukturen in der Sozialwirtschaft wandeln sich kontinuierlich von einer vertikalen Hierarchie zu einer horizontalen Organisationskonfiguration der „lateralen Kooperation" (vgl. Bleicher 2004: 339). Dies ist sowohl intraorganisational zu beobachten, indem beispielsweise neben eine stabile „Palastorganisation" eine flexible „Zeltorganisation" der temporären Projektförmigkeit von Dienstleistungen tritt oder die Fach- und Ressourcenverantwortung in die operativen Einheiten dezentralisiert wird, als auch interorganisational, indem nach „fluiden Organisationsstrukturen" gesucht wird, die in offenen und fließenden Übergängen anschlussfähig sind an eine dynamische Umwelt (ebd.: 341).

Bei der Anschlussfähigkeit spielen die Adressaten als Interaktionspartner der Sozialwirtschaft eine hervorgehobene Rolle; die Governance-Struktur muss ihrer Partizipation an der Erarbeitung von Lösungen eine hohe Priorität einräumen (ebd.: 342). Die Organisationen öffnen sich von daher strukturell für ‚kundenorientierte‘ Innovationen und involvieren die Adressaten in den Prozess der Dienstleistungsplanung sowie Dienstleistungsproduktion, was eine laterale Prozessgestaltung notwendig macht und kaum im Rahmen von traditionellen, formalistischen Hierarchien realisiert werden kann. Als Teil der organisationalen Governance-Struktur werden geeignete Netzwerkformen entwickelt, die Adressaten als Partner in Problemlösungsprozesse einbeziehen und sie zum Ausgangspunkt der Prozesssteuerung machen (vgl. Schubert 2009). Aber in diesen Netzwerken wirken auch andere Organisationen der Sozialwirtschaft mit, weil zunehmend komplexere, integrierte Dienstleistungen kooperativ nach dem Prinzip des „full systems management" in einem Gesamtkonzept angeboten werden (ebd.: 342). Diese Vernetzungen müssen über durchlässige oder gar „verschwimmende Grenzen" verfügen und sich in einem permanenten Zustand der Bewegung befinden (ebd.: 345), damit vielfältige Kopplungsoptionen genutzt werden können. Die fluiden Strukturen werden im übergreifenden Gesamtzusammenhang inter- und intraorganisatorisch als integrierte Kooperationsnetze interdependent verteilter Ressourcen und Fähigkeiten organisiert - beispielsweise indem Organisationen der Jugendhilfe, des Gesundheitswesens und des Schulsystems Kompetenzen unter dem Postulat der Adressaten- und Qualitätsorientierung bündeln, um die qualitätsvolle Entwicklung von Kindern und Jugendlichen als Wertschöpfungsprozess in einer integrierten und abgestimmten Kooperation zu fördern.

Im Wohlfahrtsstaat besteht das Risiko, dass die Governance an den Interessen sanktionsstarker Gruppen - wie zum Beispiel kommerzieller Leistungsanbieter und Träger der Wohlfahrtspflege - ausgerichtet wird und die Partizipation der Bürgerschaft zu kurz kommt (Bode 2007: 402). Die distributiven pädagogischen Interventionsformen und Dienstleistungen, die im Rahmen Sozialer Arbeit an Personen oder sozialräumlich an der sozialen und Bildungsinfrastruktur ansetzen, müssen daher im „wohlfahrtspluralistischen Zusammenspiel von Politik, Verwaltung, Verbänden, Sozialprofessionen und Privathaushalten" erfolgen (ebd.: 403). Einen netzwerkförmigen Charakter sollen auch die Koordinationsprozesse aufweisen, in denen die Standards der sozialen Daseinsvorsorge fachlich-professionell ausgehandelt werden (ebd.: 404).

Holtkamp (2009: 67) betont, dass die erwartungsgeladenen Projektionen auf den Governancebegriff in empirischen Untersuchungen nicht bestätigt werden konnten: „Die mit dem engen Governance-Begriff häufig verbundene Erwartung, dass hierarchische Koordination zunehmend abgelöst wird durch diskursive Verhandlungssysteme und netzwerkförmige Koordination, weil diese sowohl in Bezug auf die Output- als auch die Input-Legitimität überlegen sind, entspricht nicht den empirischen Trends in den vorrangig betrachteten nordrhein-westfälischen Kommunen" (ebd.: 82). Die Leistungsfähigkeit der hierarchischen Koordination, der bürgerschaftlichen Partizipation und der netzwerkartigen Governanceformen werden offensichtlich überschätzt. So habe in vielen Kommunen die hierarchische Koordination innerhalb der Verwaltung eher zugenommen und die kooperative Demokratie nicht das gewünschte Maß erreicht. Wenn die Bürger ihr Wissen und ihr ehrenamtliches Potenzial wirkungsvoll einbringen sollen, dann muss das Partizipationsmanagement noch stärker auf die kleinräumige Mitwirkung in den Stadtteilen zugeschnitten werden (ebd.: 73f.).

5. Die GWA im lokalen ‚Governancekonzert‘

In der neuen Steuerungslogik der „Governance" erhält die GWA im Sozialraum neue Chancen. Ihre neue Rolle besteht darin, in einem ‚sozialräumlichen Multiakteursmodell‘ die Gatekeeper-Funktion zwischen der Bevölkerung auf der einen Seite und dem Wohlfahrtsarrangement des Zusammenspiels von Politik, Verwaltung, Verbänden und sozialen Professionen einzunehmen. Die GWA kann damit als Teil des ‚kommunalen Integrationsregimes‘ einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der lokalen Demokratie leisten. Dabei muss sie ‚wachsam‘ im Blick behalten, dass die Strukturen der lokalen Governance nicht von den Interessen der kommerziellen Leistungsanbieter und Träger der Wohlfahrtspflege überformt werden und dass für die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger angemessene Formen gefunden werden.
Die GWA der Gegenwart muss dennoch die Balance eines demokratischen Politikverständnisses finden, das beim aggressiven GWA-Ansatz noch unterentwickelt war. Denn sie ist in den Kommunen nun Teil des neuen Integrationsregimes der „lokalen Governance". Die zu Grunde liegende Logik impliziert eine relative Enthierarchisierung der Steuerungsprozesse in der Kommune und eine Distanzierung von der traditionellen Staatsfixierung (vgl. Benz 2004). Unter diesen Bedingungen sind keine ‚Alleingänge‘ mehr möglich, sondern die Interdependenzen zwischen den lokalen Akteuren zu gestalten und auszutarieren. Die Entscheidungsprozesse basieren zunehmend auf Verhandlungen, in die alle relevanten Akteure aus Politik, anderen gesellschaftlichen Feldern und insbesondere aus der Zivilgesellschaft einbezogen werden. Dieses Verständnis von Governance lässt sich im Sozialraum definieren durch (a) die Abnahme der Bedeutung hierarchischer Strukturen und eine Bedeutungszunahme dezentraler Verantwortung, (b) durch eine Kooperation staatlicher, freigemeinnütziger, privater und zivilgesellschaftlicher Akteure im Sozialraum, die Sektoren, Ressorts und Organisationen übergreift, und (c) durch einen Mechanismus, bei dem die Steuerung im Prozess der Interaktion unter den Akteuren sowie in kontinuierlicher Verständigung über gemeinsame Problemdefinitionen und Handlungsziele stattfindet (Fürst/Zimmermann 2005). Lokale Governance wird dabei vor allem durch Kooperationsformen gekennzeichnet, die an einen lokalen Netzwerkmodus - wie zum Beispiel ein Bürgerforum oder ein Stadtteilgremium - gebunden sind, der weder eine starke vertikale Hierarchisierung noch eine starke horizontale Sektorenabgrenzung beinhaltet (vgl. Schubert 2010a). Unter Governance-Bedingungen befindet sich die GWA in einer System-Umwelt-Relation und darf nicht isoliert vom gesamten professionellen und protoprofessionellen System der sozialen Daseinsvorsorge in einem Stadtgebiet betrachtet werden. Die GWA muss sich daher als Akteur in einem professionellen Multiakteursansatz wahrnehmen, bei dem das „Gegensteuerungsprinzip" zur Anwendung kommt: Es wird sowohl von oben als auch partizipativ von unten gesteuert.

In der Governance-Logik arbeiten drei Steuerungsebenen im Gegenstrom komplementär zusammen: (i) Die politischen Gremien in der Kommune übernehmen die normative Verantwortung. Sie müssen die Leitziele für einen Stadtraum konkretisieren und die generellen Zielrichtungen programmatisch festlegen. Sie sichern die dezentralen Strukturen im Stadtteil ab (Strukturqualität). (ii) Die strategische Verantwortung liegt bei den Fachbereichen der Kommunalverwaltung. Mit den dezentralen Akteuren müssen die Ziele für die Zielfelder Ressourcen (Input), Produkte (Output), Wirkungen bzw. Ergebnisse (Outcome) vereinbart werden. (iii) Vor Ort, d.h. dezentral in den Sozialräumen wird die operative Verantwortung getragen. Hier finden die (räumliche) Querkoordination der Organisationen verschiedener Ressorts und der partizipative Einbezug von Bewohner/innen sowie von lokalen Potenzialen statt.

Die benachteiligten Stadträume werden dabei nicht mehr aufgegeben und allein der GWA überlassen, sondern sollen über vielfältige Steuerungsketten und kooperative Beteiligungen Teil der Kommune bleiben. Der Praxisansatz der Sozialraumorientierung koppelt daran mit drei Qualitätsdimensionen an (vgl. Schubert 2008):

  1. In der ersten Dimension geht es um eine räumliche Reorganisation bzw. Restrukturierung der sozialen Arbeit zu einem koordinierten, d.h. vernetzten Zusammenwirken der beteiligten Dienste, Infrastruktureinrichtungen und Organisationen über Ressortgrenzen hinweg - das ist die Management-Dimension der Gestaltung von Zielen und Ergebnissen sowie effektiven Dienstleistungsketten.
  2. In der zweiten Dimension spielt die Ankopplung an eine kommunale Sozialpolitik eine Rolle, bei der die thematisch vielfältige Aktivierung und Partizipation der Wohnbevölkerung einen hohen Stellenwert hat.
  3. Und in der dritten Dimension findet die GWA als Basisdienst oder Gatekeeper im lokalen System der sozialen Daseinsvorsorge eine Neuverortung. Sie wird verantwortlich für den Aufbau sozialräumlicher Netzwerke, für die Erzeugung von Sozialraumkapital und für die Sicherstellung der Partizipation.
    Im Ergebnis haben wir ein Zusammenspiel von zuvor isolierten Einrichtungen und Diensten in einer gemeinsamen Planvision für das Gebiet, und die GWA ist im modernen Governance-Modell ein Gatekeeper, der interdependent zwischen der Bevölkerung und dem sozialwirtschaftlichen System vermittelt und vor allem dafür sorgt, dass die Partizipationschancen der Bürgerinnen und Bürger genutzt werden können.

Literatur

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Benz, Arthur (Hrsg.) (2004): Governance - Regieren in komplexen Regelsystemen. Eine Einführung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften
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Zitiervorschlag

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