Altern in Sozialraum und Quartier – Facetten der Quartiersarbeit und Entwicklung einer wissenschaftlichen Weiterbildung als Antwort auf aktuelle Herausforderungen im Sozialraum
Marion Müller, Ines Himmelsbach, Cornelia Kricheldorff
Einleitung
Die Katholische Hochschule Freiburg hat auf die Bedarfe und Herausforderungen, die aus den aktuellen demografischen und sozialen Gegebenheiten und Anforderungen resultieren, reagiert und eine berufsbegleitende Wissenschaftliche Weiterbildung mit dem Titel „Altern in Sozialraum und Quartier – Kommunale Beratung und Vernetzung“ entwickelt. Sie hat die zentralen Elemente der Quartiersarbeit aufgegriffen und in die Inhalte der das Thema „Alter(n)“ fokussierenden Weiterbildung integriert. Gleichzeitig ist die Wissenschaftliche Weiterbildung auch als Reaktion auf neue Bedarfe, die sich aufgrund sozialer und demografischer Entwicklungen ergeben, entstanden. Darüber hinaus fließt jahrelange Forschungs- und Projekterfahrung des Instituts für Angewandte Forschung, Entwicklung und Weiterbildung (IAF) unter Leitung von Prof. Dr. Kricheldorff mit ein, die das Entstehen dieser Weiterbildung sowie deren Inhalte maßgeblich mitbeeinflusst hat.
Im ersten Kapitel des Artikels werden die aktuellen Debatten um die alternde Gesellschaft, als wesentliches Element des demografischen Wandels, skizziert und das Spannungsfeld zwischen Positiv- und Negativszenarien wird beschrieben. Es wird herausgearbeitet, dass es sich bei der Generation der älteren Menschen nicht um eine homogene Gruppe handelt, sondern diese Menschen durch ihre jeweils unterschiedlichen Lebensbiografien geprägt sind und verschiedene Ausgangsbedingungen mitbringen. Es wird aufgezeigt, dass ein kleinräumiger Fokus nötig ist, um auf die Herausforderungen und Bedarfe in der alternden Gesellschaft reagieren zu können, da sich soziale und strukturelle Ungleichheit in regionalen sowie auch in innerstädtischen, stadtteilbezogenen Disparitäten abbildet. Da der demografische und soziale Wandel sehr kleinräumig stattfindet, ergibt sich ein Bedeutungszuwachs von kommunaler, sozialraumorientierter Gemeinwesenarbeit und somit die Notwendigkeit für die das Alter(n) fokussierenden Quartiersarbeit. Daraus wiederum lässt sich ein Bedarf an Qualifizierungen ableiten, welche die zentralen Elemente der Quartiersarbeit aufgreifen und die Perspektive auf die Lebensphase Alter in den Vordergrund rücken.
Die Facetten der Quartiersarbeit, die zentralen Elemente und Aufgaben sowie aktuelle Herausforderungen werden im zweiten Kapitel anhand der Aussagen von drei Quartiersmanager*innen in drei verschiedenen Städten bzw. Quartieren beschrieben. Entlang dieser Beispiele sowie entsprechender Berichte, die Ergebnis von Experteninterviews sind, wird aufgezeigt, dass sich Quartiersarbeit stark an den aktuelle Themen und Bedarfen im Quartier orientiert, in Abhängigkeit davon, wie die Bevölkerungszusammensetzung ist. Die herausgearbeiteten Elemente der Quartiersarbeit spiegeln das Profil einer*eines Quartiersmanager*in wieder.
Im dritten Kapitel wird dargelegt, wie sich die Wissenschaftliche Weiterbildung „Altern in Sozialraum und Quartier – Kommunale Beratung und Vernetzung“ aus Forschungs- und Projekterfahrungen des IAFs an der KH Freiburg entwickelt hat und gleichzeitig als Reaktion auf die gesellschaftlichen und demografischen Herausforderungen sowie als Antwort auf die personellen Bedarfe in Kommunen und Quartieren zu sehen ist. Die Inhalte der das Alter(n) fokussierenden, berufsbegleitenden Wissenschaftlichen Weiterbildungen werden zusammengefasst und mit den zentralen Elementen der Quartiersarbeit zusammengeführt. Das vorliegende Weiterbildungsangebot greift somit die aktuellen Bedarfe auf und reagiert auf die gesellschaftlichen und sozialen Herausforderungen.
1. Altern in Sozialraum und Quartier
Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und gesellschaftlicher Transformationen in Deutschland rückt die Lebensphase Alter und die damit einhergehenden Herausforderungen zunehmend in den Fokus der politischen und gesellschaftlichen Diskussionen.
Die demografische Entwicklung ist jedoch vielfältiger, so beeinflussen drei Faktoren die Bevölkerungsstruktur: Geburtenrate, Sterberate, Migration. Ob Deutschlands Einwohner*innenzahl in den nächsten Jahren weiter sinken wird, ist aufgrund der verstärkten Zuwanderung in den letzten Jahren wieder offen. Doch trotz leichten Anstiegs der Geburtenrate, kommen in Deutschland heute weniger Kinder zur Welt als früher, obwohl gleichzeitig die Lebenserwartung steigt (Kühn 2017). Dadurch wiederum erhöht sich das Durchschnittsalter der Bevölkerung. Mit diesen Entwicklungen gehen Chancen und Herausforderungen für die Gesellschaft einher, die im Folgenden, mit Fokus auf das zunehmende Durchschnittsalter der Bevölkerung in Deutschland, skizziert werden sollen.
Die Zahl der Menschen, die im Alter auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sein könnte, steigt laut Prognosen des Statistischen Bundesamtes, weiter an. Am 31.12.28016 lag der Anteil der 65-Jährigen und Älteren an der Bevölkerung in Deutschland bei 21,2% (Statistisches Bundesamt 2016). Nach Bevölkerungsvorausberechnungen wird im Jahr 2060 jede*r Dritte (33%) in Deutschland mindestens 65 Jahre alt sein (Statistisches Bundesamt 2015a, b). Obgleich davon auszugehen ist, dass ein großer Anteil der Menschen von „65 Jahren oder älter“ im Alter noch fit und aktiv sein könnten, ist aufgrund der Bevölkerungszunahme dieser Alterskohorte auch mit einer Zunahme der Anzahl der Pflegebedürftigen zu rechnen. Dem Demografie-Portal des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung ist zu entnehmen, dass die Anzahl der pflegebedürftigen Personen zwischen 1999 und 2015 bereits von 2,0 auf 2,9 Millionen gestiegen ist und davon ausgegangen werden kann, dass die Anzahl der Pflegebedürftigen 2060 bei 4,8 Millionen Menschen liegen dürfte; ein Anstieg um zwei Drittel (im Vergleich zu 2015) (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 2017). Bereits heute fehlen in den Pflegeberufen Fachkräfte, jedoch hängt der künftige Personalbedarf in den Pflegeberufen von unterschiedlichen Faktoren wie Bevölkerungsentwicklung, tatsächliche Pflegehäufigkeit, Anteil von ambulanter und stationärer Versorgung etc. ab, so dass es bei Vorausberechnungen hinsichtlich des zukünftigen Fachkräftemangels zu unterschiedlichen Prognose-Ergebnissen kommt (BMG o.J.).
Während einerseits in der Diskussion um die „alternde Gesellschaft“ Schlagworte wie Fachkräfte- und Bettenmangel, Pflegenotstand etc. dominieren und damit von prekären Zukunftsszenarien ausgegangen wird, scheint andererseits das „Alter“ in seiner Lebensphase als Chance und mit seinem Potenzial in den Mittelpunkt gerückt zu werden. So bewegen sich die aktuellen Debatten im Spannungsfeld von Positiv- und Negativszenarien, mit der ein Trend zur „Aktivierung des höheren Lebensalters“ einhergeht (van Dyk 2015). Dem „Alter“ wird ein Potenzial zugesprochen, welches die entsprechende Generation aus eigenem und gesellschaftlichem Interesse nutzen sollte. Bereits der fünfte Altenbericht der Bundesregierung brachte mit seinem Titel „Potenziale des Alters in Wirtschaft und Gesellschaft. Der Beitrag älterer Menschen zum Zusammenhalt der Generationen“ (BMFSJ 2005) gesellschaftliche und sozialpolitische Erwartungen an die ältere Generation im Sinne von Produktivität, Engagement und Mitgestaltung zum Ausdruck. Allerdings zeigen sich auch „Disparitäten“ insofern, als dass die individuellen Voraussetzungen für Partizipation und soziale Teilhabe ungleich verteilt und Themen wie materielle Sicherung und Altersarmut zu berücksichtigen seien, was wiederum eine differenzierte Betrachtung des Alters erforderlich macht (Kricheldorff 2015). So rückt der sechste Altenbericht diese Thematik in den Fokus, davon ausgehend, dass „die in unserer Gesellschaft dominierenden Altersbilder [werden] der Vielfalt des Alters, die in Zukunft eher weiter zunehmen wird, oftmals nicht gerecht werden.“ (BMFSJ 2010). Vielmehr sei die Unterschiedlichkeit der Lebensbedingungen, der Lebenslagen und der individuellen Biografien zu berücksichtigen. Während der fünfte Altenbericht das Potenzial der älteren Menschen in den Mittelpunkt rückte und damit einhergehend auch Erwartungen an diese Altersgruppe zum Ausdruck brachte, richtet der siebte Altenbericht mit dem Titel „Sorge und Mitverantwortung in der Kommune – Aufbau und Sicherung zukunftsfähiger Gemeinschaften“ seinen Fokus auf die Kommune und die sorgende Gemeinschaft (BMFSJ 2017). Der Bericht betont die Rolle der Kommunen für die Gestaltung des Lebens im Alter und weist auf starke regionale Unterschiede und deren Folgen für das Leben im Alter hin (vgl. ebenda.). Darüber hinaus wird im Siebten Altenbericht deutlich, „dass sich soziale Ungleichheiten auch in der sozialräumlichen Verteilung der Bevölkerung niederschlagen, die sich in Stadtbezirken oder Wohnquartieren mit einer hohen Konzentration von Menschen ähnlicher Lebenslagen zeigen“ (vgl. ebenda). Die Relevanz des nach Wohnquartier und Stadtbezirk differenzierenden Blickes wird hier betont. Den dort lebenden Gemeinschaften und Individuen wird hierbei Mitverantwortung für die Gestaltung der zukunftsfähigen Gemeinschaft zugesprochen.
Gleichzeitig wird verdeutlicht, dass die Bereitschaft und Kompetenz zur Mitgestaltung nicht ausreichen, sondern von gesellschaftlichen Voraussetzungen und Unterstützungsstrukturen abhängen. Hierbei wird auf die soziale Ungleichheit innerhalb von Alterskohorten sowie auf den jeweils individuellen Gesundheitszustand und Zugang zur gesundheitlichen, medizinischen und pflegerischen Versorgung verwiesen (vgl. ebenda). Soziale Ungleichheiten haben einen erheblichen Einfluss auf die Lebensqualität im Alter. Gerade bei bestimmten Personengruppen der über 60-Jährigen, deren Bildungs- und Erwerbsbiografien von lebenslanger Benachteiligung geprägt sind, kann von einer doppelten sozialen und strukturellen Ungleichheit ausgegangen werden. Diese kann zur multidimensionalen Ungleichheit werden, wenn auch die politische Partizipation, die ohnehin diejenigen am ehesten anspricht, die sich schon in ihrem Lebensverlauf engagiert haben, ebenfalls nicht ermöglicht wird. Dieses Phänomen wird auch als „interventionsgerontologisches Dilemmata“ bezeichnet (Rüßler/Heite/Stiel 2013).
Diese Faktoren und Zusammenhänge sind relevant als Ausgangsbedingung für soziale Teilhabe und Engagement. Darüber hinaus zeigt der Siebte Altenbericht, wie soziale Ungleichheit sich auch sozialräumlich abbildet und ungleich verteilt. Hier zeichnet sich die Notwendigkeit eines geografisch gesehen differenzierten, kleinräumigen Blicks im Sinne einer Quartiersperspektive ab, der die Unterschiede innerhalb von Kommunen und Städten berücksichtigt (vgl. ebenda).
Für viele ältere Menschen ist von großer Bedeutung, selbstbestimmt in der eigenen Wohnung, in der eigenen Nachbarschaft oder im eigenen Quartier verbleiben zu können. Auch aus diesem Grund ist eine altersintegrierende Quartiersgestaltung unabdingbar.
Der aus demografischer und sozialpolitischer Sicht hohe Stellenwert des differenzierenden, kleinräumigen Fokus, aber auch die Perspektive der individuellen Lebensbiografien mit ihren jeweiligen Bedarfen und Wünschen unterstreichen die Bedeutung einer das Alter(n) in den Blick nehmenden Quartiersarbeit. Damit einhergehend kann von einem Bedarf nach wissenschaftlich-fachlich qualifizierten Quartiersmanager*innen ausgegangen werden, die alternstheoretische Kenntnisse und Wissen um demografische und soziale Transformationsprozesse einerseits sowie spezifisches methodisches Wissen andererseits mitbringen, um auch eine, die Lebensphase Alter berücksichtigende, Quartiersarbeit erfolgreich gestalten zu können.
2. Facetten der Quartiersarbeit
Quartiersarbeit hat unterschiedliche Ausprägungsformen. Eine wichtige Eigenschaft der Quartiersarbeit ist, dass sie sich an den beteiligten räumlichen Settings und den dort zu verortenden Zielgruppen orientiert sowie entsprechende Bedarfe aufgreift. Quartiersarbeit verfolgt zwar zunächst ein übergreifendes Ziel, gestaltet sich jedoch in der Umsetzung standortspezifisch und in Abhängigkeit von entsprechenden, für das Quartier und die Anwohnerschaft charakteristischen Faktoren.
Basierend auf Telefoninterviews im Rahmen des Projektes Zukunft Alter im Jahr 2018 werden im Folgenden anhand von drei Beispielen die verschiedenen Profile, Facetten, zielgruppenspezifischen Bedarfe sowie die Herausforderungen und Chancen der betrachteten Angebote von Quartiersarbeit in Berlin, Stuttgart und Freiburg hervorgehoben. Die daraus resultierenden Aufgaben, Maßnahmen und Angebote werden beschrieben und standortübergreifende zentrale Elemente der Quartiersarbeit werden herausgestellt.
2.1 Quartiersarbeit im Nachbarschafts- und Familienzentrum Kurmark in Schöneberg-Nord / Berlin
Schöneberg-Nord ist eine Bezirksregion im innerstädtischen Bezirk Tempelhof-Schöneberg und zeichnet sich als Innenstadtbereich durch dichte Bebauung und wenig Grünflächen aus (Bezirksamt Tempelhof-Schönberg 2016). In Schöneberg-Nord leben rund 50.000 Einwohner*innen. Der Anteil an 65-Jährigen und Älteren ist vergleichsweise gering. Der Anteil an der 65-jährigen und älteren Menschen liegt bei 16 % und ist im Vergleich zur Gesamtstadt (19,1%) vergleichsweise gering. Der Anteil an Personen mit Migrationshintergrund liegt mit 51 % über dem gesamtstädtischen Vergleichswert (32,5%). Jede zweite dort wohnende Person hat Migrationshintergrund (umfasst den Anteil der Deutschen mit Migrationshintergrund und der Personen ohne deutsche Ausweis/Pass).Der Anteil an Personen in Bedarfsgemeinschaften nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II liegt etwas über dem bezirklichen Vergleichswert.
Berlin | Bezirksregion Schöneberg-Nord | |
---|---|---|
Einwohner*innen | 3.711.930 | 50.640 |
Anteil Personen mit Migrationshintergrund | 32,5% | 51,0% |
Anteil der Altersgruppe 65 J. u.ä. | 19,1% | 16,2% |
Tabelle 1: Bevölkerung in Berlin und dem Bezirksregion Schöneberg-Nord am 31.12.2017 (Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 2017)
Gemeinsam mit dem Nachbarschaftszentrum Steinmetzstraße bildet das Nachbarschafts- und Familienzentrum Kurmark eine von zwei Anlaufstellen im Bereich des (bezirks-)regional zu verortenden Quartiersmanagements (Pestalozzi-Fröbel-Haus 2017).
Joanna Kalkowski ist Sozialpädagogin und arbeitet im Nachbarschafts- und Familienzentrum Kurmark in Schöneberg-Nord/Berlin. Ihren „Kiez“ Schöneberg-Nord, der an Tiergarten-Süd angrenzt, beschreibt sie als sehr „durchmischt“. Diese Vielfalt spiegelt sich auch in der Zusammensetzung der Besucherschaft wieder. An jeder zweiten Ecke habe man das Gefühl, in einer anderen Welt zu sein. Das Stadtbild ist geprägt von einer sehr heterogenen Bevölkerung hinsichtlich Alter, Herkunftsland und sozialen Hintergrund, dazu kommt der Straßenstrich „fast direkt vor der Tür“.
Die Arbeit der Sozialpädagogin umfasst unter anderem die Koordination der Aufgaben und Angebote im Haus. Die Öffentlichkeitsarbeit, das Erheben der Bedarfe im Stadtteil sowie die Vernetzungsarbeit machen darüber hinaus wichtige Schwerpunkte ihrer Arbeit aus. Zielgruppen ihrer Arbeit sind neben der direkten Nachbarschaft, Familien mit kleinen Kindern, Grundschulkinder, Menschen mit polnischem Hintergrund sowie ältere Menschen; generations- und kulturübergreifende Angebote zählen zu ihrem Tätigkeitsfeld. Ein Teil der Veranstaltungen sei „offen für alle“ – andere wiederum richteten sich an eine bestimmte Zielgruppe. So sei beispielsweise das Frauenfrühstück, zu dem Referent*innen zu verschiedenen Themen eingeladen werden, ein generationsübergreifendes Angebot, während sich andere Angebote gezielt an eine spezifische Zielgruppe richten. Es werden beispielsweise sehr niedrigschwellige Deutsch- und Alphabetisierungskurse für geflüchtete Frauen wie auch der 1. und 2. Gastarbeitergeneration sowie für Menschen aus anderen Herkunftsländern mit Kinderbetreuung angeboten.
Die Veranstaltungsreihe „Leben im Alter“, die sich aus einzelnen Veranstaltungen mit unterschiedlichen Referent*innen zu Themen wie „Mieten“, „Versorgung“ etc. zusammensetzt, richtet sich wiederum gezielt an die ältere Bevölkerung. Grundsätzlich gilt es bei der Gestaltung der Angebote die Zusammensetzung der Nachbarschaft und somit der Zielgruppe zu berücksichtigen. Im Rahmen des Projektes Demenz und Nachbarschaft als Anker, welches in Zusammenarbeit mit dem Geriatrisch-gerontopsychiatrischen Verbund Schöneberg durchgeführt wurde, hätten bei Informations- und Beratungsveranstaltungen zum Thema „Demenz“ beispielsweise Übersetzungen ins Arabische und Türkische stattgefunden, um allen Anwohner*innen unabhängig vom Herkunftsland und Sprache einen Zugang zum Thema zu ermöglichen (GGVS 2012, 2018). Zwischenzeitlich sind die Herkunftsländer und Sprachen der Besucher*innen des Nachbarschafts- und Familienzentrums so vielfältig, dass eine Übersetzung in eine Sprache manchmal nicht mehr ausreicht und Deutsch in „einfacher Sprache“ von Bedeutung ist.
Kalkowski betont, dass die Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung wichtige Bestandteile ihrer Arbeit seien. So wird versucht, durch die aktive Teilnahme an beispielsweise Messen, Straßen- und Bildungsfesten auf die Angebote des Hauses aufmerksam zu machen. Besonders Menschen aus anderen Herkunftsländern wissen oft nicht um die Angebotsvielfalt und Unterstützungsmöglichkeiten (auch in ihrer Muttersprache), die es in Deutschland bzw. Berlin gibt und kennen oft keine Nachbarschafts- und Familienzentren. Darüber hinaus ist das Ziel von Kalkowski, mit möglichst vielen Akteur*innen im Stadtteil zu sprechen und zusammen zu arbeiten. So arbeitet sie beispielsweise eng mit einem Pflegeheim in der Nachbarschaft zusammen. Außerdem haben sich Gewerbetreibende, d.h. Therapeut*innen und Apotheker*innen in der Nachbarschaft zusammen getan, weil sie feststellten, dass viele ältere Menschen zu ihnen kommen, weil sie einsam sind und Kontakt suchen. Diese Gewerbetreibenden haben daraufhin nach Möglichkeiten gesucht, diese Menschen auf die Angebote des Nachbarschafts- und Familienzentrums aufmerksam zu machen. Sie haben Geld gespendet, um das Angebotsspektrum im Haus zu erweitern und eine niedrigschwellige Teilnahme zu ermöglichen. Im Rahmen des Projektes „Demenz und Nachbarschaft als Anker“ wurde gemeinsam mit dem GGV Schöneberg ein Flyer zum Thema Demenz entwickelt und in den Läden in der Nachbarschaft verteilt. Ziel war es, die Gewerbetreibenden über Demenz aufzuklären und zu informieren und aufzuzeigen, wie man reagieren und helfen kann bzw. an wen man sich wenden kann, wenn beispielsweise ein Kunde schon zum siebten Mal am Tag in den Laden kommt und Brötchen kaufen möchte.
Kalkowski verdeutlicht einerseits, dass der quartiers- und kiezspezifische Blick aufgrund der jeweiligen speziellen Bedingungen erforderlich sei. Andererseits zeigt sie auf, dass die Politik auch stadtteil- und quartiersübergreifend zusammenarbeiten sollte, da bestimmte Themen bezirks- und städteübergreifend von Relevanz seien. Auch Bau- und Schulämter sollten über die Bezirksgrenze hinweg zusammen arbeiten.
Als quartiersspezifische Herausforderungen nennt Kalkwoski die Gentrifizierung und die Wohnungs-, Platz- und Raumnot. Es wird gebaut und verdichtet, ohne entsprechend Grünflächen und Infrastruktur mit eingeplant zu haben. Die Mieten steigen und Mieter*innen werden aus ihren Wohnungen und aus ihrem Kiez verdrängt. Hier bedürfe es einerseits Gesetzen, Milieuschutz und einer Mietbremse und andererseits sollten neue Lösungsansätze wie Wohnungstausch, generationsübergreifendes Wohnen, ambulant betreute Wohngruppen mitgedacht und aufgezeigt werden. Ziel sollte es aus ihrer Sicht sein, dass die Menschen, die in ihrem Kiez wohnen bleiben wollen, nicht verdrängt werden. Die Zusammenarbeit mit verschiedenen Multiplikator*innen und Akteur*innen sollten dazu beitragen, Vereinsamung vorzubeugen und Vernetzung zu fördern und sich gemeinsam für die Bedarfe der Nachbarschaft einzusetzen. Zusammenfassend nennt Kalkowski Wohnen, Pflege/Betreuung (für Kinder und ältere Menschen) und Kontaktermöglichung als Themen, aus denen Herausforderungen im Kiez und damit einhergehend auch für ihre Arbeit resultierten.
Als neue Initiative soll zudem ein Vernetzungstreffen für polnische Pflegerinnen in Berlin etabliert werden. Ein großer Teil der Pflegerinnen arbeitet oft über einen längeren Zeitraum allein in privaten Haushalten und sind daher oftmals isoliert und abgeschnitten. Für diese Frauen soll es einen Ort geben, an dem man sich zweimal im Monat treffen und in der Muttersprache austauschen könnte. Darüber hinaus sollen Qualifikationsmöglichkeiten eröffnet und Perspektiven aufgezeigt werden.
Wichtig sei aus ihrer Sicht, dass alles so geregelt ist, dass alle friedlich miteinander und nebeneinander leben können und es genügend Begegnungsmöglichkeiten gibt. Über das Nachbarschafts- und Familienzentrum sollten die Menschen Zugang zu den Informationen und Möglichkeiten erhalten, die für sie relevant sind.
Kalkowski fasst die Hauptaufgaben des Stadtteil- und Nachbarschaftszentrums, wie folgt, zusammen: „Wir als Stadtteil- und Nachbarschaftszentrum können ein sehr guter Vernetzungs- und Kontaktort sein, Initiativen aufgreifen und Projekte anstoßen, das gehört zu unseren Hauptaufgaben“.
2.2 Quartiersarbeit der Paritätischen Sozialdienste gGmbH in Stuttgart-Fasanenhof
Der Stadtteil Fasanenhof gehört zum südlich gelegenen Stadtbezirk Möhringen der Landeshauptstadt Stuttgart. Stuttgart-Fasanenhof zeichnet sich durch einen leicht erhöhten Anteil an Einwohner*innen von 65 Jahren und älter aus. So liegt der Anteil dieser Altersgruppe in Stuttgart-Fasanenhof mit 19,9% etwas über dem Anteil dieser Altersgruppe in Stuttgart insgesamt (18%). Im Fasanenhof hat über die Hälfte der dort lebenden Menschen einen Migrationshintergrund. Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund liegt mit 56,1% deutlich über dem Anteil in Stuttgart insgesamt (44,6%).
Stuttgart | Stadtteil Fasanenhof | |
---|---|---|
Einwohner*innen | 611.665 | 7.460 |
Anteil Personen mit Migrationshintergrund | 44,6% | 56,1% |
Anteil der Altersgruppe 65 J. u.ä. | 18,0% | 19,9% |
Tabelle 2: Bevölkerung von Stuttgart und vom Stadtteil Stuttgart-Fasanenhof am 31.12.2017 (Landshauptstadt Stuttgart 2017)
In Stuttgart-Fasanenhof gibt es von Pasodi (Paritätische Sozialdienste) zwei Wohncafés als Orte der Begegnung. Hierzu werden in zwei Wohnprojekten, im Ehrlichweg 21 D in einem Gebäude der GWF Wohnungsgenossenschaft und am Europaplatz 30 in einem Objekt des Bau- und Heimstättenvereins, Gemeinschaftsräume zur Nutzung als Wohncafé zur Verfügung gestellt (Pasodi 2018). Diese Wohnprojekte sind initiiert durch Integrative Wohnformen e.V. (Integrative Wohndienste o.J.).
Daniela Bieneck ist Krankenschwester und studierte Pflegemanagerin. Sie arbeitet als Quartiersmanagerin bei der Paritätischen Sozialdienste gGmbH im Fasanenhof in Stuttgart und setzt aktuell ein von der Deutschen Fernsehlotterie gefördertes Quartiersprojekt um. Seit 1940 in Planung, wurden 1960 die ersten Wohnungen im Fasanenhof bezogen. Damals zogen viele junge Familien her; die damals jungen Eltern gehören heute zur älteren Generation, was wiederum dazu beiträgt, dass der Anteil der älteren Menschen im Fasanenhof bzw. der Anteil der Menschen, die 65 Jahre und älter sind, mit 23,3% relativ hoch sind. Aus dieser demografischen Situation heraus resultiert, dass die älteren Menschen im Fokus ihrer Arbeit stehen.
Als einen zentralen Aufgabenbereich ihrer Arbeit beschreibt Bieneck das Begleiten von Wohncafés mit offenen Treffpunkten sowie das Organisieren von zielgruppenspezifischen Veranstaltungen. So finden beispielsweise Veranstaltungen wie Rollatoren-Training sowie Vorträge zu Pflegeversicherung, Trickbetrügerei etc. statt. In den Wohncafés werden ein Mittagstisch sowie gesellige Angebote wie gemeinschaftliche Abendessen und Themenabende angeboten. Als weiteren Schwerpunkt ihrer Arbeit benennt sie das „raus gehen“ bzw. die „aufsuchende Arbeit“. Sie habe, so Bieneck, auch ein „Quartiersbänkle“. Hier würde sie immer wieder Leute einladen, sich zu ihr zu setzen, um sich mit ihr auszutauschen. Auf diese Weise könne sie die Bedarfe der (älteren) Anwohner*innen eruieren. Mit dieser Face-to-face-Situation habe sie gute Erfahrungen gemacht; dagegen blieben bei einem Kummerkasten die Rückmeldungen häufig aus. Grundsätzlich sei Bieneck im Quartier auch als Ansprechpartnerin bekannt und die Menschen wüssten, dass sie, bei Bedarf, auf sie zugehen könnten. Schwierig sei jedoch, an die Menschen „heranzukommen“, die nicht mehr auf der Straße unterwegs sind, die eventuell eingeschränkt sind und nicht mehr aus ihren Wohnungen herauskommen.
Über die zielgruppenspezifischen Angebote hinaus werden generationsübergreifende Veranstaltungen organisiert und es wird mit anderen Einrichtungen kooperiert. Einmal im Monat findet beispielsweise ein Nachbarschaftsfrühstück statt, zu dem generationsübergreifend eingeladen wird und in Kooperation mit der Kindertagesstätte, die sich in der Nähe befindet, werden Angebote wie Weihnachtssingen oder Waffelbacken organisiert, zu dem Eltern und Kinder aus der Kita eingeladen würden. Ein positiver Begleiteffekt der generationsübergreifenden Angebote sei aus Sicht von Bieneck das daraus resultierende Nachbarschaftsnetzwerk und das „Wissen umeinander“. So stellt die Vernetzungsarbeit einen weiteren, bedeutenden Schwerpunkt ihrer Arbeit dar.
Unterstützungsangebote im Alltag sind eine wichtige Voraussetzung für ältere Menschen, um zuhause oder im Quartier verbleiben zu können. So gehört es auch zu Bienecks Tätigkeitsbereich, Unterstützung für ältere Menschen zu organisieren. Ziel ist es aktuell, eine Betreuungsgruppe mit Engagierten aufzubauen, die sich an einem Nachmittag pro Woche drei Stunden im Sinne einer Alltagsbegleitung um Menschen mit Pflegegrad kümmern. Für diese Form von Nachbarschaftshilfe werden Ehrenamtliche gewonnen, die gegen eine kleine Aufwandsentschädigung zu den Menschen nach Hause gehen, sie beim Einkaufen begleiten und kleine andere Hilfen übernehmen. Gleichzeitig kann dieses Engagement nicht die Pflegedienste ersetzen.
Bieneck zeigt einerseits auf, dass sich die Menschen im Fasanenhof über ihren Stadtteil identifizieren und sich die „Fasanenhofer“ nicht dem einen oder anderen Quartier zuschreiben lassen. Andererseits ist der kleinräumige Blick aus Sicht von Bieneck äußerst wichtig, da es quartiersspezifische Unterschiede gäbe. Die beiden Wohncafés liegen an entgegengesetzten Enden, wo jeweils eine unterschiedliche bauliche Struktur vorherrscht. So befindet sich das eine Wohncafé in einem barrierearmen Haus einer Baugenossenschaft mit 70 Wohnungen, das vorwiegend von älteren Menschen bewohnt wird und zentral liegt. Hier sind die Hürden, die Angebote des Wohncafés wahrzunehmen, insbesondere für die Menschen im Haus, gering. Dagegen liegt das andere Wohncafé in einem Wohngebiet, in dem die Wohnparteien deutlich verstreuter liegen, so dass die Nachfrage hinsichtlich des Mittagstisches und der anderen Angebote deutlich geringer ausfällt und dazu witterungsabhängig ist. In diesem zuletzt genannten Wohngebiet besteht gleichzeitig auch ein größerer Bedarf an Alltagsbegleitung. Bieneck betont, dass aufgrund dieser sozialräumlich unterschiedlichen Situationen beide Wohncafés ihre Berechtigung hätten.
Die Quartiersentwicklungsprojekte basieren darauf, dass man die Menschen im Stadtteil aktiviert, sich bürgerschaftlich zu engagieren, was sich jedoch als nicht immer einfach erweist. So sieht Bieneck eine zentrale Herausforderung der Quartiersarbeit in der Aktivierung für das Ehrenamt.
Eine Initiative des Fasanenhofes, die als besonders gelungen bezeichnet werden kann, ist der lebendige Adventskalender, der in den letzten beiden Jahren erfolgreich mit anderen Einrichtungen gemeinsam organisiert und umgesetzt wurde. Hierbei wird im Dezember jeden Abend ein Fenster geöffnet bzw. eine kleine Veranstaltung angeboten, zu denen „alle“ eingeladen werden. Auf diese Weise findet wiederum Austausch und Vernetzung statt und das Gemeinschaftsgefühl im Stadtteil wird gestärkt.
Aus Bienecks Sicht ist auch die Ostereierschatzsuche am Europaplatz, die sie 2018 zum zweiten Mal in Kooperation mit dem SOS-Kinderdorf organisiert und durchgeführt hat und an der 200 Kinder teilgenommen haben, eine ähnlich wirksame Veranstaltung für das Entstehen eines Gemeinschaftsgefühls.
Als zukünftige Herausforderung der Quartiersarbeit sieht Bieneck die beratende und aufsuchende Arbeit und damit einhergehend die Suche nach „Instrumenten“, um in Kontakt mit Menschen zu treten, die nicht mehr aus ihrem Zuhause heraus kommen und wenig Kontakt haben und, darüber hinaus, wie man Ehrenamtliche für die Alltagsbegleitung dieser Menschen finden und gewinnen kann.
2.3 Quartiersarbeit des Projekts „Älter werden in Rieselfeld (AwiR)“ in Rieselfeld / Freiburg
Der Stadtbezirk Rieselfeld (vgl. hierzu auch Beitrag von Clemens Back in dieser Ausgabe) entstand im Freiburger Westen zwischen 1995 und 2012 als neuer Stadtteil, insbesondere für junge Familien. „Die Wohnungen sind vorwiegend als Geschossbauten in geschlossener oder offener Blockrandbebauung angelegt, mit Grünzonen und Gärten auf der Rückseite. (…) Der gesamte Bezirk ist barrierefrei gestaltet.“ (Stadt Freiburg 2015). In Rieselfeld leben rund 10.000 Einwohner*innen und damit ca. 4,4% der Bevölkerung in Freiburg (228.187 Einwohner*innen). 29,3% der Rieselfelder*innen haben einen Migrationshintergrund, was dem städtischen Durchschnitt entspricht. Der Anteil der 65-Jährigen und Älteren liegt bei 9,1%. Dieser Anteil liegt deutlich unter dem Gesamtwert von Freiburg (16,5%). Trotzdem kann das Rieselfeld mittlerweile als alternder Stadtteil bezeichnet werden, weil sich typische demografische Transformationsprozesse in den familiären Strukturen und Bedingungen der ersten Generation der Rieselfelder*innen deutlich abbilden: Die Kinder werden erwachsen und ziehen weg – die alternden Eltern kommen allmählich ins Rentenalter. Insgesamt ist die Bevölkerung im Rieselfeld relativ homogen und lebt zu ca. zwei Dritteln in Wohneigentum. Armut und Migrationshintergrund sind eher untergeordnete Themen.
Freiburg | Stadtbezirk Rieselfeld | |
---|---|---|
Einwohner | 228.187 | 10.071 |
Anteil Personen mit Migrationshintergrund | 28,5% | 29,3% |
Anteil Altersgruppe 65 J. u.ä. | 16,5% | 9,1% |
Tabelle 3: Bevölkerung in Freiburg und im Stadtbezirk Rieselfeld am 31.12.2017 (Stadt Freiburg 2017)
Richard Krogull-Raub, diplomierter Sozialpädagoge, kommt aus dem Sozialstationsbereich bzw. aus dem Bereich der ambulanten Pflege und arbeitet seit nun fast fünf Jahren als Quartiersmanager im Projekt „Älter werden in Rieselfeld (AwiR)“ bei K.I.O.S.K. in Rieselfeld e.V. (K.I.O.S.K 2018) in Freiburg. Diese Initiative hat sich zur Aufgabe gemacht, an einer „altersgerechten Quartiersentwicklung“ (FIFAS 2014) mitzuwirken. Die Arbeit des Trägervereins K.I.O.S.K. (Kontakt, Information, Organisation, Selbsthilfe und Kultur) im Rieselfeld e.V. richtet sich generationsübergreifend an alle in Rieselfeld lebenden Einwohner*innen.
Krogull-Raub berichtet, dass der Stadtteil Rieselfeld aufgrund fehlenden Wohnraums entwickelt und gebaut wurde. So entschied man sich Ende der 1980er Jahre, aufgrund von zunehmender Wohnraumverknappung in Freiburg, das Rieselfeld als Wohnquartier zu planen. 1991 beschloss der Gemeinderat, einen Teil der Fläche des Rieselfelds zu bebauen und den anderen, größeren Teil der Fläche unter Landschaftsschutz zu stellen (vgl. Back 2011). Fragen, wie man den Planungs- und Bauprozess, die Partizipation und Selbstorganisation der Bürgerschaft organisiere und weitere Fragen wurden von Anfang an mitgedacht und zu zentralen Herausforderungen der Quartiersarbeit des Projekts K.I.O.S.K. Das Projekt startete 1996, noch vor dem Einzug der „Rieselfelder*innen“. Krogull-Raub berichtet, dass ein runder Tisch zusammen gesessen hätte, noch bevor die ersten Bagger hier gewesen seien, um auch das soziale Miteinander mit zu planen.
Ursprünglich habe, so Krogull-Raub, eine Richtlinie vorgegeben, 70% des Wohnraums zum Zwecke der Vermietung und 30% dem Eigentum vorzubehalten. Dieses Verhältnis habe sich umgekehrt, nach dem sich die Richtlinien geändert hätten. Diese Umkehrung sei, so Krogull-Raub, bezeichnend für die heutige soziale Zusammensetzung der Einwohner*innen. Der Stadtteil sei auch (zunehmend) attraktiv für Senior*innen. Einen Grund hierfür sieht Krogull-Raub darin, dass der Stadtteil von Beginn an barrierearm bzw. -frei geplant und seniorenfreundlich ausgestaltet worden sei, so dass viele Senior*innen bewusst in diesen Stadtteil zögen. Krogull-Raub beschreibt Rieselfeld als Ort, der von generationsübergreifendem und bürgerschaftlichem Engagement geprägt sei. Insgesamt gäbe eine große Zahl an Ehrenamtlichen, die sich im Stadtteil einbrächten; von den 180 Ehrenamtlichen wiederum seien rund 150 Senior*innen. Obgleich seine Arbeit sich an der Altersgruppe „55+“ orientiere, ordnet Krogull-Raub der Quartiersarbeit jedoch einen explizit generationsübergreifenden Auftrag zu. So ginge es darum, dass wir uns „im gemeinschaftlichen Miteinander Aufgaben stellen, die generationsübergreifend sind“.
Seine Hauptaufgaben sieht Krogull-Raub in der Beratung, Vernetzung, im Informieren und Koordinieren der (insbesondere seniorenspezifischen) Angebote. Er sieht sich allerdings auch als Begleiter und Initiator von Entwicklungsprozessen und Initiativen sowie als Vernetzer zwischen verschiedenen Akteur*innen, so auch im Hinblick auf das Thema „Versorgung/Pflege“. Seine handlungsleitenden Grundsätze sind „Partizipation“ bzw. das „sich einbringen“, „sich versorgen“ sowie „Gemeinschaft erleben“. Krogull-Raub definiert seine Arbeit über diese Grundsätze und betont, dass das Alter nicht in erster Linie mit Blick auf die Hinfälligkeit, den potenziellen Versorgungsbedarf sowie die Hilfsbedürftigkeit im Fokus stehen sollte, sondern auf die „geschenkten 20 Jahre“, die die heutigen Senior*innen im Unterschied zu unseren Großeltern hätten. Ziel wäre es aus seiner Sicht, diese Zeit aktiv zu nutzen, das eigene Netzwerk präventiv und altersgerecht auf- und auszubauen. Gleichzeitig ginge es darum, sich engagiert in das gesellschaftliche Miteinander einzubringen, um den Sozialraum und das gemeinsame Umfeld (mit) zu gestalten. Das Potenzial von Menschen, ihre Lebens- und Berufserfahrung, ihr Netzwerk sollten seiner Meinung nach auch im Ruhestand nicht ungenutzt bleiben.
Eine im Kontext seiner Arbeit wichtige Initiative ist beispielsweise ein Entwicklungs- und Beteiligungsworkshop am Anfang eines jeden Jahres, zu dem alle Einwohner*innen der Altersgruppe „55+“ eingeladen sind, um an Schwerpunktthemen zu arbeiten. Seine Aufgabe sieht Krogull-Raub darüber hinaus auch im Ausbau und in der Sicherung von „Mitmach“-Angeboten, in der Anleitung von Projektgruppen und in der Mitgestaltung und Begleitung von Entwicklungen.
Die Herausforderungen für die Senior*innen sieht Krogull-Raub darin, ihre eigene Versorgung im Alter perspektivisch sichern zu können. Eine repräsentative Fragebogenerhebung zur altersgerechten Quartiersentwicklung im Rieselfeld, die 2014 durchgeführt wurde, ergab, dass für 75% der befragten Rieselfelder*innen die Versorgung noch ungewiss bzw. ungesichert ist (vgl. FIFAS 2014, 28). Wichtig sei es daher, schon relativ früh das soziale Netz aufzubauen, um dann bei Bedarf ggf. zuhause versorgt werden zu können und zwar sowohl durch professionelle Dienste als auch durch nachbarschaftliche Unterstützung und Hilfe durch Freunde. Krogull-Raub hebt hier jedoch auch hervor, dass einzelfallspezifisch genau hingeschaut werden müsse. So sei es wesentlich, die persönliche Entscheidung sowie die individuellen Wünsche zu berücksichtigen, in welchen Bereichen Unterstützung gewünscht sei. Von der Quartiersarbeit organisierte präventive Maßnahmen, wie Sport- und Fitnessangebote, die gleichzeitig vernetzend wirkten, könnten beitragen, dem Wunsch der Senior*innen nachzukommen, im eigenen Wohnraum, sei es in der eigenen Wohnung, in der eigenen Straße oder im eigenen Quartier, zu verbleiben.
Krogull-Raub ordnet der Quartiersarbeit bzw. dem quartiersspezifischen Fokus hohe Bedeutung bei und begründet dies: „Das Quartier der Zukunft ist ein Sozialraum, der vielfältig und bunt ist, wie seine Bewohner*innen. Und das muss man auch im kleinen Umfeld lösen. Jeder Stadtteil und jedes Quartier, auch in einer nicht ganz so großen Stadt wie Freiburg, hat seine unterschiedliche Prägung und Entwicklung“.
2.4 Zentrale Elemente der Quartiersarbeit sowie aktuelle Herausforderungen
Die drei Quartiersmanager*innen verdeutlichen, wie sich der Fokus der jeweiligen Quartiersarbeit an den im Quartier lebenden Anwohner*innen und den dort vorherrschenden Bedarfen orientiert. Gleichzeitig kommt an allen Standorten die Bedeutung von ehrenamtlichem Engagement und bürgerschaftlicher Beteiligung zum Ausdruck, auch wenn diese jeweils unterschiedlich ausgeprägt sind. Die drei Quartiersmanager*innen betonen einerseits die Notwendigkeit des kleinräumigen Blicks; gleichzeitig heben sie die Relevanz von stadtteil- und bezirksübergreifenden Kooperationen sowie die Rolle der Kommunen hervor.
Obgleich die Schwerpunktthemen und Angebote in Abhängigkeit des Quartiers bzw. des „Kiezes“ variieren, zeichnen sich an allen drei Standorten die gleichen zentralen Elemente der Quartiersarbeit und damit einhergehende Aufgabenfelder ab: Das partizipative und einbindende Vorgehen taucht wiederholt als Kernelement der Quartiersarbeit auf (Partizipation). Trotz jeweils unterschiedlicher Ausprägung in den drei Quartieren messen die drei Quartiersmanager*innen dem ehrenamtlichen Engagement und der bürgerschaftlichen Beteiligung einen hohen Stellenwert bei (Engagement & Teilhabe).
Auch die aufsuchende Arbeit und die Orientierung an den Bedarfen, Themen und Wünschen der im Quartier lebenden Menschen scheinen an den drei Standorten zentrale Elemente der Quartiersarbeit zu sein (Bedarfserhebung/Bedarfsorientierung). Die Quartiersmanager*innen verstehen sich, als Vermittler*innen bzw. als Schnittstelle hinsichtlich des Themas „Versorgung“ (Versorgung). Sie informieren im Hinblick auf Beratungs-, Informations- und Kursangebote (Information & Beratung). In allen drei Fällen taucht der Aspekt auf, durch Wohncafés, Mittagstisch und andere ähnliche Angebote Gemeinschaft ermöglichen zu wollen (Gemeinschaft).
Ein weiterer Schwerpunkt der Quartiersarbeit ist das Initiieren und Koordinieren generationsübergreifender und zielgruppenspezifischer Angebote zu sein (Koordination). Damit einher geht die Anforderung, die Anwohner*innen „zu erreichen“, sie auf die Angebote aufmerksam zu machen, einen möglichst niedrigschwelligen Zugang zu bieten und gleichzeitig für das Ehrenamt zu motivieren und zu gewinnen (Öffentlichkeitsarbeit). Die Vernetzung mit möglichst vielen Akteur*innen sowie Einrichtungen und Trägern scheint für die Quartiersarbeit zentral (Vernetzung).
Als Herausforderungen im Quartier werden einerseits nicht ideal verteilte oder fehlende Ressourcen genannt. So werden Gentrifizierung, Wohnungs-, Platz- und Raumnot und Versorgung/Pflege im Alter einerseits sowie das Herstellen des Kontaktes zu den älteren (ggf. nicht mehr mobilen) im Quartier lebenden Menschen im Sinne einer „aufsuchenden Arbeit“ und die Kontaktermöglichung für diese Personen genannt. Die Quartiersarbeit ist, so machen die drei Quartiersmanager*innen deutlich, darauf angewiesen, Engagierte und Ehrenamtliche zu gewinnen, was sich jedoch, in Abhängigkeit vom Standort, nicht immer einfach umsetzen lässt.
3. Eine Wissenschaftliche Weiterbildung und ihre Entwicklung als Antwort auf aktuelle Herausforderungen im Sozialraum
Die Wissenschaftliche Weiterbildung „Altern in Sozialraum und Quartier – Kommunale Beratung und Vernetzung“ ist eine berufsbegleitende Wissenschaftliche Weiterbildung. Sie ist praxisorientiert und theoriebasiert zugleich. Sie kann als Antwort auf die beschriebenen, aktuellen Trends und implizierten Bedarfe der Quartiersarbeit sowie als Reaktion auf die dargestellten gesellschaftlichen Entwicklungen gesehen werden. So ist beispielsweise aufgrund der sozialen und demografischen Entwicklungen von einem Bedeutungszuwachses des Ehrenamtes und sozialräumlich organisierten Unterstützungsstrukturen auszugehen, welche professioneller Koordination und Begleitung durch Quartiersarbeiter*innen bedürfen. Aufgrund der Diversität der sozialen und demografischen Zusammensetzung innerhalb von Städten und Kommunen bedarf es des kleinräumigen (Quartier-)Blicks.
Gleichzeitig ist diese Weiterbildung ein Resultat von verschiedenen alter(n)sbezogenen Forschungsprojekten bzw. von entsprechender Begleitforschung, die von der Katholischen Hochschule Freiburg unter der Leitung von Prof. Dr. Kricheldorff und in Kooperation mit verschiedenen Trägern sowie städtischen und kommunalen Einrichtungen durchgeführt wurden.
Diese mit einander verzahnten Projekte, die Anstoß zur Entwicklung der obigen Weiterbildung gaben, sollen im Folgenden vorgestellt werden. Sie haben maßgeblich die Grundlage für die fachlich-thematische Ausrichtung der Wissenschaftlichen Weiterbildung gelegt, sind auseinander heraus entstanden und als Gesamtes zu betrachten. Sie sind als Reaktion auf gesellschaftliche Umbrüche und Herausforderungen zu sehen – verbunden mit der Absicht, gelingendes und selbstbestimmtes Alter(n) im Quartier möglich zu machen, dem Pflegenotstand entgegen zu wirken sowie neue und innovative Modelle zu entwickeln.
3.1 Vorläuferprojekte der Wissenschaftlichen Weiterbildung
Als Initiator dieser Entwicklung kann das Projekt Pflegebegleiter gesehen werden (Kricheldorff 2013). Im Rahmen dieses Projektes wurde ein neues Konzept entwickelt, erprobt und evaluiert, welches die Begleitung pflegender Angehöriger durch speziell qualifizierte Freiwillige in den Mittelpunkt rückte. Nicht Dienstleistungen sollten im Mittelpunkt des Konzeptes stehen. Der Schwerpunkt sollte auf der persönlichen Entwicklung vertrauensvoller Beziehungen liegen. Von 2003 bis 2008 wurde dieser Ansatz modellhaft an über 100 Modellstandorten erprobt. Gefördert wurde die Erprobung durch die Spitzenverbände der Pflegekassen. Über 2.000 Freiwillige wurden in Qualifizierungskursen geschult, davon 213 Multiplikator*innen, die zunächst qualifiziert wurden, um schließlich die Kurse als Vorbereitung auf die Pflegebegleitung selbst durchzuführen. Gleichzeitig fungierten sie als Initiator*innen selbst organisierter Maßnahmen. „So ist ein neuer Prototyp von Freiwilligenengagement entstanden: verbands- und trägerübergreifend, zusammenführend in einem Unterstützungsnetzwerk für die Pflege auf den verschiedenen Ebenen (vor Ort, landesweit, in den Regionen und auf Bundesebene)“ (ebenda, 75). Nach Ablauf der Modellphase entstand das Bundesnetzwerk Pflegebegleitung, welches sich für die Belange von sorgenden und pflegenden Angehörigen einsetzt, in dem es Akteure vor Ort unterstützt und zur Etablierung neuer Initiativen sowie zur Vernetzung aller Beteiligter beiträgt.
Der Ansatz des Pflegebegleiters kann als neuer Prototyp des Freiwilligenengagements gesehen werden. Das damit implizierte Angebot rückt die Bedürfnisse und Anliegen pflegender Angehöriger in den Mittelpunkt und ist nachbarschaftlich, unverbindlich und offen gestaltet. Die Betonung des nachbarschaftlichen Engagements hebt die Bedeutung des Wohnumfeldes und somit des Sozialraum und Quartiers hervor. Im Rahmen der Begleitforschung, welche durch das IAF der KH Freiburg durchgeführt wurde, konnte gezeigt werden, „…dass sich das Angebot des Pflegebegleiters nicht in Konkurrenz befindet zu professionellen Anbietern und Diensten, sondern diese vielmehr ergänzt und mit ihnen kooperiert, im Sinne eines gelebten Pflegemix“ (ebenda, 77). Als zentrale Elemente dieses Ansatzes wurden durch die Begleitforschung das Empowerment (stärken statt helfen), die Kompetenzentwicklung (Fähigkeiten und Haltungen entwickeln, nicht nur Wissen ansammeln) sowie die Vernetzung (Kooperation statt Konkurrenz) herausgearbeitet.
Als Anknüpfung an das Projekt Pflegebegleiter mit seiner Orientierung am nachbarschaftlichen Engagement kann das Projekt VEGA – Verantwortungsgemeinschaften für gelingendes Altern im Quartier – initiiert und begleitet seit 2010, gesehen werden. Das Projekt VEGA setzt an der Quartiersperspektive an und richtet den Fokus auf den Sozialraum. Das Konzept VEGA wurde im Freiburger Osten (Stadtteile Waldsee und Littenweiler) gemeinsam mit der Heiliggeistspitalstiftung als Träger zahlreicher Altenhilfeeinrichtungen vor Ort und der Stadt Freiburg entwickelt, erprobt und evaluiert. Hauptziel des Projektes war die Etablierung einer gemeinsam gestalteten lokalen Verantwortungsgemeinschaft, wobei VEGA vor allem einen kulturellen Wandel anstrebte. „In diesem Projekt gilt es, gelingendes Altern mit zivilgesellschaftlicher Verantwortung, bürgerschaftlichem Engagement, intergenerationeller Solidarität und einer demokratischen Entwicklung des Gemeinwesens zu ermöglichen.“ (Kricheldorff/Tonello 2015, 408). Konkret bedeutete dies, gemeinsam mit möglichst vielen lokalen Akteur*innen und Partner*innen das Konzept einer geteilten Verantwortung auf Augenhöhe im Quartier zu entwerfen, die Übersichtlichkeit des Hilfesystems zu fördern, Zugangsbarrieren abzubauen sowie soziale Teilhabe und Partizipationsmöglichkeiten für alle Akteur*innen in den beiden Stadtteilen zu schaffen (ebenda, 409). In einer sozialräumlichen Analyse wurden die Bedarfe im Quartier eruiert. Daraus wiederum wurden Ideen zum konkreten Handeln abgeleitet. So ergab die Analyse beispielsweise, dass es an Orten der Begegnung im Alltag und koordinierenden Schnittstellen im Alltag mangelte. Anhand dieser Bedarfe wurden auf der Grundlage von partizipativen Vorgehen gemeinsame Vorhaben entwickelt, z. B. die konzeptionelle Entwicklung eines mobilen Informations- und Beratungsangebots – umgesetzt als VEGA-mobil (einem auffälligen Lastenrad), welches sich durch die Möglichkeit einer aufsuchende Informations- und Beratungssituation auszeichnet. Weitere Umsetzung fand das Projekt VEGA in der Umgestaltung eines vorhandenen Bolzplatzes in einen Mehrgenerationenspielplatz als Begegnungsort für alle Generationen des Quartiers sowie in der konzeptionellen Entwicklung von Bürgertreffs in vorhandenen Räumen (vgl. ebenda, 412).
Aufbauend auf das Projekt VEGA wurde von 2012 bis 2014 das Projekt Pflegemix in Lokalen Verantwortungsgemeinschaften durchgeführt. Ausgangspunkt dieses Ansatzes war, dass zur Sicherung der Pflege in der Zukunft das Zusammenwirken von professionellen Diensten, Freiwilligen, Angehörigen und Nachbarn in einem Mix aus unterschiedlichen und aufeinander abgestimmten Zuständigkeiten und Leistungen nötig ist. Die Belastungen der Pflege galt es, im Sinne einer geteilten Verantwortung, auf vielen Schultern zu verteilen (Kricheldorff/Mertens/Tonello 2014, 27). Qualifizierte Laien sollten als Vermittler*innen zwischen Professionellen und Familien und in enger Kooperation mit Selbsthilfeinitiativen fungieren. In vier Pilotkommunen wurden neue Wege erprobt und daraus wurden innovative Projekte entwickelt.
Aus den Vorgängerprojekten heraus entwickelte sich das Projekt DEKOS – Demografie bezogene Koordination im Sozialraum, welches in Kooperation mit der Heiliggeistspitalstiftung und bürgerschaftlich Engagierten im Freiburger Osten von 2015 bis 2018 durchgeführt wurde. Im Zentrum steht die Vision einer Caring Community, einer sorgenden Gemeinschaft, in der sich die Menschen in einem Quartier gegenseitig unterstützen und sich helfen. Damit einhergehend war das Ziel, koordinierende Netzwerkstrukturen zu etablieren, Zugangsmöglichkeiten zu nachbarschaftlichen Unterstützungsstrukturen zu ermöglichen und sozialräumliche Strukturen aufzubauen. Im Rahmen des Projektes DEKOS wurde eine Koordinierungsstelle etabliert, die durch Dr. Nils Adolph ausgefüllt wird. Die wichtigsten daraus resultierenden Maßnahmen sind ein Gesprächscafé mit alltagspraktischen und philosophischen Fragestellungen, regelmäßige Treffen eines engagierten Netzwerkrates, das Netzwerk Sport mit seinem Jahresprogramm „Inklusiv & aktiv im Alter“ verschiedener Sportanbieter (finanziell von der Geschwister-Stäb-Stiftung), ein Trainingsprogramm und Erfahrungsaustausch zum Thema „Gelingendes Altern“ sowie ein informativer und unterhaltsamer Newsletter rund ums Gelingende Altern (De Vries 2018).
In dieser Logik der Verknüpfung nachbarschaftlicher Initiativen und Ressourcen im Sozialraum mit den benötigten Hilfe- und Unterstützungsstrukturen vor Ort hat ein Forschungsteam der KH Freiburg unter der Leitung von Prof. Dr. Kricheldorff in den vergangenen 10 Jahren mehr als 30 Kommunen in Baden-Württemberg beraten und begleitet. Das verbindende Anliegen dabei war es, dass diese Städte und Gemeinden für alle Generationen attraktiv bleiben oder werden wollen, um sich damit zukunftsfest zu machen. Auch daraus hat sich die Erkenntnis abgeleitet, dass es vor Ort Expert*innen braucht, die die damit verbundenen Prozesse initiieren und begleiten können.
3.2 Die Inhalte der Wissenschaftlichen Weiterbildung
Aus den in Kapitel 3.1 beschriebenen Projekterfahrungen und Erkenntnissen resultiert die flexibel konzipierte Wissenschaftliche Weiterbildung „Altern in Sozialraum und Quartier – Kommunale Beratung und Vernetzung“, die berufsbegleitend über einen Zeitraum von 1 ½ Jahren absolviert werden kann. Sie untergliedert sich in fünf Weiterbildungsmodule (WB-Module), die im Folgenden beschrieben werden sollen.
Im WB-Modul „Altern in Sozialraum und Quartier“ werden alternstheoretische Kenntnisse und Theorien vermittelt. Dazu gehören Theorien und Modelle zu inter- und intraindividuellen Altersprozessen sowie soziale und gesellschaftliche Perspektivnahmen auf das Altern. Darüber hinaus dient das erste WB-Modul der professionsbezogenen und interdisziplinären Einordnung der Angewandten Gerontologie.
Das WB-Modul „Strukturelle, politische und rechtliche Grundlagen“ nimmt die methodischen Elemente der Sozialraum- und Bedarfsanalyse, auf deren Grundlage eine gezielte und nachhaltige Planung und Umsetzung von Maßnahmen stattfinden kann, in den Blick. In diesem WB-Modul wird das Ziel verfolgt, die Aufgaben der Städte und Gemeinden aus einem senioren-, pflege- und alternsbezogenen Fokus zu betrachten. Hier gilt es, einen Einblick in entsprechende Aufgabenteilungen zu erhalten und ein Verständnis für die gemeinde- und städtespezifischen Strukturen bzw. entsprechende Organe (wie Gemeinderat, Bürgermeister, etc.) und damit einher gehende Aufgabenteilungen zu entwickeln. Lobbyarbeit und Politikberatung sowie das Thema der Verteilung von verfügbaren Ressourcen mit Blick auf die Vertretung der Interessen der Senior*innen stehen ebenfalls im Zentrum dieses WB-Moduls.
Das WB-Modul „Bildung und Soziale Netzwerkarbeit“ werden partizipative Bildungs- und Entwicklungsansätze im Quartier thematisiert. Das Miteinander der Generationen und den Einbezug verschiedenster Akteure durch moderierte, professionell gesteuerte Beteiligungsprozesse stehen im Zentrum. Instrumente und Methoden zur Förderung von Partizipation und Teilhabe werden aufgezeigt. Gleichzeitig werden methodische Fähigkeiten und Kenntnisse zum Auf- und Ausbau von Vernetzungsstrukturen mit dem Ziel der intergenerationellen Solidarität und der Begünstigung von Beteiligungsprozessen vermittelt. Das Thema Wohnortnahe Versorgung und Pflege rückt den dominierenden Wunsch betreuungs- und pflegebedürftiger Menschen im eigenen „Wohnraum“ verbleiben zu wollen in den Fokus der Betrachtung. Rahmenbedingungen, wie das vorherrschende Altenhilfe- und Pflegesystem, gilt es zu beleuchten und Wege, wie die professionellen Dienste mit Unterstützungsleistungen von Familie, Nachbarschaft und Wohnquartieren kombiniert werden können, werden aufgezeigt.
Im WB-Modul „Lehr-Forschungsprojekt und Lernbegleitung“ rückt das wissenschaftliche Arbeiten und die Durchführung eines Lehrforschungsprojektes in den Mittelpunkt. Die Teilnehmer*innen sollen befähigt werden, ein eigenes kleines alter(n)sbezogenes Forschungsprojekt im Praxisfeld durchzuführen.
Das WB-Modul „Thematische Vertiefung und Exkurse“ greift die für den alter(n)sbezogenen Bereich relevanten Diskussionsfelder auf. Es werden Möglichkeiten und Grenzen des Technikeinsatzes zur Förderung von Autonomie und sozialer Teilhabe im Sozialraum beleuchtet. Dabei werden theoretische Grundlagen zu Assistiven Technologien und zur Techniknutzung im Alter vermittelt, gängige technische Lösungsansätze für typische Anwendungsfelder betrachtet und getestet sowie mögliche zukünftige Auswirkungen des technischen Wandels diskutiert. In alternsbezogenen Tätigkeitsfeldern sehen sich Theoretiker*innen und Praktiker*innen mit ethischen Fragen und Dilemmata konfrontiert, die aufgegriffen und diskutiert werden sollen. Den Fokus auf das Thema „Age-Diversity und Gender“ lenkend, werden einerseits die Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf den Arbeitsmarkt und die damit einhergehenden Herausforderungen für Arbeitgeber*innen verdeutlicht. Gleichzeitig sehen sich Träger von Einrichtungen im Arbeitsalltag mit Age-Diversity- und Genderfragen konfrontiert und sind herausgefordert, diese Vielfalt im Alltag ausreichend zu berücksichtigen.
4. Fazit: Eine Wissenschaftliche Weiterbildung als Antwort auf aktuelle Herausforderungen
Die in Kapitel 3.1 dargestellten, ineinander verzahnten Projekte sind als Reaktion auf die in Kapitel 1 beschriebenen, sozialen und demografischen Trends und aktuellen Bedarfe in der Quartiersarbeit zu sehen. Ein übergeordnetes Ziel der Projekte ist es, aufzuzeigen, wie gelingendes, selbstbestimmtes sowie aktives Alter(n) im Quartier ermöglicht und wie dem Pflegenotstand entgegen gewirkt und vorgebeugt werden kann. Aus diesen Projekterfahrungen und Erkenntnissen einerseits, sowie aus den oben beschriebenen sozialen und demografischen Entwicklungen andererseits, resultiert die berufsbegleitende und flexibel konzipierte Wissenschaftliche Weiterbildung „Altern in Sozialraum und Quartier – Kommunale Beratung und Vernetzung“. Sie greift die bereits bestehenden neuen Bedarfe, die sich für die Quartiersarbeit aus den gesellschaftlichen Trends ergeben, auf. Gleichzeitig wurde bei der Entwicklung der Wissenschaftlichen Weiterbildung das Ziel verfolgt, diese entlang der Interessen von potenziellen Student*innen sowie entlang der Bedarfe des alter(n)sbezogenen Arbeitsmarkts zu entwickeln. Hierzu wurde im Rahmen des Verbundprojektes „Zukunft Alter: Angewandte Gerontologie“ eine Bedarfserhebung durchgeführt mit dem Ziel, entsprechende Interessen und Bedarfe zu erfassen (vgl. Hedtke-Becker/Himmelsbach/Wolfinger/Müller 2018).
Aufgrund der aktuellen Relevanz des Themas setzt die Wissenschaftliche Weiterbildung bewusst den Fokus auf das Thema „Alter(n)“ und greift die zentralen Elemente der Quartiersarbeit auf. Sie zeigt auf, wie quartiersbezogene Strukturen für gelingendes Altern geschaffen und intergenerationelle Solidarität in den Wohnquartieren gestärkt werden kann. Im Rahmen der Weiterbildung wird verdeutlicht, wie Partizipation und Teilhabe sowie bürgerschaftliches Engagement ermöglicht und ältere Menschen als aktive Mitgestalter*innen im lokalen Gemeinwesen eingebunden werden können. Es wird herausgearbeitet, wie nachbarschaftliche Unterstützungsstrukturen aufgebaut und Netzwerke für ein gelingendes Altern im Sozialraum geschaffen werden können. Ziel dieser Weiterbildung ist es darüber hinaus, Kenntnisse zu vermitteln, um Bedarfe im Sozialraum zu erheben und diesen gemeinsam zu gestalten. Im Rahmen der Weiterbildung werden außerdem Fähigkeiten zu Lobbyarbeit, Sozialplanung und Beratung von kommunalen und politischen Gremien sowie Ansätze von Case- und Care-Management vermittelt. Wissenschaftler*innen und Praxiserfahrene vermitteln somit das theoriebasierte Wissen mit aus der Praxis generierten, anwendungsorientierten Kenntnissen, um im Sozialraum und Quartier tätig zu sein, sich kompetent mit der wachsenden Bedeutung von Kommunen und Verbänden auseinanderzusetzen und auf die Anforderungen des demografischen Wandels sowie auf die kleinräumig sich zeigenden Bedarfe adäquat reagieren zu können.
Förderinformation und Danksagung
Dieser Artikel ist im Rahmen des Projektes „Zukunft Alter – Wissenschaftliche Weiterbildungen und Verbundmaster Angewandte Gerontologie“ (Projektleitung: Prof. Dr. Ines Himmelsbach) am Institut für Angewandte Forschung, Entwicklung und Weiterbildung (IAF) an der der Katholischen Hochschule Freiburg (KH Freiburg) entstanden. Das Projekt der Förderlinie „ESF-Förderprogramm Auf- und Ausbau von Strukturen der wissenschaftlichen Weiterbildung an Hochschulen in Baden-Württemberg wird durch das Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds sowie vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg gefördert wird. Dank gilt den Verantwortlichen der am Projekt beteiligten Verbundhochschulen, Prof. Dr. Astrid Hedtke-Becker (Hochschule Mannheim) und Prof. Dr. Martina Wolfinger (Katholische Stiftungshochschule München) sowie dem Projektmitarbeiter Jürgen Spiegel und dem IAF-Kollegen Tjard de Vries (KH Freiburg). Ein besonderer Dank richtet sich an die drei Interviewpartner*innen, Joanna Kalkowski (Schöneberg-Nord/Berlin), Daniela Bieneck (Stuttgart-Fasanenhof) und Richard Krogull-Raub (Rieselfeld/Freiburg), für die sehr interessanten Interviews und ihre Bereitschaft, diese in den vorliegenden Artikel miteinfließen zu lassen.
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