Jugendliche und Jugendkulturen im öffentlichen Raum – Ergebnisse aus einem internationalen Lehrforschungsprojekt in Linz

Brigit Bütow, Christian Spatscheck

Das im Folgenden beschriebene Projekt wurde im Rahmen der International University Week „Social Work and the Arts“ im April 2009 an der Fachhochschule Oberösterreich in Linz durchgeführt. An der Erstellung der Studie haben 19 Studierende aus sechs europäischen Hochschulen (HS Bremen, FH Jena, FH Emden, FH Linz, Hanzehogeschool Groningen, TU Gabrovo) mitgewirkt. Diese Hochschulen sind mit weiteren Partnern im Netzwerk „SocNet98 – European Network of Universities/Schools of Social Work“ zusammengeschlossen und organisieren jährliche International University Weeks als Austauschprojekte. Die Autor_innen haben das Projekt als Lehrende begleitet. Die Studie basiert auf Straßenumfragen und Beobachtungen von Jugendlichen in Peer-Groups bzw. in Jugendkulturen im öffentlichen Raum der Stadt Linz.

Dieser Artikel dokumentiert die Ergebnisse der Arbeitsgruppen und Teilprojekte. Über den forschenden Zugang konnten interessante, wenn auch kleine und kurzfristige Einblicke in das Alltagsleben junger Menschen in Linz und die kulturelle Vielfalt einer der beiden Kulturhauptstädte Europas 2009 gewonnen werden. Die Studie wirft ein erstes Schlaglicht auf die lokale Situation, das durch weitere Studien zu einem umfassenderen Bild vertieft werden könnte. Dennoch kann sie bereits ein facettenreiches Bild der lokalen Vielfalt jugendlicher Lebensformen und ihrer Wahrnehmung durch Jugendliche erschließen. Als Lehrprojekt bot das Vorhaben einen exemplarischen Einstieg in die Möglichkeiten der praxisorientierten Forschung und Konzeptentwicklung. Dieser Zugang könnte auch für die Praxis der Jugendarbeit sehr interessant und hilfreich sein, um professionelle Kompetenzen weiterzuentwickeln.

1. Cliquenraster als lebensweltorientierte Forschungsmethode

Anhand der Erhebungsmethode der Cliquenraster (vgl. zur Methodik: Deinet 2009, S. 79; Krisch 2009, S. 117; Deinet/Krisch 2009; 2006) wurden junge Menschen in Interviews im öffentlichen Raum (Zufallsstichproben) befragt. Diese aktivierende Methode wird angewandt, um eine Bestandsaufnahme regional vorliegender Jugendkulturen und Cliquen aus der Sicht von Jugendlichen zu erstellen. Anhand eines strukturierten Kurzfragebogens mit offenen Fragen werden Kinder und Jugendliche darüber befragt, welche Cliquen sie in ihrem Umfeld kennen. In der ursprünglichen Form werden dabei folgende Kategorien angewandt: Name der Clique, Anzahl, Alter und Geschlecht der Mitglieder, Verhalten, Tätigkeiten, Outfit, Musikgeschmack, Weltbild, Sprache, Treffpunkte und Aufenthaltsorte, Problemlagen, Bedürfnisse, Interessen, Konflikte sowie Ansprüche und Anforderungen dieser Gruppe (vgl. Krisch 2009, S. 119). Darüber hinaus können weitere Kategorien formuliert werden, um spezielle Fragestellungen zu erfassen.

Beim Einsatz von Cliquenrastern kann auf ein Modell von Krafeld (1992, S. 29) zurückgegriffen werden. Dieses betrachtet Jugendkulturen als übergreifende „sozio-kulturelle Orientierungssysteme“, die von Szenen als „sozial-räumliche Organisationsformen im Alltag“ gebildet werden. Szenen wiederum werden von Cliquen gebildet, die als „sozial-interkommunikative Beziehungsgeflechte“ im lebensweltlichen Alltag junger Menschen entstehen. Gleichaltrigengruppen in ihren je spezifischen, oft auch äußerlich wahrnehmbaren Differenzierungen und Selbstdarstellungen bieten gerade für Jugendliche in den immer komplexer und diffuser werdenden biographischen Übergängen wichtige Bezugs- und Abgrenzungsmöglichkeiten (Bütow 2011; 2012; Krüger u.a. 2010). Auch das explizite und implizite Wissen über- und voneinander gehört dazu. Die mit der Methode des Cliquenrasters erhobenen Wissensbestände dokumentieren daher einerseits die durch Jugendliche wahrgenommenen und angenommenen bzw. beobachteten (stereotypen) äußeren Differenzierungsmerkmale anderer Jugendlicher, die zu bestimmten Jugendcliquen oder -kulturen gehören. Andererseits bilden diese Wahrnehmungen tatsächliche Beziehungsgeflechte von direkter oder indirekter Kommunikation und Interaktion ab. Daher kann man mit dieser Methode mittelbar auf sozialräumliche jugendliche Lebenswelten schließen.

Nach der Datensammlung können die Ergebnisse aufbereitet und durch eine qualitative Inhaltsanalyse (vgl. Mayring 2007) interpretiert sowie mit den Kindern und Jugendlichen als lokalen Experten vor Ort diskutiert werden. Das Ziel dieser Methode ist es, einen möglichst guten Überblick über die in einem bestimmten Sozialraum[1] vorhandenen Cliquen zu bekommen sowie deren inhaltliche Ausrichtung, Verbindungen, Lebenslagen und Interessen der Mitglieder zu identifizieren.

Auf der Grundlage dieser Analysen könnten Mitarbeiter_innen von Kinder- und Jugendhilfe- oder Bildungseinrichtungen ihr Wissen über Jugendkulturen und Cliquen in ihrem Einzugsbereich vertiefen sowie ihre Angebotsformen dahingehend überprüfen, ob sie den Bedürfnissen und Interessen der Jugendlichen gerecht werden. Mit dieser Methode können gezielt partizipatorische Anliegen verfolgt werden, da es für junge Menschen attraktiv sein kann, mit ehrlichem Interesse als Expert_innen über ihre Belange befragt zu werden, und da die Ergebnisse für zukünftige Planungen und Angebotsentwicklungen einbezogen werden können.

Ergänzend zu Befragungen von Kindern und Jugendlichen kann diese Methode auch mit Erwachsenen angewandt werden; insgesamt entstehen so interessante kontrastierende Aussagen über die Selbst- und Fremdwahrnehmung von Jugendlichen und Jugendkulturen aus Sicht der verschiedenen Gruppen.

2. Die Studie und ihre Umsetzung

Im beschriebenen Lehrforschungsprojekt wurde die Methode des Cliquenrasters durch verdeckte Beobachtungen mit dem Ziel der „dichten Beschreibung“ von sozialräumlichen Kontexten von Jugendlichen in der Stadt Linz kontrastierend ergänzt. Die Methode der verdeckten Beobachtung wurde v.a. in den 1920er Jahren in der „Chicagoer Schule“ entwickelt (vgl. Löw/Steets/Stoetzer 2008, S. 51) und hat innerhalb der Jugendkulturforschung eine lange Tradition. Gegenwärtig wird diese Methode besonders in der ethnographischen Forschung verwendet. Sie ermöglicht in ihrer systematischen Anwendung, das Verhalten von Einzelpersonen oder Gruppen, insbesondere ihrer Umgangsformen und -rituale zu erfassen und strukturell zu beschreiben (vgl. Geertz 1995; Rosenthal 2005, S. 101ff.). Theoretisch geht diese Methode von der Tatsache aus, dass Menschen handelnd – in Kommunikation und Interaktion – grundlegende kulturelle Bedeutungen entfalten. Diese sind deshalb der Beobachtung zugänglich und müssen entsprechend ihren Bedeutungs- und Sinnkontexten auf der Grundlage von Beobachtungsprotokollen systematisch entschlüsselt werden. Da es sich bei der Linzer Beobachtungsstudie nicht um ein längerfristiges Forschungsprojekt handelte, sondern um einen ergänzenden, sozialräumlichen Blick auf Jugendliche (vgl. ausführlicher Bütow 2006), wurden Ziele, Erhebungs- und Auswertungsstrategien entsprechend modifiziert.

2.1 Cliquenraster

Mit der Forschungsmethode der Cliquenraster wurden junge Menschen in Interviews im öffentlichen Raum in Linz an einem Donnerstag im April 2009 (Zufallsstichproben) gebeten, zu folgenden Leitfragen offene Antworten zu geben:

Mit insgesamt sechs Interviewteams wurden Daten erhoben und dabei 38 Jugendliche befragt. Bei der Wahl der Orte wurden durch Rücksprache mit den örtlichen Studierenden aus Linz jene Orte identifiziert, die für Jugendliche vermutlich die Haupttreffpunkte im öffentlichen Raum darstellen. Wie in den folgenden Übersichten ersichtlich, handelt es sich hierbei vor allem um Parks, öffentliche Plätze in der Stadtmitte sowie Orte in Linz, die speziell für Jugendliche relevant sind.

Die Studierenden hatten nach einer Kurzschulung und Konzeptentwicklung etwa drei Stunden Zeit für die Datenerhebung und gingen in Gruppen zwischen zwei und vier Studierenden zu den für die Befragungen vorgesehenen Orten. Sie haben sich bei den Jugendlichen offen als Interviewer_innen ausgegeben und sich durch Namensschilder als Teilnehmer_innen der International University Week kenntlich gemacht. Die Interviews fanden überwiegend in deutscher Sprache statt, einige Gespräche wurden auch in englischer Sprache geführt. Dadurch haben sich womöglich kleinere Übertragungsfehler ergeben.

2.2 Verdeckte Beobachtung

In Anlehnung an die Studien von Matthew (2002)[2] wurden bei verdeckten Beobachtungen Jugendliche in Gleichaltrigengruppen im öffentlichen Raum von Linz in den Blick genommen. Dabei wurde das Leitinteresse verfolgt, herauszufinden, wo sich Jugendliche im öffentlichen städtischen Raum aufhalten, welche Nutzungsmuster sie zeigen und wie sich Jugendliche dabei auch öffentliche Räume aneignen. Das Spannungsfeld von einer eher von Erwachsenen strukturierten „Kulturhauptstadt Europas 2009“ einerseits und ihrer Nutzung von und durch Linzer Jugendliche andererseits, bildete bei den Beobachtungen einen heuristischen Aufmerksamkeitsrahmen.

Die Auswahl der Beobachtungsorte und Beobachtungszeiten erfolgte dabei entsprechend und nahezu parallel zur Befragung. Allerdings war die Anzahl der Orte durch lediglich zwei Beobachter_innen (Birgit Bütow und Christian Spatscheck) beschränkt auf fünf besonders kontrastierende Sozialräume. Dieses waren zum einen Orte, wo sich Jugendliche in der Regel aufhalten, weil sie als Konsumenten bzw. Zielgruppe gelten, zum anderen Parks und öffentliche Plätze, also Orte, wo Jugendliche einander treffen und beobachten, flanieren und sich darstellen können: Hauptplatz, McDonald’s, Platz um das Lentos-Kunstmuseum, Donau-Park mit Ernst-Koref-Promenade (bis Bruckner-Haus) und Pfarrplatz mit Stadtkirche.

Die Protokollierung orientierte sich pragmatisch an dem Leitfaden, den Gabriele Rosenthal (Rosenthal 2005, S. 115) entwickelt hat. Wesentliche Punkte darin waren:

Die Beobachtungsprotokolle sind den am Projekt teilnehmenden Studierenden zur Verfügung gestellt worden. Leider erlaubte der Zeitrahmen der International University Week keine gemeinsame Auswertung und Kontrastierung der Ergebnisse mit denen aus dem Cliquenraster. Dies sollte einem späteren Projekt vorbehalten bleiben[3], wie auch die Übung und Reflexion der Methode der teilnehmenden Beobachtung als mögliches Instrument der Professionalisierung in der Arbeit mit Jugendlichen.

Die vorliegenden Ergebnisse aus der Beobachtung wie auch aus dem Cliquenraster sind aus einem wechselseitigen Interpretationsprozess der beiden Autoren via Internet hervorgegangen. Diese können als erste Hypothesen gelten, die aus dem empirischen Material generiert wurden. Die Auswertung erfolgt entsprechend der grundlegenden Prinzipien der qualitativen Forschung rekonstruktiv, sequenziell und induktiv (Rosenthal 2005, S. 45ff.).

3. Erste Ergebnisse der Erhebung

Im Sinne von Transparenz und Nachvollziehbarkeit des Erkenntniswegs der Forschungsgruppe werden die Ergebnisse und Auswertungsschritte in einem mehrstufigen Verfahren präsentiert. Die Ergebnisse der Cliquenraster werden zunächst überblicksartig dargestellt. Daran anschließend werden die Inhalte der Cliquenraster zusammenfassend interpretiert. Schließlich werden  Interpretationen der Beobachtungen dargestellt.

3.1 Ergebnisse der Datenerhebung über Cliquenraster

Die Anwendung der Cliquenraster-Methode führte in den einzelnen Arbeitsgruppen zu einer Aufstellung von Ergebnissen, die im Folgenden dargestellt werden.

In der Nähe des Skateparks an der Donau (An einem Donnerstagnachmittag, 24. April 2009)
Anne-Katrin Kachold und Marie Günther, FH Jena

Name Kleidung Musik Verhalten Politisches Interesse Treffpunkte
Emos

(Mädchen und Jungen zwischen 13 und über 20)
  • Schwarze Haare, ins Gesicht gekämmt
  • schwarzer Eyeliner
  • toupierte Haare
  • “Hello Kitty”-Drucke
  • Kirschen, Erdbeeren
  • jugendlich
  • Hardrock
  • Middleagerock
  • hassen sich selbst
  • depressiv
  • still
  • autoaggressiv

 

-

  • Donaulände
Punks
  • bunte Haare
  • Piercings
  • „Irokesen”-Haarkamm
  • rasierte Haare
  • harte Musik und harte Musikvideos
  • „Sie haben Ratten auf der Schulter“

-

  • Lände

Krocha

(mehr Jungen, zwischen 14 und 16, sehen älter aus, als sie sind)

  • Ed-Hardy-Style
  • “Lacoste”
  • Neonfarben
  • Pinke Shirts
  • „Vokuhila” (längster „Vokuhila” = höchster Status)
  • Lederjacken
  • Dance „Jumpstyle”
  • Hard Style, Techno
  • Schranz
  • Scooter
  • manieristisch: „Sie sind wie Schwule”

 

-

  • Disko Millenium
  • Altstadt
  • Solarcity

Nazis

  • Glatzköpfe
  • „Bomberjacken”
  • Armeehosen

-

  • manche sind Hooligans
  • aggressiv

-

  • Altstadt

“Lasker”/LASK Fans

(Fans des Linzer Fussballklubs LASK, zwischen 16 und 30)

 

-

  • Fussballfans
  • Hooligans
  • schlagen sich
  • Aufnahmeriten

-

  • Altstadt

Autofreaks

(vornehmlich Jungs, 18 +)

 

  • Techno
  • Tuning
  • laute Musik aus Autoboxen
  • Honda vs. VW

-

 

Gangsters

(Jungen/Mädchen, häufig Migranten)

  • Weite Kleidung
  • Base Caps
  • Goldketten
  • Hip Hop
  • Hip Hop

-

  • Auwiesen
  • Neue Heimat

Schillerpark und Volksgarten (An einem Donnerstagnachmittag, 24. April 2009)
Jana Sämann, N.N., HS Bremen

Name

Kleidung

Musik

Verhalten

Politisches Interesse

Treffpunkte

Kein Name

(2 Mädchen, 18 Jahre)

 

  • normal
  • Rock
  • Reggae
  • lebensfroh
  • informiert, aber nicht festgelegt
  • Landstraße

Normal/individuell/ „Wir gehören niemandem“

(3 Jungen, 2 Mädchen,
17 Jahre)

  • was wir wollen
  • individuell
  • Reggae
  • Metal
  • Techno
  • Indie
  • Rock
  • Elektro
  • Ska

 

  • optimistisch
  • interessiert an linker Politik
  • Donau

„Unsere Gruppenidentität wechselt oft”

(3 Mädchen, 16 Jahre)

 

  • im Moment Skaterstyle
  • Was wir wollen
  • Punk
  • Punk Rock
  • Indie
  • tiefgründig
  • kindisch
  • interessiert an linker Politik
  • Schule
  • McDonald’s

„Individuell”

(2 Mädchen, 16 Jahre,
1 Junge, 15 Jahre)

 

  • H&M
  • Skater style
  • Rock
  • Indie
  • Reggae
  • lachen viel
  • informiert, eher links
  • Partys

„In der Schule sind wir Künstler”

(2 Mädchen, 14 und 15 Jahre)

 

  • vielfarbig
  • Hip Hop
  • Mixed
  • Alternative
  • haben immer Spaß
  • gering
  • Schule
  • Landstraße
  • Parks

Kein Name

(1 Mädchen, 17 Jahre,
1 Junge, 19 Jahre)

  • abhängig von der aktuellen Mode
  • Hip Hop
  • meistens gut gelaunt
  • hängt vom Thema ab
  • Landstraße
  • Park

In der Umgebung des Kunstmuseum „Lentos“ (An einem Donnerstagnachmittag, 24. April 2009)
Stefanie Will und Theresa Hilse, FH Jena

Name

Kleidung

Verhalten

Musik

Weltanschauung

Treffpunkte

Bobos

(Bohemian Bourgoises)

  • „Pali Schal“
  • (Palästinenser Tuch);
  • Exotischer Schal
  • welterfahren
  • Oberschicht
  • reiche Eltern
  • Weltreisen

 

 

  • Donau

Krocha (Kracher)

  • Ed Hardy Style
  • vielfarbige Baseballcaps
  • enge, bunte Hosen
  • besonderer Haarschnitt (Vokuhila=vorne kurz, hinten lang)
  • gebrochenes deutsch
  • laut
  • aggressiv
  • arrogant
  • betteln
  • bemüht, cool zu sein

 

  • Techno
  • Elektro
  • „Jumpstyle”

 

  • Passage
  • Coffee shop
  • Disco
  • Donau

Metaller

(Selbstzuschreibungen)

  • schwarz
  • Band Shirts
  • lange Haare

 

  • Heavy Metal
  • unpolitisch
  • Unterscheidung zwischen:
    religiös/nicht religiös
    rassistisch/anti- rassistisch
  • Bars
  • historische Altstadt

„Asseln“ / „Zecken“

(Selbstzuschreibungen
)

  • entspannt
  • bunt
  • „asozial”

 

  • unkommerzielle Bands,
  • Bands wie: „Goethes Erben”, „Blutengel”, “Eisbrecher”
    à industrial gothics
  • antirassistisch
  • offen für neues
  • generelles politisches Interesse

 

  • Sommer: Lände
  • Winter: Bahnhof

Punks

(Fremdzuschreibungen)

  • bunt; bunte Haare;
  • viele (Metall)Nieten

 

  • laut
  • harmlos
  • Punk rock

 

  • Anarchie
  • Taubenmarkt
  • Lände

“Proleten”

(Proletarier)

  • getunte Autos
  • gestylte Haare;
  • große Gürtel
  • aggressiv
  • Mainstream
  • Techno
  • politische Rechte
  • Empire Disco
  • historische Altstadt

Emos

  • schwarze Haare
  • Make-up wie „Tokio Hotel”
  • “Followers”, nur in Gruppen, nicht offen für andere Gruppen
  • „Placebo”
  • „Bullet for Valentine”
  • „Silverchair”
  • kein politisches Interesse
  • Taubenmarkt

Hauptplatz / Donau (An einem Donnerstagnachmittag, 24. April 2009)
Harmke Baas, Cathry Hof, Hanze Hogeschool Groningen

Name

Kleidung

Musik

Verhalten

Politische Ansichten

Treffpunkte

Botschaft an die Gesellschaft

Kein Name

  • alles
  • Reggae
  • Ska
  • Pop
  • Neues ausprobieren
  • sich selbst in Musik ausdrücken
  • gegen Rassismus
  • Hauptplatz
  • „in der Stadt”
  • Musik, um zu tanzen und die Gesellschaft zu kritisieren

Gothics

(sie nehmen an, andere würden sie so beschreiben)

  • schwarz
  • victorianisch
  • Punk
  • schwarzer Humor
  • Ironie
  • Rollenspiele
  • Nimm`s leicht
  • Lentos
  • Existentialismus

Anmerkung: Diese beiden waren die vollständigsten Interviews. Ich habe versucht, das rückzuübersetzen, was ich annahm, dass sie mir erklären wollten, da ihr Englisch nicht sehr gut war. Sie versuchten es auch auf Deutsch und – so weit ich es verstehen konnte – schrieb ich das Gesagte nieder.

„Donau Lände” (An einem Donnerstagnachmittag, 24. April 2009)
Stephanie Starke, Katja Fritzsche, FH Jena

Name

Kleidung

Musik

Verhalten

Politische Ansichten 

Treffpunkte

Sie rechnet sich keiner bestimmten Jugendkultur zu.

(weiblich, 21 Jahre)

  • alternativ
  • Sie mag Musik, die ihr keine „physischen oder psychischen Schmerzen“ verursacht und zieht diese vor.
  • Sie mag an Jugendkulturen, dass man anders, aber akzeptiert ist. Keiner lacht sie aus, weil sie sie selbst ist. Sie wird als Mensch akzeptiert.

 

  • “Alle Politiker sind Verbrecher”.
  • Es sollte keine Parteien geben.
  • Ihr größter Wunsch für die Zukunft wäre, dass mehr für Kinder und ihre mentale und psychische Gesundheit getan wird. Politiker sollten sich mehr um Kinder und deren Wohl kümmern.

 

  • Es gibt keine speziellen Orte, an denen sie andere trifft.
  • Sie liebt es draußen die Natur zu genießen.
  • Sie hängt gern im „Coretto“ rum (befindet sich in der  „Altstadt”), ein berühmtes Cafe, wo man auch Leute aus der Drogenszene trifft.

Er rechnet sich keiner bestimmten Jugendkultur zu.

Als er jünger war faszinierten ihn die Punks und er trug einen Mohawk (Haarschnitt der Punks).

(männlich, 34 Jahre)

  • lässig
  • Musik hören ist abhängig von seiner Laune. Er liebt klassische Musik, aber auch Rock und Pop.
  • Früher mochte er an seiner Jugendkultur, gegen vorherrschende Meinungen und Argumente zu sein.

 

  • “grün”
  • Der Ort, den er nannte war auch das „Coretto“.

Anmerkung: Als wir die Aufgabe bekamen, eine Sozialraumanalyse in „Donau Lände”/Linz mit Jugendlichen durchzuführen, die Jugendkulturen leben (oder kennen), hatten wir vor, mehr als zwei junge Leute zu befragen. Aber als wir diese beiden Leute trafen, mussten wir unsere Pläne ändern, weil es einen großen Bedarf gab, gehört zu werden. Wir konnten sie nicht befragen und direkt danach weitergehen. Wir leisteten ihnen Gesellschaft und hörten den Gedanken zu, die sie uns mitteilten. Besonders das 21 Jahre alte Mädchen brauchte jemanden zum reden. Wir fragten sie, ob es Sozialarbeiter gäbe, die sie kennen würden (z.B. Streetworker, Sozialarbeiter im „Coretto“) aber sie verneinten.

„Donau Lände” (An einem Donnerstagnachmittag, 24. April 2009)
Karolin Stein, Jill Reuter, FH Emden

Name

Kleidung

Verhalten

Musik

Politische Ansichten

Treffpunkte

Botschaft an die Gesellschaft

Blumenkind, „Aktion Kritische Schüler“

(Alter 16)

 

  • bunt
  • Hippie-style
  • alternativ
  • Sneakers
  • feministisch
  • kritisch
  • veränderbar
  • Dubstep (Benga)
  • Electro
  • Jazz
  • Classic
  • links
  • Garten
  • draußen
  • Werde/bleibe/sei kritisch

Emo

(Alter 14)

  • schwarz
  • Skaterschuhe
  • Alice Band
  • depressiv
  • wechselhafte Launen
  • Gary Jules
  • Pop
  • Rock
  • keine Angaben
  • Zu Hause
  • Marktplatz
  • „Don’t worry, be happy – oder versuch es einfach!”

Neutral

(Alter 14)

  • braun
  • schwarz
  • lustig
  • fröhlich
  • wird schnell verrückt
  • Pop
  • Rock
  • soziale Ader
  • zu Hause
  • keine Angabe

Individuell

(Alter 15)

  • Basketballschuhe
  • Cap
  • Baggypants (weite Hosen)

 

  • „nuttig“
  • aufgekratzt
  • American Hip Hop
  • „gegen Frau Schmied”
  • Hauptplatz
  • „Lände”
  • Kinder findet euren EIGENEN Style!

Nichts besonderes

(Alter 15)

  • Shirt
  • Anzug
  • Shorts
  • Schwarz
  • lustig
  • manchmal extrovertiert
  • manchmal introvertiert
  • House
  • kein Gefühl der Zugehörigkeit
  • Sportplatz
  • Altstadt
  • Stadion
  • keine Angabe

3.2 Interpretationen der Daten aus den Cliquenrastern

In den Interviews der Studierenden mit Linzer Jugendlichen dokumentiert sich die Vielfalt der vorfindbaren Jugendkulturen, die Jugendliche differenziert wahrnehmen und beschreiben können. Einerseits sind dabei viele „traditionelle“ Jugendkulturen zu finden (Hippies, Punks), andererseits auch viele neuere Formen (Emos, Krocha, Bobos ...). Die meisten der genannten jugendkulturellen Strömungen würden vermutlich genauso in anderen Ländern und Regionen genannt werden, hier macht sich die globale Ausbreitung der Jugendkulturen in ihrer global-lokalen Interdependenz (vgl. Spatscheck 2005, 422ff.) bemerkbar. Gleichwohl werden regionalspezifische Einschläge immer wieder sichtbar: die „Krocha“ als lokale österreichische Ausprägung der Techno-Szene, die „LASK Fans“ als regional geprägte Fußballfancliquen, die von „Autogruppen“ bevorzugen Automarken, die sich von anderen Regionen unterscheiden („Honda statt Opel“), die Verbindung des „Blumenkindes“ zur österreichischen „Aktion kritische Schüler“ etc.

Jugendkulturen und die von ihnen geprägten Sozialräume und Beziehungen zu Gleichaltrigen bzw. ähnlich Gesonnenen scheinen noch immer zentrale Funktionen für die jugendliche Bedürfnisbefriedigung und Identitätsfindung zu haben (vgl. Spatscheck 2006, S. 181-196) oder gar noch an Bedeutung hinzu gewonnen zu haben (vgl. Bütow 2008). In Folge erodierender sozialer Integrationsmodi und unsicher werdender biographischer Planungen und Übergänge werden Gleichaltrige zu einer wichtigen Instanz der Identitätsbildung, der Rahmung von sozialen Zugehörigkeitsmustern und der Auslotung individueller Optionen (vgl. ebd.).

Viele der Befragten scheinen sich nicht eindeutig einer bestimmten Jugendkultur zugehörig zu fühlen, sondern definieren sich in ihrer eigenen Spezifik und Individualität, ein Trend, der sich auch in repräsentativen Jugendstudien zeigt (vgl. z.B. Gille 2008). Die befragten Jugendlichen formulierten hierzu recht differenzierte Fremd- und Selbstbeschreibungen. Diese Äußerungen geben Einblicke in die gegenseitigen Wahrnehmungen und verdeutlichen das dabei wirksame Spannungsfeld von Stereotypen, vorhandenen Mustern der Zugehörigkeit und den damit verknüpften „inneren Mentalitäten“.

Mitunter dokumentierte sich bei einigen Jugendlichen ein schneller Wechsel bzw. Wandel jugendkultureller Identifikationen: Die Aussage eines Befragten über ein ehemaliges Cliquenmitglied („Früher war er Punk, jetzt ist er Emo“) verdeutlicht dieses in mehreren der dokumentierten Gesprächen vorfindbare Phänomen. Diese Beobachtung korrespondiert mit der frühen These von Ralf Vollbrecht (1995; 1997), dass Jugendkulturen vermehrt zu vorübergehend gewählten Lebensstiloptionen werden, die phasenweise gelebt und schnell und häufig gewechselt werden. Muster der Zugehörigkeit zu Cliquen bzw. Jugendkulturen erfüllen deshalb immer lebenslaufspezifische, biographische Funktionen und unterliegen einem steten Wandel in den Bedeutungen (vgl. Bütow/Wensierski 2002; Krüger u.a. 2010).

 3.3 Einblicke in die sozialräumlichen Beobachtungen

Die Durchführung der Beobachtungen führte an den einzelnen Orten zu den im Folgenden dargestellten Gedanken und Interpretationen. Die jeweiligen Überschriften zur Charakterisierung der sozialräumlichen Kontexte sind bereits Ergebnisse der Interpretation.

3.3.1 Treffpunkt und Sozialraum, in dem Zugehörigkeit gestiftet und reproduziert wird (McDonald’s)

Hier finden sich v.a. Jugendliche und nur ganz wenige Erwachsene. An den Tischen gibt es sowohl gemischtgeschlechtliche Gruppen von Jugendlichen als auch reine Jungengruppen, die sich kennen. Es „docken“ immer wieder neue Jugendliche an. Das Essen füllt ganze Tabletts, und es erinnert an eine feierliche oder rituelle „Zelebration“. Alle nehmen sich Zeit, um die verpackten Teile des Gesamtkunstwerks herauszunehmen, als sei es eine nebensächliche Hauptsache. Hauptsache scheinen aber die Gespräche und das Treffen, Nebensache Essen aus diesen Schächtelchen. Es gibt keinen Jugendlichen, dessen Tablett leer ist. Deshalb ist der Aufenthalt in diesem Lokal nicht nur reiner Treffpunkt, an dem man sich unter Bekannten/ Freunden „einfach so“ trifft. Vielmehr wird das dort angebotene Essen qua kollektivem Kauf und Verzehr zum sozialen Zugehörigkeitsmuster.

An einem Tisch sitzen nur Jungen im Alter von ca. 14 Jahren. Ihre übervollen Tabletts mit leeren Verpackungen dokumentieren, dass sie eine Menge Burger etc. verzehrt haben, offenkundig als Hauptmahlzeit, und bereits längere Zeit hier verbracht haben. Die leeren Verpackungen muten wie ein Wettbewerb um den Verzehr der meisten Burger an. Somit können Treffen zum Essen auch Ausdruck von Status (Wer schafft die meisten? Wer kann sich mehr leisten?) sein. Die Jungen verlassen das Restaurant und hinterlassen die leeren Packungen – der Platz bleibt so lange leer, bis die Servicekräfte alles wegräumen. Da keiner von ihnen die Abfälle wegräumt, sondern diese quasi wie ein Denkmal hinterlassen werden, sind zweierlei Deutungen möglich: Zum einen stiftet es Gemeinsamkeit im Status und in der Coolness, vieles verzehrt zu haben, sich aber nicht auf die „unwürdige“ Stufe des Wegräumens herabzulassen (damit läge ggf. auch eine Interpretation von männlicher Identitätsbildung nahe), zum anderen dokumentieren die Jugendlichen den souveränen Konsumenten, der mit der Bezahlung des Essens auch weitere Serviceleistungen erwarten kann (möglicherweise setzen die Jungen aber auch nur die Gepflogenheiten in ihrer Familie fort, sich nicht am Haushalt zu beteiligen).

Als ein skurriler, älterer Mann (verdreckte Kleidung, vermutlich obdachlos) spielerisch Kontakt zu einer Gruppe von Jugendlichen bekommen will, zeigen diese ihm die kalte Schulter, so dass er nach einer geraumen Zeit es am nächsten Tisch probiert, ebenfalls ignoriert wird und schließlich das Lokal verlässt. Bei diesen Szenen handelt es sich zum einen um die Abgrenzung Jugendlicher von einem Erwachsenen, zum anderen wird auch eine Verachtung gegenüber einem bestimmten Typus von Erwachsenen, nämlich einem Obdachlosen demonstriert. Damit stilisieren sich die Jugendlichen als Teil der „integrierten Normalgesellschaft“ von potenziellen „Gewinnern“. Auch dieses stiftet Gemeinsamkeit.

3.3.2 Hauptplatz und Lentos-Museum als von Erwachsenen-Kultur normierter Ort

Alle Bänke auf dem Hauptplatz sind besetzt (v.a. ältere Menschen mit Taschen/Beuteln; Mütter mit Kinderwagen, Touristen; die Cafés sind alle voll mit Erwachsenen). Am Denkmal stehen mehrere Schulklassen bzw. Schüler, die auf ihre Lehrer warten. Sichtbar ist einerseits die Geschlechtertrennung: Mädchen und Jungen stehen in Dreier- bis Fünfergruppen und nehmen einander im Augenwinkel wahr. Es kommt zu einigen Neckereien und inszenierten, kleinen Raufhändeln zwischen den Geschlechtergruppen als symbolischen Annäherungsformen. Ein paar Jugendliche sind mit ihren Handys beschäftigt. Als die Lehrer kommen, geht eine Gruppe weg, die andere bleibt, weil der Lehrer offensichtlich etwas erklärt. Nur wenige hören wirklich zu, alle anderen wirken gelangweilt oder bewegen sich symbolisch weg, haben anderes zu tun. Die Neckereien zwischen Mädchen und Jungen haben aufgehört – vermutlich, weil sie wissen, dass es sonst Ärger mit dem Lehrer gibt. Nach einer Weile zieht die Klasse weiter. Der Platz ist jetzt „jugendfrei“, nur ältere Menschen, Touristen und Mütter mit ihren Kleinkindern sind zu sehen – alles ist wohlgeordnet und störungsfrei. Es scheint, als sei der Hauptplatz keine für Jugendliche zuträgliche Flaniermeile – zumindest nicht zum Beobachtungszeitpunkt um die frühe Nachmittagszeit.

Am Lentos-Museum finden sich wieder viele Jugendliche (Schulklassen) und Gruppen von älteren Menschen, vermutlich Touristen oder organisierte Formen von Gruppenunternehmungen. Die stilisierten Autos am Eingang des Museums verlocken zur „Aneignung“ – dies versuchen auch einige Mädchen schüchtern. Sie lassen dann jedoch davon ab, vermutlich aus Angst vor Restriktionen. So bleibt es bei gestellten Fotos und angedeuteten Grenzüberschreitungen (z.B. sich auf die Autos stellen oder legen). Die Jugendlichen gehen in das Museum. Da keine Sitzplätze vorhanden sind und auch Rasenflächen wegen der Nähe zum Museum nicht zum Verweilen einladen, wird der Raum wenig von Jugendlichen genutzt. Entweder ist es der Respekt vor der Kultur, dem Gebäude und/oder die vermutete erwachsene Kontrolle/Restriktion. Es gibt wenige Orte, an denen Jugendliche sich niederlassen und ungestört sein können. Deshalb werden sowohl der Hauptplatz als auch der Platz am Lentos-Museum entsprechend den Intentionen der „Kulturhauptstadt Europas 2009“ oder entsprechend den Vorgaben des öffentlichen Mobiliars touristisch genutzt. Vergeblich sucht man nach Spuren sozialräumlicher Aneignung durch Jugendkulturen (z.B. Graffitis) oder jugendkultureller Selbstdarstellung. Diese „passen“ vermutlich nicht mit der erwachsenen Mainstreamkultur und dem öffentlich gewünschten Bild der Stadt zusammen. Werden diese Äußerungen im ordnungspolitischen Diskurs von Kommunen sanktioniert und an Randzonen gedrängt (vgl. Deinet et al. 2009)?

3.3.3 Donaupark als „Eldorado“ der Jugendlichen

Keine 100 Meter vom Museum entfernt beginnt der Sozialraum der Jugendlichen, die sich auf dem Rasen, auf Bänken und dem Rasen zwischen Donau, der Promenade und den ersten Häusern aufhalten. Vom äußeren Stil her finden sich hier v.a. Punks und Straßenkids. Zwischen einigen Punks und Straßenkids gibt es Kontakte, kurze Gespräche. Einige haben ihre Hunde dabei. Andere wiederum Kofferradios. Viele trinken alkoholische Getränke entweder aus Fässchen oder Flaschen. Auffällig ist die Dynamik zwischen den Gruppen und Grüppchen: Entweder ziehen ein männlicher Jugendlicher oder zwei von Gruppe zu Gruppe (kurzer Schwatz, Zigarette) oder ganze Gruppen gehen samt Hunden von Ort zu Ort, um sich zeitweilig niederzulassen. Die Jugendlichen selbst nutzen die Orte, an denen sie sich zeitweilig niederlassen, als Plattform zur Beobachtung anderer Jugendlicher. Zu den dynamischen Jugendlichen gehören auch die Skater, die den Donaupark auf ihren Skates lediglich durchqueren und dabei in stolzer Haltung vorbeiziehen, als wären ihnen die „mitlaufenden“ Blicke völlig egal. Zum anderen gibt es manifeste Gruppen, die sich fest niedergelassen haben, sich fast häuslich mit Decke und Radio sowie Getränken eingerichtet haben. Es finden sich sowohl reine Jungengruppen als auch gemischte Gruppen.

Dieser Park kann somit als Flaniermeile und Treffpunkt von Jugendlichen gekennzeichnet werden, als „Eldorado“ des „Sehens-und-Gesehen-Werdens“ und des sich unabhängig von Erwachsenen „So-Gebens“. Neben jugendkulturellen Gruppierungen bietet dieser Platz auch vom Äußeren her normalen Jugendlichen Platz zum Treffen, Schwatzen, Beobachten und „Anbaggern“. Es mutet wie ein Volksfest der Jugendlichen an. Erwachsene (ältere Männer und Mütter mit ihren Kindern) finden sich hier nur in den Randzonen, ausschließlich auf den zum legalen Sitzen einladenden Bänken. Das Jugendeldorado bietet aber auch einem älteren skurrilen Mann Platz und Ungestörtheit: Dieser sitzt auf einer Bank, hört Radio und beobachtet die Umgebung wie Live-TV. Vielleicht ist das sein Wohnzimmer?

Ein Spielplatz und die vielen Büsche hinter der Promenade (Nähe Bruckner-Haus) deuten darauf hin, dass hier Obdachlose nächtigen. Bänke und Gebäude um den Spielplatz (zugleich öffentliches WC) deuten auf jugendliche Aneignung und symbolischen Protest gegen die erwachsene Mainstream-Kultur in Linz durch Tags und Sprüche hin. Diese Form des Protestes zeigt sich auch am Pfarrplatz, wo Jugendliche die Kirche mit entsprechenden Tags und Sprüchen versehen haben. Auch hier ist der Bezug zur „Kulturhauptstadt Europas 2009“ offenkundig.

Jugendliche erheben den Anspruch, mit ihrer Jugendkultur in der Erwachsenenkultur ernst- und wahrgenommen zu werden. Sie fühlen sich mit ihren kulturellen Selbststilisierungen abseits der allseits wahrgenommenen Kulturhauptstadt. Andererseits sind Norm- und Sozialraumverletzungen von Jugendlichen immer auch Teil ihrer Selbststilisierung als Jugendliche, aber auch Teil der Auseinandersetzung mit der Erwachsenenkultur (vgl. Bütow/Wensierski 2002). Innerhalb des Konzepts der Kulturhauptstadt Linz gibt es viele, auch durch Jugendliche auszufüllende Freiräume. Es stellt sich allerdings die Frage, ob das aus der Sicht von Jugendlichen dann tatsächlich Sinn macht: Wenn Jugendlichkeit Teil der von Erwachsenen respektierten Kunst wird, bleibt die Herstellung einer distinktiven Jugendlichkeit auf der Strecke. Andererseits sind die Partizipation von Jugendlichen und die Wahrnehmung ihrer Selbstdarstellungsbedürfnisse im städtischen Sozialraum auch ein Indiz für die demokratische Kultur zwischen den Generationen.

4. Zusammenführung und Diskussion der Ergebnisse

Führt man die Ergebnisse aus den Beobachtungen und den Cliquenrastern zusammen, so können beide Methoden in ihrer gegenseitigen Ergänzung und Spezifik identifiziert werden: Während durch die Beobachtung sozialräumliche Dynamiken von Jugendlichen der verschiedensten jugendkulturellen Stilisierungen ausgemacht werden konnten, wurden diese Ergebnisse durch die Cliquenraster näher differenziert. Wie sich diese auf der Ebene sozialpädagogischer Praxisforschung systematisch verknüpfen lassen, müsste in einem längerfristigen Projekt tiefer ausgelotet werden. Der hier dokumentierte erste Versuch zeigt auf, dass sich dabei durchaus interessante Perspektiven ergeben können.

Zudem zeigt sich, dass die Frage nach jugendkulturellen Lebenswelten eine hervorragende Möglichkeit ist, mit Jugendlichen Kontakt aufzunehmen und mehr über ihre Lebenswelten, Anliegen und Wünsche zu erfahren. Mit dem Blickwinkel einer sozialräumlichen und lebensweltorientierten Kinder- und Jugendarbeit (vgl. Deinet/ Krisch 2006) lassen sich auch konzeptionell-gestalterische Aspekte für die inhaltliche Entwicklung von Angeboten für junge Menschen aus den durch die Cliquenraster und die Beobachtungen erhaltenen Informationen ableiten. Zudem können die Fragen noch weiter differenziert und als Einstieg für eine aktivierende Forschung in der Jugendarbeit modifiziert werden. Unseres Erachtens entstehen hier vor allem folgende Leitfragen, die in weiteren konzeptionellen Überlegungen aufgegriffen werden sollten:

Mit der weiteren Klärung dieser Fragen kann die Kinder- und Jugendarbeit in Zusammenarbeit mit weiteren gesellschaftlichen Akteuren wichtige Beiträge zur allgemeinen sozialen Entwicklung von Städten und Regionen leisten (vgl. hierzu ausführlicher Homfeldt/Reutlinger 2009). Dabei können zeitgemäße und jugendgerechte Angebote im Sozialraum entstehen, die die Lebensbedingungen junger Menschen und die Bedingungen des Aufwachsens positiv beeinflussen.

Literatur

Bütow, Birgit (2006): Mädchen in Cliquen. Biographische und sozialräumliche Konstruktionsprozesse von Geschlecht in der weiblichen Adoleszenz, Weinheim und München.

Bütow, Birgit (2008): Der subjektive Altersstatus im Zeitvergleich. Vom Brüchigwerden sozialer Kategorien. In: Gille, Martina (Hrsg.): Jugend in Ost und West seit der Wiedervereinigung. Ergebnisse aus dem replikativen Längsschnitt des DJI-Jugendsurvey, Schriften des Deutschen Jugendinstituts, Jugendsurvey 4, Wiesbaden, S. 83-118.

Bütow, Birgit (2011): Gender trotz(t) Entgrenzungen? Analysen zu Jugend, Alter und Geschlecht. In: Kleinau, Elke/Maurer, Susanne/Messerschmidt, Astrid (Hrsg.): Ambivalente Erfahrungen – (Re-) Politisierung der Geschlechter, Opladen, Farmington Hills, S. 31-44.

Bütow, Birgit (2012): Bildungsprozesse von Geschlecht in konjunktiven Erfahrungsräumen – das Beispiel der Skater. In: Bütow, Birgit/ Kahl, Ramona/ Stach, Anna (Hrsg.): Körper, Geschlecht, Affekt. Selbstinszenierungen und Bildungsprozesse in jugendlichen Sozialräumen, Wiesbaden (i.E.).

Bütow, Birgit/ Wensierski, Hans-Jürgen von (2002): Jugend und Jugendcliquen. Ethnografische und biografische Analysen. Forschungsbericht im Rahmen eines HSPIII-Projekts, Fachhochschule Jena.

Deinet, Ulrich (2009): Analyse und Beteiligungsmethoden. In: Deinet, Ulrich (Hrsg.) (2009): Methodenbuch Sozialraum, Wiesbaden, S. 65-86.

Deinet, Ulrich/ Krisch, Richard (2006): Der sozialräumliche Blick der Jugendarbeit. Methoden und Bausteine zur Konzeptentwicklung und Qualifizierung, Wiesbaden, 2., üb. Auflage.

Deinet, Ulrich/ Krisch, Richard (2009): Cliquenraster. Im Internet unter: http://www.sozialraum.de/cliquenraster.php, Zugriff vom 04.05.2009.

Deinet, Ulrich/ Okroy, Heike/ Dodt, Georg/ Wüsthof, Angela (Hrsg.) 2009: Betreten Erlaubt! Projekte gegen die Verdrängung Jugendlicher aus dem öffentlichen Raum, Opladen.

Geertz, Clifford (1995): Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. 4. Aufl., Frankfurt/M.

Gille, Martina (Hrsg.) 2008: Jugend in Ost und West seit der Wiedervereinigung. Ergebnisse aus dem replikativen Längsschnitt des DJI-Jugendsurvey. Schriften des Deutschen Jugendinstituts, Jugendsurvey 4, Wiesbaden.

Homfeldt, Hans Günther/ Reutlinger, Christian (Hrsg.) (2009): Soziale Arbeit und soziale Entwicklung, Baltmannsweiler.

Krafeld, Franz Josef (1992): Cliquenorientierte Jugendarbeit. Grundlagen und Handlungsansätze, Weinheim und München.

Krüger, Heinz-Hermann/ Köhler, Sina-Mareen/ Zschach, Maren (Hrsg.) (2010): Teenies und ihre Peers. Freundschaftsgruppen, Bildungsverläufe und soziale Ungleichheit. Opladen, Farmington Hills.

Krisch, Richard (2009): Sozialräumliche Methodik der Jugendarbeit. Aktivierende Zugänge und praxisleitende Verfahren, Weinheim und München, S. 117-133.

Löw, Martina/ Steets, Silke/ Stoetzer, Sergej (2008): Einführung in die Stadt- und Raumsoziologie, 2. Aufl., Opladen.

Mayring, Philipp (2007): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken, 9. Aufl., Weinheim. 

Rosenthal, Gabriele (2005): Interpretative Sozialforschung. Eine Einführung, Weinheim und München.

Spatscheck, Christian (2005): Jugendkulturen zwischen Herrschaft und Emanzipation. In: Deutsche Jugend, 10/2005, S. 419-426.

Spatscheck, Christian (2006): Soziale Arbeit und Jugendkulturen, Marburg.

Vollbrecht, Ralf (1995): Die Bedeutung von Stil. In: Ferchhoff, Wilfried/ Sander, Uwe/ Vollbrecht, Ralf (Hrsg.): Jugendkulturen – Faszination und Ambivalenz, Weinheim und München, S. 23-37.

Vollbrecht, Ralf (1997): Von Subkulturen zu Lebensstilen. In: SPoKK (Hrsg.): Kursbuch Jugendkultur. Mannheim, S. 22-31.

Dieser Beitrag ist eine leicht überarbeitete Version des Textes: Spatscheck, Christian/Bütow Birgit (2010): Jugendliche und Jugendkulturen im öffentlichen Raum der Stadt Linz – Ergebnisse aus einem internationalen Lehrforschungsprojekt. In: Deutsche Jugend, 5/2010, S. 211-220. Er erscheint mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift Deutsche Jugend.


Fussnoten

[1] Unter Bezugnahme auf aktuelle Debatten werden unter Sozialraum keine starren fixen Räume verstanden, sondern von Gleichaltrigengruppen bzw. Cliquen angeeignete, mit spezifischen Bedeutungen versehene Orte. Der Sozialraumbegriff hat somit nicht nur räumlich-materielle, sondern v.a. lebensweltliche sowie lebenslauf- und aneignungsbezogene Aspekte (vgl. dazu ausführlicher Bütow 2006, S. 13ff.).

[2] Matthew (2002) beobachtete und befragte Kinder bzw. Jugendliche im Alter zwischen 9 und 16 Jahren in einer Shopping-Mall. Sie halten sich an einem Ort auf, der normalerweise von Erwachsenen für Konsumentenfunktionen konzipiert ist. Matthew stellt fest, dass die Kinder und Jugendlichen spezifische Verhaltensweisen entwickeln, die es ihnen ermöglichen, das Reglement der Erwachsenen geschickt zu umgehen und sich im Bereich der Toleranz zu bewegen. Daraus entwickelt er die Theorie des „Thirdspace“, die Räume von Kindern bzw. Jugendlichen zwischen bzw. parallel zu den von Erwachsenen kontrollierten Arealen beschreibt.

[3] Zwischenzeitlich gab es in der IUW 2011 in Bremen eine Fortsetzung der Sozialraumanalysen. Leider konnte das in Linz verfolgte Ziel der Beobachtung von Jugendszenen in öffentlichen Bereichen in Bremen aufgrund des schlechten Wetters nicht wiederholt werden. Stattdessen gab es – ebenfalls interessante – kurze ethnografische Einblicke in Nutzungs- und Interaktionsmuster in einem Stadtteil Bremens.


Zitiervorschlag

Bütow, Brigit und Christian Spatscheck (2012): Jugendliche und Jugendkulturen im öffentlichen Raum – Ergebnisse aus einem internationalen Lehrforschungsprojekt in Linz. In: sozialraum.de (4) Ausgabe 1/2012. URL: https://www.sozialraum.de/jugendliche-und-jugendkulturen-im-oeffentlichen-raum.php, Datum des Zugriffs: 27.04.2024