Editorial zur Ausgabe 1/2020
Liebe Leser*innen,
in der vorliegenden Ausgabe 1/2020 können wir mit insgesamt 18 neuen Beiträgen besonders viele Artikel zum sozialräumlichen Denken und Handeln in der Sozialen Arbeit und den Sozialwissenschaften versammeln. Diese spiegeln die thematische Vielfalt und den aktiven Fachdiskurs in diesem Bereich wider. Sie thematisieren dabei auch die aktuellen Herausforderungen der Covid-19-Pandemie, der sozialen Nachhaltigkeit, der Familienaktivierung, der Stadtentwicklung, der Gestaltung von Migrations- und Inklusionsprozessen, der Schulentwicklung und der Digitalisierung.
In der Rubrik „Grundlagen" verortet Lothar Böhnisch zunächst die Jugendarbeit im Kontext einer Sozialpädagogik der Nachhaltigkeit und führt aus, wie soziale Nachhaltigkeit im Kontext ökologischer Krisen zu einer Gestaltungsaufgabe zwischen Wachstumszwang und sozialökologischer Sorge wird. Roberta Nicolodi verdeutlicht in ihrem Beitrag, wie Modelle der sozialen Innovation und sozialräumliche Ansätze und genutzt werden können, die Angebote der Frühen Hilfen konzeptionell zu bereichern. Marcel Schmidt rekonstruiert in seinem Beitrag die Entstehung und Bedeutung des Begriffs des „Recht auf Stadt“ im Denken von Henri Lefebvre. Ina Conen arbeitet am Beispiel der Pendelmigration türkeistämmiger Migrant*innen heraus, wie Altersvorsorgehandeln in transnationalen Räumen konzeptionell erfasst werden kann. Und Cornelia Harrer blickt zurück auf die vergangenen Monate der Covid-19-Pandemie und arbeitet erste konzeptionelle Auswirkungen und Schlüsse für die Weiterentwicklung der Quartiersarbeit heraus.
Im Methodenkoffer stellen Annette Harth und Silke Mardorf das Verfahren der Quartiersgespräche dar und verdeutlichen die Potenziale und die Relevanz dieser Methode im Kontext von Quartiersarbeit und sozialen Planungsprozessen. In einem zweiten Beitrag stellt Matthias Scheibe ein methodisches Setting zur Erkundung von Online-Orten mit Jugendlichen als digitale Variante der Stadtteilbegehung vor.
Als Gast der Ausgabe konnten wir mit dem iSo e. V. (Innovative Sozialarbeit) einen Träger der sozialraumorientierten Kinder-, Jugend- und Familienhilfe und der schulbezogenen Arbeit gewinnen. Der Beitrag illustriert, wie der Träger innovative sozialräumliche Ansätze und Zugänge in ganz unterschiedlichen Feldern immer wieder neu mit den Beteiligten gestaltet und dadurch besonders wirkungsvolle und attraktive Angebote entwickeln kann.
Die Rubrik Projekte beginnt mit einem Beitrag von Christian Reutlinger und Kolleg*innen, der die Ergebnisse eines Forschungsprojekts zum „Berufsfeld Community“ und der Ausgestaltung des beruflichen Handelns in Nachbarschaften beschreibt. Lorenz Gottwalles, Annika Stremmer und Manuel Wagner dokumentieren in ihrem Beitrag ein Forschungsprojekt zur Sichtbarmachung ungesehener Sozialitäten an einem kontrovers betrachteten öffentlichen Platz in Münster anhand eines Vorgehens nach der Situationsanalyse nach Adele Clarke und in Bezug auf das kritisch-parteiliche Konzept des „Urban Commoning unter Ausgeschlossenen“. Ulrich Deinet und Maria Icking stellen anhand einer Folgestudie die aktuell vorfindbaren Weiterentwicklungen in den Kooperationsformen zwischen Offener Kinder- und Jugendarbeit und Schulen in NRW dar. Mehmet Kart, Kirsten Rusert und Margit Stein beschreiben in ihrem Artikel die zentralen Ergebnisse eines Forschungs- und Transferprojekts über Auszubildende mit Fluchterfahrung im ländlichen Raum des Landkreis Vechta. Selina Chwoika und Lena Corell stellen anhand der Ergebnisse des Bundesmodellprogramms „Starke Netzwerke Elternbegleitung für geflüchtete Eltern“ vor, welche Gelingensbedingungen eine sozialräumlich vernetzte Elternbegleitung für marginalisierte Menschen aufweist. Und Martin Holler arbeitet anhand eines Praxisforschungsprojektes in einem Mannheimer Stadtteil heraus, welche Aufgaben, Rollen und Arbeitsansätze ein Leistungserbringer in der Eingliederungshilfe in Bezug auf die Mit-Gestaltung sozialräumlicher Inklusionsprozesse hat.
In der Rubrik Praxis stellen zunächst zwei verschiedene Träger aus der Jugendarbeit dar, wie sie mit in ihren Angeboten und Kontaktformen auf die Covid-19-Pandemie reagierten und welche digitalen und analogen Formen sie dabei entwickelt haben. Petra Burgstaller, Marlene Fuchs und Pamela Heil vom Verein Spektrum in Salzburg berichten hier von Erfahrungen, Herausforderungen und Chancen aus der digitalen Kinder- und Jugendarbeit in dieser Zeit. Und Martin Himmelfreundpointner beschreibt die Weiterentwicklung des Konzepts der Online-Jugendarbeit aus dem Verein Wiener Jugendzentren in den Zeiten des Lockdowns. In einem weiteren Beitrag berichtet Carolin Herrmann vom Modell einer genossenschaftlich organisierten Nachbarschaftshilfe bei „KISS-Schweiz“ und betrachtet die Möglichkeiten und Grenzen für dessen Übertragbarkeit auf kommunale Settings in Deutschland. Elias Schaden beschreibt aus einer Studie zu Beispielen aus Graz, Stuttgart und Rosenheim die zentralen Merkmale eines gelingenden sozialräumlich orientierten Freiwilligenmanagements in der Kinder- und Jugendhilfe.
Wir wünschen nun viel Freude beim Lesen und eine anregende Beschäftigung mit den Beiträgen dieser Ausgabe.
Bremen, Düsseldorf, St.Gallen, Wien im Oktober 2020
Christian Spatscheck, Ulrich Deinet, Christian Reutlinger, Richard Krisch