Erfahrungen und Herausforderungen mit dem Beteiligungsformat „Planungswerkstatt“ im Stadtteil Jena Winzerla
Andreas Mehlich
In diesem Beitrag möchte ich das Beteiligungsformat „Planungswerkstatt“ in Winzerla reflektieren sowie deren theoretische und handlungsmethodische Grundlage diskutieren. Insgesamt betrachte ich vier Planungswerkstätten [1] im Zeitraum von 2009 bis 2020.
1. Handlungstheoretische Gedanken
Als erstes möchte ich den Prozess „Planen mit Bürger:innen“ aufgreifen und, wenn auch im Nachgang, handlungstheoretisch begründen. Bürgerbeteiligung hat ein gesellschaftliches Standing im Sinne eines politisch-demokratischen Selbstverständnisses erreicht und wird als Handlungsprinzip akzeptiert. Es geht also nicht um das „ob“, sondern vielmehr um das „wie“ und „wann“ bei baulichen Planungsprozessen beteiligt wird. Dennoch frage ich grundsätzlich, wozu sollen Bürger:innen bei baulichen Planungen beteiligt werden. Immerhin habe ich es in meiner Praxis als Quartiermanager erlebt, dass dies nicht selbstverständlich ist. Um dem „wozu“ argumentativ zu begegnen, wird meist das demokratische Grundverständnis unserer Gesellschaft bemüht. Das ist ein wichtiger und nicht infrage zu stellender Aspekt.
Doch wie lässt sich Partizipation bei Planungsprozessen über die Soziale Arbeit theoretisch und methodisch begründen? Soziale Arbeit braucht einen Auslöser, ein soziales Problem, um „aktiv“ zu werden. Bei einer Wohnumfeld-Maßnahme muss nicht unbedingt ein soziales Problem vorliegen. Natürlich können bauliche Strukturen soziale Probleme verursachen. Um einem sozialen Problem zu begegnen, gibt es professionelle Erklärungsansätze zum Beispiel über die Handlungswissenschaft von Silvia Staub-Bernasconi (Bernasconi 2018, 195-242).
Hier geht es aber um planerische Prozesse, die sich auf einen Rahmenplan oder auf ein städtebauliches Leitbild beziehen und investive Maßnahmen vorausschauend mitplanen, oder außerhalb davon Wohnumfeldverbesserungen, um den entsprechenden Sozialraum weiterzuentwickeln bzw. zu qualifizieren.
Partizipation wird meist ein Diskussionsthema im Kontext von sozialen Schieflagen und ungleichen Machtverhältnissen. Vielmehr sollte Partizipation als ein personenbezogenes „Grundrecht“ betrachtet werden.
Daher die Frage, wie lässt sich Partizipation in der Stadtentwicklung legitimieren und grundlegend verankern? Ich sehe einen Ansatz im Lebenslagenkonzept. Das Wohnumfeld kann als Lebenslage angesehen werden, denn es bestimmt das menschliche Wohlbefinden vor Ort maßgeblich mit. Das wiederum beeinflusst das Lebensgefühl und damit trägt es zur Konstruktion meiner Lebenswelt bei. Und um diesen Prozess positiv zu gestalten, braucht es Partizipation bei Planungen im Wohnumfeld. An dieser Stelle möchte ich an die Lebensweltorientierung von Hans Thiersch anknüpfen. Mit seiner Theorie und seinem Handlungskonzept zugleich beschreibt er unter anderem Einflussfaktoren wie die Lebenslagen, die auf die Lebenswelt einwirken und diese beeinflussen und prägen. Thiersch nennt drei Dimensionen, die die Lebenswelt und damit den Alltag strukturieren. Neben der erlebten Zeit und den erlebten Beziehungen spielt der erlebte Raum, und darunter zählt neben der Wohnung auch der öffentliche Raum, sei es der Stadtteil oder das direkte Wohnumfeld (Thiersch 2020, 55f.). Thiersch stellt mit der Konstruktion bzw. Rekonstruktion der Lebenswelt einen theoretischen Bezugsrahmen für das soziale Handeln her. Jedoch zielt die Lebensweltorientierung als Handlungskonzept mit den Struktur- und Handlungsmaximen auf Adressat:innen Sozialer Arbeit. Dadurch ist der Ansatz „defizitär“ ausgerichtet. Das heißt, bei Adressat:innen liegen artikulierte soziale Problemlagen und die Initiierung eines Hilfeprozesses vor. Bei Planungsprozessen sind die Beteiligten keine Adressat:innen Sozialer Arbeit, zumindest werden sie per definitionem nicht als diese betrachtet. Daher stellt sich weiter die Frage, welches Handlungskonzept den Bogen zur Lebenswelt der beteiligten Menschen spannen kann, ohne diese als Adressat:innen Sozialer Arbeit zu betrachten. Hier bietet sich als Handlungskonzept die Gemeinwesenarbeit (GWA) an (Stövesand/Stoik 2013, 16).
Abgesehen von verschiedenen GWA-Ansätzen verkörpert die Stärkung der Selbstwirksamkeit ein wesentliches Grundprinzip der GWA sowie der Sozialen Arbeit als Profession generell (Galuske 2013, 107-110). Und die Stärkung der Selbstwirksamkeit – das für mich ein menschliches Entwicklungsziel grundlegender Natur darstellt – ist mit einem weiteren Grundmoment der Sozialen Arbeit verknüpft: der Koproduktion (von Spiegel 2021, 35-37). Im Kontext der Bürgerbeteiligung meint dies die Mitwirkung der Beteiligten am Planungsprozess, ergo als Voraussetzung für die Entfaltung von Selbstwirksamkeit. Partizipation hat hier zwei Qualitäten, einerseits eine individuelle, indem die Selbstwirksamkeit der Beteiligten gestärkt wird, andererseits eine sozialräumliche, die sich auf die Gestaltung des lokalen Raumes bezieht.
Die handlungstheoretische Begründung und Herleitung lässt sich wie folgt darstellen: Als Theorie Sozialer Arbeit und damit als Erklärungsansatz bietet sich die Lebensweltorientierung, als Handlungskonzept die Gemeinwesenarbeit, und um das im Handlungskonzept verankerte Ziel – die Stärkung der Selbstwirksamkeit – umzusetzen, die Planungswerkstatt unter der Prämisse der Bürgerbeteiligung als Methode an.
2. Die Planungswerkstatt als Handlungsrahmen
Ziel war und ist es, einen Handlungsrahmen zu gestalten, um erstens Beteiligung sicherzustellen und zweitens Selbstwirksamkeit zu ermöglichen. Langfristiges Ziel ist der Aufbau einer Beteiligungskultur, die es per se nicht gibt, sondern sich entwickeln muss.
Nachfolgend möchte ich die Genese „unserer“ Planungswerkstatt, die zu den nicht verfassten Beteiligungsverfahren zählt, näher beleuchten. Zuvor ein paar Fakten zum Stadtteil Jena Winzerla. Es handelt sich um eine Großwohnsiedlung, die 2002 in das Programmgebiet „Soziale Stadt“ aufgenommen wurde und seit 2020 Programmgebiet des Bund-Länder-Programmes „Sozialer Zusammenhalt“ ist. An die Großwohnsiedlung grenzt eine Eigenheimsiedlung und das Dorf Winzerla. In Winzerla, inklusive Eigenheimsiedlung und Dorf, leben insgesamt 10.713 Einwohner*innen (Stand 31.12.2023). Die Großwohnsiedlung wurde in den Jahren von 1969 bis 1990 in Folge von drei Bauabschnitten errichtet. Das Neubaugebiet zeichnet sich durch 5- und 6-geschossige Blöcke aus, die in Hanglage gebaut wurden. Der Wohnungsbestand teilt sich im Wesentlichen auf zwei große Wohnungsunternehmen auf: die jenawohnen GmbH als städtisches Tochterunternehmen und die Wohnungsgenossenschaft Carl Zeiss eG. Neben diesen gibt es noch drei kleinere Genossenschaften, deren Liegenschaft jeweils ein bis zwei Blöcke umfassen.
Winzerla liegt vier Kilometer in südwestlicher Richtung vom Stadtzentrum der kreisfreien Stadt Jena entfernt und ist über den ÖPNV (mit Bus und Straßenbahn) sehr gut erreichbar. Die Großwohnsiedlung wird aus städtebaulicher Perspektive in drei Gebiete unterteilt, die sich durch eine unterschiedliche Bauweise (Zeilen- sowie Blockbauweise) auszeichnen. Im südlichen Teil mit einer eher lockeren Bebauung in Zeilenbauweise wohnen ältere Menschen, unter anderem Erstbezieher:innen aus den 1970er Jahren. In der Mitte und im nördlichen Teil, der durch eine Blockbebauung geprägt ist, ist die Einwohnerschaft sehr durchmischt (Familien, Single-Haushalte, Alleinerziehende). In der Großwohnsiedlung befinden sich vier Schulen (eine Grundschule, zwei Gemeinschaftsschulen mit einem Grundschulzweig und ein Gymnasium), fünf Kitas, zwei Einrichtungen der Jugendhilfe sowie zwei Seniorenheime. Die Versorgung wird durch zwei Einkaufszentren sowie vier Supermärkte abgesichert. Ebenfalls ist die medizinische Versorgung im Bedarfsfall vom Zahnarzt über Allgemeinmediziner bis hin zum Kinderarzt im Stadtteil abgedeckt. Seniorenarbeit findet über eine Begegnungsstätte statt. Neben Streetwork gibt es zwei Einrichtungen, die Jugendarbeit im Stadtteil anbieten.
Das Stadtteilbüro existiert seit 2001 und fungiert als zentraler Anlaufpunkt für die Bürger:innen im Stadtteil. Das federführende Amt ist der Fachdienst Stadtentwicklung und zugleich unser Auftraggeber und Ansprechpartner. Das Quartiermanagement übernahm die Moderation der Planungswerkstätten, mit dem Ziel, städtische Freiflächen im Quartier Winzerla zu gestalten.
Drei der erwähnten Planungswerkstätten fanden an der sogenannten Wasserachse statt, das als „städtebauliches Zentrum“ fungiert. Es handelt sich dabei um die zentrale Fußgängerachse, die durch die Mitte des Wohngebietes führt und eine Länge von ca. 400 Metern hat. Zum Teil schlängelt sich ein künstlich angelegter Wasserlauf am Weg entlang. Ein vorrangiges Ziel der Stadtentwicklung war die Wasserachse in Winzerla zu gestalten.
Ich habe in Jena Winzerla 2009 als Quartiermanager angefangen und noch im selben Jahr erfolgte eine Planauslegung zur Gestaltung der imaginären Quelle der Wasserachse sowie einer sich daran anschließenden Kaskade. Solche Auslegungen kannte ich aus anderen Programmgebieten. Der „fertige“, wenn auch nicht finale Plan, wurde im Stadtteilbüro ausgelegt. Über einen bestimmten Zeitraum, in diesem Fall ein Monat, wurde den Bürger:innen die Gelegenheit gegeben, ihre Anmerkungen zum Plan einzureichen. Meine Aufgabe war es, diese zu sammeln. Es wurden die klassischen Anmerkungen geäußert wie z.B. hier fehlt noch ein Papierkorb und dort noch eine Sitzbank. Dennoch wurden wichtige Hinweise aus der Bewohnerschaft eingebracht, die ein Umplanen zur Folge hatten. Zum Beispiel wurde die Existenz eines Rodelhanges nicht berücksichtigt und der imaginäre Quelllauf musste planerisch verlegt werden.
Abbildung 1: Treffen der Planungswerkstatt (Quelle: Eigene Aufnahme)
Es gab auch eine Begehung, in der die Bürger:innen, in diesem Falle die direkten Anwohner:innen, einzelne Punkte im Plan nochmals vor Ort diskutierten. Die Planung sah auch eine Bepflanzung von Obstbäumen vor. Für die einzelnen Bäume vergaben wir Patenschaften und konnten für die Idee Bürger:innen sowie im Stadtteil ansässige Einrichtungen wie z.B. eine Kita, die in direkter Nachbarschaft ihren Standort hat, gewinnen.
Abbildung 2: Treffen der Planungswerkstatt (Quelle: Eigene Aufnahme)
Nach der baulichen Fertigstellung veranstalteten wir noch eine feierliche Einweihung mit der offiziellen Vergabe der Patenschaften durch den Oberbürgermeister der Stadt Jena. Beschwerden über das Planungsverfahren gab es seitens der Bewohnerschaft nicht. Sicher hätte es so weitergehen können, jedoch wurden aus meiner Sicht die Bürger:innen nicht ausreichend beteiligt. Daher unterbreitete ich der zuständigen Stadtplanerin für Winzerla den Vorschlag, ob wir in der nächsten Planungswerkstatt ohne „fertigen“ Plan, also nur mit der „Geländekarte“ und den Gebäudegrundrissen arbeiten können. Auf diesen Vorschlag ließ sie sich ein und seitdem arbeiteten wir mit einem „leeren“ Plan. Die erste Planungswerkstatt mit diesem Vorgehen war ein Experiment für alle Beteiligten. Für die Stadtplanerin, den zuständigen Landschaftsarchitekten, der sich darauf einlassen musste und eher eine moderierende Rolle übernahm und natürlich für die Bürger:innen, die eine aktive Rolle als Expert:innen einnahmen. Immerhin kennen die Bürger:innen ihren Stadtteil am besten, die Zugänge und Wege, Flächen und Plätze, die sie täglich nutzen bzw. nicht nutzen.
3. Winzerlaer Planungswerkstatt 2.0
Bevor die eigentliche Planung startete, gab es entsprechende Vorarbeiten bezüglich der Öffentlichkeitsarbeit. Wir kündigten alle Planungswerkstätten immer in der monatlich erscheinenden Stadtteilzeitung an und verschickten zusätzlich persönliche Einladungen oder Flyer, um auf die geplante Wohnumfeldmaßnahme hinzuweisen. Welche Art der Ansprache wir nutzten, richtete sich nach der Anzahl der „betroffenen“ Einwohner*innen in der unmittelbaren Nähe des Vorhabens, bei 300 Einwohner:innen ist noch eine persönliche Einladung machbar, bei 3.000 Einwohner:innen bietet sich eher ein Flyer an, der über das Vorhaben und die Auftaktveranstaltung informiert.
In der ersten Veranstaltung wurde das Vorhaben von der Stadtplanerin sowie vom Stadtarchitekten und dem beauftragten Landschaftsarchitekturbüro vorgestellt. In der zweiten Sitzung folgte eine Vor-Ort-Begehung mit Diskussion und Anregungen zur örtlichen Situation.
Abbildung 3: Treffen der Planungswerkstatt im Stadtteil (Quelle: Freiraum für alle GmbH; Berliner Büro für Landschaftsarchitektur, Landschaftsplanung und Partizipation)
Bei dieser Planungswerkstatt galt es, Lösungen für ein allabendliches Parkplatzchaos vor einer Turnhalle und eine ständig zugeparkte Feuerwehreinfahrt zu finden. Sowie ging es um die Gestaltung des Überganges vom Wohngebiet in die angrenzende Natur (Wiesenflächen). Wir führten im Vorfeld eine „aktivierende Befragung“ durch und gewannen so Teilnehmer:innen für die Planungswerkstatt. Zur Untersuchung der Verkehrssituation vor Ort führten wir eine 14-tägige Beobachtung der Stellplatzsituation zu unterschiedlichen Zeiten durch. Die Bürger:innen von Anfang an zu beteiligen wurde gut angenommen. Nach fünf Monaten lag der fertige Plan vor.
Die dritte Planungswerkstatt hatte zum Ziel, den Eingangsbereich und zentralen Zugang zur Wasserachse neu zu gestalten. Im Vorfeld führte ich mit zwei Studierenden der Sozialen Arbeit ein „aktivierende Befragung“ bezogen auf das neu zu gestaltende Areal durch. Die Befragung ergab, dass die Bürger:innen sich nur marginale Änderungen wünschten. Ich stellte die Befragungsergebnisse der Stadtplanerin vor und sie meinte: „Wenn wir danach gehen, können wir das Projekt fallen lassen.“. Hier trafen zwei Perspektiven aufeinander, die der befragten Bürger:innen und der Stadtentwicklung. Auf eine Planung im kleineren Stil ließ sich die Stadtplanerin nicht ein. Hinter der Verweigerungshaltung standen verschiedene Zwänge wie Erfüllung des Rahmenplanes und letztendlich auch Prestigeansprüche der Stadtentwicklung. Ich gehe auf den Sachverhalt nochmals im Kapitel „Herausforderungen und Chancen“ näher ein.
Abbildung 4: Treffen der Planungswerkstatt im Stadtteil (Quelle: Freiraum für alle GmbH; Berliner Büro für Landschaftsarchitektur, Landschaftsplanung und Partizipation)
Nach einer Vor-Ort-Begehung arbeiteten wir ab der dritten Sitzung am Plan. Die Teilnehmenden der Planungswerkstatt zeichneten die Wegebeziehungen und brachten ihre Erfahrungen ein. Auch Perspektiven und Wünsche von Kindern flossen in die Entwürfe mit ein. Der (beauftragte) Landschaftsarchitekt arbeitete alle Vorschläge in seinen Entwurf ein, den er in der darauffolgenden Planungswerkstatt präsentierte. Mit dieser Grundlage wurde dann weitergearbeitet. Es gab im Planungsverlauf noch eine weitere Begehung und einen Vorschlag aus der Planungsgruppe, die nachfolgend für Furore sorgte. Im Eingangsbereich befindet sich eine vierspurige und stark befahrene Straße, die überquert werden muss, um auf der anderen Straßenseite einen Bus stadteinwärts zu erreichen. Überirdisch ist es ein Wagnis, die Straße zu überqueren. Stattdessen steht ein Fußgängertunnel zur Unterquerung zur Verfügung. Aus der Planungsgruppe wurde der Vorschlag geäußert, ob es möglich sei, eine Ampel zu installieren. Der Vorschlag wurde seitens der Stadtplanung aufgenommen, geprüft und ein Ingenieurbüro zur Begutachtung der Verkehrssituation beauftragt. Ebenfalls wurde eine Simulation erstellt, die wir auf unserer Webseite präsentierten.
An der Ampel-Idee schieden sich die Geister. Die Vertreter:innen der „Autofahrlobby“ lehnten die Ampel kategorisch ab und argumentierten, diese störe den Verkehrsfluss. Die andere Fraktion bediente sich einer moderneren Argumentationslogik: die Fußgänger:innen aus dem Verkehrsraum unterirdisch zu verbannen, habe ausgedient. Der amtierende Ortsteilrat sprach sich für die Ampel aus. Das wiederum erhitzte die Gemüter und trieb „Ampel-Kritiker“ in die Planungswerkstatt. Hinzu kam, dass während des Planungsprozesses die Legislaturperiode des Ortsteilrates auslief und ein neuer Ortsteilrat die Bühne des Geschehens betrat.
Dieser diskutierte erneut das Ampelthema und sprach sich für einen Planungsstopp sowie gegen die Ampel aus. Die endgültige Entscheidung oblag dem Stadtentwicklungsausschuss. Es war eine Zitterpartie, mit nur einer Stimme Mehrheit wurde die Installation der Ampel beschlossen.
Die Prüfung der Ampel-Idee nahm viel Zeit in Anspruch und der Planungsprozess stagnierte. Die Zusammensetzung der Teilnehmenden in der Planungswerkstatt wechselte, einige gingen, andere kamen hinzu. Die Planung musste wegetechnisch angepasst werden. Durch die öffentliche Diskussion gewann die Planungswerkstatt immer mehr an Bedeutung und zog neue Bürger:innen an, die mitreden wollten, doch im Grunde war die Planung abgeschlossen. Trotz des Beteiligungsparadoxon (Hirschner 2017) war der zuständige Landschaftsarchitekt sehr geduldig. Er verfasste insgesamt 21 Entwürfe, die Regel sind zwei bis drei. Der gesamte Planungsprozess zog sich über zwei Jahre hin. Ein Jahr dauerte dann noch die Umsetzung und hier stockte es erneut, weil die beauftragte Baufirma während der Bauausführung Insolvenz anmeldete.
Ich möchte noch auf eine weitere Planungswerkstatt eingehen, die sich auf eine Freiflächengestaltung im Wohngebiet bezog. Ziel war es, eine Wiesenfläche funktional umzugestalten. Es entstanden ein Spielareal, eine Natur- und Wiesenfläche mit Blühstreifen und ein Ruhebereich. Die Planungswerkstatt umfasste drei Treffen innerhalb von fünf Monaten. Die Auftaktveranstaltung koppelten wir mit einer Begehung und Ideensammlung. Bei dieser Planungswerkstatt bot sich das Prinzip des systemischen Konsensieren an. Das Vorgehen diesbezüglich gestaltete sich so, dass in der folgenden Veranstaltung die Ideen aus der ersten Runde alle aufgelistet, einzeln diskutiert und anschließend „bewertet“ wurden. Wenn es keine Widerstände gab, dann bekam die Idee bzw. der Gegenstand die Farbe Grün. Gelb wurde vergeben, wenn es Widerstände bzw. Bedenken zur Idee gab. Und Rot bedeutete, wenn die Idee bzw. der Gegenstand einstimmig nicht gewollt wurde. Eine Idee wurde durchgestrichen und damit generell verworfen, wenn es stadtplanerisch sowie aus Kostengründen nicht realisiert werden konnte. In diesem Fall gab es zu den mit Gelb markierten Punkten eine intensive Diskussion über die Bedenken. Erstaunlicherweise gab es von insgesamt 37 Nennungen nur zwei „gelbe“. Unter anderem wurde sich der Erhalt der Naturnähe (viel Wiesenfläche) gewünscht und sich gegen zu viel „Beton“ ausgesprochen. Der Widerstand bezog sich hier gegen eine geplante Graffiti-Wand. Dafür fanden wir einen anderen Standort im Stadtteil. Zu allen Punkten herrschte am Schluss ein wirklicher Konsens. Das heißt, es gab keine Widerstände seitens der Beteiligten in Bezug auf die Umsetzung der einzelnen Ideen. In der dritten Sitzung stellte das beauftragte Architekturbüro verschiedene mögliche Umsetzungsvarianten mit entsprechenden „Stadtmöbeln“ sowie Bepflanzungen vor. Aus dieser Veranstaltung gingen alle Beteiligten zufrieden heraus und vertrauten darauf, dass diese Dinge wie besprochen umgesetzt werden. Und wir natürlich auch. An dieser Stelle war der Beteiligungsprozess für uns beendet. Alles Weitere wurde dann zwischen der Stadtentwicklung und dem beauftragten Architekturbüro sowie der Baufirma besprochen.
Die erste Überraschung erlebten wir als ein riesiger Kieshügel auf der Fläche aufgeschichtet wurde und wir einen Eindruck bekamen, wie viele Schichten Steine und Beton in und auf das Erdreich eingebracht werden. Die zweite Überraschung folgte nach der Fertigstellung. Geplant war ein Sinnespfad für Senior:innen des gegenüberliegenden Seniorenheimes. Die Gestaltung wurde noch vor der ersten Veranstaltung mit der Sozialarbeiterin des Pflegeheims und dem beauftragten Planungsbüro abgesprochen. Der Sinnespfad wurde auf Betonzylinder unterschiedlicher Dicke und Höhe und ein paar in die Erde eingebrachten Hölzern reduziert. Eine Herausforderung, die für die eigentliche „Zielgruppe“ aus dem Seniorenheim nicht zu bewältigen war. Statt der geplanten Calisthenics-Elemente für Jugendliche wurden ein paar Reckstangen für Kinder aufgestellt. Auch der Klettercubus für Jugendliche und Erwachsene mutierte zu einem Boulderprisma für Kinder. Das Bodentrampolin sowie die besprochenen Nistkästen und Insektenhotels fehlten gänzlich. Wir sahen uns in der Pflicht zu reagieren. Eine Herausforderung, die an unsere Haltung appellierte. Wir kommunizierten das gegenüber der Verwaltung und dem beauftragten Architekturbüro und wollten eine Stellungnahme dazu in der Stadtteilzeitung veröffentlichen, die seitens der Stadtentwicklung nicht autorisiert wurde. Abgesehen von der Haltung haben wir als Moderator:innen Verantwortung für den Prozess übernommen und die Ergebnisse stellten unsere Glaubwürdigkeit infrage. Daher entschieden wir uns, die Dinge transparent zu machen. Wir sprachen mit dem für Winzerla zuständigen Redakteur der Tagespresse, der den Sachverhalt in einem Artikel umfassend darstellte.
Mit diesen bruchstückhaften Ausführungen und Einblicken in unsere Planungswerkstätten möchte ich es an dieser Stelle belassen und abschließend die gemachten Erfahrungen reflektieren und auf einzelne Punkte näher eingehen.
4. Herausforderungen und Chancen
Eingangs fragte ich, wozu Bürgerbeteiligung? Erstens um eine Kultur zu entwickeln, die ein Beteiligen und Mitwirken zulässt. Die Planungswerkstatt betrachte ich diesbezüglich als einen lernenden Organismus. Ein Patentrezept, wie am besten beteiligt wird, gibt es meiner Meinung nach nicht. Zweitens sind die Anwohner:innen mit ihrer „Innenperspektive“ die Expert:innen vor Ort. Sie bringen lokales Wissen in den Planungsprozess ein, das den Planer:innen mit ihrer „Außenperspektive“ fehlt. Durch das Einbringen beider Perspektiven entsteht ein ganzheitlicher Blick auf das Planungsvorhaben. Somit werden „Fehlplanungen“ minimiert. Drittens, um die Menschen in ihrer Entwicklung zu fördern, indem sie die Chance bekommen, sich aktiv in den Planungsprozess einzubringen und damit ihre Selbstwirksamkeit stärken können. Vor allem hat sich mit der Planungswerkstatt 2.0 die Rolle des beteiligten Bürgers gewandelt. Die Rolle hat sich aus meiner Sicht von der Objekt- zur Subjektrolle transformiert. Und viertens fördert Beteiligung Begegnung und Austausch. Und das wirkt sich wiederum positiv auf das soziale Gefüge des Stadtteils aus.
Hingegen bringen die externen „Planer:innen“ (Stadtentwicklung sowie weitere Fachressorts und das beauftragte Landschaftsarchitektur-Büro) ihre fachliche Expertise und Außensicht in den Prozess mit ein, also was z. B. bei investiven Bauvorhaben wie eine Wohnumfeldmaßnahme an gesetzlichen Vorschriften und technischen sowie planerischen Details zu beachten ist. Eine Planungswerkstatt legitimiert die Planung. Für die „Verwaltung“ ist es weiterhin eine Möglichkeit und Chance zugleich im Miteinander Bürgernähe aufzubauen. Somit können Vorurteile auf beiden Seiten abgebaut werden. Die Planungswerkstatt kann als Lernort gesehen werden. Die Kommune, um zukunftsorientiert zu arbeiten, braucht solche „Sozialräume“. Gerald Hüther spricht von Potenzialentfaltung und der „Revitalisierung des kommunalen Lebens“ (Hüther 2013, 65). Und um dies zu ermöglichen, braucht es vieler solcher „Lernorte“.
Welche Herausforderungen und Lerneffekte haben die Planungswerkstätten mir persönlich „beschert“? In der Rolle als Stadtteilarbeiter und Moderator waren einige Situationen für mich herausfordernd. Abschließend ein paar Beispiele. Herr B., der mittlerweile nicht mehr lebt, war ein teilnehmender Bürger bei drei von den vier Planungswerkstätten, der sich meist sehr kritisch und zum Teil abwertend geäußert hat. Er hatte es einige Male auf die Stadtplanerin „abgesehen“ und im Verlaufe einer Sitzung wurde von den Teilnehmenden eine Abstimmung gefordert, ihn auszuschließen. Er sah es sportlich und war das nächste Mal wieder mit dabei. Ich erinnere mich auch noch an eine kuriose Situation mit ihm. Wir nutzten zeitweise für unsere Planungswerkstätten eine Räumlichkeit in einer Schule. Nach 17 Uhr wurde die Eingangstür abgeschlossen. Ich schaute nach einer Viertelstunde nochmal ans Tor, ob noch jemand wartete und sah Herrn B. wie er mit seinem Beutel über den Zaun stieg, mit über 70 Jahren! Er wollte unbedingt dabei sein, um nichts zu verpassen.
Schwierig gestaltete sich die erwähnte „Ampelfrage“ in der dritten Planungswerkstatt. Nicht die Diskussion darüber war „schwierig“, sondern die Reihenfolge der Diskussion. Bevor wir eine Chance hatten das Thema öffentlich aufzugreifen, lag bereits das „politische“ Votum seitens des Ortsteilrates vor. Und erst danach entfachte sich die öffentliche Diskussion darüber. Die Herausforderung war hier, die Diskussion sachlich einzufangen und transparent zu machen. Hier gab es keine klare Absprache zwischen der von der „Verwaltung“ forcierten Abstimmung im Ortsteilrat und der Planungswerkstatt. Das zeigte, dass die Anerkennung und damit die Wertigkeit der Planungswerkstatt und ihrer Ergebnisse als zweitrangig von der Verwaltung wie der Politik betrachtet wird. Stattdessen werden die legitimierten Verwaltungswege gegangen und die öffentlich anerkannten Gremien als „Anhörungs- und Abstimmungsorgane“ bevorzugt.
Ein weiterer Punkt war meine Haltung als Stadtteilarbeiter. Ich vertrete eine Haltung, hinter der ein professioneller Anspruch und eine Sinnhaftigkeit steht, was Gemeinwesenarbeit im Grundansatz bedeutet und was „echte“ Bürgerbeteiligung darstellt. Es gab Situationen, in denen ich sehr unzufrieden war. Erschwerend kommt hinzu, dass eine Begegnung zwischen Stadtteilbüro und Verwaltung nicht auf Augenhöhe stattfindet. Seitens der Stadtentwicklung wurden größtenteils die Themen und planerischen Abläufe gesetzt. Ich erwähnte die aktivierende Befragung in der dritten Planungswerkstatt, die nicht von der Stadtentwicklung „autorisiert“, mir aber aus Sicht der Gemeinwesenarbeit methodisch wichtig war. Die Nichtbeachtung der Ergebnisse, die fundamental den Planungsprozess beeinflusst hätten, wurden ignoriert. Rebellieren, an die Öffentlichkeit gehen? Ich verbuchte es als eine prägende Erfahrung. Auch wenn die Doppelrolle Stadtteilarbeit und Moderator Vorteile hat, in diesem Fall war und ist es ein Nachteil. Eine „neutrale“ Moderation hätte die Ergebnisse in den Prozess einspeisen können. Doch wie „neutral“ kann eine Moderation sein? Ich bin diesbezüglich skeptisch, da eine Moderation immer beauftragt wird, in diesem Fall von der Stadtentwicklung. Hinzu kommt ein gewisse „Abhängigkeit“, die das Arbeitsverhältnis prägt. Da das Verhältnis zwischen Stadtentwicklung bzw. Verwaltung und Stadtteilbüro kein Verhältnis auf Augenhöhe ist, ist es immer eine Gradwanderung. Zum Beispiel, sich sachlich kritisch zu äußern. Ein Medium, was uns diesbezüglich zur Verfügung steht, ist die Stadtteilzeitung. Aber auch hier sind unsere Freiheitsgrade beschränkt.
Ich möchte noch kurz auf die Situation eingehen, die uns in der letzten hier vorgestellten Planungswerkstatt passierte, nämlich dass ein Teil der verabredeten Gegenstände nicht installiert wurde. Diese Erfahrung komplettierte unsere Sicht auf das Thema Beteiligung, zukünftig den Planungsprozess bis zum Schluss, den Plan bis zur Bauausführung achtsam zu begleiten. Ein souveränes Auftreten der Stadtentwicklung, sich zu „Planungsfehlern“ öffentlich zu bekennen, fehlt(e). Ein „Fall“ für die Haltung. Wir entschieden uns wie bereits dargestellt, mit unserem Anliegen an die Öffentlichkeit (Tagespresse) zu gehen.
Rückblickend war für mich das Format Planungswerkstatt ein lehr- und erfahrungsreicher „Ort“. Die Prozesse mit all ihren Beteiligten haben mich immer wieder zur Klarheit im Handeln und zur Prüfung meiner Haltung aufgefordert. Daher sehe ich dankbar auf das Erlebte mit dem Format Planungswerkstatt zurück.
5. Auf einen Blick: Was bewirkt Bürgerbeteiligung im Rahmen einer Planungswerkstatt?
- Schaffen von Bürgernähe für die „Verwaltung“
- Konstruktives Miteinander, Abbau von Vorurteilen wie „Bürger meckern nur“ oder „Verwaltung ist ignorant und macht sowieso nur, was sie will“
- Lernprozess für alle Beteiligten
- Schaffen einer Beteiligungs-, Begegnungs- und Diskussionskultur
- Potentialentfaltung
- Übungsort für systemisches Konsensieren
- Innen- und Außensichten werden gebündelt und ergeben ein ganzheitliches Bild
- Vorbeugen von Fehlplanungen
- Stärkung der Selbstwirksamkeit der Beteiligten
- Einfluss auf das soziale Klima des Stadtteils
- Reflexion und Festigung der (professionellen) Haltung – hier bezogen auf die Stadtteilarbeit
Literatur
Galuske, Michael (2013): Methoden der Sozialen Arbeit. Eine Einführung. 10. Aufl. Verlag Beltz Juventa, Weinheim/Basel.
Hirschner, Ruthard (2017): Beteiligungsparadoxon in Planungs- und Entscheidungsverfahren.https://www.vhw.de/fileadmin/user_upload/08_publikationen/verbandszeitschrift/FWS/2017/6_2017/FWS_6_17_Beteiligungsparadoxon_in_Planungs_und_Entscheidungsverfahren_R._Hirschner.pdf [Zugriff: 02.05.2025]
Hüther, Gerald (2013): Kommunale Intelligenz. Potenzialentfaltung in Städten und Gemeinden. edition Körber-Stiftung, Hamburg.
von Spiegel, Hiltrud (2021): Methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit. 7. Aufl. Verlag Ernst Reinhardt, München.
Staub-Bernasconi, Silvia (2018): Soziale Arbeit als Handlungswissenschaft. Soziale Arbeit auf dem Weg zu kritischer Professionalität. 2 Aufl. Verlag Barbara Budrich, Opladen/Toronto.
Stövesand, Sabine/ Stoik, Christoph (2013): Gemeinwesenarbeit als Konzept Sozialer Arbeit – eine Einleitung. In: Stövesand, Sabine/ Stoik, Christoph/ Troxler, Ueli (Hrsg.) (2013): Handbuch Gemeinwesenarbeit. Traditionen und Positionen, Konzepte und Methoden. Verlag Barbara Budrich, Opladen/Berlin/Toronto, S. 14-26.
Thiersch, Hans (2020): Lebensweltorientierte Soziale Arbeit – revisited. Verlag Beltz Juventa, Weinheim/Basel.
Fußnoten
[1] Die einzelnen Beiträge zu den Planungswerkstätten sind auf www.winzerla.com sowie in den Stadtteilzeitungen, siehe Archivfunktion (Suche nach Jahrgängen), einsehbar.
Zitiervorschlag
Mehlich, Andreas (2025): Erfahrungen und Herausforderungen mit dem Beteiligungsformat „Planungswerkstatt“ im Stadtteil Jena Winzerla. In: sozialraum.de (16) Ausgabe 1/2025. URL: https://www.sozialraum.de/erfahrungen-und-herausforderungen-mit-dem-beteiligungsformat-planungswerkstatt-im-stadtteil-jena-winzerla.php, Datum des Zugriffs: 19.06.2025