Die Türöffner als sozialräumliches Graswurzelprojekt im Umfeld der Caritas

Sebastian Kießig

1. Das Projekt

Mit dem Projekt Die Türöffner ist im Ehrenamts-Netzwerk der Caritas-Konferenzen Deutschlands e.V. (CKD), dem Fachverband innerhalb der verbandlichen Caritas für soziales Engagement, ein Graswurzelprojekt entstanden, das im Sozialraum einen praktischen Umgang mit der Mega-Herausforderung Einsamkeit anbietet (vgl. Kießig 2024). Die CKD identifizieren sich als ein Netzwerk von deutschlandweit 45.000 sozial Engagierten, d. h. von freiwillig Tätigen, die sich niedrigschwellig in ihrem lokalen Umfeld für den Nächsten engagieren.

In ihrer Organisationsgeschichte verstanden sich die Engagierten in den CKD als Ehrenamtliche, die aus ihrer lokalen Pfarrgemeinde heraus, in ihrem sozialen Nahraum (Dorf, Kiez, Stadtteil) vor allem ältere und alleinstehende Menschen katholischer Konfession besucht haben, um zu Geburtstagen, kirchlichen Hochfesten und weiteren besonderen Ereignissen Zeit für die Begegnung zu schenken. Mit dem Terminus des Besuchsdienstes identifizierten sich über Jahrzehnte viele Engagierte, deren Engagement in den Gruppen der CKD strukturell organisiert wurde, die wiederum einer Pfarrgemeinde angeschlossen waren (vgl. CKD-Jahresbericht 2023, 1).

Zweierlei strukturelle Veränderungen hatten (bzw. haben) massive Veränderungen auf die CKD: Die Veränderungen in der Pastoralstruktur der katholischen Kirche in den deutschsprachigen Diözesen reduzieren die landesweite Engmaschigkeit ihrer Präsenz. Dies hat zur Folge, dass die Verortung von Pfarrgemeinden in einem konkreten Sozialraum sukzessiv verloren geht bzw. ging. Zum anderen rekrutieren sich die Engagierten nicht mehr ausschließlich aus den Mitgliedern einer katholischen Pfarrgemeinde. Menschen mit unterschiedlichen religiösen Hintergründen wirken im Netzwerk der CKD freiwillig zusammen, die allesamt das Angebot einer christlichen Spiritualität wahrnehmen können.

Das Konzept Die Türöffner ist ein zugleich simples wie innovatives: Bei einer projektkoordinierenden Person können sich Menschen melden, die sich engagieren möchten und zugleich private Interessen haben. Diese Bereitschaft wird – ergänzt um weitere Hinweise (zeitlicher Umfang, geographische Verortung) – erfasst. Zugleich werden diejenigen Multiplikator:innen gezielt und regelmäßig adressiert, die mit potentiell einsamkeitsgefährdeten Menschen (z. B. Älteren, Alleinerziehenden, Menschen mit Fluchthintergründen) im Kontakt stehen. Der Einschätzung der Einsamkeitsgefährdung liegt dabei keine wissenschaftliche Definition oder psychologisch-medizinische Einschätzung zugrunde, die subjektive Wahrnehmung ist entscheidend. Zu solchen Multiplikator:innen gehören (weiterhin) christliche Seelsorgende, Erbringende von Versorgungsleistungen (wie z. B. Essen auf Rädern), Pflegekräfte oder auch Zusteller:innen der Gemeindezeitungen. Die Multiplikator:innen dürfen den projektkoordinierenden Personen, mit Zustimmung der einsamkeitsgefährdeten Menschen, die Kontaktdaten weitergeben. Nunmehr ist es die Aufgabe der koordinierenden Person, die engagementbereiten mit den einsamkeitsgefährdeten Menschen zusammenzubringen, so dass möglichst Konstellationen mit ähnlichen Neigungen zueinander finden: Dies kann ein gemeinsames Interesse für Gespräche zu politischen Themen sein, das Bedürfnis des gemeinsamen Betens, die gemeinsame Neigung des Spazierengehens oder beispielsweise ein ‚Match‘ zum Kartenspielen. Wichtig in dem Projekt ist, dass die Begegnungen niedrigschwellig bleiben, folglich z. B. keine medizinische Betreuung den Engagierten abverlangt wird (vgl. Kießig/Sewöster-Lumme 2023, 101). Auch muss es möglich sein, das Engagement jederzeit zu beenden, so dass die Engagierten keine Langzeit-Verpflichtung eingehen. Die projektkoordinierende Person ist vielfach eine Hauptamtliche aus den CKD, mancherorts auch von anderen kirchlichen Träger:innen. Mittlerweile wird das Modell Die Türöffner in einem Dutzend Sozialräumen in Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Hessen, Baden-Württemberg und Berlin praktiziert (vgl. CKD-Bundesverband 2025, Art. Forum Türöffner).

Das Projekt Die Türöffner setzt habituell, inhaltlich und methodisch an den veränderten Wirkbedingungen der CKD an: Die habituellen Veränderungen bestehen darin, dass es explizit sozial engagierte Menschen und sich freiwillig meldende Menschen mit einem Kontakt-Bedürfnis verbindet. Damit bewegen sich im Projekt die Menschen aufeinander zu und es ist keine einseitige Bewegung hin zu Menschen. Das Projekt ist eines, das sich nicht auf das Engagement katholischer Mitglieder einer Pfarrgemeinde beschränkt, wie es über viele Jahre in den CKD gängige Praxis war, und zugleich auch nicht Menschen besucht wurden, die als besuchswürdig von einem Dritten (z.B. den Geistlichen einer Pfarrgemeinde) identifiziert wurden.

In den inhaltlichen Veränderungen stellt es die Möglichkeit in den Vordergrund, eine Vielzahl unterschiedlicher Interessen zusammenzuführen. Beschränkte sich der bisherige klassische Besuchsdienst auf Gesprächsformate, können nun auch sportliche, religiöse, kulinarische und weitere gemeinsame Interessen der Anlass für eine beidseitig interessante Begegnung sein.

Ganz wesentlich sind auch die methodischen Veränderungen: Wirkte das CKD-Netzwerk über Jahrzehnte in der eigenen konfessionellen Pastoralstruktur, wurde durch das Projekt Die Türöffner die Begrenzung auf die eigenen Kirchenstrukturen nicht nur praktisch, sondern auch bewusst aufgegeben. Der von den Menschen gelebte Sozialraum ist das Wirkfeld, die Ressourcen und Strukturen der Kirche sind eine Unterstützung, um das sozial-caritative Engagement für viele Menschen erlebbar werden zu lassen.

2. Zum sozialräumlichen Verständnis des Projekts

„Räume sind der Verwirklichungsort und der interkulturelle Aushandlungsort von Leben und Lebensgestaltung. Insofern sind es hochexistentielle Orte, die sich gegenwärtig sozial und zeitlich neu konstituieren.“ (Hillebrand/Sehrig 2023, 15)

Im Sozialraum begegnet die Kirche den Menschen in zweierlei Formen: Zum einen als Institution in ihrer Pfarrei- und Gemeindestruktur, aber auch in verschiedenen Sozial- und Bildungseinrichtungen, durch Wohlfahrtsverbände und weitere kirchliche oder kirchennahe Vereine. Zum anderen ist die Kirche durch Menschen präsent, hauptamtlich Seelsorgende, ehrenamtlich Tätige und überzeugte Christ:innen, die für das christliche Glaubensgut Position beziehen, d. h. kirchlich gesprochen Zeugnis ablegen. Im öffentlichen Diskurs sind vor allem Veränderungen in der Pfarrei- und Gemeindestruktur Gegenstand der medialen Wahrnehmung, die zumeist mit Nachrichten über einen Mitgliederschwund, wie ein Fehlen hauptamtlichen Personals einhergehen (vgl. Becker 2020)[1]. Dabei kennt die katholische Kirche einen Veränderungsprozess der Pfarrei- und Gemeindestrukturen seit Jahrzehnten: Waren die katholischen Pfarreien in der Mitte des 20. Jahrhunderts vor allem auf die eigene Mitgliedschaft zentriert und alleine vom Klerus ‚versorgt‘ – dieses Modell firmiert in der Pastoraltheologie unter dem Begriff Pfarrerpfarre –, kam infolge des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) viel Engagement durch die Mitglieder in das gemeindliche Leben. Dieses orientierte sich auch noch an den eigenen Mitgliedern und gilt als Aktivistenpfarre (vgl. Widl 1997, 45ff.).

Mit der sukzessiven, quantitativen Reduzierung einer eigenen, aktiven (d. h. engagierten) Mitgliederstruktur veränderten sich die Bedürfnisse (und damit auch das Selbstverständnis) von Gemeindemitgliedern: So wurde der Fokus gemeindlichen Engagements zunehmend auf den Sozialraum gelegt: Diese Beobachtung führte zu einem neuen Typ von Gemeindemodell, das als die verbindliche Gemeinde bezeichnet wurde. Diese möchte den Menschen eines Sozialraums ein qualitatives Angebot für bildungsbezogenes, kulturelles oder soziales Wirken eröffnen. Zugleich inkludiert dieses Gemeindemodell ein stärker werdendes Bedürfnis der eigenen Mitglieder, geistliche Prägungen in religiösem Wissen und der Kultivierung einer eigenen Spiritualität zu vertiefen. Hierunter wird eine reflektierte und sprechfähige Haltung der gewöhnlichen Mitglieder zu den eigenen Sinnquellen verstanden (vgl. Widl 1997, 51).

Die kirchlichen Gemeindemodelle entwickeln sich weiter, in der Literatur zirkuliert hier der Begriff eines Schöpferischen Netzwerkes. Unter einem solchen wird ein prioritär auf den Sozialraum fokussiertes Engagement verstanden, das Kooperationen zu unterschiedlichen Akteur:innen sucht. Hierbei nehmen die Gemeinden eine Haltung der Augenhöhe in der Zusammenarbeit mit allen anderen Akteur:innen bzw. Partner:innen ein. Eine solche Haltung resultiert aus dem reflektierten Bewusstsein als auch positiver Erfahrungen in der Kooperation mit nicht-religiösen Partner:innen, sowie dem Bewusstsein, dass die finanziellen wie personellen Ressourcen der Kirche spürbar verknappt sind und sich erwartbar weiter reduzieren (vgl. Widl 1997, 53). Damit aus den kirchlichen Gemeinden heraus Impulse für die Zivilgesellschaft möglich sind, sind diese auf die Netzwerke in Sozialräumen essentiell angewiesen. Diese binnenkirchlichen Strukturentwicklungen begünstigen die Zuwendung sowie Auseinandersetzung mit weiteren Akteur:innen.

Herausfordernd ist allerdings, dass mitunter Pfarreien oder Pastorale Räume entstehen, die sogar größer als politische Landkreise sind. Hier werden Sozialräume als Bezugsgrößen angenommen, die weit über den alltäglichen geographischen Lebensfokus vieler Menschen hinausgehen und deswegen von immer weniger Menschen als lokal und damit konkret bezogen auf ihren Sozialraum wahrgenommen werden.

Dagegen möchte das Projekt Die Türöffner bewusst im Sozialraum der Menschen wirken und ist weitgehend unabhängig von den kirchlich-pastoralen Strukturentwicklungen. Das Projekt bietet im lokalen, konkreten Wirken eine zweifache Veränderung: Zunächst begrenzt sich das Wirkfeld in dem Projekt nicht auf die Strukturen der katholischen Pastoral oder verbandlichen Caritas. Die Türöffner sind explizit auf ein Mitwirken angelegt und damit ein Vernetzungsprojekt mit allen Menschen guten Willens innerhalb eines Sozialraums. Der Ansatz des gemeinsamen Handelns ist einer, der im Projektvorhaben systemisch angelegt ist. Somit ist das Projekt eines, das ganz bewusst ‚den eigenen Kirchturm‘ überschreiten und weitere Akteur:innen in das Handlungsnetz inkludieren möchte.

Die zweite Veränderung im Projekt Die Türöffner für den Sozialraum ist eine, die ganz wesentlich in die kirchlichen Strukturen hineinwirkt. Ein aus dem sozialen Wirken der Kirche entstandenes Graswurzelprojekt, das dem bottom-up-Ansatz folgt und nicht von der kirchlichen Amtshierarchie (Struktur) angeleitet wird und zugleich auf das Miteinander mit verschiedenen Akteur:innen im Sozialraum konstituiert ist, ist ein Paradigmenwechsel. Das Projekt zeigt damit an, dass – auch bei einer sich verändernden kirchlichen Pastoralstruktur – von engagierten Christ:innen inspirierte Projekte in den Sozialraum wirken, die das Ziel haben, den Menschen in seinem So-Sein anzunehmen und für das Gelingen des Lebens im Alltag sich zu engagieren (vgl. Kießig/Sewöster-Lumme 2023, 102). Mit dem Projekt Die Türöffner können Menschen aus einer christlichen Motivation für ihre Mitmenschen in einem konkreten Sozialraum kleinteilig und konkret handeln, indem sie Begegnungen ermöglichen. Die Methodik des Projektes ist innovativ, der Handlungsraum explizit der öffentliche Sozialraum.

Wird die Motivation der Engagierten oder das Projekt mit einem explizit religiösen Hintergrund korreliert, so könnte man sagen, dass Gott durch konkrete Menschen im Sozialraum wirkt. Insofern man diesen religiösen Blick nicht anwendet, sieht man ein humanitäres Projekt mit Unterstützung in den Ressourcen aus Kirche und Caritas.

Literatur

Becker, Caroline: Art. Acht Dörfer sollen eine Gemeinde werden. In: FAZ vom 06. Mai 2020.

Bistum Trier (Hg.): Art. Christsein vor Ort in den Pfarreien. In: https://www.bistum-trier.de/unser-bistum/vor-ort/pfarreien/uebersicht/index.html Zugriff: 03. März 2025.

CKD [=Caritas-Konferenzen Deutschlands e.V.] (2024): CKD-Jahresbericht 2023. Eigenverlag, Berlin.

CKD-Bundesverband (2025): Art. Forum „Die Türöffner“. In: https://www.ckd-netzwerk.de/bundesprojekte/aktuelle-bundesprojekte/die-tueroeffner/forum-die-tueroeffner/forum-die-tueroeffner Zugriff: 21. März 2025.

Hillebrand, Bernd/Sehrig, Jürgen (2023): Soziale Arbeit und Pastoral – neu verbunden. Auf dem Weg zu einer sozialraumorientierten Vernetzung. Ostfildern: Matthias Grünewald Verlag.

Kießig, Sebastian (2024): Einsamkeit: Definitorische Zugänge und locus theologici in der praktischen Theologie. In: Kießig, Sebastian/Möde, Erwin (Hrsg.): Einsamkeit im Alter. Facetten, Konzeptionen und Praxisfelder, Herder Verlag, Freiburg i. Br.

Kießig, Sebastian/Sewöster-Lumme, Monika (2023): Der Türöffner. Ein praktischer Umgang mit Einsamkeit. In: Lebendige Seelsorge (74), S.100-103.

Widl, Maria (1997): Kleine Pastoraltheologie. Verlag Styria, Graz


Fußnote

[1] Allein im Bistum Trier werden beispielsweise bis 2026 die vormals 172 selbstständigen Pfarreien-Gemeinschaften zu 34 neuen Pastoralen Räumen fusioniert, was mit einer Reduzierung hauptamtlicher Mitarbeiter:innen einhergeht (vgl. Bistum Trier 2025).


Zitiervorschlag

Kießig, Sebastian (2025): Die Türöffner als sozialräumliches Graswurzelprojekt im Umfeld der Caritas. In: sozialraum.de (16) Ausgabe 1/2025. URL: https://www.sozialraum.de/die-tueroeffner-als-sozialraeumliches-graswurzelprojekt-im-umfeld-der-caritas.php, Datum des Zugriffs: 19.06.2025