Prozesse der Mit-Gestaltung von Inklusion in einem Mannheimer Stadtteil – Aufgaben, Rollen und Arbeitsansätze eines Leistungserbringers in der Eingliederungshilfe

Martin Holler

1. Einleitung

Im Zuge eines „spatial turns“ hat der (Sozial)Raum in den letzten Jahrzehnten (von neuem) eine hohe Bedeutung als Kategorie in sozialwissenschaftlichen Diskursen erlangt (vgl. Trescher/Hauck 2017). Doch nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der sozialen und sozialwirtschaftlichen Praxis spielen räumliche Zusammenhänge eine immer größere Rolle. Zwischenzeitlich hat sich der Begriff Sozialraum sowohl in der Wissenschaft als auch der Praxis etabliert und Sozialräume sind in beiden Bereichen zu einer zentralen Bezugsgröße geworden.

Konkret ersichtlich wird dies auch am bereits vor Jahrzehnten eingetretenen und weiter andauernden Paradigmenwechsel in der Eingliederungshilfe, der eine Entwicklung von den Prinzipien der Verwahrung und Stellvertretung hin zu den Grundätzen von Selbstbestimmung, Inklusion und Teilhabe beschreibt (vgl. Schönwiese 2009). Eine zentrale Komponente dieses Paradigmenwechsels stellen die in den letzten Jahren deutlich zu Tage getretenen Konversionsprozesse der Leistungserbringer [1] in der Eingliederungshilfe dar. Vormals zentral an „Komplexstandorten“ (ehemaliges „Anstaltswesen“) organisierte Leistungserbringer machen sich im Zuge ihrer Konversionsprozesse auf den Weg, Leistungsangebote dezentraler, regionaler und gemeindenaher zu erbringen.

Verbunden sind diese Entwicklungen mit normativen Gesichtspunkten und gesetzlichen Entwicklungen, die hauptsächlich mit dem Konzept der Personenzentrierung verknüpft sind, welches den Menschen mitsamt seinem sozialräumlichen Umfeld in den Vordergrund der Analyse und Hilfeerbringung stellt. Insgesamt wird an diesen Entwicklungen deutlich, welche Bedeutung die Kategorie des Raumes damit in der sozialarbeiterischen, sozialpädagogischen und sozialwirtschaftlichen Praxis einnimmt. In diesem Zusammenhang stehen zunehmend nicht mehr nur organisationsstrukturelle Aspekte, wie die Findung geeigneter Grundstücke für den Bau gemeinschaftlicher Wohnformen im Zentrum des Interesses, sondern auch konzeptionelle, pädagogische sowie handlungs- und kompetenzbezogene Themen. Zu letzterem zählt auch die Gestaltung inklusiver Sozialräume, wobei Leistungserbringer als Mit-Gestalter sozialräumlicher Inklusion zu betrachten sind, da sie zwar einen großen, aber eben nur einen Beitrag unter vielen zur Erfüllung dieser Aufgabe leisten.

In diesem Artikel wird ein Forschungsprojekt zur Mit-Gestaltung sozialräumlicher Inklusionsprozesse dargestellt, welches von der Johannes-Diakonie Mosbach, einem Leistungserbringer in der Eingliederungshilfe, in einem Stadtteil der Stadt Mannheim durchgeführt wurde. Nach einer kurzen Darstellung des Projektes werden im Zuge dieses Artikels insbesondere die im Forschungsprojekt identifizierten Aufgaben, Rollen und Arbeitsansätze des Leistungserbringers in Bezug auf die Mit-Gestaltung sozialräumlicher Inklusionsprozesse thematisiert. Abgeschlossen wird der Artikel mit einer kurzen Zusammenfassung sowie einem Ausblick und Empfehlungen.

Hinzuweisen ist an dieser Stelle darauf, dass die diesem Artikel zugrundeliegenden Forschungsdesigns und Ergebnisse auf einer in Veröffentlichung befindlichen Dissertation am Diakoniewissenschaftlichen Institut der Universität Heidelberg basieren (vgl. Holler i. E.).

2. Ein Praxisforschungsprojekt zur Mit-Gestaltung von Inklusion im Sozialraum Obere Riedstraße

Im Folgenden wird ein Forschungs- und Transferprojekt zur Mit-Gestaltung sozialräumlicher Inklusion vorgestellt, das im Laufe des Jahres 2019 von der Johannes-Diakonie Mosbach im Mannheimer Stadtteil Käfertal durchgeführt und wissenschaftlich begleitet wurde. Bevor die Projektziele und das Vorgehen beschrieben werden, sind zunächst einige Anmerkungen zur Johannes-Diakonie sowie dem Stadtteil Käfertal vorzunehmen.

Die Johanne-Diakonie Mosbach ist ein sozialwirtschaftliches Unternehmen, welches im Jahr 1880 gegründet wurde (vgl. Lenz 2005, 4). Die knapp 3.000 Mitarbeitenden sind in unterschiedlichen Hilfefeldern tätig, wobei sich ein Schwerpunkt in der Eingliederungshilfe ausmachen lässt (vgl. Johannes-Diakonie Mosbach, o. J.). Aufgrund des Paradigmenwechsels in der Eingliederungshilfe, gesetzlicher Neuerungen sowie konsequenter strategischer Entscheidungen der Unternehmensführung befindet sich die Johannes-Diakonie in einem langfristig geplanten und angelegten Konversionsprozess. Im Wesentlichen werden in diesem Zusammenhang dezentrale und regionalisierte Wohn- und Assistenzangebote für Menschen mit Behinderung geschaffen. Unabhängig vom jeweiligen räumlichen Setting möchte die Johannes-Diakonie so einen Beitrag zu vollumfänglicher Teilhabe und Inklusion leisten.

Ein im Zuge dieses Konversionsprozesses entwickeltes Angebot stellt die im Jahr 2016 eröffnete gemeinschaftliche Wohnform für 24 Menschen mit unterschiedlichen Teilhabeeinschränkungen in der Oberen Riedstraße inmitten des Mannheimer Stadtteils Käfertal dar. In Käfertal leben insgesamt etwa 25.000 Menschen, wobei dem Stadtteil durch den Abzug US-amerikanischer Streitkräfte und entsprechenden Umnutzungen der ehemaligen Kasernenflächen bis zum Jahr 2035 ein großes Bevölkerungswachstum prognostiziert wird (vgl. Stadt Mannheim 2018). Bereits gegenwärtig gilt Käfertal im Hinblick auf städtebauliche sowie demographische und soziokulturelle Aspekte als sehr heterogen, weshalb der Stadtteil für Forschungen zum Thema sozialräumliche Inklusion als interessantes Forschungsfeld betrachtet werden kann.

Die Johannes-Diakonie beschäftigt sich seit Beginn ihres Konversionsprozesses mit der Frage, wie sie als Mit-Gestalterin sozialräumlicher Inklusion effektiv tätig sein kann. Zur Beantwortung und Erforschung dieser Frage wurde im Jahr 2019 ein Organisationsentwicklungsprozess initiiert. Ziel war es, eine spezifische Strategie zur Mit-Gestaltung sozialräumlicher Inklusion zu entwickeln, welche gleichzeitig die subjektiven Perspektiven sozialräumlicher Akteur*innen, vor allem von Menschen mit Behinderung, betont. Im Rahmen dieses Vorhabens wurde dieses Ziel durch eine exemplarische Fallstudie im Sozialraum Obere Riedstraße in Käfertal erforscht und analysiert.

Die angesprochene Fallstudie wurde wissenschaftlich konzipiert und unter Anwendung qualitativer empirischer Sozialforschung durchgeführt. Leitend war dabei ein historisch-hermeneutisches Wissenschaftsverständnis, da maßgebliche Strukturen und Prozesse im Kontext sozialräumlicher Inklusion stets mit einem kognitiven und sozial-emotionalen Nachvollzug, dem (An-)Erkennen von Sinnzusammenhängen und einer Orientierung am Verstehen einhergehen (vgl. Habermas 1965, 1145). Dies trifft insbesondere dann zu, wenn es um die konkrete Ausgestaltung inklusionsrelevanter sozialräumlicher Parameter (Teilhabe, Partizipation, Netzwerke, Kooperation, usw.) geht, bei der Adressat*innen und Leistungserbringer eine wirkmächtige und mit-gestaltende Rolle innehaben.

Im Hinblick auf die für kontextspezifische sozialräumliche Strategien bedeutsamen subjektiven Perspektiven sozialräumlicher Akteur*innen wurde die Fallstudie als qualitatives Sozialforschungsprojekt angelegt, das im Sinne einer angewandten Forschung zu praktisch verwendbaren Ergebnissen führen sollte. Um dem bei subjektbezogenen Forschungsarbeiten auftretendem Risiko der Zufälligkeit und Beliebigkeit entgegenzutreten, wurden Methoden angewandt, mit denen die Subjektivität auch in Abgleich mit theoretischen und konzeptionellen Aspekten analytisch erfasst werden konnte. Im Vordergrund der Forschung standen insbesondere die Orientierung an den Konzepten Offenheit, Zweifel, Erkenntniserweiterung, Iterativität, Interpretation und Reflexion (vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010, 20). Dabei wurden die Gütekriterien qualitativer Sozialforschung beachtet. Neben der Validität, Reliabilität und Objektivität, waren vor allem die Verfahrensdokumentation, sowie die argumentative Interpretationsabsicherung relevant. Aufgrund der Betonung subjektiver Perspektiven und der dadurch erforderlichen partizipativen Forschungsansätze war es zudem erforderlich, eine sozialräumliche Haltung einzunehmen, die sich beispielsweise in der Wahrnehmung sozialräumlicher Akteur*innen als Expertinnen und Experten ihrer Lebenswelten zeigte (vgl. Spatscheck 2012, 9).

Zur Gewinnung zielführender Primärdaten wurden im Zuge der Fallstudie mit der Sozialraumbegehung und dem qualitativen Leitfadeninterview zwei Erhebungsmethoden genutzt, die einerseits tiefgreifende Analysen zulassen und andererseits ein hohes Maß an Partizipation der Forschungsbeteiligten zulassen (vgl. Deinet 2009, 65). Für den Einstieg in den Sozialraum rund um die gemeinschaftliche Wohnform der Johannes-Diakonie in Käfertal wurde eine Sozialraumbegehung mit Menschen mit Behinderung durchgeführt, wobei die Route von den Forschungsbeteiligten selbst festgelegt wurde. Im Ergebnis konnten Einblicke in die alltägliche Lebenswelt sowie sozialräumliche Bedürfnisse und Bedarfe der Teilnehmenden gewonnen werden. Nach einigen Tagen wurden mit den Teilnehmenden der Sozialraumbegehung sowie anderen sozialräumlichen Akteur*innen (Mitarbeitende des Leistungserbringers, kommunale Akteur*innen, Akteur*innen aus der Nachbarschaft) qualitative Leitfadeninterviews durchgeführt. Durch diese erfolgte eine vertiefte Sozialraumanalyse aus dem Blickwinkel der Forschungsbeteiligten. Insgesamt konnten so gleichermaßen valide sowie relevante Daten zur Entwicklung einer spezifischen Strategie zur Mit-Gestaltung von Inklusionsprozessen im betrachteten Sozialraum gewonnen werden.

Nachdem die erhobenen Daten mittels eines geographischen Informationssystems sowie einer Transkription aufbereitet wurden, wurden sie unter Anwendung der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. Dadurch konnten zum einen die Differenziertheit der Perspektiven sowie ermittelte Interpretationen und Deutungen aufgezeigt werden, zum anderen konnten theorie- und konzeptionsgeleitete Aspekte einbezogen werden. Die Extraktion der Informationen aus den erhobenen Daten wurde vor dem Hintergrund historisch-hermeneutischer Grundsätze bewusst für Neues und Unvorhergesehenes offengelassen.

Nach der Auswertung der Daten wurden die Ergebnisse mithilfe verschiedener Instrumente der strategischen Planung verarbeitet, sodass letztendlich eine spezifische Strategie zur (Weiter-)Entwicklung von Inklusion im Sozialraum Obere Riedstraße aufgezeigt werden konnte. Wesentliche und im Zusammenhang mit dieser Strategie stehende Ergebnisse werden im folgenden Kapitel aufgezeigt.

3. Aufgaben, Rollen und Arbeitsansätze bei der Mit-Gestaltung sozialräumlicher Inklusion

Im Zuge der skizzierten Fallstudie konnten Daten zu sehr vielen und sehr unterschiedlichen Themen mit sozialräumlichem Bezug gewonnen werden. In einem weiterführenden Transferprozess wurden diese als Grundlage für eine sozialräumliche Aufgaben- und Rolleninterpretation sowie als Bezugsgrößen für die Identifikation und Ausgestaltung verschiedener Arbeitsansätze der Johannes-Diakonie im exemplarischen Sozialraum genutzt. Die nun folgenden Unterkapitel widmen sich den dabei konkret eruierten Aufgaben, Rollen und Arbeitsansätzen, die für die Mit-Gestaltung sozialräumlicher Inklusion durch die Johannes-Diakonie im Sozialraum Obere Riedstraße identifiziert und ermittelt wurden.

3.1 Aufgaben der Johannes-Diakonie bei der Mit-Gestaltung von Inklusionsprozessen im betrachteten Sozialraum

Im Zuge der Erstellung einer Strategie zur Mit-Gestaltung von Inklusionsprozessen im betrachteten Sozialraum wurden Aufgaben definiert, die von Seiten der Johannes-Diakonie wahrzunehmen und auszuführen sind. Vorab ist zu erwähnen, dass ein Großteil dieser Aufgaben mit dem vor Jahrzehnten begonnenen und weiter andauernden Paradigmenwechsel in der Eingliederungshilfe verbunden ist. An diesem Punkt wird deutlich, dass die Aufgaben mit einem bestimmten Maß an normativer Verankerung einhergehen; sie sind mit bestimmten Grundsätzen, Haltungen und Prinzipien, wie beispielsweise einer umfassenden Ressourcenorientierung, Personenzentrierung und Inklusionsorientierung anzugehen.

Zudem soll verdeutlicht werden, dass Leistungserbringer in der Eingliederungshilfe im Zuge einer stimmigen sozialräumlichen Arbeit zunächst eine prozessgestaltende Aufgabe haben. Dabei sind auf Partizipation und Kooperation ausgelegte Verfahren zu implementieren und durchzuführen, mit denen zum jeweiligen Sozialraum passende Zielstellungen und Maßnahmen definiert werden können. Diese Zielstellungen und Maßnahmen können durch eine umfassende Beteiligung sozialräumlicher Akteur*innen nicht nur als qualifiziert, sondern auch als legitimiert bezeichnet werden. Im Rahmen des hier skizzierten Projektes dieser prozessgestaltende Charakter unter Anwendung wissenschaftlicher Methoden und Beachtung der Grundsätze der Disability Studies erfüllt.

Auch die inhaltlichen Aufgaben für die Mit-Gestaltung sozialräumlicher Inklusion durch die Johannes-Diakonie, zunächst definiert von den beteiligten sozialräumlichen Akteur*innen und anschließend in einer spezifischen Strategie festgeschrieben, sind mit Vorbemerkungen zu versehen. Hier ist anzumerken, dass aufgrund der sozialwirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie der sozialräumlichen Themenvielfalt, Dynamik und Komplexität nicht alle Ziele und Maßnahmen gleichzeitig durch den Leistungserbringer bearbeitet werden können; aus diesem Grund wurden kriterienbasierte Priorisierungen vorgenommen. Diese wurden innerhalb der Zielstellungen vor allem im Hinblick auf Passgenauigkeit, ethische Vertretbarkeit, Machbarkeit sowie zu erwartende Akzeptanz im Sozialraum überprüft (vgl. Steinmann/Schreyögg/Koch 2013, 241). Im Zuge des Projektes wurden so vier strategische Aufgabenfelder, die im operativen Alltag zu erfüllen sind, mit jeweiligen Unteraufgaben für den untersuchten Sozialraum definiert. Sie werden im Folgenden kurz dargestellt, auf eine tiefergehende Konkretion wird an dieser Stelle verwiesen (vgl. Holler i. E.).

Als erste wichtige Hauptaufgabe wurde das Leben von Personenzentrierung festgehalten. Was darunter zu verstehen ist, zeigt sich in folgenden drei Unteraufgaben: der Implementierung personenzentrierter Verfahren, dem Ernstnehmen subjektiver Bedürfnisse bei gleichzeitiger Beachtung objektiver Interessen sowie in der Gestaltung der Beziehungen zu sozialräumlichen Akteur*innen.

Die zweite Hauptaufgabe stellt die Entwicklung eines auf umfassende Teilhabe ausgerichteten Sozialraumes dar. Im operativen Alltag soll die Johannes-Diakonie in diesem Kontext aus Sicht der Beteiligten einen Beitrag zur Vielfalt, Offenheit und Zusammenhalt im Sozialraum leisten. Ebenso soll sie materielle und immaterielle Barrieren beseitigen, um umfassende Teilgabe- und Teilhabeerfahrungen für Menschen mit Behinderung (und andere sozialräumliche Akteur*innen) zu ermöglichen.

Die dritte Hauptaufgabe umfasst die Entwicklung und Implementierung eines sozialraumorientierten Managements. Diese, die unternehmensinterne Perspektive betonende Hauptaufgabe wird durch vier Unteraufgaben konkretisiert. Erstens soll sichergestellt werden, dass im Zuge der Organisationsentwicklung des Leistungserbringers ein hohes Maß an Agilität im Sozialraum Obere Riedstraße gewährleistet wird. Zweitens soll die Mitarbeiterschaft durch Personalentwicklungsmaßnahmen Wissen und Kompetenzen hinsichtlich der Themen Personenzentrierung und Sozialraumorientierung aufbauen. Drittens sollen Kooperationen eingegangen oder ausgeweitet werden und viertens soll bürgerschaftliches Engagement, das zum Zeitpunkt der Erhebung nur rudimentär ausgebildet war, verstärkt initiiert werden.

Als letzte Hauptaufgabe wurde die Sicherstellung der Finanzierung sozialräumlicher Leistungen betrachtet. Einerseits sollen hierzu vorhandene Fördermöglichkeiten genutzt werden, andererseits soll sich die Johannes-Diakonie politisch für Änderungen in der Finanzierungslogik der sozialraumorientierten Eingliederungshilfe einsetzen.

Die hier dargestellten Haupt- und Unteraufgaben verfolgen das Ziel, das für und mit den sozialräumlichen Akteur*innen richtige zu tun; damit findet eine Orientierung am Maßstab der Effektivität statt. Sie behandeln in stimmiger Art ein breites sozialräumliches Spektrum und sind durch einen auf Partizipation angelegten Prozess legitimiert. Weiterhin wird deutlich, dass auch eine trägerinterne Sichtweise einbezogen wird, sodass, dialektisch betrachtet, Aufgaben in den Sozialraum hineinwirken und andere aus ihm heraus entstehen. Insgesamt soll durch die jeweilige Aufgabenerfüllung auf unterschiedliche Art und Weise zur Gestaltung von Inklusionsprozessen im untersuchten Sozialraum beigetragen werden.

3.2 Rollen der Johannes-Diakonie bei der Mit-Gestaltung von Inklusionsprozessen im betrachteten Sozialraum

Die Rollen, welche die Johannes-Diakonie bei der Mit-Gestaltung von Inklusion im Sozialraum Obere Riedstraße aus Sicht der beteiligten Akteur*innen einnehmen soll, ergeben sich aus den in Kapitel 3.1 vorgestellten Aufgaben. Daher ist auch nicht von einer Rolle im Singular, sondern von mehreren im Plural zu sprechen. Zur besseren Übersicht werden die einzelnen Rollen in Spiegelstrichen mit kurzen Erläuterungen dargestellt.

Durch Einnahme der beispielhaft skizzierten Rollen ist es dem Träger vor dem Hintergrund der vielfältigen Themen, Komplexitäten und Dynamiken im betrachteten Sozialraum möglich, adäquat zu agieren und zu reagieren. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Johannes-Diakonie ihrer Hauptrolle als Mit-Gestalter*in von Inklusion im betrachteten Sozialraum dann effektiv gerecht wird, wenn sie die beschriebenen Unterrollen wahrnimmt und ausführt.

3.3 Arbeitsansätze der Johannes-Diakonie zur Mit-Gestaltung von Inklusionsprozessen im betrachteten Sozialraum

Aufbauend auf die dargestellten Aufgaben und Rollen werden nun die Arbeitsansätze skizziert, mit denen die Johannes-Diakonie den gestellten Anforderungen gerecht werden kann.

Grundsätzlich kann sich die Johannes-Diakonie als sozialwirtschaftliches Unternehmen einem breiten Portfolio an Managementansätzen bedienen, welche bei der Ausführung der dargelegten Aufgaben und Einnahme der unterschiedlichen Rollen zum Tragen kommen können. Dazu zählen unter anderem die Organisations-, Personal- und Angebotsentwicklung, das Change Management sowie das Netzwerk-, Kooperations- und Partizipationsmanagement. Zur Konkretion wird im Folgenden beispielhaft auf die Personalentwicklung und das Partizipationsmanagement und deren spezifische Bedeutung für die Mit-Gestaltung sozialräumlicher Inklusionsprozesse durch die Johannes-Diakonie eingegangen.

Unter Personalentwicklung werden grundsätzlich zielgerichtete und methodisch geplante Maßnahmen der Wissens- und Kompetenzvermittlung verstanden, die der Erreichung unternehmerischer Ziele und Zwecke dienen (Becker 2013, 5). Im Laufe des vorgestellten Projektes wurde deutlich, dass es spezifische Entwicklungsmöglichkeiten auf Seiten der Mitarbeitenden der Johannes-Diakonie gibt, die durch eine konsequente Orientierung an der Mit-Gestaltung von Inklusionsprozessen im Sozialraum Obere Riedstraße hervorgerufen werden. Dies betrifft gleichermaßen fachliche und methodische wie soziale und personale Kompetenzen.

Konkret wurde die Notwendigkeit erkannt, Mitarbeitende im Zuge von Sozialraumerkundungen mit der Umgebung des betrachteten Wohnhauses für Menschen mit Behinderung vertraut zu machen. Weiterhin wurde deutlich, dass Mitarbeitende Kompetenzen im Umgang mit Instrumenten der sozialraumorientierten Arbeit (Sozialraumbegehungen, qualitative Leitfadeninterviews, Bedarfsermittlungsinterviews, Reflexionsrunden) erwerben sollten. In Bezug auf sozial-emotionale Kompetenzen wurde zudem konkret gefordert, dass Mitarbeitende ein Sensorium zur Wahrnehmung individueller Bedürfnisse und Bedarfe sowie sozialräumlicher Ressourcen entwickeln sollten. Insgesamt wurde im Zuge des Projektes deutlich, dass die Personalentwicklung für sozialräumliche Entwicklungen einen zentralen Baustein darstellt. Sie ist, systemisch betrachtet, für Haltungen, Verhaltensweisen und Handlungen von Mitarbeitenden mitverantwortlich. Konsequenterweise stellt sie einen der wichtigsten Arbeitsansätze in der Eingliederungshilfe dar. Dieser Eindruck verstärkt und verstetigt sich im Hinblick auf die Mit-Gestaltung inklusiver Sozialräume durch Leistungserbringer in der Eingliederungshilfe im Allgemeinen sowie bei der Betrachtung des Projektes im Besonderen.

Im Verlauf des Projekts äußerten die Beteiligten deutlich, dass umfassende Partizipationsmöglichkeiten für alle sozialräumlichen Akteur*innen einen zentralen Baustein für die Gestaltung von Inklusionsprozessen darstellen. Mit Blick auf Menschen mit Behinderung und andere Akteur*innen wurde gefordert, dass individuelle Bedürfnisse und Bedarfe mit sozialräumlichem Bezug systematisch von Seiten des Trägers erhoben werden. Unabhängig von einer weiteren Diskussion dieses Punktes wurde deutlich, dass Partizipation aufgrund ihrer Bedeutung für das Projekt nicht der Zufälligkeit und Beliebigkeit überlassen werden darf, sie ist vielmehr zu planen, zu implementieren, zu koordinieren und zu organisieren (Straßburger 2014, 83).

Aus diesem Grund wurde im Zuge des Projektes das Partizipationsmanagement als relevanter Arbeitsansatz identifiziert. Konkret wurde im Zuge des Projektes erörtert, welches Maß an informeller Beteiligung bei unterschiedlichen Themenstellungen über eine formelle Beteiligung hinaus zielführend ist. Da diese Frage nicht über harte oder objektive Kriterien beantwortet werden kann, wurde schließlich vorgeschlagen, eine Beteiligung zur Beteiligung durchzuführen. Auf diese Weise soll möglichst auf Augenhöhe darüber gesprochen werden, inwieweit Beteiligungsmöglichkeiten bestehen und welche Formen der Beteiligung eingesetzt werden können. In Zukunft sollen die Möglichkeiten der Partizipation im Sozialraum Obere Riedstraße weiter ausgebaut werden. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels war jedoch noch nicht abschließend geklärt, wie dies konkretisiert wird.

Die beiden skizzierten Arbeitsansätze zeigen beispielhaft auf, inwiefern Managementansätze dabei helfen können, die Mit-Gestaltung von Inklusionsprozessen im betrachteten Sozialraum effektiv und effizient zu gestalten. Als wesentliches Projektergebnis kann festgehalten werden, dass die angesprochenen Managementansätze bei der Strukturierung der Aufgaben und deren Erfüllung unterstützen und als Orientierungspunkt bei der Einnahme verschiedener Rollen helfen. Es ist jedoch zu betonen, dass je nach Sozialraum die Bedeutung verschiedener Managementansätze variieren kann.

4. Fazit und Ausblick

Das in diesem Artikel dargestellte Projekt macht am Beispiel der Johannes-Diakonie und dem Sozialraum Obere Riedstraße deutlich, dass Leistungserbringer in der Eingliederungshilfe bei der Mit-Gestaltung inklusiver Sozialräume nicht nur verschiedene Aufgaben auszuführen und unterschiedliche Rollen einzunehmen haben, sondern ihnen auch vielfältige Arbeitsansätze zur Verfügung stehen, mit denen sie diese Aufgaben erfüllen und den dabei geforderten Rollen gerecht werden können.

Bedeutsam ist, dass die Mit-Gestaltung sozialräumlicher Inklusionsprozesse zunächst durch partizipative Zugänge, in denen subjektive Bedürfnisse und Bedarfe erhoben, wahr- und ernstgenommen werden, anzugehen sind. Dadurch werden Zielstellungen und dazugehörige Maßnahmen stärker qualifiziert und legitimiert. Erst im Anschluss sind inhaltliche Festlegungen zur Mit-Gestaltung inklusiver Sozialräume konkretisierbar. Aufgrund der jeweils einzigartigen Spezifika von Sozialräumen sowie der wiederum einzigartigen Charakteristika der in ihnen lebenden und arbeitenden Menschen ist weiterhin zu betonen, dass die Aufgaben, Rollen und Arbeitsansätze, die bei der jeweiligen Mit-Gestaltung sozialräumlicher Inklusionsprozesse wichtig sind, variieren können. Daher müssen Leistungserbringer wie die Johannes-Diakonie offen sein für Einzigartigkeiten, für das Unvorhergesehene, für Neues und Überraschendes. Nur dadurch können, in Konsequenz, die jeweiligen Spezifika für eine konsequente sozialräumliche Inklusionsorientierung nutzbar gemacht werden.

Zusammenfassend kann die Vorgehensweise im geschilderten Projekt zur Nachahmung empfohlen werden. Mit seinem partizipativen Ansatz nimmt es die Beteiligten ernst und orientiert sich an deren Sichtweisen. So gibt es Aufschluss darüber, welche Aufgaben, Rollen und Arbeitsansätze bei der Mit-Gestaltung des jeweiligen Sozialraums relevant sind. Dadurch kann den Maßstäben der Personenzentrierung, Sozialraumorientierung und Effektivität adäquater entsprochen werden.

Literatur

Becker, Manfred (2013): Personalentwicklung – Bildung, Förderung und Organisationsentwicklung in Theorie und Praxis, 6. Auflage. Augsburg.

Deinet, Ulrich (2009): Analyse- und Beteiligungsmethoden. In: Deinet, Ulrich (Hrsg.): Methodenbuch Sozialraum. Wiesbaden, 65–86.

Habermas, Jürgen (1965): Technik und Wissenschaft als Ideologie. In: Merkur 19, 1139–1153.

Holler, Martin (i.  E.): Die Mit-Gestaltung inklusiver Sozialräume durch Leistungserbringer in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung – Ein unternehmerischer Beitrag unter Anwendung von Instrumenten der strategischen Planung.

Johannes-Diakonie Mosbach (o. J.): Broschüre „Johannes-Diakonie Mosbach – Stark für Menschen“. URL: https://www.johannes-diakonie.de/ueber-uns/presse/publikationen.html

Lenz, Rüdiger (2005): Vom betreuten „Zögling“ zum selbstbestimmten Leben – 125 Jahre Johannes-Anstalten Mosbach. In: Johannes-Anstalten Mosbach (Hrsg.): Die Johannes-Anstalten Mosbach. Ein soziales Dienstleistungsunternehmen in der Diakonie, Chancen und Risiken der zukünftigen Herausforderungen. Mosbach, 1–39.

Przyborski, Aglaja/Wohlrab-Sahr, Monika (2010): Qualitative Sozialforschung, Ein Arbeitsbuch. München, 3. Auflage.

Schönwiese, Volker (2009): Paradigmenwechsel in der Behindertenhilfe: Von der Rehabilitation zu Selbstbestimmung und Chancengleichheit. URL: http://bidok.uibk.ac.at/library/schoenwiese-paradigmenwechsel.html

Spatscheck, Christian (2012): Wie man Sozialräume beschreiben kann, Praktische Methoden von Lebensweltanalysen in der Sozialen Arbeit. In: Blätter der Wohlfahrtspflege, 159, 1, 6–9.

Stadt Mannheim (2018): Statistische Daten 2017. URL: https://web2.mannheim.de/statistikatlas/pdf/12_käfertal.pdf

Steinmann, Horst/Schreyögg, Georg/Koch, Jochen (2013): Management – Grundlagen der Unternehmensführung. Konzepte – Funktionen – Fallstudien, 7. Auflage. Wiesbaden.

Straßburger, Gaby (2014): Individuelle, institutionelle und politische-rechtliche Voraussetzung für Partizipation. In: Straßburger, Gaby/Rieger, Judith (Hrsg.): Partizipation kompakt, Für Studium, Lehre und Praxis sozialer Berufe. Weinheim, S. 52–108.

Trescher, Hendrik/Hauck, Teresa (2017): Raum und Inklusion. Zu einem relationalen Verhältnis. In: Zeitschrift für Inklusion Online. Ausgabe 4/2017. URL: https://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion-online


Fußnote

[1] Der Begriff „Leistungserbringer“ wird in diesem Beitrag nicht gegendert. Als leistungsrechtlicher Terminus wird er in der auch im Sozialrecht verwendeten männlichen Form genutzt.


Zitiervorschlag

Holler, Martin (2020): Prozesse der Mit-Gestaltung von Inklusion in einem Mannheimer Stadtteil – Aufgaben, Rollen und Arbeitsansätze eines Leistungserbringers in der Eingliederungshilfe. In: sozialraum.de (12) Ausgabe 1/2020. URL: https://www.sozialraum.de/prozesse-der-mit-gestaltung-von-inklusion-in-einem-mannheimer-stadtteil.php, Datum des Zugriffs: 27.04.2024