Zur Entstehung und Bedeutung des »Recht auf Stadt« im Werk Lefebvres

Marcel Schmidt

1. Einleitung

»Recht auf Stadt« – ein Slogan, unter dem sich weltweit Protestbewegungen verschiedener Ausrichtungen zusammenfinden (zum Überblick Holm/Gebhardt 2011; Holm 2018), der es von der Straße über die Stadtparlamente bis zur »New Urban Agenda« der Vereinten Nationen (Habitat III) geschafft hat. Auch der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU 2016) beruft sich auf Lefebvres »Recht auf Stadt«, um »Die transformative Kraft der Städte« hinsichtlich der gegenwärtigen Klimaproblematik herauszustellen. Allerdings verbirgt sich hinter dem »Recht auf Stadt« weit mehr als ein griffiger Slogan und auch die konzeptionelle Einarbeitung des WBGU (2016) in anstehende Transformationsprozesse der Städte löst das »Recht auf Stadt« aus dem Werk Lefebvres sowie dessen philosophischen wie gesellschaftstheoretischen Implikationen heraus und verkürzt es dadurch zu einem »Recht auf Stadt«-light. Aus diesem Grund wird hier der Versuch unternommen, das »Recht auf Stadt« in der Reichweite Lefebvres anderer Schriften aufzuarbeiten. Dieser Versuch muss notwendigerweise als unvollständig gelten und kann nicht mehr als den Anspruch eines kursorischen Überblicks haben. In diesem Artikel kann nicht das Gesamtwerk Lefebvres von mehr als 60 Büchern und weit über 200 Artikeln (eine Übersicht stellt Müller-Schöll 1999, 296 ff. zusammen) systematisch ausgearbeitet und kritisch gewürdigt werden – selbst wenn es eine Gesamtausgabe der Werke Lefebvres bereits gäbe. Stattdessen muss sich auf eine Auswahl beschränkt werden. Weit umfassendere und kritische Würdigungen des Themenfeld Stadt im Gesamtwerk Lefebvres findet sich u. a. bei Merrifield (2006), Guelf (2010), Schmid (2010), Dell (2014) und Roskamm (2017). Der folgende Beitrag beginnt mit einer kurzen Darlegung der philosophischen Ausganspunkte Lefebvres, stellt dann die Entwicklung seines Denkens von der »Kritik des Alltagslebens« zum »Recht auf Stadt« und im Anschluss das »Recht auf Stadt« als strategische Hypothese der »Revolution des Urbanen« dar, welche dann abschließend als Recht auf die sozial-ökologische Revolutionierung der Produktion des städtischen Raums zusammengefasst wird.

2. Philosophisch-anthropologische Ausgangspunkte

Um die Tragweite des »Recht auf Stadt« zu überblicken ist es notwendig, sich zunächst Lefebvres frühen Schriften vom Ende der 1930er Jahre zuzuwenden, in denen er, wie er später resümiert, „Philosophie als Anthropologie“ zu entwickeln beginnt, um sich darin von der philosophischen Anthropologie, die den Menschen als Objekt erforscht und zu definieren trachtet, abzugrenzen (Lefebvre 1975b, 324). Mit dieser Abgrenzung versucht Lefebvre zu markieren, dass „[d]er Mensch […] mit seiner Natur [spielt], nicht gegen sie“ (Lefebvre 1975b, 324). Dieses Spiel sieht er in der frühen ionischen Naturphilosophie angelegt, insbesondere bei Heraklit, der in Lefebvres Werken nicht systematisch, aber immer mal wieder hervorgehoben wird, und dann später wieder bei Hegel, dem es „kein Satz des Heraklit“ gibt, „den ich nicht in meine Logik aufgenommen“ (Hegel 1970, 320), sowie dessen materialistische Richtigstellung »vom Kopf auf die Füße« bei Marx (Engels 1989, 48). Aber auch und vor allem bei Nietzsche und dessen philosophischer Figur des „Übermenschen“ im »Zarathustra«. Nietzsche utopiert hier einen von allen metaphysischen So-sein-Zwängen befreiten, sich immer wieder neu entwerfenden und verwerfenden – und eben dadurch – immer nur vorübergehend seienden Menschen, der ganz und gar Leib ist und radikal seinen Bedürfnissen folgt (Nietzsche 1954). Gerade diese Betonung des leiblichen Menschen in der nietzscheanischen Figur des Übermenschen hebt Lefebvre als das eigentlich Menschliche am Menschen hervor (Lefebvre 1939, 164).

Betont er bei Nietzsche den Übermenschen, so betont er bei Marx den totalen Menschen. Mit diesem für unsere heutigen Ohren eher schrecklich anmutenden Begriff umreißt Marx in seinen »Ökonomisch-philosophischen Manuskripten von 1844« den Menschen als allseitiges Wesen, dass sich „sein allseitiges Wesen auf eine allseitige Art an[eignet]“ (Marx 1968, 539). D. h. mit allen Sinnen des Leibes, der sich eben darin sich als individueller Mensch hervorbringt. Zugleich sind die Sinne des Leibes aber keine abgeschlossenen Monaden, denn was und vor allem wie sie – im philosophisch-qualitativen, nicht im naturwissenschaftlichen Sinne – wahrnehmen, ist immer schon Resultat einer sozialen Entwicklung. Dass ein Ohr Musik hört, setzt voraus, dass es Leute gibt, die auf eine bestimmte Weise Musik machen – heute anders als noch vor Jahrzehnten, gar Jahrhunderten. Doch nicht nur die Art und Weise des Musikmachens ist eine Frage gesellschaftlicher Sozialisationsverhältnisse, sondern auch, wie sie vom Hörenden angenommen wird (Marx 1968, 541). Mit den anderen Sinnen verhält es sich in gleicher Weise.

Sinnesorgane und Sinneswahrnehmung sind für Marx daher gesellschaftlich verflochten und diese sozialen Verflechtungen konstituieren die menschliche Subjektivität als immer schon mit der Zeit vorübergehendes und sich entwickelndes. Nämlich als seine historische menschliche Ver- und Entwicklung. Marx nimmt hier – wenigstens in der anthropologischen Philosophie des nach vorne offenen Menschen – Nietzsches Argumentationsfigur des Übermenschen vorweg, spricht allerdings vom „totalen Menschen“ (Marx 1968, 539), der sich dann als totaler, d. h. als allseitiger entwickeln kann, wenn er seine Leibnatur in der Gesellschaft, die ihn konstituiert, frei entwickeln kann, indem er sich seine Leibnatur mit den Mitteln der ihn konstituierenden Gesellschaft aneignen und ausgestalten kann. Entsprechend ist der totale Mensch für Lefebvre in »Der dialektische Materialismus« (1939) „das freie Individuum in der freien Gesellschaft. Er ist die vollentfaltete Individualität in der unbegrenzten Mannigfaltigkeit möglicher Individualitäten“ (Lefebvre 1971a, 134). Er ist der sich seine Leibnatur und Mitwelt resp. seine innere und äußere Natur in vollem Umfange aneignen und dadurch sinnlich selbst ausgestalten könnende Mensch, der hierfür allerdings auf gesellschaftliche Verhältnisse treffen muss, die es ihm ermöglichen, sich und seine Mitwelt, d. h. sich seine innere wie äußere Natur auf seine Weise aneignen und mitgestalten zu können, statt ihn auf ein bestimmtes So-Sein durch bestimmte Aneignungstechniken zuzurichten. Das Bild des totalen Menschen bzw. des Übermenschen durchzieht und prägt Lefebvres weiteres Werk. Seine ganzen Analysen und revolutionären Überlegungen dienen letztlich allein der Ermöglichung und Verwirklichung der menschlichen Totalität bzw. der allseitigen Entwicklung der Menschen im Plural(!).

3. Von der »Kritik des Alltagslebens« zum »Recht auf Stadt«

1946 verfasste Lefebvre den ersten Band seiner »Kritik des Alltagslebens« und untersucht in der Gesellschaft industrialisierter Alltagspraxis die Unterdrückung von Bedürfnissen und stellt sie als alltägliche Entfremdung heraus:

„Das menschliche Wesen – das aufhört, menschlich zu sein – wird ein Instrument im Dienst von Instrumenten (den Produktionsmitteln), einer Sache im Dienst einer Sache (des Geldes) und Objekt einer Klasse, Gebrauchsgegenstand für Individuen, die selbst ihrer Wirklichkeit und Wahrheit »beraubt« sind (die Kapitalisten). Und seine Arbeit, die ihn zum Menschen machen sollte, wird, statt ein grundlegendes und menschliches Bedürfnis zu sein, nur unter Zwang verrichtet, weil sie selbst nur ein Mittel ist (»seinen Lebensunterhalt zu verdienen«), statt einen Teil des sich frei betätigenden menschlichen Wesens zu bilden. [...] die eigene Tat des Menschen wird »ihm zu einer fremden gegenüberstehenden Macht«, die ihn unterjocht, statt dass er sie beherrscht." (Lefebvre 1987, 170)

Bereits hier stellt Lefebvre schon den funktionalistischen Städtebau der industrialisierten Moderne in den Mittelpunkt seiner Analysen, durch den die bürgerliche Lebensweise ökonomistischer Funktionalität wortwörtlich zementiert und mit der gebauten Stadt als gebaute Entität bestehender sozialer Verhältnisse in die Zukunft fortgeschrieben wird. Mit Harvey lässt sich hieran anschließend von der „Urbanisierung des Kapitals“ (Harvey 2014, 126) sprechen. „Aber zugleich“, so stellt Lefebvre ebenfalls heraus, „zeigen unsere Städte [...] noch etwas anderes:

„[…] die Wiederherstellung der Gemeinschaft in den Fabriken und Arbeiterquartieren. Hier herrscht ein anderer Stil des täglichen Lebens, andere Bedürfnisse; neue Sorgen treten in Konflikt mit den Bedingungen des täglichen Lebens, die durch die kapitalistische Struktur der Gesellschaft und des Lebens aufgezwungen werden; sie haben die Tendenz, eine Solidarität, eine wirksame Verbindung zwischen den Individuen und den Gruppen, zu bewirken. Wie manifestiert sich dieser Konflikt? Wie drückt sich diese immer zerschlagene, immer wieder auflebende Solidarität aus? Wie setzt sie sich konkret um? Genau das muss die Kritik des Alltagslebens in ihren positiven Aspekten herausfinden und beschreiben.“ (Lefebvre 1987, 234 f.)

Es geht Lefebvre also nicht bloß um die Analyse von Machtdiskursen und Herrschaftstechniken – und hierin geht er über die Analysen von Foucault und Bourdieu hinaus –, sondern vor allem auch um die Analyse der – wie es mit Fraser treffend formuliert werden kann – »widerspenstigen Praktiken« (Fraser 1994), mit denen sich die Leute in diesen Verhältnissen dennoch als autonome Wesen zu behaupten versuchen und ihr „entmenschte[s] Leben“ (wieder) als menschliches Gemeinwesen zu gestalten (Marx 1981a, 408; vgl. auch Marx 1981b, 370). D. h. wie sie versuchen sich trotz allem Beherrschtwerden als allseitige Wesen hervorzubringen und sich von den sie einander entfremdeten Lebensbedingungen zu befreien versuchen.

Die »Kritik des Alltagslebens« ist daher eine „konkrete, dynamische Philosophie, die sich der Praxis, der Aktion wie der Erkenntnis verpflichtet weiß – also um das Bemühen, alle Schranken des Lebens und Denkens »aufzuheben«, ein »Ganzes« zu organisieren und die Idee des totalen Menschen in den Mittelpunkt zu stellen“ (Lefebvre 1987, 181). Und der Marxismus ist hierfür das methodologische Instrumentarium der „kritische[n] Erkenntnis des Alltagslebens“ (Lefebvre 1987, 153), das Lefebvre 1948 in seinem Buch »Der Marxismus« systematisch ausarbeitet (Lefebvre 1975a). Hier stellt er den Marxismus als „eine wissenschaftliche Soziologie mit politischen Konsequenzen“ (Lefebvre 1975a, 17) dar und räumt mit einigen der zeitgenössischen Fehlinterpretationen der Marx‘schen Schriften auf – sowohl was die Methodologie als auch was die Konsequenzen angeht, die er dann 1958 als »Probleme des Marxismus, heute« verdichtet vorlegt und die ihn letztlich die Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei Frankreichs kosten. Wenn er schreibt, dass das „marxistische Denken […] sich davor hüten [muss], gleitend von einer Sphäre zur anderen […] überzugehen: vom Philosophischen zum Politischen und umgekehrt; vom Philosophischen zu den Einzelwissenschaften und umgekehrt“ und beide Sphären zu einem marxistischen Systems zu vereinen (Lefebvre 1971b, 125), dann trifft er den Marxismus seiner Zeit ins Mark. Statt zu einem System zu erstarren, muss sich der Marxismus an seinen inneren Widersprüchen entwickeln können – was die Marxisten der kommunistischen Partei(en) seiner Zeit (nicht nur der Frankreichs) verkannten.

1962 veröffentlichte Lefebvre unter dem Titel »Einführung in die Modernität« verschiedene Aufsätze. Hier beginnt er, sich mit dem Thema Stadt intensiver auseinanderzusetzen; wohl nicht zu Letzt, weil der die „Wiederherstellung der Gemeinschaft in den Fabriken und Arbeiterquartieren“ (Lefebvre 1987, 234 f.), von der er 1946 noch gesprochen hatte, durch den funktionalistischen Städtebau der Nachkriegszeit bedroht sah. Er sah, dass die für die allseitige Individualisierung der Menschen notwendige Wiederherstellung der Gemeinschaft durch den Baustil der wiederaufgebauten und neugebauten Städte in der Nachkriegszeit unterminiert wird und sich durch ihn nahezu angleichen mussten. Er schreibt:

„Man stellt uns vor eine »Welt« aus Fragmenten, zerstückelt in tausend kleine »Welten«. Zur gleichen Zeit ist diese Dislokation – die bis an die Grundlagen der Praxis, bis an die Fundamente des Bewusstseins, bis an die Wurzeln des Handelns reicht – von einer immer bündigeren Integration begleitet. Auf diesem weiträumigen Feld der Bruchstücke erhebt sich der Staat als Wächter. [...] Die Tendenz zur Totalisierung und zur »Integration« (in das gesellschaftliche Ensemble, d. h. den Staat) kaschiert die Separationen. Die Zersplitterung der Alltäglichkeit, umfassender noch als die der Arbeit, verschleiert die Unifizierung von oben und die Unterdrückung der ursprünglichen Differenzen.“ (Lefebvre 1978, 146)

Der Lebensraum der industriellen Städte, den die Chicago Schule noch als natürlichen Lebensraum (Habitat) auffassten (Park et al. 1967 [1925]), zwängt, so Lefebvres Kritik, die alltäglichen Zusammenhänge der Menschen in eine zerstückelte Funktionswelt. Le Corbusier, der philosophische Ahnherr dieses Städtebaus, beschrieb bereits 1925 Städte als „biologische Phänomene“, die „Herz und bestimmte Organe [haben], die für ihr Leben unerlässlich sind“ (Pehnt 2015). Die Organe des städtischen Lebens – Wohnen, Büros, Industrie, Freizeit – sind räumlich sauber voneinander getrennt angeordnet und werden über Infrastrukturen wie Straßen und Straßenbahnlinien funktional wieder zusammengebracht (Russo 2016, 300). „Diese Aufgliederung“, so Pehnt, „bestimmte jahrzehntelag das Denken modernistischer Planer“ und zeitigte „verhängnisvolle Folgen“: „Sie isolierte menschliche Tätigkeiten, verhinderte Kontakte und nachbarschaftliches Miteinander, erschwerte Mischung und soziale Kommunikation […]. Straße und Plätze verloren ihre Bedeutung als soziale Räume“ (Pehnt 2015). Entsprechend entwickelte sich der öffentliche Raum vom Aufenthaltsraum und Wohnraum zum Raum, den es bloß zu durchqueren gilt. Folglich kam dem den Transportsystem enorme Bedeutung zu, da dies „für das Leben in der Stadt [sorgt]“ (Russo 2016, 300). Menschen haben in diesem funktionalistischen Stadtorganismus, für den Le Corbusier das Wort »Wohnmaschine« prägt, lediglich die Funktion, die ihnen zur Verfügung gestellten Infrastrukturen des öffentlichen Verkehrsnetzes zu nutzen und den Raum zu durchqueren. Entsprechend stehen im Zentrum seiner Stadtplanung die Autobahnkreuzung und der Hauptbahnhof als „Symbol[e] des Austausches, des Austausches von Informationen, Talenten, Freuden“ (Russo 2016, 300). Damit prägte Le Corbusier die Auffassung von Stadt noch bis in die 1980er Jahre hinein. Frederic Vester spricht von einem „überfordertem Organismus“, der durch die funktionale Aufspaltung der Städte entstanden ist und zu „immer längeren Wegstrecken führte“ und damit „zu dem heute gewaltigen Verkehrsbedarf, der sich ständig selbst multipliziert“ (Vester 1986, 117).

In diesem Funktionalismus der »Wohnmaschinen« sieht Lefebvre sich die Menschen mimetisch angleichen. Sie haben die gleichen Wege, kaufen in den gleichen Einkaufzentren ein, suchen im selben Bürgerzentrum denselben Rat und vergnügen sich in denselben Freizeitzentren (Lefebvre 1978, 143). Und er sieht, dass sie alles daransetzen werden, sich in dieser Gleichheit zu unterscheiden (Lefebvre 1978, 149). Sie werden jede Nische nutzen, um sich der funktionalen Vergesellschaftung zu entziehen und allseitig individualisieren zu können (Lefebvre 1978, 150). Aber er sieht vor allem, dass dieser Städtebau nicht zufällig vom Himmel fällt, sondern das Resultat einer bereits gelebten gesellschaftlichen Alltagspraxis ist. Die Menschen lebten in den Städten bereits so selbstverständlich industriell durchfunktionalisiert und ihre Lebenszusammenhänge sind bereits so selbstverständlich in die Bereiche Arbeit, Freizeit und Privatleben fragmentiert, dass der funktionale Städtebau als notwendige Entsprechung, der das fragmentierte Leben wieder zu einer Einheit zusammenfügt, folgen musste.

Die Fragmentierung des Alltagslebens hatte Lefebvre schon 1946 im ersten Band der »Kritik des Alltagslebens« herausgearbeitet. Bereits 1961, ein Jahr vor seiner »Einführung in die Modernität«, folgte der zweite. Die »Kritik des Alltagslebens«, so stellt er hier heraus, ist nicht nur ein Instrument der Erkenntnis, sondern auch der poietischen Praxis. Wissenschaft ist für ihn nicht nur das Ermitteln dessen was ist, sondern vor allem ein Ermitteln dessen was möglich ist und wie es verwirklicht werden kann. Wissenschaft ist ihm das Ermitteln von allem, was gebraucht wird und notwendig ist zu tun, um vom hier und jetzt zur Verwirklichung des objektiv Möglichen zu gelangen. An dieser Stelle geben sich Lefebvre und Bloch die Hand (allerdings ohne sich gegenseitig zu rezipieren). Für Bloch (Bloch 2013; 2000) wie für Lefebvre, wie er kurze Zeit später in »Metaphilosophie« weiter ausführen wird, ist die je gegenwärtige Wirklichkeit nichts anderes als Mögliches, das verwirklicht werden konnte. Zur Wirklichkeit gehören entsprechend auch alle Möglichkeiten, die noch nicht verwirklicht worden sind. Etwa weil die Mittel noch fehlen und/oder, weil sie durch die gesellschaftliche Alltagspraxis herrschaftlich verhindert und blockiert werden. Dann schlummern sie, um mit Bloch zu sprechen, als unabgegoltene »Tendenz-Latenz-Utopie« in der Praxis (Bloch 1978). Auf diese latenten Tendenzen der Praxis kommt es auch Lefebvre an. Sie müssen entdeckt und bei ihrer Verwirklichung geholfen werden.

In seiner »Einführung in die Modernität« (1962) spricht Lefebvre dann von einer „mondiale[n] Mäeutik“, von der Geburtshilfe einer „Zukunft, die die Gesellschaft in sich trägt“ (Lefebvre 1978, 23). „Die Mäeutik der Modernität“, so schreibt er weiter, „geht nicht ohne einen gewissen Utopismus“ (Lefebvre 1978, 57). Utopismus meint hier aber nicht das Erträumen von Luftschlössern und bis ins Detail ausgemalte Zukunftsszenarien. Lefebvre meint damit stattdessen ganz im Sinne Blochs Begriff der »Tendenz-Latenz-Utopie« (Bloch 1978), unabgegoltene Tendenzen der Praxis. Diese haben sich, wie Marx bereits darlegt, auf Grund ihrer Marginalisierung allerdings nur als Andeutungen von Bedeutungen entwickeln können (Marx 1961, 636) und sind daher zwar empirisch ermittelbar, können aber der Wirklichkeit eben nicht einfach abgelesen werden, sondern müssen auf individueller wie gesellschaftlicher Ebene mäeutisch erarbeitet werden.

Das wissenschaftliche Instrument dieser Mäeutik, zu der auch das Ermitteln der notwendigen Schritte vom Hier zum Dort gehört, arbeitet er bereits ein Jahr zuvor im zweiten Band der »Kritik des Alltagslebens« aus und benennt es hier als „strategische Hypothese“: „Sie beginnt beim entferntesten Möglichen, kehrt vom fernen Möglichen zurück zum nahen Wirklichen und versucht, die Kraftlinien und Tendenzen des Wirklichen bis zu jenem äußersten Möglichen zu verlängern.“ (Lefebvre 1987, 372) Die strategische Hypothese „hält den Kontakt mit den Tatsachen, sie entdeckt neue Tatsachen, sie ordnet sie ohne zwanghafte Systematisierung, sie ist verifizierbar. Ihre Verifizierung geschieht in der Praxis" (Lefebvre 1987, 372). Den Weg vom Hier zum Dort entlang der strategischen Hypothese nennt er Transduktion, die „vom Wirklichen (Gegebenen) zum Möglichen voran[schreitet]“; d. h., sie „schreite[t] vom Gegenwärtigen zum Virtuellen, vom gegebenen zum Möglichen voran, in einer unaufhörlichen Erkundungstätigkeit" (Lefebvre 1987, 373 f.).

Mit anderen Worten: es wird mit der Erarbeitung einer Problemformulierung durch die betroffenen Gruppen begonnen, der/die Forschende lässt sie Vorschläge machen, was ihnen als Problemlösungsstrategien möglich wäre, erarbeitet mit ihnen gemeinsam Bilder, Utopien, Begriffe (das geht bei Lefebvre ineinander über) an denen sich die Praxis strategisch orientieren kann, sucht nach gesellschaftlichen und strukturellen Blockaden und zugleich nach politischen Wegen, diese entlang der Bilder und Utopien auszuräumen. Probleme werden als Probleme verstanden, die Menschen und Gruppen haben, ihr Leben mit den ihnen nur zuhandenen biografischen und politischen Mitteln zu betreiben und darin versuchen, ihre subjektiven Vermögen und Fähigkeiten allseitig auszubilden und zu entwickeln, ohne dabei auf ein bestimmtes So-Sein festgestellt sein zu müssen. Lefebvre geht es nicht darum, Probleme für Menschen oder Gruppen zu lösen, sondern mit ihnen die benötigten Mittel zu erarbeiten, damit sie ihre Probleme selbst lösen und ihr Leben subjektorientiert selbst ausgestalten können. Eben darin erweist sich Lefebvres Wissenschaftsbegriff als transdisziplinärer, dem es darum geht, mit den Problembetroffenen politische Machtmittel zu erarbeiten, so dass sie sich in der Auseinandersetzung mit anderen Leuten und Gruppen und ihren Interessen gegenseitig bilden, d. h. sich zu allseitigen Individuen und »totalen Menschen« emanzipieren resp. herausbilden können.

1965 veröffentlicht Lefebvre »Metaphilosophie«, in der er eine Inventur der Philosophie unternimmt und wichtige Begriffe wie Totalität, Entfremdung, Subjekt, Mimesis und Poiesis zu retten versucht, indem er sie praxisphilosophisch wendet und mit seiner »Kritik des Alltagslebens« zusammenbringt. Hier entwickelt er seine kritischen Überlegungen zur Stadt und zum Städtebau weiter. So wie die Menschen leben, so denken sie. Und so wie die Menschen denken, so planen und realisieren sie ihre Städte und mit ihnen sich selbst als Individuen. Die Stadt wird den Menschen entlang ihrer Techniken der Urbanisierung zur zweiten Natur (Lefebvre 1975b, 268), ist ihr Werk, das der Entwicklung ihrer subjektiven Vermögen und Fähigkeiten förderlich oder hinderlich ist. Lefebvre kommt es darauf an, dass die Stadt, besser gesagt: die Möglichkeiten des urbanen Zusammenlebens, den Leuten hilft, ihr Leben emanzipatorisch bearbeiten und erarbeiten zu können. Sie sollen ihr Leben zu ihrem Leben, zu ihrer Alltagspraxis machen können. Sie sollen sich und ihre Alltagspraxis als ihr Werk hervorbringen können. Entsprechend braucht es eine Stadt als Werkstatt, mit der das eigene Leben durch die Entwicklung ihrer subjektiven Fähigkeiten als individuelles Werk gestaltet werden kann. Sein Leben als Werk entlang von individuellen Wünschen und Bedürfnissen hervorzubringen und sich zu verwirklichen, meint ein und dasselbe (wie es aus dem Wort selbst ja schon hervorgeht). „Der Mensch ist gehalten“, so Lefebvre, „sich seine Wohnstätte selbst zu schaffen. Nicht, wie Heidegger meinte, die Wohnung des Seins in der Sprache, sondern die Wohnung des Menschen als »menschliches Sein«, erbaut in der Praxis und auf der Erde“ (Lefebvre 1975b, 351).

1966 folgt, wenn man so will, eine Kurzfassung von »Metaphilosophie«, wo er den Praxisbegriff bzw. das Verhältnis von Mimesis, Praxis und Poiesis und die Relevanz für eine »Soziologie nach Marx«, nämlich als »Kritik des Alltagslebens«, nochmal komprimiert herausstellt. Die Praxis besteht für Lefebvre aus drei dialektisch verschränkten Ebenen: „die Ebene der Wiederholung, die der Erneuerung [Poiesis, MS] und zwischen diesen beiden die mimetische Ebene“ (Lefebvre 1972b, 46). Praxis hat also immer zwei Seiten, eine nachahmende bzw. wiederholende und eine kreative, schöpferische. Und sie folgt immer Bildern (Utopien) und Modellen, die in und als alltägliche Praxis nachgeahmt werden. Zur Frage steht wessen Bilder und wessen darin ausgedrückte bzw. repräsentierte Interessen sich wie und womit durchsetzen und wessen wie und womit marginalisiert und zum Schweigen gebracht werden.

Lefebvre geht es dabei einerseits um die konkreten Machtkämpfe zur Etablierung bestimmter und für allgemeingültig erklärter Repräsentationen (Bilder), andererseits aber auch um die Auswirkungen dieser auf die objektiven Möglichkeiten der Herausbildung menschlicher Verwirklichung. Eine Alltagspraxis, die programmatisch entlang der industriellen Produktionsweise und funktionalen Arbeitsteilung ausgerichtet ist, reduziert die Interaktionen der Leute darauf, in verschiedenen Variationen immer wieder die gleichen Tätigkeiten zu verrichten. Aber den Menschen als stetig werdende Natursubjekte, als die Lefebvre sie in Anlehnung an Marx schon in »Der dialektische Materialismus« herausgestellt hat, wird unter gesellschaftlichen Bedingungen, die ihm abverlangen, in Abwandlungen immer das Gleiche zu machen bzw. machen zu müssen, die Entwicklung ihres Werdens unterdrückt. Zwar wird menschliche Entwicklung in der industrialisierten Gesellschaft ins Privatleben verlagert und zugleich mit einer protestantischen Emanzipationsverheißung verknüpft, sich durch harte Arbeit die Möglichkeiten des Privatlebens, mit denen sich frei entwickelt werden kann, erarbeiten zu können. Doch auch das Privatleben kann dabei nur den städtischen Strukturen folgen, die auf das Wiederholen statt auf Poiesis fokussiert sind. Etwa das Wiederholen von Vergangenheit, d. h. der Wiederaufbau der historischen Mitten, der gegenwärtig in zahlreichen europäischen Städten erfolgt. Oder das Wiederholen von bereits getroffenen Beschlüssen, Masterplänen und Konzeptionen in die Gegenwart: Alles, was auf Schrift fußt, ist auf das Wiederholen ausgerichtet. Es müsste sonst nicht schriftlich festgehalten werden.

In »Das Alltagsleben in der modernen Welt« schreibt er 1968 diesbezüglich:

„Keine Gesellschaft ohne Schreiben. […] Keine Institution ohne Geschriebenes. Die geschriebene Sache fügt sich als erste Institutionalisierung in die gesellschaftliche Praxis ein, um das Werk und die Tätigkeit durch Organisation einzufangen. […] Eine auf den Schriften und der geschriebenen Sache gegründete Gesellschaft tendiert zum Terrorismus“, denn sie gründet sich auf Vorschriften. „Sie trachtet danach, die Details des praktischen Lebens vorzuschreiben“, was „im Laufe der Zeit sehr minuziös werden [kann].“ (Lefebvre 1972a, 212 ff.)

Und eine Stadt, so Lefebvre weiter, das ist nichts anderes als eine „Schrift auf den Boden“ (Lefebvre 1972a, 211), d. h. auf den Boden geschriebene Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Nämlich der verinnerlichten der StadtplanerInnen und UrbanistInnen, ArchitektInnen und TechnokratInnen, InvestorInnen und BauherrInnen. Sie schreiben entlang der geschriebenen Sache der Stadtplanung (Verordnungen, Richtlinien und Gesetze) die dort festgeschriebenen Macht- und Herrschaftsverhältnisse auf den Boden und zementieren diese damit im wortwörtlichen Sinne. In einem späteren Aufsatz zu »Raum und Politik« von 1972 [1] bezeichnet Lefebvre Architektur als:

„eine Repräsentationsart, ein festgelegtes kodifiziertes Können. Also ein Filter, selektiv gegenüber Inhalten, diesen oder jenen Teil der »Wirklichkeit« beseitigend, die Lücken des Textes auf seine Art füllend. Erschwerend kommt hinzu: Diese Filterung geht weiter als eine ideologische Spezialisierung oder die Ideologie eines Spezialgebiets. Sie droht die gesellschaftliche Nachfrage zu verbergen.“ (Lefebvre 2016, 210)

Kurz: Eine Stadt ist eine auf den Boden geschriebene Vorstellung von Raum und Zeit, die immer schon gesellschaftlich vermittelt ist und damit immer auch deren Macht- und Herrschaftsverhältnisse reproduziert (wiederholt).

1968 erscheint neben »Das Alltagsleben in der modernen Welt« auch »Das Recht auf Stadt«. „Das Recht auf Stadt“, so schreibt Lefebvre dort, „offenbart sich als höhere Rechtsform: das Recht auf Freiheit, auf Individualisierung in der Vergesellschaftung, auf das Wohngebiet und das Wohnen. Das Recht auf das Werk (auf mitwirkende Tätigkeit) und das Recht auf Aneignung (klar zu unterscheiden vom Recht auf Eigentum) bringen sich in dieses Recht auf Stadt ein“ (Lefebvre 2016, 189). Das Recht auf Stadt ist für Lefebvre weder ein einklagbares juristisches Recht, noch ein Naturrecht. Er lässt es im Ungefähren, dennoch „legitimiert [es] die Weigerung, sich durch eine diskriminierende, segregierende Organisation aus der städtischen Wirklichkeit verdrängen zu lassen“ (Lefebvre 2016, 216). Es bedeutet, wie er in seinem späteren Aufsatz zu »Raum und Politik« von 1972 weiter schreibt, „die Herstellung oder Wiederherstellung einer räumlich-zeitlichen Einheit, einer Sammlung statt Fragmentierung“, das die „Kenntnis einer Produktion, jener des Raums“ voraussetzt und anwendet (Lefebvre 2016, 216 f.).

Vor allem aber unterbreitet Lefebvre in »Das Recht auf Stadt« Vorschläge, wie eine Wissenschaft der Stadt aussehen muss, um die anthropologische Philosophie des dialektischen Materialismus in ihr aufgehen und ihr dienlich sein zu lassen. Hier greift er erneut auf die 1961 im zweiten Band der »Kritik des Alltagslebens« entwickelten Begriff der Transduktion zurück:

„Die Transduktion erarbeitet und konstruiert einen theoretischen Gegenstand, einen möglichen Gegenstand, und zwar ausgehend von Informationen über die Wirklichkeit sowie eine Problematik, die durch diese Wirklichkeit aufgeworfen ist. Die Transduktion setzt ein unaufhörliches Feedback zwischen dem verwendeten begrifflichen Rahmen und den empirischen Beobachtungen voraus. Ihre Theorie (Methodologie) bringt einige spontane gedankliche Arbeitsgänge des Urbanisten, des Architekten, des Soziologen, des Politikers, des Philosophen in Form. Sie bringt Strenge in den Einfall und Erkenntnis in die Utopie.“ (Lefebvre 2016, 154 f.)

Beim »Recht auf Stadt« handelt es sich entsprechend um eine „experimentelle Utopie“, „indem ihre Auswirkungen und Folgen vor Ort untersucht werden“ (Lefebvre 2016, 155). Sie liefert den politischen Programmen „eine theoretische und kritische Grundlage zur Stadtreform“ (Lefebvre 2016, 163). Die transduktiven „urbanistische[n] Projekte“ sollen eine empirisch gestützte „Phantasiewelt“ eröffnen, „die sich für Aneignung (von Zeit, von Raum, von physiologischem Leben, von Begehren) einsetzt (Lefebvre 2016, 161). Bei dieser „Phantasiewelt“ handelt es sich um hypothetische „Vorschläge“ im Bereich des objektiv Möglichen, die „den Lebensstil, die Lebensweise in der Stadt, die Entwicklung des Urbanen […] betreffen“ (Lefebvre 2016, 161). Es handelt sich dabei um das, was er in »Kritik des Alltagslebens« (Bd. 2) als virtuelles Objekt bzw. Bilder und Utopien bezeichnet hat (Lefebvre 1987, 372 ff.). Mit dem »Recht auf Stadt«, d. h. dem „Recht auf das städtische Leben“ (Lefebvre 2016, 166), fordert Lefebvre das Recht, Lebensentwürfe frei zu wählen und mit den Mitteln der Stadt ausgestalten und verwirklichen zu können. Die Stadt soll das seit der griechischen Antike uneingelöste urbane Versprechen auf „die vollentfaltete Individualität in der unbegrenzten Mannigfaltigkeit möglicher Individualitäten“ und „das freie Individuum in der freien Gesellschaft“ (Lefebvre 1971a, 134) endlich einlösen können.

4. »Das Recht auf Stadt« als strategische Hypothese der »Revolution des Urbanen«

1970 differenziert Lefebvre in »Die Revolution der Städte« – gemäß des franz. Titels: »Die Revolution des Urbanen«, was den Inhalt weit besser beschreibt – das »Recht auf Stadt« weiter aus. Nämlich, wie Ronneberger im Vorwort der Ausgabe von 2014 zusammenfasst, als – erstens – das „Recht auf Differenz“ (Ronneberger 2014, XIII f.), d. h. das Recht auf Anerkennung von Individualität und dem, zu dem sich ein Mensch noch entlang seiner subjektiven Vermögen und Fähigkeiten individuell entwickeln kann. Dieses Recht auf Differenz, setzt – zweitens – ein politisches Gemeinwesen voraus, das dieses Recht zum Zentrum des Politischen („Recht auf Zentralität“) erhebt (Ronneberger 2014, XIII f.). Dieser politischen Zentralität der menschlichen Bedürfnisse, Vermögen und Fähigkeiten muss aber auch in der physischen Stadt ein zentraler Ort eingeräumt werden, an und mit dem die BewohnerInnen der monologischen Bedürfnisdefinition der staatlichen Institutionen öffentlich eine dialogische „Politik der Bedürfnisinterpretation“ (Fraser 1994, 237 ff.) entgegensetzen können, was Lefebvre – drittens – als „Recht auf die Straße“ bezeichnet (Lefebvre 2014, 160). D. h. als Recht auf Öffentlichkeit und öffentliche Räume des politischen Dialogs. Ein solches Gemeinwesen soll sich entlang der Bedürfnisse und Wünsche der BürgerInnen organisieren und entwickeln können. Ziel und Zweck dieses politischen Gemeinwesens ist die Ermöglichung menschlicher Entwicklung entlang der tatsächlichen Bedürfnisse und Wünsche, unterstützt durch die wissenschaftliche Methodologie der im zweiten Band der »Kritik des Alltagslebens« entwickelten strategischen Hypothese.

In »Revolution der Städte« verschiebt sich hierfür zugleich der Fokus seiner Analyse von der urbanen Praxis zur Praxis der Urbanisierung und dessen wechselseitigen Verhältnis. Nicht mehr steht die Stadt im Zentrum seiner Überlegungen, sondern die Verstädterung, d. h. die Urbanisierung als gesellschaftshistorischer Prozess. Mehr noch: die ganze Menschheitsgeschichte ist für Lefebvre Urbanisierung (Lefebvre 2014, 13). Urbanisierung ist ihm, wenn man so will, die historische Professionalisierung des Nestbaus, bei der es dann seit der griechischen Antike um die Frage geht, wie sich die Leute als politische Stadt urbanisieren können. Hierfür entwickelt Lefebvre seine in »Metaphilosophie« in kritischer Auseinandersetzung mit Nietzsche und Heidegger entwickelten Begriff des Wohnens weiter und setzt dem Habitat-Begriff der Chicago-Schule (Park et al. 1967 [1925]), den er schon seit der »Einführung in die Modernität« kritisiert, einen metaphilosophischen Begriff des Wohnens – habiter [2] – entgegen. Wohnen, das heißt in diesem metaphilosophischen Sinne Lefebvres – ganz im Anschluss an seine frühen Überlegungen von 1939 und 1946 – sein eigenes Leben mit dem gesellschaftlichen Alltag als Werk hervorbringen zu können. Lefebvre geht es nun darum, diesen metaphilosophischen Begriff des Wohnens (habiter) zu begründen und zum Primus der Urbanisierung zu erheben, da der Städtebau seit der Industrialisierung und insbesondere der Nachkriegszeit gerade die Lebendigkeit des städtischen Lebens verhindert, indem er den Alltag der Leute auf „Essen, Schlafen, Zeugen“ reduziert und sie in „Schachteln, Käfigen oder »Wohnmaschinen« einschließt“ (Lefebvre 2014, 89).

Zugleich geht es Lefebvre hier aber nicht nur um die Entwicklung der Menschen, sondern um ihre Entwicklung auf und mit der Erde. „Das Problem der Verstädterung […] hat […] die ganze Erde erfasst“ (Lefebvre 2014, 158) und bringt sie nicht nur als Ressource für die die Belange des Städtebaus hervor, sondern auch als Ressource für die Belange der durch privatwirtschaftliche Eigentumsverhältnisse abgenötigten konsumistischen urbanen Lebensweisen. Lefebvre lenkte damit den Fokus gesellschaftskritischer Theoriebildung wieder auf die von Marx eingebrachte und dann in der Soziologie wieder vernachlässigten Komponente einer „Kritik der Erde“ [3] (Marx 1981d, 379). Um die kapitalistisch organisierte und entlang der Sachzwänge zur Kapital(re)produktion zwingend entstehende Ausbeutung menschlicher wie nicht-menschlicher Naturverhältnisse zu beenden, braucht es eine Revolution(ierung) der urbanen Lebensweisen und ihrer sie bedingenden Gesellschaftsstrukturen, mithin der gesamten Urbanisierungspraxis. Es geht Lefebvre, auch wenn er zum Ende des Buches diesbezüglich noch offen bleibt, um mehr als nur um Umweltschutz, da ihm völlig unklar bleibt, was unter dem „Pseudo-Begriff der Umwelt […] zu verstehen [ist]“ (Lefebvre 2014, 196).

1973 in »Die Zukunft des Kapitalismus« (gemäß des franz. Originaltitels »Das Überleben des Kapitalismus«) knüpft Lefebvre hieran an und verdichtet seine bisherigen Überlegungen zur Produktion des Raums mit einer ökologischen Zuspitzung:

„Es ist nicht nur die gesamte Gesellschaft, die zum Ort der Reproduktion (der Produktionsmittel und nicht mehr nur der Produktionsmittel) wird, sondern auch der gesamte Raum. Vereinnahmt vom Neokapitalismus, sektorisiert, zu einem homogenen und dennoch fragmentierten und zerstückelten Milieu reduziert (nur in winzigen Stückchen wird der Raum an die »Kundschaft« verkauft, wird der Raum zum Sitz der Macht. Die Produktivkräfte erlauben denen, die über sie verfügen, die Herrschaft über den Raum und sogar die Produktion des Raums. Diese Macht zur Produktion des Raumes erfasst die ganze Erde und reicht sogar darüber hinaus. […] Während einerseits das Wachstum der Produktivkräfte die Natur zerstört und den materiellen Raum umformt, führt andererseits das Privateigentum (am Boden, also am natürlichen Raum) die Produktivkräfte zurück in den Rahmen früherer, überholter Epochen der landwirtschaftlichen Produktion und der ländlichen Natur.“ (Lefebvre 1974, 100)

Und weiter:

„Was man als Umwelt und Umweltverschmutzung nennt, ist nur ideologische Verschleierung; vor allem der Begriff »Umwelt« hat keinerlei präzise Bedeutung; er meint alles und nichts, die ganze Natur ebenso wie die städtischen Randgebiete. Die Vergiftung, die Umweltkrise ist nur ein Symptom viel tiefreichender Probleme, zu denen die Entfesselung einer unkontrollierten Technologie gehört [...]." (Lefebvre 1974, 125 f.)

Was sich als damals schon – in der Zeit der Erstveröffentlichung des Berichts des Club of Rome »Die Grenzen des Wachstums« von 1972 (Meadows et al. 1987) – als unsere heutige Öko- und Klimakrise ankündigt – und damit ist die ganze Aktualität Lefebvres für unsere heutigen Öko- und Klimaprobleme auf den Punkt gebracht –, „ist eine Krise der Reproduktion der Produktionsverhältnisse“, bei der „das Versagen der Zentren und der Zentralität“ der Städte „im Vordergrund steht“ (Lefebvre 1974, 140). Gerade dieses epochale Versagen macht ein »Recht auf Stadt« zur Wiederherstellung der politischen Handlungsfähigkeit durch eine „Umorientierung des Wachstums von den individuellen Bedürfnissen auf die spezifisch gesellschaftlichen Bedürfnissen“ notwendig, die „eine allmählich fortschreitende Begrenzung des Wachstums einschließ[t] und so wohl [sic!] die brutale Unterbrechung des Wachstums als auch seine grenzenlose Fortsetzung vermeide[t]" (Lefebvre 1974, 143 f.).

Vor dem Hintergrund, dass diese „spezifisch gesellschaftliche[n] Bedürfnisse“ „in zunehmenden Maße spezifisch städtische Bedürfnisse sind und mit der Produktion des Raumes wie mit der Verwaltung des Raumes zusammenhängen", muss ein „vollständiges und detailliertes Projekt für eine Organisation des Lebens und des Raumes […] der Selbstverwaltung den größtmöglichen Raum geben“ (Lefebvre 1974, 144). Selbstverwaltung [4] bedeutet für Lefebvre die „Vergesellschaftlichung der Produktionsmittel" (Lefebvre 1974, 163) und ist für ihn „auf alle die aus[zu]dehnen, die die Einrichtungen der städtischen Wirklichkeit »benutzen«, und auf diese ganze Wirklichkeit, gesehen in ihrem Doppelaspekt der Produktion und des Konsums, des Tauschs und Gebrauchs“ (Lefebvre 1974, 177). Politische Mitbestimmung hat für Lefebvre nur dann eine revolutionierende gesellschaftliche Reichweite, wenn sie konsequent als kollaborative Governance kommunaler Selbstverwaltung verstanden wird. „Ohne Selbstverwaltung hat Mitbestimmung keinen Sinn, sie bleibt manipulierbar und wird zur Ideologie“ (Lefebvre 1974, 163), die „nur die Verwaltung im Auge behält und Kritik und Opposition von vornherein auf den gewohnten Rahmen beschränkt, statt diesen Rahmen selber zu bekämpfen“ (Lefebvre 1974, 164).

Die hier zum Ausdruck kommende Ideologiekritik, d. h. die Kritik an den heute allgegenwärtig anzutreffenden deliberativen Ansätzen kommunikativer Stadtplanung und Stadtentwicklung, die Lefebvre schon vor knapp 50 Jahren zur impotenten Ideologie verkommen sieht, führt er in seinem zwischen 1976 und 1978 erschienenen und bislang weder ins Englische noch ins Deutsche übersetzte – und daher bislang kaum erschlossene – vierbändigen Hauptwerk »De L’État« (zum Überblick: Wex 2001; Müller-Schöll 2001) weiter aus. Hier nimmt er sogleich in weiten Teilen vorweg, was in den letzten Jahren vor allem in poststrukturalistischen Theoriediskursen unter dem Begriff Postpolitik analysiert und kritisiert wird:

„Das Postpolitische lebt also davon, alle in eine konsensuelle pluralistische Ordnung einzubeziehen und/oder diejenigen, die sich außerhalb des Konsenses stellen, radikal auszuschließen. [...] Die Produktion neuer kreativer und unternehmerischer Eliten stellt in Wirklichkeit einen der Schlüsselbereiche zur Konstruktion dieses postpolitischen Konsenses dar. Hier nämlich wird ‚Politik im eigentlichen Sinne nach und nach durch eine Sozialadministration der Experten ersetzt‘ (Zizek 2005: 117). Der postpolitische Konsens ist daher radikal reaktionär. Er verhindert es, für künftige städtische Möglichkeiten und Assemblagen abweichende, konfliktträchtig und alternative Entwicklungslinien zu artikulieren." (Swyngedouw 2013, 148)

Und weiter:

„Die Postpolitik zielt somit auf die Verwaltung (polizeiliche Kontrolle) sozialer, ökonomischer und anderer Angelegenheiten, die natürlich voll und ganz im Bereich des Möglichen, der bestehenden sozialen Verhältnisse bleiben. [...] Die Postpolitik verweigert eine Politisierung im klassischen griechischen Sinne der Verallgemeinerung partikularer Forderungen, die ‚mehr‘ anvisiert als einen bloßen Interessensausgleich." (Swyngedouw 2013, 147)

Es ist hierin nun auch der Grund zum Ausdruck gebracht, warum Lefebvre deliberative Partizipationsprozesse als „zum Scheitern verurteilt“ (Lefebvre 1974, 164) sieht, weil sie es strukturell nicht vermögen, den (vermeintlichen) Konsens gesellschaftlicher resp. urbaner Produktionsverhältnisse politisierend in Frage zu stellen. Dieser lässt sich für Lefebvre nur politisieren, wenn „der Inhalt der Selbstverwaltung, ihr gesellschaftlicher und politischer Inhalt entfaltet und zur Strategie gemacht wird“ (Lefebvre 1974, 164). Erst durch die konsequente kommunale Selbstverwaltung, d. h. durch konsequent kollaborative Partizipationsprozesse in der Stadtplanung und Stadtentwicklung lässt sich für Lefebvre der – wie es heute genannt werden kann – postpolitische Konsens politisieren, weil erst dadurch auch denjenigen die gleichberechtigte Mitgestaltung der Urbanisierung eingeräumt wird, die diesen Konsens in Frage stellen und überhaupt erst zum Politikum machen wollen. Erst darin gelangt das »Recht auf Stadt« zu einer »Revolution des Urbanen«, die entlang der »Kritik des Alltagslebens« nicht nur die urbane Praxis, sondern auch die Praxis der Urbanisierung, mithin die Vergesellschaftung menschlicher wie nicht-menschlicher Naturverhältnisse zu revolutionieren vermag.

In der gegenwärtigen akademischen Debatte um Lefebvres »Recht auf Stadt« (zum Überblick v. a. Holm 2018) vernachlässigt David Harvey (2014) in »Rebellische Städte« zwar die Bedeutung von Lefebvres der »Kritik des Alltagslebens« (1987). Durch die Beachtung des inneren Zusammenhangs von »Recht auf Stadt« (2016) und der »Revolution der Städte« (2014) kommt er der sozial-ökologischen [5] Reichweite Lefebvres aber dennoch am nächsten und verweist in seiner Analyse auf die Notwendigkeit eines »libertären Kommunalismus« als Ansatz einer radikalen Politisierung der Urbanisierung, der im Entwurf Murray Bookchins (Bookchin 1992a; 1992b; 2015a;2015b) und Janet Biehls (Biehl 1998) als „bei Weitem durchdachteste radikale Vorschlag“ (Harvey 2014, 156 f.) ausgebreitet vorliegt. Mit Bookchins/Biehls Begriff Sozialer Ökologie lasse sich, so Harvey zusammenfassend, nicht nur Lefebvres implizit bleibender Begriff Sozialer Ökologie ausformulieren, sondern zugleich auch seine Überlegungen zur kommunalen Selbstverwaltung der Städte konkretisieren und damit das »Recht auf Stadt« auf die Ebene global horizontal vernetzter Städtekonföderationen heben. Die tatsächliche theoretische Kompatibilität von Bookchins libertär-kommunalistischen Begriff Sozialer Ökologie und Lefebvres – wie es sich zusammenfassen ließe – Recht auf die sozial-ökologische Revolutionierung der Produktion des städtischen Raums ist allerdings eine weitere, an dieser Stelle nur kurz zu skizzierende und nicht umfänglich durchführbare Untersuchung wert.

5. Die »Revolution des Urbanen« als Recht auf die sozial-ökologische Revolutionierung der Produktion des städtischen Raums – Versuch einer weiterführenden Zusammenfassung

Lefebvres »Recht auf Stadt« als Forderung einer Revolution(ierung) des urbanen Lebens umfasst eine radikale Kritik kapitalistischer Urbanisierung der Erde, d. h. menschlicher wie nicht-menschlicher Naturverhältnisse, und beinhaltet die Entwicklung einer transformativen Wissenschaft der Stadt. Eine solche transformative Wissenschaft muss für Lefebvre die nicht nur interdisziplinär, sondern auch transdisziplinär arbeiten und es vermögen, die subjektiven Perspektiven der StadtbewohnerInnen als auch verschiedene wissenschaftliche Zugänge zusammenzubringen, um aus verschiedenen Perspektiven und Methodologien zu gemeinsam politisch bearbeitbaren (und durchaus dissensorientierten) Strategien des urbanen Zusammenlebens und der Urbanisierung zu gelangen. Eine solche – wie sie mit Mittelstraß (2005) bezeichnet werden kann – theoretisch-wie praktisch-transdisziplinäre Wissenschaft bezeichnet Lefebvre schon in »Metaphilosophie« in Anlehnung an den Science-Fiction-Roman von Alfred Elton van Vogt »Die Welt der Null-A« (van Vogt 1982) als Nexialismus:

„Nur ein neues Denken, das eine Totalität ins Auge fasst, die sich weder als ökonomisch noch als soziologisch noch als historisch [ergänzend: noch als irgendwie einzeldisziplinär, MS] im üblichen Sinne definiert, dabei aber all diese Ebenen und Elemente des »Wirklichen« voll berücksichtigt, wäre imstande, diese Wissenschaften zu beherrschen. Nur ein solches Denken könnte – ausgehend vom »Wirklichen« der »Fakten« und »Resultate«, vor allem aber von dem, was nicht vorhanden ist, vom Mangel und von den Mängeln, dem Lücken im Wirklichen, den Leerstellen und leeren Stellen, kurzum: ausgehend von der Negativität und radikalen Kritik – die zukünftige (virtuell, mögliche) Totalität bezeichnen. Es wäre nicht unvorstellbar, daß sich die metaphilosophische Meditation im Laufe dieses Übergangs aus taktischen Gründen auf einen neuen Typus stützt: auf den »Nexialisten«, der die Fähigkeit hat, sich in den Knotenpunkt der parzellierten Erkenntnisstränge zu stellen und von dort aus eine Forschung zu programmieren und konkrete Lösungen einzelner Teilprobleme beizusteuern. (Lefebvre 1975b, 342)

Einer/m nexialistischen WissenschaftlerIn kommt die Aufgabe zu, „die Begegnung von Ideen und Techniken, die anscheinend nichts miteinander gemeinsam haben, vorauszuplanen und zu organisieren“ (Lefebvre 1975b, 368 FN 8). Er bzw. sie

„befasst sich nicht mit der Zusammenführung verschiedener Leute, sondern verschiedener Parzellen der Realität, der Erkenntnis und des Handelns. Dazu braucht er keine philosophische Theorie [...], sondern er muss sich im Gegenteil befreien von den fiktiven Begegnungen, die Philosophen erdacht und in die Philosophie gelegt haben.“ (Lefebvre 1975b, 368 FN 8)

Insofern muss er/sie die metaphysische Philosophie in die Physis der Praxis übersteigen und eben dadurch Metaphilosophie betreiben, um so die Praxis philosophisch und die Philosophie praktisch hervorbringen zu können (Lefebvre 1975b, 25).

Neben den wissenschaftlichen Konsequenzen beinhaltet das »Recht auf Stadt« vor allem also auch politische. Nämlich die „Einführung der urbanen Problematik in das politische Leben“ (Lefebvre 2014, 159). Das bedarf für Lefebvre der „Ausarbeitung eines Programms, dessen erster Artikel, die allgemeine Selbstbestimmung“, und zwar nicht nur die der einzelnen Menschen, sondern der Stadt als selbstverwaltete Kommune sein muss (Lefebvre 2014, 159 f.). Die Kommunalisierung der Urbanisierung „setzt voraus, dass an der Basis ein kompliziertes Netz von Organisationen geschaffen wird“, das „das klassische Modell der Repräsentation und des Repräsentativen, das Modell der formalen Demokratie“ durch eine „direkte[] Demokratie“ ersetzt, was „mit einer unaufhörlichen, unablässig sich erneuernden […] Organisationskraft“ einhergehen muss (Lefebvre 1974, 165).

Während Lefebvre nur ahnen konnte, dass die „Verwendung von elektronischen Hilfsmitteln (Computer und Rechenmaschinen)“ die Organisation der Kommunikation zur Vernetzung der Basis unterstützen kann (Lefebvre 1974, 165), ist die Verwendung digitaler Medien heute, fast 50 Jahre später, unverzichtbarer Alltag. Die Möglichkeiten der Selbstverwaltung sind damit eigentlich nie so günstig gewesen, um das Projekt der kommunalen Selbstverwaltung zu realisieren. Eigentlich! Denn die Reproduktion der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse war wohl zugleich auch nie so subtil gewesen. Sie erfolgt, so lassen sich Lefebvres Analysen zusammenfassen, erstens durch die Alltäglichkeit ungleich verteilter Zugänge zu den Produktionsmitteln, was eine große Mehrheit der Bevölkerung aufgrund mangelnder Möglichkeiten zur subsistenten Produktivität zum Konsum zwingt. Zweitens durch den Städtebau, der die zeitliche Fragmentierung der Lebenszusammenhänge der Leute durch die industrielle Produktionsweise auch räumlich fragmentiert, was wiederum zum Konsum von Mitteln und Dienstleistungen zwingt, um die Einheit wiederherzustellen. Drittens erfolgt die Reproduktion der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse über bürokratische und diskursive Sanktionspraktiken, die durch postpolitische „Zwangsgewalt“ Homogenität herstellen (Lefebvre 1974, 102).

Bereits in »Das Alltagsleben in der modernen Welt« hat Lefebvre die gegenwärtige Gesellschaft als „bürokratische Gesellschaft des gelenkten Konsums“ (Lefebvre 1972a, 99) herausgestellt. Aber dadurch, dass die „Bürokratie […] die Leute eher [bürokratisiert], als dass sie sie schulmeistert“, bleibt die Gewalt der diskursiven Praktiken zur Reproduktion der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse, die die Leute fesselt, latent und kaum lokalisierbar (Lefebvre 1972a, 203; 219). Eine solche Gesellschaft kann sich durchaus verändern, aber nur im Rahmen der Reproduktion der Produktionsverhältnisse. „Jede Bürokratie“, so Lefebvre, „ordnet (sich) ihren Raum an“ (Lefebvre 1972a, 219), produziert ihn und fordert entlang der bürokratischen Urbanisierung „die Reproduktion der gesellschaftlichen Verhältnisse“ ein, indem sie ihn und das damit sich nur gestalten könnende Alltagsleben programmiert (Lefebvre 1974, 105 f.). Das »Recht auf Stadt« umfasst durch kommunale Selbstverwaltung damit auch das, was, wie bereits erwähnt, Fraser später als „Politik der Bedürfnisinterpretation“ herausgearbeitet hat und die es ermöglichen soll, die „monologische[n], administrative[n] Prozesse“, d. h. das „juristische, administrative und therapeutische Management der Bedürfnisbefriedigung“ durch „dialogische, partizipatorische Prozesse der Bedürfnisinterpretation […] zu ersetzen“ (Fraser 1994, 240).

„Das Urbane“, so schreibt Lefebvre, „ließe sich somit als Ort definieren, an dem Konflikte Ausdruck finden“ (Lefebvre 2014, 186). Erst diese Konflikte ermöglichen eine Bedürfnisinterpretation und dessen Politisierung, d. h. der Politisierung des bislang zum Schweigen Gebrachten entlang und noch nicht Verwirklichten. Also all dem, was bislang noch keinen Raum hatte und daher Utopie bleiben musste und nun nach Verwirklichung ruft. Da städtisches Zusammenleben immer auch einen Kompromiss der eigenen Selbstverwirklichung bedeutet (bedeuten muss), ist Urbanisierung ein endloser Prozess, der sich mit den beteiligten Gruppen und Institutionen entwickelt. Es kommt Lefebvre darauf an, diesen Prozess im Fluss zu halten und nicht entlang der industriellen Produktionsweise des Sozialen durch eine repetitive Mimesis pleonastisch sich im Kreis drehen zu lassen. Selbstverwaltung bedeutet letztlich die „Transformation des Alltagslebens“, die nur über die umbildende Transformation bestehender Institutionen erfolgen kann (Lefebvre 1974, 168).

Auch wenn die diskursiven sowie bürokratischen Praktiken und Kontrollmechanismen der Macht entlang der Raumproduktion tief in die Alltagspraxis und das Bewusstsein der urbanisierten Menschen eingedrungen sind und dadurch die Vorstellungen der Welt nach dem urbanisierten Weltbild der Kapital(re)produktion weiträumig prägen. Die Hoffnung Lefebvres besteht dennoch darin, dass diese Macht stets unzureichend ist und sich stets einen widerständischen Raum übrig lässt. Dieser Raum muss erkannt und selbstverwaltet organisiert werden, um ihn weiterhin der repetitiven Mimesis der verwalteten Welt (Adorno) entziehen zu können. Sich dem programmierten Raum durch Selbstverwaltung zu entziehen und ihn, ausgehend vom selbstverwalteten Raum, zu revolutionieren, d. h. radikal, von Grund auf zu transformieren, gelingt aber nur, wenn es den selbstverwalteten Räumen gelingt, die durch den programmierten Raum in die Körper der AkteurInnen eingeschriebenen Gesellschaftsverhältnisse zu durchdringen und zu den durch die funktionale Alltagspraxis blockierten bzw. zum Schweigen gebrachten Wünschen und Bedürfnissen des Leibes vorzudringen.

Der Leib, die subjektive Physis der Menschen ist für Lefebvre die letzte Bastion des Widerstandes gegen die totale kapitalistische Kolonialisierung der „bürokratische[n] Gesellschaft des gelenkten Konsums“ (Lefebvre 1972a, 99), die nicht nur die innere Natur der Menschen, sondern die ganze Erdnatur als deren Mitwelt ruiniert (Stichwort Kapitalozän [6]). Entsprechend muss der Begriff des Politischen neu verortet werden: Nicht die Menschen müssen an die (Post-)Politik der Staatsräson herangeführt werden, etwa durch deliberative Partizipationsworkshops. Nicht die Sache der (Post-)Politik muss nur zur Sache von StadtbewohnerInnen gemacht werden, sondern die Sache der StadtbewohnerInnen, ihre urbanisierte ökologische Verflechtung von inneren leiblich-menschlichen und äußeren nicht-menschlichen Naturverhältnissen muss als Ausgangspunkt des Politischen begriffen und zur kollaborativen Politik des Urbanen ausgestaltet werden, die es vermag leibliche Bedürfnisse und gesellschaftlichen Belange der Menschen als ökologisch-materialistische Dialektik [7] von Stadt-Mensch-Erde zu erfassen. Selbstverwaltung residualer Räume meint daher deutlich mehr als das Etablieren einer Gegenkultur in einer Parallelwelt. Sie zielt auf die revolutionäre Umwälzung der gesellschaftlichen Raumproduktion und der Raumaneignung durch eine demokratische Infrastrukturpolitik der Produktionsmittel des Urbanen, mithin der urbanisierten Entwicklungsmöglichkeiten von Mensch [8] und Erde. Dies kann allerdings nicht libertär parallel zum Staatsapparat, gar gegen ihn erfolgen, sondern nur mit ihm, genauer: mit den staatlichen Institutionen und ihren je strukturellen Reichweiten, ohne die sozial-ökologische Transformationsprozesse nur auf der Ebene von kleinräumigen Aussteigerprojekten und ohne gesellschaftstransformative Reichweite bleiben müssen, was angesichts der Klimaproblematik von verheerender Bedeutung ist (IPCC 2008; 2019). Insofern ist es eine eigene und weitergehende Untersuchung wert Bookchins libertären Kommunalismus radikal-reformerisch (Hirsch 2007) aufzuheben, um so über den „gesellschaftlichen Erziehungsprozess“ (Lefebvre 1974, 164) der kommunalen Selbstverwaltungen zu einer „wahre[n] ‚öffentliche[n]‘ Erziehung des Staates“ (Marx 1981c, 95) zu gelangen, durch die das Recht auf die sozial-ökologische Revolutionierung der Produktion des städtischen Raums verwirklicht werden kann.

Darin ist nun auch der entscheidende Unterschied zur Lesart Lefebvres »Recht auf Stadt« durch den WBGU (WBGU 2016, 154 f.) zu erblicken, der im Namen ebenjenen »Rechts auf Stadt« in sozial-ökologischer Hinsicht zwar eine kollaborative Selbstverwaltung auf kommunaler Ebene anvisiert (WBGU 2016, Kap. 8), aber zugleich behauptet, dass sie „nicht bei allen Themen oder auf allen Ebenen“ zum Tragen kommen kann (WBGU 2016, 116), sondern nur „[s]ofern es sich sinnvoll realisieren lässt“, da die „Mitwirkungsrechte […] nicht zu Überforderung der öffentlichen Verwaltung“ und/oder durch Überforderung der Bevölkerung nicht zu ihrer Abstumpfung führen dürfe (WBGU 2016, 152 f.). Angesichts der Erfahrungen in der Gemeinwesenarbeit in den 1970er Jahren (Oehler/Drilling 2016, 23) ist diese Gefahr sicher keine zu unterschätzende. Zugleich aber verdeutlichen die seither und nicht zuletzt deswegen entwickelten sozialraum- und stadtorientierten Ansätze sozialarbeiterischer Gemeinwesenarbeit (zum Überblick: Oehler/Drilling 2016; Noack 2015; Wendt, P. 2015, Kap. 10; sowie der dort nicht/kaum angeführte kommunalpädagogische Ansatz von Richter 1998; 2001; 2008 und dessen Weiterentwicklung u. a. mit Lefebvre bei Kunstreich/May 1999 sowie May 2017), dass der bereits von Marx (Marx 1981c, 95) und Paul Natorp (Natorp 1922, 112 ff.) und auch bei Lefebvre (Lefebvre 1974, 164) wiederzufindende kommunalpädagogisch-gesellschaftliche Erziehungsprozess des Staates in der Theoriebildung und Professionalität Sozialer Arbeit angekommen ist und gerade im Hinblick auf die Klimaproblematik eine elementare Arbeit am künftigen Sozialen leisten könnte.

Dass jedoch weder die öffentlichen noch die akademischen Klimadiskurse, dass weder soziale Bewegungen wie Fridays For Future noch die sie unterstützenden Scientists For Future davon Kenntnis nehmen, ist eine Sache. Dass sich aber zugleich auch Soziale Arbeit weder als Disziplin und noch als Profession von der Klimaproblematik, die im entscheidenden Maße eine Stadtentwicklungsproblematik ist (WBGU 2016), bislang noch kaum angesprochen sieht (von wenigen jüngeren Anrufen von Böhnisch 2019, Mührel 2020 und Bartosch 2020 einmal abgesehen), ist eines der großen Forschungsdesiderate der Gegenwart und trägt letztlich zur „sozialwissenschaftliche[n] Unterbestimmtheit“ (Leggewie 2015, 67) der gesamten Klimadebatte bei [9]. Diese Lücke zu schließen muss daher zentraler Bestandteil künftiger Diskussionen um die Theoriebildung und Professionalität sozialraum- und gemeinwesenorientierter Sozialer Arbeit sein, von wo aus der Transformationsbegriff in der Klima- und Anthropozändebatte neue Impulse erhalten kann.

Literatur

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Fußnoten

[1] Anstelle eines Nachworts in »Recht auf Stadt« in der deutschen Ausgabe von 2016 eingefügt.

[2] „Habiter? vom lat.: habitare, so Guelf, „deutet in seiner ursprünglichen Bedeutung auf das wiederholte Tun hin – (davon abgeleitet ‚habitude‘ (lat.: habitudo) für Gewohnheit)“ – und „bedeutet darüber hinaus auch wohnen. Mitte des elften Jahrhunderts beschreibt das Verb die Gewohnheit irgendwo zu sein, eine Wohnung zu haben (Vgl.: Thierry Paquot (1998):, Habitat, p. 46pp.)“ (Guelf 2010, 81, FN 256). Lefebvre führt dieses Wort „als erster“ als soziologischen Begriff ein und beschreibt seit 1967 damit das Wohnen als einen „soziale[n] und doch poetische[n] Akt, ein Generator von Poesie und Werken“, wie Lefebvre es 1981 im dritten Band seiner »Kritik des Alltagslebens« (2008) zusammenfasst (Lefebvre 1981, 94 zit. in Guelf 2010, 81, FN 256, Übers. MS). In dieser Bedeutung verwendet er ihn ganz im Anschluss an den in »Metaphilosophie« zentralen Begriff Poiesis, „schöpferisches Sprechen“ durch die Praxis (Lefebvre 1975, 73), die dichte Zusammenführung von Poesie und Wahrheit im Hervorbringen von Kreationen und Werken (Lefebvre 1975, 338), was Lefebvre in der vorsophistischen Bedeutung des Wortes Logos bei Heraklit und dann erst wieder bei Nietzsche ausfindig macht, der den lange unter der Last der europäischen Metaphysik des Begriffsrealismus begrabenen „Bund[] zwischen Poesie und Philosophie“ wiederbelebt hat (Lefebvre 1975, 138 f.).

[3] Bereits in seiner »Kritik der hegelschen Rechtsphilosophie« von 1843/44 und ganz sicher nicht ohne Bezug zu Ludwig Feuerbachs seit Ende der 1830er Jahre erschienen religionskritischen Schriften schreibt Marx: „Es ist also die Aufgabe der Geschichte, nachdem das Jenseits der Wahrheit verschwunden ist, die Wahrheit des Diesseits zu etablieren. Es ist zunächst die Aufgabe der Philosophie, die im Dienste der Geschichte steht, nachdem die Heiligengestalt der menschlichen Selbstentfremdung entlarvt ist, die Selbstentfremdung in ihren unheiligen Gestalten zu entlarven. Die Kritik des Himmels verwandelt sich damit in die Kritik der Erde, die Kritik der Religion in die Kritik des Rechts, die Kritik der Theologie in die Kritik der Politik.“ (Marx 1981, 379, Hervorhebung MS) Marxens Formulierung »Kritik der Erde« birgt damit schon auf den ersten Seiten in einer seiner frühesten Schrift einen groben Umriss seines weiteren Gesamtwerkes zum Ausdruck, das ihn zum Ende seines erst postum von Friedrich Engels herausgegebenen dritten Bandes des »Kapital« zum Aufweis eines „unheilbaren Riß‘“ (Marx 1964, 821) im Stoffwechsel der Natur der Erde und schon zu einer transgenerativen Ethik führt, wie sie erst wieder in Rawls »Theorie der Gerechtigkeit« (2012) aufgegriffen wird (wenn auch mit deutlichen Abstrichen gegenüber den Marx‘schen Analysen): „Vom Standpunkt einer höheren ökonomischen Gesellschaftsformation wird das Privateigentum einzelner Individuen am Erdball ganz so abgeschmackt erscheinen, wie das Privateigentum eines Menschen an einem andern Menschen. Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie […] den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen.“ (Marx 1964, 784)

[4] Selbstverwaltung ist bei Lefebvre nicht zu verwechseln ist mit den von Foucault als „Gouvernementalität“ (Foucault 2006b; 2006a; Bröckling et al. 2000) kritisierten Selbstregierungstechniken. Der wohl entscheidende Unterschied zu Lefebvres Begriff der Selbstverwaltung ist, dass es Lefebvre darauf ankommt, die Ebene der individualistischen Ebene der neoliberalen Selbstverantwortungsethik in die kommunale Ebene des Politischen zu verlassen. Foucaults »Ästhetik der Existenz« (Foucault 2007; Trebbin 2007), als der einzigen „Kunst der freiwilligen Unknechtschaft, der reflektierten Unfügsamkeit" (Foucault 1992, 15), um „nicht dermaßen regiert zu werden" (Foucault 1992, 12), verbleibt auf der Ebene des neoliberal individualistischen Management der Selbstverantwortung, wenn auch in befreiungsethischer Hinsicht und nicht mehr nur als „Arbeitskraft-Unternehmer“ (Pongratz/Voß 1998; Resch/Steinert 2011, 288).

[5] Es sollte bislang deutlich geworden sein, dass das hier verwendete Attribut sozial-ökologisch weder in der Bedeutung der Chicago-Schule aufgeht, noch in der Bedeutung, wie es der Sozialraumorientierung durch Bronfenbrenner zugrunde gelegt wird, wonach der „zentralste Gedanke der Sozialökologie für das Fachkonzept Sozialraumorientierung […] in der Idee [besteht], (in-)formelle Lebensbereiche, in die ein Mensch eingetreten ist, miteinander zu verknüpfen“ (Noack 2015, 96), sondern über diese, wie sie mit Wolf-Rainer Wendt (2010) vielleicht besser bezeichnet werden kann, „ökosoziale“ Bedeutung weit hinaus geht. Während bei Bronfenbrenner und Wendt das Soziale ökologisch zu fassen gesucht wird (Wendt, 2010, 78), wird mit dem im vorliegenden Artikel favorisierten Begriff Sozialer Ökologie darüber hinaus auch das Ökologische sozial, d. h. die Ökologie der Erde im Zusammenhang mit ihrer Vergesellschaftung zu fassen gesucht. Mit Alfred Schmidt (Schmidt 2016, 18; Schmidt 2018, 177 f.) lässt sich diesbezüglich von einem „ökologischen Materialismus“ sprechen, der dem vorliegenden Begriff Sozialer Ökologie zugrunde liegt (vgl. Fußnote 7).

[6] Elmar Altvater zum Begriff Kapitalozän vor dem Hintergrund von Friedrich Engels „»Dialektik der Natur« und [der] Kritik von Akkumulation und Wachstum“: „Es sind nicht die Menschen schlechthin, sondern die Menschen in der kapitalistischen Produktionsweisen die die grandiosen Veränderungen aller Erdsysteme seit der industriellen Revolution bewirkt haben. Ihre Vorfahren in nicht- und vorkapitalistischen Gesellschaftsformationen haben zwar große Veränderungen in der Kultur, in der Agrikultur und Politik, in der Ökonomie und in der Architektur zustande gebracht. Sie waren also kreativ, häufig auch innovativ. Doch die räumliche und zeitliche Reichweite wurde erst unter kapitalistischen Verhältnissen so über alle menschlichen, gesellschaftlichen und natürlichen Maße gedehnt, dass auch Erdsysteme umgewälzt worden sind und der Mensch selbst zum biotisch-technischen Avatar-Hybrid mutieren könnte (vgl. Hörz undHörz 2013). Der moderne Kapitalismus ist heute also mehr als eine Gesellschaftsformation. Er usurpiert und verändert die menschliche Existenz und ist inzwischen eine erdsystemische Formation. Er ist in den Gesteinsschichten der Erde nachweisbar und zum Kapitalozän geworden. Als solches ist der moderne Kapitalismus zeitgemäße Form des dialektischen Mensch-Gesellschaft-Natur-Zusammenhangs.“ (Altvater 2015, 62 f.)

[7] Alfred Schmidt spricht vor dem Hintergrund seiner Ausarbeitung des Naturbegriffs bei Marx und Engels von einem ökologischen Materialismus, der insbesondere in Engels »Dialektik der Natur« (1975) zum Vorschein kommt und an den Lefebvre durchaus Anschluss findet: „Heuristisch brauchbar ist auch Engels’ These von der Natur als »Gesamtzusammenhang«, als in sich reich gegliedertes System universeller Wechselwirkungen. Innerhalb dieses in originärer Selbstgegebenheit sich darbietenden Systems bildet der durch materielle Produktion vermittelte Austausch von Mensch und Natur nur eine von zahllosen Interaktionen. Dadurch wird der bisherige, an menschlicher Praxis und Geschichte orientierte Denkansatz nicht hinfällig, aber relativiert. Der historisch-dialektische erweitert sich zum »ökologischen Materialismus«. Dieser begreift, daß die Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen umschlossen und getragen wird von einer elementarischen Dialektik von Erde und Mensch, den ungeschichtlichen Voraussetzungen aller Geschichte. Hierin bewährt sich der Gedanke, daß die Welt eine materielle Einheit bildet.“ (Schmidt 2016, 18; Schmidt 2018, 177 f.)

[8] Lefebvre bleibt, wie Marx, sein Werk hindurch einem Anthropozentrismus verhaftet, der mit Kirchhoff als nicht-instrumenteller Anthropozentrismus bezeichnet werden kann. Er spricht Naturverhältnissen und Naturphänomenen „nur relativ zu menschlichen Interessen, Sinnsystemen und Wertvorstellungen“ einen Eigenwert zu (Kirchhoff 2020, 39). Dieser Anthropozentrismus ist als Achillesferse der Marx‘schen wie Lefebvre‘schen Überlegungen kritisch hervorzuheben und muss in den künftigen Weiterentwicklungen ihrer Ansätze überwunden, oder wenigstens auch für nicht-menschliche Akteure geöffnet werden, wodurch der Mensch begrifflich als Erdbewohner unter Erdbewohnern gefasst werden kann.

[9] In einer aktuellen »Topografie der Klimaforschung« in der Zusammenarbeit des Berliner Forschungsinstitut Mercator Research Institute on Global Commons an Climate Change (MCC) mit dem Priestley International Centre for Climate an der Universität Leeds stellt sich zwar heraus, dass Klimathemen „von den Sozialwissenschaften wenig beachtet“ werden, allerdings zeigen sie sich „in den jüngsten Sachstandsberichten des Weltklimarates keineswegs unterrepräsentiert. […] ‘Trotzdem sind viele Forscher noch unzufrieden mit dem Gewicht der Sozialwissenschaft in den Berichten. Das Problem liegt vielleicht eher in deren geringem Anteil an der Klimawandel-Literatur insgesamt.‘ Die Forderung nach stärker lösungsorientierten IPCC-Berichten mit mehr Sozialwissenschaft berührt also auch das Thema von strukturellen Änderungen in der Forschungsförderung.“ (MCC 2020) Wenn John Bellamy Foster in einem Interview aber provokant zusammenfasst, dass „der Mainstream der Sozialwissenschaften, wie wir ihn heute vorfinden, […] die kapitalistische Ideologie fast vollständig verinnerlicht [hat]; so sehr, dass der Mainstream der Sozialwissenschaften unfähig ist, das [Klima- und Öko-]Problem in seiner Reichweite anzugehen, und zwar auf eine Weise, die den herrschenden historischen Bedingungen angemessen ist“ (Foster 2017), dann stellt sich die Frage, welche Theorietradition „in den jüngsten Sachstandsberichten des Weltklimarates“ (MCC 2020) repräsentiert ist und welche nicht. Wenn Foster im besagten Interview weiterhin kritisiert, dass „[j]ene Mainstream-Sozialwissenschaftler*innen, die ökologische Probleme thematisieren, […] dies so [tun], als ob wir es mit recht gewöhnlichen Bedingungen zu tun hätten und nicht mit einem planetarischen Notfall, einer nie dagewesenen Situation“, dann „kann [es] keine gradualistische, öko-modernistische Antwort geben auf die schrecklichen ökologischen Probleme, mit denen wir es zu tun haben“ (Foster 2017).


Zitiervorschlag

Schmidt, Marcel (2020): Zur Entstehung und Bedeutung des »Recht auf Stadt« im Werk Lefebvres. In: sozialraum.de (12) Ausgabe 1/2020. URL: https://www.sozialraum.de/zur-entstehung-und-bedeutung-des-recht-auf-stadt-im-werk-lefebvres.php, Datum des Zugriffs: 24.04.2024