Befragung von Schlüsselpersonen
Ulrich Deinet, Richard Krisch
Ziel dieser Methode ist es, interessante Personen in einem Stadtteil/Sozialraum zum Reden zu bringen, um ihre spezielle Sichtweise in eine Sozialraumanalyse mit einbeziehen zu können. Dabei handelt es sich in der Regel um Erwachsene, auch ältere Menschen, die einen ganz spezifischen Blickwinkel einnehmen, z. B. die Büdchenfrau im Stadtviertel, die pensionierte Leiterin des Allgemeinen Sozialen Dienstes, die über viele Jahre die Entwicklung des Stadtteils verfolgt hat, oder der türkische Kinderarzt, der seit 25 Jahren im Stadtteil praktiziert. Auch außerhalb der Institutionen gibt es Erwachsene, die in einem Siedlungsteil eine wichtige Rolle spielen. Ortmann definierte solche „Schlüsselpersonen" als Menschen im Stadtteil, die aufgrund ihres Berufes, ihrer Position und ihrer Erfahrungen über spezifische Wissensvorräte über Strukturen, Veränderungen und Entwicklungen des Stadtteils verfügen" (Ortmann in Deinet 2000:78).
Mittels Leitfadeninterviews mit Schlüsselpersonen wird versucht, ein differenziertes Bild der - auch historisch gewachsenen - Vorgänge im Gemeinwesen zu erhalten. Die Befragung kann auch in Form einer Stadtteilbegehungen durchgeführt werden, was zu einer noch differenzierteren Beschreibung des Stadtteils führen kann.
Bei der Befragung von Schlüsselpersonen geht also weniger um offizielle Meinungen von Personen, die Institutionen vertreten. Durch den Einsatz dieser Methode werden differenzierte Sichtweisen auf den Sozialraum/Stadtteil gespiegelt. Die Befragung von ExpertInnen macht die persönlichen Sichtweisen und Haltungen der Befragten gegenüber Kindern, Jugendlichen und anderen Gruppierungen deutlich. Sie kann auch als Lobbyarbeit für Kinder- und Jugendinteressen wirken.
Wichtig ist das richtige Setting, d. h. ein Raum ohne Ablenkung und eine Zeitdauer von ein bis zwei Stunden, damit die ExpertInnen Zeit für ihre Ausführungen haben. Bei dem Interview handelt es sich um eine leitfadengestütztes, narratives Interview, bei dem es besonders auch darum geht, interessante Anmerkungen und Nebensätze aufzunehmen, sowie den Befragten die Möglichkeit zu eröffnen, eigene Themen anzusprechen. Die Interviews sollten mitgeschnitten werden und können danach in einer vereinfachten Form dokumentiert werden. Eine wörtliche Transkribierung ist nicht unbedingt erforderlich, da sie zu zeitaufwändig ist. Das gesamte Interview sollte aber von zwei Fachkräften noch einmal angehört werden, um dann interessante Passagen entweder als Zitat oder als Paraphrase dokumentieren zu können.
Die Befragung von Schlüsselpersonen ist eine relativ aufwändige Methode, die nur von Fachkräften mit entsprechenden Kompetenzen durchgeführt werden sollten, weil hier z.B. Kenntnisse biografischer Interviews erforderlich sind. Die Anwendung dieser Methode bietet sich z. B. im Kontext von Geschichts- und Sachkundeunterricht, vor dem Hintergrund der Ansätze von oral history oder der Methode der Spurensuche, welche die Entwicklung von Stadtteilen zu rekonstruieren versucht, an. Im Rahmen von Projekten lassen sich so Einblicke in die Entwicklung von Sozialräumen erforschen, die Teil von Geschichtswerkstätten u.ä. sein und entsprechend präsentiert werden können.
Die Befragung von Schlüsselpersonen ist im Gegensatz zur Nadelmethode oder zur Begehung mit Kindern und Jugendlichen keine Einstiegsmethode, sondern eher als eine Methode im Rahmen einer fortgeschrittenen Sozialraumanalyse geeignet, wenn weitergehende Fragestellungen formuliert werden können.
Zitiervorschlag
Deinet Ulrich, Richard Krisch (2009): Befragung von Schlüsselpersonen. In: sozialraum.de (1) Ausgabe 1/2009. URL: https://www.sozialraum.de/befragung-von-schluesselpersonen.php, Datum des Zugriffs: 12.11.2024