Inklusion durch Begegnung? Familienzentren als Vernetzungsorte im Sozialraum

Anne-Katrin Schührer

1. Einleitung

Familienzentren sind im Sozialraum verankert und bieten passgenaue und zielgruppenorientierte alltagsnahe Unterstützung vor Ort. Familienzentren richten sich an alle Familien im Quartier. Besonders von den Angeboten profitieren aber Familien in prekären Lebenslagen, die von als hürdenreich wahrgenommenen Familienbildungsangeboten bislang kaum erreicht werden. Das Präsidium des Deutschen Vereins verabschiedete deshalb 2020 Empfehlungen (DV 28/18) zur Stärkung von Familienzentren. Dabei wird die Bedeutung niedrigschwelliger, partizipativer und sozialraumorientierter Orte anerkannt, die „intensive Unterstützungsmöglichkeiten im Alltag“ (DV 2020, 3) sowie „ein gutes Aufwachsen der Kinder“ (ebd.) ermöglichen. Inwieweit Familienzentren außerdem Orte der Begegnung und der Inklusion sein können, soll im Folgenden thematisiert werden.

2. Familienzentren

Die Bezeichnung „Familienzentrum“ wird als Sammelbegriff verstanden. Der Deutsche Verein bezeichnet Einrichtungen als Familienzentren, „die in einem sozialen Umfeld, d.h. in einem Stadtquartier, Ortsteil oder in einer Region, bedarfsgerechte, unterstützende und bildungsförderliche Angebote und Leistungen für Familien bereithalten, vermitteln oder bündeln. Diese Angebote und Leistungen sind niedrigschwellig und für alle Familien zugänglich und haben das Ziel, einen lokalen und alltagspraktischen Mehrwert für Familien zu schaffen und damit Familien beim „Doing Family“ zu unterstützen“ (DV 2020, 9).

Damit folgt der Deutsche Verein der Definition des Bundesverbands der Familienzentren, die unter Familienzentren „jene Einrichtungen [verstehen], die in einem sozialen Umfeld passgenaue unterstützende und bildungsförderliche Angebote für Kinder und ihre Familien bereithalten“ (BVdFZ 2018). Mit einer stärkeren Betonung der Begegnung und der Partizipation definiert der Bundesverband der Mütterzentren e.V. Mütter- und Familienzentren: „Mütterzentren sind Orte der Begegnung, Beteiligung und des freiwilligen Engagements. Sie stellen die Bedürfnisse, Interessen und Lebenslagen von Frauen* [sic], Müttern und Familien in den Mittelpunkt“ (Bundesverband der Mütterzentren 2024).

Allerdings unterscheiden sich Familienzentren stark hinsichtlich ihrer Organisationsformen und inhaltlichen Ausrichtungen, Zielgruppen und Schwerpunkten. Selbst die Bezeichnung „Familienzentrum“ ist nicht einheitlich. So gibt es Einrichtungen, die sich als KiTa plus, Mütter- und Familienzentrum, Kinder- und Familienzentrum, Eltern-Kind-Zentrum oder Familienstützpunkte bezeichnen (vgl. Diller/Schelle 2009, 13). Geschuldet ist die Uneinheitlichkeit zum einen unterschiedlichen Traditionslinien und zum anderen unterschiedlichen Finanzierungsmodellen mit je eigenen Förderkriterien. Bezüglich der Entstehungshistorie unterscheiden sich grob die aus der Gemeinwesenarbeit entwickelten Stadtteil- und Familienzentren, die aus der Mütterzentrumsbewegung entstandenen Mütter- und Familienzentren (vgl. Schührer 2023a) und die quantitativ am häufigsten vorkommenden, aus Kindertagesstätten entwickelten (Kinder- und) Familienzentren. Geschuldet ist die Uneinheitlichkeit aber auch unterschiedlichen Finanzierungskonzepten. Da es (bislang) keine bundesweite Grundfinanzierung von Familienzentren gibt, wird die konkrete Ausgestaltung stark von Landesprogrammen, kommunalen Programmen und Förderprojekten geprägt. Zur Übersicht der Finanzierungsmodelle der einzelnen Bundesländer siehe Schlevogt 2023. So gibt es beispielsweise im Saarland kein Förderprogramm für Familienzentren während in Nordrhein-Westfalen flächendeckend seit 2007 ausgebaut wird und die Förderung im Kinderbildungsgesetz verankert ist. Durch diese gezielte Förderung sind inzwischen ein Drittel aller nordrhein-westfälischen Kitas Familienzentren, deren inhaltliche und qualitative Ausgestaltung durch das Gütesiegel Familienzentrum NRW abgesichert wird (vgl. Schlevogt 2023). In Bayern werden die aus der Mütterzentrumsbewegung entstandenen Mütter- und Familienzentren finanziell unterstützt, in Brandenburg werden Familienzentren unterstützt, die an Mehrgenerationenhäusern angegliedert sind (vgl. ebd.).

Die Bandbreite der Finanzierungsmodelle auf Länderebene sowie die unterschiedlichen Traditionslinien schlagen sich in der inhaltlichen Ausgestaltung, der Schwerpunktsetzung und der Zielgruppe nieder. Stark vereinfacht richten sich die aus der Gemeinwesenarbeit stammenden Stadtteil- und Familienzentren an alle im Quartier, die aus der Mütterzentrumsbewegung stammenden Zentren in ihrer Entstehungszeit in den 1980er Jahre zunächst an Mütter und im späteren Verlauf an alle Familien, und die aus den Kindertagesstätten entstandenen (Kinder- und) Familienzentren an Kinder und ihre Eltern. Mit zunehmender Etablierung und Weiterentwicklung ist eine immer größer werdende Überschneidung und Annäherung zu beobachten, so dass allein aufgrund der Finanzierung oder Traditionslinie keine allgemeingültige Aussage über die inhaltliche Ausgestaltung getroffen werden kann. An struktureller Ausrichtung unterscheiden sich Familienzentren nach den drei häufigsten Organisationsformen „Unter einem Dach“, „Lotsenmodell“ und „Verbund“ (Schlevogt 2014, 14ff.). Auch bezüglich der Zielgruppe gibt es unterschiedliche Ausrichtungen. Familienzentren richten sich mal an die in der Einrichtung angemeldeten Familien und mal an alle Familien im Gemeinwesen. Was unter Familie zu fassen ist, unterliegt unterschiedlichen Vorstellungen, ist historisch tradiert und einem ständigen Wandel unterworfen. Der Deutsche Verein versteht unter Familie „eine auf Dauer angelegte, exklusive
Solidar- und Verantwortungsgemeinschaft“ (DV 2020, 4), wobei die „konkrete Ausgestaltung der Familie dabei nicht maßgeblich [ist] – ob es sich um verheiratete oder nicht verheiratete Menschen mit leiblichem(n) Kind(ern), Pflegekindern, Stiefkindern oder Adoptivkindern handelt, ist ebenso unerheblich wie die Geschlechterzusammensetzung des
Paares oder der Partnerschaftsstatus (alleinerziehend) als solcher“ (ebd.). Unabhängig vom Namen, der Finanzierung oder der Traditionslinie haben Familienzentren gemeinsam, dass die familienunterstützenden Angebote niedrigschwellig, wohnortnah und bedarfsorientiert sind und damit – so der Anspruch – Familien erreichen, die im Hilfeangebot erst spät Unterstützung annehmen.

3. Angebote in Familienzentren

Nach wie vor nehmen „insbesondere Familien mit hohem Unterstützungsbedarf […] die klassischen Angebote der Familienbildung selten wahr“ (Schmitz/Spieß 2019, 7). Familienbildungsangebote mit Kursstruktur, Anmeldemodalitäten und Gebühren erreichen Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status nicht, diese sind eher über niedrigschwellige, wohnortnahe und an den Bedarfen ausgerichtete Formate zu erreichen. Familienzentren zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich grundsätzlich an alle Familien im Quartier richten und nicht per se ein Angebot für Familien in prekären Lebenslagen sind. Dadurch entfallen stigmatisierende Elemente und die Scham, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Zugute kommt Familienzentren auch der weitgehende gesellschaftliche Konsens, in der Lebensphase der Familiengründung und im Alltag mit kleinen Kindern Unterstützung nicht als Eingeständnis eigenen Versagens zu betrachten.

Im Mittelpunkt der inhaltlichen Ausgestaltung stehen familienentlastende Angebote. Diese berücksichtigen neben der Bildung, Erziehung und Betreuung der Kinder die Lebenslagen und Lebenswelten der Erwachsenen. Sie variieren je nach Quartier, so dass eine fundierte Sozialraumanalyse zwingende Vorrausetzung jeder Angebotsplanung und -entwicklung sein muss (Spatscheck/Wolf-Ostermann 2023, 181ff.). Neben statistischen Daten der Kommune ergänzen institutionsbezogene Erhebungen, Stadtteilbegehungen und Gespräche mit Schlüsselpersonen die Analyse (vgl. Beiträge in der Rubrik Methodenkoffer von sozialraum.de oder auch Deinet 2009; Krisch 2009, 88ff.; Früchtel et al. 2012). Um passgenaue Angebote anbieten zu können und nicht paternalistisch für die Zielgruppe vermeintlich geeignete Angebote bereitzustellen, braucht es eine Haltung des Fragens und des Zuhörens. Sowohl Bedarfe als auch Angebote müssen beständig evaluiert und gegebenenfalls verändert werden.

Angebote in Familienzentren können angelehnt an die sozialraumorientierte methodische Unterscheidung in fallspezifische, fallübergreifende und fallunspezifische Tätigkeiten (vgl. Galuske 2013, 305f.) aufgeteilt werden, wobei Spatscheck zurecht die „verschränkte Perspektive aller drei Ebenen“ (Spatscheck 2009) fordert zur „wirksame[n] Lösung und Verhinderung sozialer Probleme“ (ebd.).

Fallspezifische Angebote richten sich an einzelne Personen als Individuen. Im Kontext Familienzentrum können dies zum Beispiel Familiensprechstunden zu alltagspraktischen Fragen sein, in denen ohne Anmeldung, anonym und parallel zur stattfindenden Kinderbetreuung entweder beraten oder an andere Stellen vermittelt und verwiesen wird. Aufsuchende Arbeit wird bislang noch wenig als Teil von Familienzentren in Deutschland gesehen, in den aus Großbritannien stammenden Early Excellence Einrichtungen mit Family Outreach Service ist aufsuchende Arbeit hingegen fest verankert (vgl. Kluge 2022). Aufsuchende Arbeit kann an Orten stattfinden, an denen sich Familien aufhalten, auch eine Kooperation mit den Frühen Hilfen bietet sich an.

Fallübergreifende Angebote umfassen laut Galuske Tätigkeiten, die „die Ressourcen des sozialen Raums (etwa Nachbarschaften, Cliquen, andere Netzwerke) [nutzen (…) und] eher organisierende, koordinierende und vernetzende Funktionen“ (Galuske 2013, 305f.) haben. In Familienzentren bieten sich Offene Treffs an, die sich dadurch auszeichnen, dass sie Begegnungsorte für alle sind, es keine Anmeldung braucht, ein Kommen und Gehen ohne feste Anfangszeiten möglich ist und sie keine feste Struktur haben. Offene Treffs sind inzwischen anerkannte Orte der Familienbildung, hier findet neben Begegnung eine Peer-to-Peer-Beratung und informelles Lernen voneinander und miteinander statt. Für Familien kann ein Offener Treff ein erster Schritt aus der Vereinzelung heraus sein und die Erfahrung gemacht werden, nicht allein mit Problemen und alltagspraktischen Fragestellungen zu sein. Zentrale Funktion ist hier die Vernetzung der Familien untereinander. Neben der gegenseitigen Unterstützung, in denen sich Familien in wechselnden Rollen mal als Fragende mal als Gebende erleben, können Offene Treffs Türöffner für weitere, stärker formalisierte Unterstützungsangebote sein.

Fallunspezifische Tätigkeiten richten sich nicht direkt an die Adressat*innen der Familienzentren, sondern beinhalten sämtliche Kooperationen und Vernetzungen sowie ein familienpolitisches Mandat. Zentrale Funktion ist hier die Vernetzung der lokalen Akteur*innen untereinander, um zum einen in der Fallarbeit zielgerichtet weitervermitteln zu können und zum anderen strukturelle Veränderungen vor Ort anzustoßen. Konkrete Beispiele können die Teilnahme an Stadtteil- oder Kinderkonferenzen sein, Gremienarbeit, die Präsenz im Quartier und Austauschtreffen mit anderen Akteur*innen der Familienförderung und -bildung.

4. Bedeutung sozialraumorientierter Angebote in Familienzentren

Viele der oben genannten Inhalte sind nicht neu und finden sich so oder in ähnlicher Ausgestaltung auch in anderen sozialen Einrichtungen. Kritisch könnte man also fragen, wozu es weiterer Einrichtungen bedarf. Als Argumente für die flächendeckende Schaffung von Familienzentren, wie es beispielsweise Nordrhein-Westfalen vorantreibt, sind (nicht abschließend) die Stichworte verändertes Aufwachsen von Kindern und veränderte Lebenslagen von Familien (1), die institutionalisierte und verinselte Kindheit (2) sowie die Versäulung der Sozialen Arbeit (3) zu nennen.

  1. Verändertes Aufwachsen von Kindern sowie veränderte Lebenslagen von Familien erfordern eine professionelle institutionelle Unterstützungsstruktur. Stichworte der Herausforderungen sind hier Migration und Flucht, veränderte Familienkonstellationen, digitalisierte Lebenswelten, eine Zunahme von Individualisierung, ein gestiegenes Armutsrisiko in einzelnen Bevölkerungsgruppen sowie ein wachsender Bedarf an der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ergänzend kommen gestiegene Ansprüche an das Eltern-Sein hinzu. Familien stehen neben anderen Zwängen (beispielsweise finanziellen Zwängen) unter einem „Bildungsdruck“ mit einer hohen Bildungsaspiration für das eigene Kind verbunden mit der Angst eines sozialen Abstiegs sowie einem „Erziehungsdruck“ in Folge von „Entbettung“ (vgl. Beck 1986) und fluider gewordener Erziehungsstile und Erziehungsvorstellungen. Gleichzeitig erleben viele Familien eine Abnahme an unterstützenden Strukturen innerhalb der (Groß-)Familie. Familienunterstützende Maßnahmen werden dadurch immer wichtiger, sowohl finanzieller als auch institutioneller Art. Ein Indikator dafür ist die wachsende Nachfrage von Familien nach Betreuungsplätzen aufgrund finanzieller Zwänge, aber auch zunehmend egalitärer werdenden Geschlechterrollenmodelle auch in Westdeutschland sowie zunehmender Rechtsansprüche (seit 2013 für Kinder zwischen ein und drei Jahren und ab 2026 für die Ganztagesbetreuung in Grundschulen). Dies trägt immer mehr zu einer „institutionalisierten Kindheit“ (vgl. Betz u. a. 2018; Zeiher 1983) bei, wonach Kinder immer früher und immer länger in Institutionen betreut werden (vgl. Destatis 2024).
  2. Bereits 1983 beschrieb Helga Zeiher die zunehmende Institutionalisierung und Verinselung der Kindheit. Die einzelnen Orte werden als wenig verschränkt, sondern unabhängig voneinander wahrgenommen und Kinder wechseln zwischen den Polen der Verhäuslichung einerseits und der Institutionalisierung andererseits, während zunehmend der „Zwischenraum“ wenig erlebt oder angeeignet wird (vgl. Deinet 2014; Deinet/Reutlinger 2020). Neben der Unterstützung von Aneignung als sozialpädagogische Aufgabe sowohl in den Institutionen als auch im außerinstitutionellen Sozialraum (ebd.), betonen insbesondere Kindheitspädagog*innen die Wichtigkeit einer engeren Verzahnung zwischen Elternhaus und Institution (vgl. exemplarisch Jares 2023, 40ff.; Pohlmann 2015, 29ff.). Dies drückt sich in einem höheren Stellenwert von Elternarbeit aus, allerdings ist diese zum Teil stark auf formale Formate (Elternbeirat, Entwicklungsgespräche u. a.) und inhaltlich auf die Elternrolle und auf Erziehungsthemen beschränkt. Familienzentren versuchen bedarfsorientierte Angebote (Sprachkurse, kostengünstige Kinderbekleidung, Sozialberatung ohne Anmeldung usw.) anzubieten, diese richten sich an alle im Quartier und nicht ausschließlich an die angemeldeten Kinder und ihre Eltern. Zentrales Merkmal von Familienzentren ist, dass ihre Arbeit nicht an der Eingangstüre endet, sondern sie ins Quartier wirken, mit anderen lokalen Akteur*innen kooperieren, sie an andere Stellen verweisen und ein familienpolitisches Mandat ausüben und sich im Sinne von Familien einmischen. Zusätzlich versuchen sie der Verhäuslichung und Vereinsamung von Familien entgegenzuwirken und schaffen zum Beispiel über Offene Treffs Begegnung. Familienzentren versuchen über diese an alle gerichteten Angebote sowie Kooperationen und Vernetzungen eine engere Verzahnung der einzelnen „Inseln“ zu erreichen und sich in die strukturelle Gestaltung der „Zwischenräume“ einzumischen.
  3. Mit zunehmender Professionalisierung der Sozialen Arbeit ging eine immer stärkere Ausdifferenzierung an Arbeitsfeldern einher (vgl. Füssenhäuser 2017, 776). Damit entstand auf der einen Seite eine hochprofessionelle spezialisierte Unterstützungslandschaft, gleichzeitig aber auch zum Teil voraussetzungsvolle Zugangsbedingungen (Wissen über Angebote, Wartezeiten, Anmeldungsvoraussetzungen…) sowie ein Aufsplittern in von Spezialistinnen und Spezialisten zu bearbeitende Teilprobleme. Die daraus entstehende Schattenseite, dass ein Hilfeprozess aus Einzelmaßnahmen besteht, die teilweise von unterschiedlichen Trägern und ohne voreinander zu wissen erbracht werden, ist hinlänglich beschrieben worden und Ausgangspunkt u. a. von Case Management. Auch Stadtteilzentren oder Familienzentren können einen Beitrag gegen die Versäulung und Unübersichtlichkeit der Beratungs- und Unterstützungslandschaft leisten, da sie zum einen durch Angebote „unter einem Dach“ für eine stärkere Vernetzung und Transparenz sorgen und zum anderen durch den niederschwelligen Zugang Türöffner für weitere Unterstützungsmaßnahmen sind.

Angesichts der Fülle an Aufgaben ist allerdings zu betonen, dass ein Familienzentrum kein Allheilmittel ist. Zum einen sind sie oft selbst von unzureichender oder projektbezogener Finanzierung betroffen und haben wenig Planungssicherheit (vgl. DV 2020, 10), zum anderen können strukturell bedingte Probleme wie Armut, Exklusion oder Flucht und Vertreibung nicht „vor Ort“ gelöst werden. Familienzenten können aber einen (zumindest kleinen) Beitrag leisten, dass sich Familien begegnen, vernetzen, voneinander und miteinander lernen. Familienzentren können Orte sein, an denen anstelle einer Individualisierung von Problemen die strukturelle Bedingtheit von Problemen thematisiert werden kann. Im Folgenden soll auf die Aspekte der Begegnung und Inklusion vertiefend eingegangen werden.

5. Familienzentren als Orte der Begegnung

Familienzentren ermöglichen durch Angebote wie Offene Treffs, Mittagstisch oder andere niedrigschwellige Formate Begegnungen für Menschen des Quartiers unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Alter, sozioökonomischem Hintergrund oder körperlicher Verfasstheit. Familienzentren fassen den Begriff der Familie bewusst weit und sind damit Anlaufstelle für alle im Quartier. Dadurch leisten sie einen wichtigen Beitrag gegen Vereinsamung und Vereinzelung und werden so zu einem „Dorfbrunnen der Moderne“ (Landesverband der Mütterzentren NRW o. J.). Über die Begegnung mit Menschen aus unterschiedlichen Milieus können diverse Lebensstile und Lebensentwürfe kennengelernt und eventuell eigene Einstellungen und Vorurteile reflektiert werden. Um in Familienzentren nicht die Gruppenbildung und Segregation nach sozialer und ethnischer Herkunft, Alter und Geschlecht zu reproduzieren, braucht es passende Rahmenbedingungen, in erster Linie aber eine selbstreflexive, wertschätzende und anerkennungssensible Haltung der Leitung und der Mitarbeitenden.

Diese Grundhaltung ist auch Voraussetzung um über die ersten Begegnungen hinaus das Thematisieren von Betroffenheiten zu fördern. In Anlehnung an Lothar Böhnischs „Brückenkonzept“ (Böhnisch 2016, 95) innerhalb seiner Theorie der Lebensbewältigung ist insbesondere die Dimension des „Ausdrucks“ fruchtbar für die Arbeit in Familienzentren. Unter der Ermöglichung von Ausdruck versteht Böhnisch „seine Betroffenheit aussprechen, thematisieren zu können und darin sich aus seinem Ausgesetztsein, seiner Ohnmacht zu lösen und sich zu anderen in Beziehung setzen zu können, nicht mehr unter Druck zu stehen“ (Böhnisch 2016, 95; Hervorhebung durch den Autor). Sprache ist dabei für Böhnisch das Medium um die eigene Ohnmacht zu überwinden und sich als nicht mehr hilflos zu erleben. Das Sprechen über Probleme ist dabei eine Möglichkeit, aus der individuellen Betroffenheit ein Thema von und für andere zu machen. Dies kann auch Ausgangspunkt für eine Politisierung des Themas sein.

6. Familienzentren als Beitrag zur Inklusion

Insbesondere dadurch, dass es sich bei Familienzentren um Orte für alle handelt und nicht um spezialisierte Einrichtungen für beispielsweise Familien in prekären Lebenslagen oder geflüchtete Familien, kann ein Familienzentrum zum Ort der Inklusion werden. Inklusion wird hier verstandenalsgleichberechtigte Teilhabealler Menschen unabhängig von gesellschaftlich zugeschriebenen Differenzkategorien und geht über den Fokusauf Menschen mit Behinderung hinaus. Menschen, die in anderen Lebensbereichen von Exklusion betroffen sind, können hier inkludierende Erfahrungen machen. Da in Familienzentren ebenfalls machtvolle und ausschließende Strukturen herrschen können, braucht es geeignete Rahmenbedingungen und wertschätzende und anerkennungssensible Haltungen um die Situation einer Pseudo-Inklusion zu vermeiden.

Wichtiger Ansatzpunkt ist hierbei der Faktor der Partizipation. Der Deutsche Verein empfiehlt, Familien an der Planung der Angebote zu beteiligen und diese gemeinsam zu entwickeln und umzusetzen sowie Familien zu befähigen, ihre Interessen zu artikulieren (DV 2020, 8). Damit gehen Familienzentren in ihrem Partizipationsverständnis weiter und belassen es nicht beim Erfragen von Bedarfen und Angebotswünschen. Die Bandbreite der Partizipation reicht dabei vom Einbringen von Ideen über das Mitbestimmen bis hin zur aktiven inhaltlichen oder strukturellen Gestaltung des Zentrums. Insbesondere der oben erwähnte Offene Treff kann ein Angebot sein, in dem sich Menschen mit ihren Erfahrungen einbringen und erleben können. So kann zum Beispiel eine Frau mit niedrigem sozioökonomischem Status ihre Erfahrungen als mehrfache Mutter mit einer erstgebärenden Akademikerin teilen. Die gemeinsamen Themen sollen dabei nicht soziale Ungleichheit und strukturelle Exklusion verschleiern, deshalb wird hier wiederholt auf das familienpolitische Mandat und die Aufgabe der politischen Einmischung verwiesen. Es kann eine Möglichkeit für ansonsten Exkludierte sein, hier neue Selbstwirksamkeit zu erleben, sich nicht nur hilfsbedürftig, sondern als Expert*in wahrzunehmen und auch so wahrgenommen zu werden. Ausgehend von Begegnungen mit anderen Familien entsteht soziales Kapital, das zu Freundschaften und persönlichem Wohlbefinden beitragen, aber auch in ökonomisches Kapital umgewandelt werden kann (Vermittlung von Arbeitsstellen, Wohnungen usw.).

In Anlehnung an Hartmut Essers Integrationsverständnis (vgl. Esser 2001) wurde in der Studie „Engagement und Migration“ (Schührer 2019; Schührer 2020) unter Rekonstruktion von 28 Interviews untersucht, inwieweit ein Engagement zur Inklusion in den vier Dimensionen Kulturation, Platzierung, Interaktion und Identifikation (Esser 2001) beitragen kann. Auch wenn sich die Studie auf freiwillig engagierte Frauen mit Zuwanderungsgeschichte bezog, können dennoch Rückschlüsse auf andere Formen der Partizipation und unabhängig von der Teilgruppe der Frauen mit Zuwanderungsgeschichte gezogen werden. Dabei kann festgestellt werden, dass insbesondere die zwei Dimensionen der „Interaktion“ (ebd.) und der „Identifikation“ (ebd.) in Familienzentren eine zentrale Bedeutung für konkrete Teilhabeerfahrungen haben. So trugen Begegnungen und soziale Kontakte im öffentlichen Raum der untersuchten Familienzentren dazu bei, der Vereinzelung und Vereinsamung entgegenzuwirken, neue Netzwerke zu bilden, von denen eventuell neue Handlungsoptionen ausgehen können. Zum zweiten kann die Identifikation unterstützt werden. Wer Mitsprachemöglichkeiten hat, sich aktiv einbringen kann und sich als selbstwirksam erlebt, empfindet sich eher als Teil der Gesellschaft als Menschen, deren Stimmen wenig gehört und deren Ressourcen selten gesehen werden. Dies setzt eine Organisationskultur mit partizipativer Grundhaltung voraus: Die Entscheidungswege müssen transparent gemacht werden, der Einbezug in Entscheidungen aber auch das Erklären von Entscheidungsprozessen und Möglichkeiten des Mitbestimmens werden beachtet. Es herrscht eine Kultur der Fehlerfreundlichkeit wonach Familien sich ausprobieren und an Fehlern wachsen dürfen. Eine partizipative Organisationskultur setzt außerdem eine ressourcenorientierte Haltung voraus, die davon ausgeht, dass alle Familien Kompetenzen und Ressourcen haben und diese in die Angebote mit einbindet (vgl. Schührer 2019, 185f.).

7. Fazit

Auch wenn die hier skizzierte Vielfalt an Familienzentren zunächst unübersichtlich erscheint, kann dies als Vorteil innerhalb der Familienförderung betrachtet werden. Schließlich richtet sich die inhaltliche Ausgestaltung an den unterschiedlichen Bedarfen der Familien vor Ort aus und kann sich dadurch erheblich unterscheiden. Grundlage für zielgruppenadäquate Angebote sind demnach immer eine fundierte Sozialraumanalyse sowie dialogische Beteiligungsformate der Familien. Damit ein Familienzentrum aber nicht nur eine leere Worthülse ist, sondern den Anspruch auf Familienunterstützung, Niedrigschwelligkeit und Erreichbarkeit erfüllen kann, braucht dieses passende Rahmenbedingungen. Dazu gehören eine gesicherte Finanzierung der häufig über befristete Projektgelder aus unterschiedlichen Fördertöpfen unterstützen Zentren. Zusätzlich zu einer gesicherten Finanzierung und Personalausstattung und einem Träger, der sich als lernende Organisation versteht, braucht es eine sozialraumorientierte Haltung der Leitung und des Teams. Darunter ist erstens eine klare Orientierung an der Lebenswelt und den Bedarfen der Familien zu verstehen, zweitens eine Haltung, die nicht das eigene Expert*innentum in den Mittelpunkt stellt, sondern die Ressourcen der Familien berücksichtigt und nutzt, drittens eine selbstreflexive Haltung, die eigene Vorurteile und Privilegien immer wieder kritisch hinterfragt, viertens eine Haltung, die andere Einrichtungen nicht als Konkurrenz betrachtet, sondern mit ihnen kooperiert sowie fünftens eine Haltung der politischen Einmischung um „positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen“ (§1 SGB VIII). Mit diesen Bausteinen können in den Familienzentren Begegnungen ermöglicht und Prozesse der Inklusion konkret und alltagsnah unterstützt werden.

Literatur

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Zitiervorschlag

Schührer, Anne-Katrin (2024): Inklusion durch Begegnung? Familienzentren als Vernetzungsorte im Sozialraum. In: sozialraum.de (15) Ausgabe 1/2024. URL: https://www.sozialraum.de/inklusion-durch-begegnung-familienzentren-als-vernetzungsorte-im-sozialraum.php, Datum des Zugriffs: 27.07.2024