Raumsensibel forschen in der Migrationsforschung

Fallstricke und Strategien aus interdisziplinärer Perspektive

Anna-Lisa Müller, Katharina Leimbach, Jan Schaller, Emma Brahm, Kübra Gencal, Sylvana Jahre, Mert Pekşen, Antonie Schmiz

Dieser Text dient als Einstieg in potenzielle Fallstricke empirischer Forschungen, die an der Schnittstelle Raum und Migration angesiedelt sind. Aus interdisziplinärer Perspektive tragen wir zusammen wie Raum als Element von Migrationsforschung Bedeutung gewinnt und deshalb stringenter mitgedacht werden sollte. Wir zeigen dann entlang von sieben sehr unterschiedlichen Forschungsprojekten aus unterschiedlichen Disziplinen wie Raum und Migration beforscht wurden und welche Fallstricke sich daraus ergeben haben. Jene Fallstricke werden im Anschluss an die Vignetten zusammengetragen und in Strategien übersetzt, die anderen Forscher:innen helfen sollen, schon früh im Forschungsprozess eine raumsensible Migrationsforschung umzusetzen. Damit kann das Working Paper als Orientierungshilfe in frühen Stadien empirischer Forschung dienen.

1. Einleitung

Wenn man sich mit Migration beschäftigt, dann gibt es immer ein Woher und ein Wohin. Migration lässt sich also nicht unabhängig von bestimmten Orten und Räumen denken. In der migrationsbezogenen Forschung wird Raum daher sowohl in seiner physischen Ausprägung – also als geographische Entfernungen und Grenzen – als auch in seiner sozialen und symbolischen Dimension betrachtet. Soziale Räume entstehen durch Interaktionen, Praktiken und Beziehungen zwischen Individuen und Gruppen, während symbolische Räume auf geteilten Bedeutungen, Symbolen und Diskursen basieren. Migration, als Prozess der räumlichen Bewegung von Individuen und Gruppen verstanden, ist daher sowohl in physische als auch in soziale und symbolische Räume eingebettet und trägt zu ihrer Stabilisierung, aber auch zu ihrer potentiellen Neuformierung bei. Die zentrale Frage für diesen Überblicksartikel ist, warum es für die Migrationsforschung sinnvoll ist, die räumliche Dimension von migrationsbezogenen Phänomenen ernst(er) zu nehmen. Dies wollen wir anhand von ausgewählten empirischen Vignetten tun und damit zeigen, auf welche Weise Raum produktiv für die Migrationsforschung ist. Dadurch soll deutlich werden, wie unterschiedlich Raum in der Forschungspraxis Bedeutung gewinnen kann und welche unterschiedlichen Fallstricke sich daraus ergeben. Im Sinne eines Working Paper verstehen wir diesen Beitrag als Handreichung, die für (kritische) migrations- und raumsensible Forschungspraktiken nutzbar sein soll.

Migration: Migration bezeichnet die Bewegung von Menschen durch den geographischen Raum, also von Ort A nach Ort B. In den gängigen Definitionen wird Migration als eine räumliche Bewegung verstanden, die mit einer dauerhaften (meist definiert als: mindestens einjährigen) Wohnsitzverlagerung einhergeht. Damit ist sie eine besondere Form der räumlichen Mobilität. Werden bei der Migration Staatsgrenzen überschritten, spricht man von internationaler Migration.

Die Idee für das Working Paper entspringt einem interdisziplinären Workshop, der im Juli 2023 zum Thema „Raumperspektiven auf (post)migrantische Aushandlungsprozesse“ an der Humboldt Universität Berlin stattfand. Der Workshop brachte eine interdisziplinäre Gruppe von Wissenschaftler:innen zusammen, darunter Personen aus der Humangeographie, Soziologie und Politikwissenschaft, deren Arbeiten sich auf unterschiedliche Weise mit raumbezogenen Aspekten der Migration beschäftigen. Aufbauend auf den Diskussionen dieses Tages entstand dieses Working Paper, mit dem wir Raum als Gegenstand der Untersuchung, als Setting empirischer Forschung und als methodischen Zugriff operationalisieren und unterschiedliche Raumverständnisse in ihren methodologischen Fallstricken und Potentialen für die Migrationsforschung aufzeigen wollen.

Damit bildet unser Working Paper eine Orientierung für Personen, die am Anfang raumbezogener (Migrations-)Forschung stehen und sich auf der Suche nach einem geeigneten Raumverständnis befinden, ebenso wie für Personen, die in ihren Forschungsdaten räumliche Dimensionen als produktive Elemente von Migration erkennen oder Themen beforschen, die eine räumliche Verortung voraussetzen und Migration nur implizit thematisieren. Das Working Paper soll diesen Personen dabei helfen, ihre eigenen Forschungsfragen zu formulieren und ihre methodischen Ansätze zu entwickeln. Indem das Working Paper konkrete Beispiele aus der Forschungspraxis präsentiert und mit ihnen veranschaulicht, was Raum, Raumkonzepte und Theorien von Raum in der migrationsbezogenen Forschung bedeuten können, liefert es eine forschungspraktische Handreichung und damit eine Ergänzung zu bestehenden theoretischen Auseinandersetzungen und Überblicksartikeln zu Raumbegriffen in der Migrationsforschung (siehe z. B. Glasze/Pott 2014). [1] Wir fragen außerdem danach, wie und unter welchen Vorannahmen wir in unserer Forschung Raum konzipiert haben und reflektieren, welche Implikationen unser Zugriff auf Raum für den Feldzugang hatte und welche Probleme sich daraus ergaben – wie z. B. verräumlichende Stigmatisierungen.

Das Working Paper ist folgendermaßen aufgebaut: Im folgenden zweiten Kapitel diskutieren wir, was es bedeutet, sich in der Migrationsforschung mit Räumen zu befassen und zeigen anhand einiger ausgewählter Konzepte mögliche Zugriffe auf Raum in der Migrationsforschung. Anhand von Beispielen aus unserer eigenen Forschung, die jeweils fallspezifische theoretische Reflexionen enthalten, zeigen wir im dritten Kapitel, wie sich diese unterschiedlichen Raumkonzepte und ihre Verwendung in der empirischen Forschung auf das auswirken, was wir untersuchen (können). Abschließend formulieren wir im letzten Kapitel des Beitrags verschiedene Strategien, wie sich aus einer raumsensiblen Perspektive Migration erforschen lässt.

2. Konzeptualisierungen von Raum

Raum kann unterschiedlich konzeptualisiert werden. Neben den verschiedenen disziplinären Zugriffen lassen sich – disziplinenübergreifend – unterschiedliche theoretische Zugriffe identifizieren. Sie lassen sich idealtypisch in einem Kontinuum anordnen, bei dem die Vorstellung von Raum als abgeschlossener Einheit das eine Ende dieses Kontinuums bildet und das andere Ende durch ein Verständnis von Raum gebildet wird, das ihn als durch soziales Handeln, Vorstellungen und Wahrnehmungen produziert versteht.

Jeder dieser theoretischen Zugriffe auf Raum hat Konsequenzen sowohl für die räumlichen Phänomene, die in der Forschung in den Blick geraten können, als auch für die Forschungsfragen, die beantwortet werden können: Aufgrund der Komplexität sozialer Realitäten kann stets nur ein Ausschnitt (und auch dieser nur unter bestimmten, ausgewählten Blickwinkeln) untersucht werden. Der jeweilige raumtheoretische Zugriff ist dann genau eine dieser Stellschrauben, die bestimmt, welcher Ausschnitt wie betrachtet wird. In der Migrationsforschung beschäftigen wir uns dementsprechend auf unterschiedliche Weise mit Räumen, je nachdem, welche Forschungsschwerpunkte wir haben und welche methodische Vorgehensweise wir wählen. Dies wird deutlich, wenn wir im weiteren Verlauf diesen Working Papers die Vignetten darstellen, die aus unseren eigenen Beschäftigungen mit raumbezogenen Phänomenen der Migration entstanden sind. Daraus erwächst dann auch eine Sensibilität für die Blindstellen und Fallstricke der jeweiligen theoretischen und empirischen Zugriffe.

Raum: In den Sozialwissenschaften ist Raum etwas, das durch soziales Handeln hergestellt wird oder das den Kontext für soziales Handeln darstellt. In ersterem Fall wird Raum durch individuelles, kollektives oder institutionelles Handeln hervorgebracht. Dies geschieht an Orten, in Institutionen, aber auch über Grenzen durch Kommunikation. In zweiterem Fall weist ein Raum bestimmte physische und infrastrukturelle Merkmale auf und ist administrativ, institutionell oder geographisch abgegrenzt von anderen Räumen und stellt das spezifische Umfeld für soziales Handeln dar.

Neben den unterschiedlichen theoretischen Zugriffen auf Raum lässt sich darüber hinaus eine Unterscheidung treffen, die aus unserer Sicht zentral ist für die Migrationsforschung und die Frage, inwiefern raumbezogene Phänomene für die Untersuchung von Migration und begleitenden Themen eine Rolle spielen. Dies ist die Unterscheidung zwischen (1) Raum als konkretem Gegenstand der Forschung und (2) Raum als Ort oder Setting der jeweiligen Forschung zu Migration. Auch hier handelt es sich um eine idealtypische Unterscheidung, da der Ort der Forschung immer auch den konkreten Gegenstand der Forschung beeinflusst und vice versa. Zwischen den beiden Herangehensweisen zu unterscheiden ist aus unserer Sicht allerdings zentral, wenn wir uns mit der Frage beschäftigen, wie die Migrationsforschung von einer raumsensiblen Perspektive profitieren kann.

Der Unterscheidung zwischen dem Raum als Gegenstand der Forschung und dem Raum als Ort oder Setting der Forschung liegt letztlich die analytische Unterscheidung von zwei verschiedenen Herangehensweisen zugrunde. Im ersten Fall stellen Raum und räumliche Phänomene den Ausgangspunkt der Forschung dar, etwa wenn es um die Bedeutung von öffentlichen Plätzen für das Zugehörigkeitsgefühl von älteren Migrant:innen geht. Im zweiten Fall sind Raum und räumliche Phänomene Nebeneffekte des Forschungsinteresses, etwa wenn es um die Sozialisationsprozesse von Jugendlichen geht und die Forschung in ausgewählten Stadtteilen stattfindet.

Im Folgenden werden beide Herangehensweisen kurz vorgestellt und expliziert, auf welche Weise dort Raum in der Forschung eine Rolle spielt. Wir streben dabei die in der Geographie als dezidierter Raumwissenschaft eher untypische Unterscheidung an zwischen Raum als explizitem Thema der Forschung und Raum als Ort, an der Forschung stattfindet. Wir wollen damit auf Raum als bewussten Gegenstand der Forschung und Raum als eher unbewussten Gegenstand der Forschung aufmerksam machen. Anhand der verschiedenen Vignetten in Kapitel 3 wird dann deutlich werden, was das für die konkrete empirische Forschung bedeutet.

2.1 Raum als Thema der Forschung

Insbesondere in Untersuchungen, die die Aspekte der Mobilität und der Bewegung von Menschen zum Gegenstand haben, wird Raum explizit thematisiert. So untersuchen Migrationsforscher:innen hier etwa, wie verschiedene Räume geschaffen werden. Diese Räume können Stadtteile sein, in denen sich deutsche Senior:innen angesiedelt haben, um im Ausland ihren Lebensabend zu verbringen, oder Nationalstaaten, die eine spezifische Einwanderungsstrategie verfolgen, aber auch Unterkünfte für Asylsuchende oder Grenzen an internationalen Flughäfen. Sie alle werden durch die Mobilität von Migrant:innen und darauf bezogene Handlungen von Akteuren als Migrationsräume produziert und haben eine bestimmte (oft widersprüchliche) Bedeutung und Funktion innerhalb des breiteren gesellschaftlichen Kontexts. Es können politische, individuelle, aber auch juristische Akteur:innen sein, die hier handeln und solche Räume herstellen, stabilisieren, diskursiv festschreiben etc. Bei derartigen Forschungen wird oft eine relationale oder konstruktivistische Perspektive eingenommen, die den Raum als sozial hergestellt versteht. Dies ist auch bei Forschungen zu sogenannten transnationalen sozialen Räumen der Fall oder bei Arbeiten, die nach „Räumen des Religiösen“ (z. B. Konyali et al. 2020) in einer Stadt fragen. Derartige Räume wären in ihrer physisch-materiellen Dimension nicht zwingend in einer Karte abzubilden. Eine Stärke dieser Perspektive liegt darin, dass sie Räume auch im Prozess ihrer Herausbildung versteht und ihre grundsätzliche Transformationsfähigkeit mitdenkt. Dadurch wird zum einen eine zeitliche Dimension in die Forschung einbezogen, und zum anderen kann die Bedeutungsveränderung von Räumen berücksichtigt werden.

Des Weiteren gibt es Forschungen, die nach sogenannten Kontexteffekten fragen und bestimmte, kartographisch bestimmbare und geographisch lokalisierbare Räumen hinsichtlich ihrer Bedeutung und Wirkung auf die Menschen, die ‚in‘ ihnen leben, untersuchen. Auf dem oben genannten Kontinuum würde man sich dann am Pol ‚Raum als Container‘ befinden. Auch hier wird davon ausgegangen, dass Räume wirksam sind. Sie werden aber nicht so sehr in ihrer Herstellung und ihrer kontinuierlichen Wandelbarkeit untersucht. Stattdessen wird untersucht, welche besonderen Merkmale gesellschaftliche Phänomene dadurch haben, dass sie in diesen Räumen geschehen. Das könnte beispielsweise der Bildungserfolg von Personen sein, die in einem sozial stigmatisierten Stadtteil leben), oder die Wahrscheinlichkeit, durch das Leben in einem bestimmten Stadtteil ideologisch radikalisiert zu werden

Alle diese Forschungen haben gemein, dass sie Raum als etwas verstehen, dass sozial wirksam ist. Die Forschungen unterscheiden sich in ihrem theoretischen Ansatz und in ihrem Verständnis von Raum, aber sie verstehen ihn nicht als neutralen Hintergrund sozialer Prozesse, sondern als untrennbar mit diesen sozialen Prozessen verwoben.

2.2 Raum als Ort/Setting der Forschung

Die zweite Unterscheidung, die wir hier treffen wollen, ist jene, in der Raum in der Migrationsforschung eher ‚nebenbei‘ vorkommt: Empirische Forschung ist immer verortet. Das heißt: Sie findet an einem oder an mehreren konkreten, geographisch lokalisierbaren Orten statt. Eine solche Forschung zu betreiben bedeutet, dass auch in den Fällen, in denen der Hauptgegenstand der Forschung beispielsweise die Kriminalität von Jugendlichen ist, eine Raumdimension ins Spiel kommt: und zwar, sobald die Jugendlichen an ihren Wohnorten, an den Orten ihres Alltags oder an den Orten ihrer schulischen oder beruflichen Sozialisation beobachtet, interviewt, befragt werden. Dabei kann durchaus raumsensibel geforscht werden und die Bedeutung des Raumes auf der Grundlage der empirischen Daten herausgearbeitet werden.

Eine doppelte Verortung findet hier statt, und diese macht den Raumbezug derartiger Forschung deutlich: Erstens werden die Jugendlichen von den Forscher:innen verortet, indem diese in ihren Auswertungen und Publikationen auch über die lokalen Kontexte, in denen sie die Forschung mit den Jugendlichen gemacht haben, sprechen und schreiben. Zweitens verorten sich die Jugendlichen selbst, indem sie über ihr Leben sprechen, das an bestimmten Orten stattfindet. Die in diesem Bereich zu verortenden Forschungen fragen dann nicht nach der Bedeutung der Orte für das Heranwachsen oder den Alltag der Jugendlichen. Sondern die Orte des Lebens und damit die räumliche Dimension des Sozialen laufen quasi als Hintergrundrauschen mit.

Ein solcher Zugriff erfolgt auch, wenn beispielsweise sogenannte Ankunftsquartiere untersucht werden (z. B. Hans et al. 2019). Hier ist dann ein Quartier Ausgangspunkt und Ort der Forschung, und die Forschung fragt nach den Funktionen und der Bedeutung, die bestimmte Bestandteile des Quartiers – soziale Netzwerke, Infrastrukturen, einzelne Menschen, die über viel Wissen über Ankunftsprozesse verfügen – für neuankommende Migrant:innen aufweisen. Im Mittelpunkt der Forschung sind dann wiederum die sozialen Prozesse und Phänomene und ihre Wirkungen auf Migration sowie ihre Bedeutung für Migrant:innen.

Ein solcher Ansatz ist insbesondere innerhalb der Forschung verbreitet, die Migration und migrationsbezogenen Phänomene wie Integration, aber auch die Verbindung von Migration und anderen sozialen Phänomenen wie Bildungs- und Arbeitsmarktchancen, Kriminalität oder Radikalisierung untersucht. Raum wird Teil der Forschung, da die Forschung selbst verortet wird, und die sozialen Phänomene in ihrem räumlichen Setting untersucht werden, ohne dass dieses Setting selbst zum Thema gemacht wird.

Beide Herangehensweisen – Raum als Thema der Forschung und Raum als Ort/Setting der Forschung – haben ihre epistemologische und methodologische Berechtigung. Im Folgenden werden wir anhand empirischer Vignetten aus unserer eigenen Forschung zeigen, auf welche Weise Raum Thema und Ort von Migrationsforschung sein kann und welche Folgen eine raumsensible Perspektive für die Erkenntnisse unserer Forschung hat.

3. Empirische Zugriffe auf Raum – Beispiele und Reflexionen aus unserer Forschung

Die Art und Weise, wie über Räume geforscht und wie Raum in der Forschung konzipiert wird, produziert spezifische Wissensbestände. Es wird stets Wissen über Räume (re-)produziert, wenn auf Phänomene, etwa Kriminalität, Religiosität o. ä., geblickt wird. Im Folgenden veranschaulichen wir anhand von Vignetten aus unserer eigenen Forschung, welches Wissen über Migration wir mit unserer Forschung produzieren und auf welche Weise Raum in unseren Zugriffen eine Rolle spiel(t)e.

3.1 Vignette 1: Erinnerung an rassistische Gewalt: Sozialräumliche Aushandlungen und Praktiken (Emma Brahm, Kübra Gencal)

Unsere Forschung im Rahmen des Projektes Räume der Migrationsgesellschaft (RäuMig) untersucht die lokalen Auslegungen und Aushandlungen von Erinnerungskultur im Hinblick auf Erinnerungspraktiken und Erinnerungsorte in Rostock und Solingen. Anhand einer Analyse von Erinnerungskultur gehen wir der übergeordneten Frage nach, inwiefern die rassistisch motivierten Anschläge von 1992 und 1993 urbane Räume beeinflussen und neu konstituieren, und was das für die Migrationsgesellschaft bedeutet. Für die Feldforschung wurden Interviews und ethnografische Beobachtungen in den Fallstädten durchgeführt.

Ziel unserer Forschung war es in diesem Sinne zu erarbeiten, welche Praktiken des kollektiven Gedenkens es in den Fallstädten gibt, an welchen Orten an die Taten erinnert wird und welche Akteur:innen in die Erinnerungsarbeit eingebunden sind. Das bedeutet, dass wir uns kollektive Erinnerung nicht nur auf einer diskursiven Ebene angeschaut haben, sondern entlang von Praktiken und räumlich-materiellen Verankerungen in lokalen Kontexten. Unserem Forschungsdesign liegt ein relationales Raumverständnis zugrunde, nach welchem Raum als sozial konstruiert verstanden wird und die Wechselbeziehungen zwischen menschlichen Handlungen und ortspezifischen Materialitäten im Fokus stehen (Löw 2001).

Mit Bezug auf den Kontext von rassistischer Gewalt und Erinnerungskultur erlaubt eine räumliche Perspektive die Möglichkeit, spezifische (raumbezogene) Erinnerungspraktiken zu identifizieren und sowohl die individuelle als auch die sozialräumlichen Wirkungen der rassistisch motivierten Anschläge zu verstehen. So wird es auch möglich, nachzuverfolgen, wie sich die Räume, in denen die Anschläge erfolgt sind, verändert haben. Eine solche Transformation des Raumes kann sowohl materieller Form sein, aber auch die Wahrnehmung und die Positionierung und Handlung von Menschen im Raum betreffen (Lefebvre 1991, 36ff.). Die materielle Veränderung kann am Beispiel des Solinger Brandanschlages eindrücklich veranschaulicht werden, da der Brand des Wohnhauses die physische Umgebung nachhaltig verändert hat, insofern sich nach dem Abriss des Hauses der Ort langfristig veränderte und sich darüber hinaus die Ereignisse als Baulücke ins Straßenbild einschrieben. In Rostock hat das Pogrom von Lichtenhagen, bei welchem ein Wohnblock vietnamesischer Vertragsarbeiter:innen von einem rechten Mob angegriffen wurde, keine vergleichbaren materiellen Veränderungen produziert, und der Wohnblock mit dem unverkennbaren Sonnenblumen-Mosaik prägt bis heute das Stadtbild. Ein konstruktivistisches Raumverständnis ermöglicht es den Blick auf die Wahrnehmung des Raumes zu richten und zu erfragen, welchen Einfluss diese auf menschliche Handlungen im Raum hat (und dadurch wiederum auf die weitere Konstitution des Raumes). In Rostock können wir in diesem Sinne beobachten, dass die Wahrnehmung und die Narrative über Lichtenhagen vom Pogrom beeinflusst wurden.

Die Analyse der Wahrnehmung und Bedeutungszuschreibung von Räumen erfordert auch, die Beziehung von Gruppen und (in unserem Fall Gedenk-)Orten in den Fokus zu rücken. Gerade im Kontext von Erinnerungspraktiken ist die Bedeutung, die Akteur:innen bestimmten Orten zuschreiben, maßgebend und beeinflusst die Aushandlung von Erinnerung. In Solingen sehen wir, dass die Familienangehörigen der Verstorbenen sowie von Rassismus betroffene Personen den Tatort unmittelbar mit den Ereignissen verbinden und daher auch das Gedenken an die Tat dort verorten, während andere Akteur:innen Gedenkveranstaltungen an einem entfernteren Mahnmal abhalten (Müller et al. 2023).

Unser Verständnis von Räumen verweist nicht nur auf die soziale Konstruktion dieser Räume, sondern außerdem darauf, dass Räume (aufgrund ihrer Konstruiertheit) von Machtstrukturen durchzogen sind. In unserer Forschung zielen wir demnach auch darauf ab, zu untersuchen, welche Akteur:innen darüber entscheiden können, wie ein Raum gestaltet und verändert werden kann. Welchen Einfluss hat (politische) Entscheidungsmacht beispielsweise auf die Verortung und Erschaffung von Mahnmalen? Wie ist der Zusammenhang von gesellschaftlichen Machtdynamiken, Narrativen über Sozialräume, rechter Gewalt und der Erinnerung an diese? Die Diskussion von homogenisierenden Stereotypen und Narrativen über Stadtbilder und -räume – etwa von Rostock-Lichtenhagen als „rassistisch“ geprägtem Stadtteil – stellt uns, wie andere Forscher:innen, jedoch vor die Herausforderung, negative Bilder und Vorurteile nicht unkritisch zu reproduzieren. Um diese Gefahr weitestgehend zu vermeiden, bedarf es einer ständigen Reflexion, auch der eigenen Positionalität, und der konkreten Benennung und Hinterfragung von Narrativen und Kategorien, die im Forschungsprozess thematisiert oder bedient werden (Dahinden/Fischer/Menet 2021).

3.2 Vignette 2: Displacing the Border: Refugees, Law, and Geography in Turkey (Mert Pekşen)

In meiner Dissertation, Displacing the Border: Refugees, Law, and Geography in Turkey (2021), habe ich untersucht, wie die Türkei eine komplexe politische Geographie von Grenzen erstellt hat, um die Mobilität von Geflüchteten innerhalb und durch ihr eigenes Land zu kontrollieren und zu begrenzen. Die Grenze als ein so erzeugtes räumliches Konstrukt stellte meinen Ausgangspunkt dar, von dem aus ich mich explizit auf die Räume der Grenze als Gegenstand meiner Studie konzentrierte. In meiner Dissertation ging es vor allem um die Untersuchung der zahlreichen Grenzräume und der Praktiken der Raumproduktion, sowohl materiell, legal, administrativ als auch diskursiv und ideologisch. In meiner Forschung habe ich mich an den folgenden Fragen orientiert: Was sind die Räume von Grenzen und Bordering? Wie werden sie hergestellt? Welche Verbindungen gibt es zwischen den verschiedenen Grenzräumen in einem breiteren (geo-)politischen, historischen und sozialen Kontext?

Raum habe ich dabei nicht nur als konstruiert verstanden, sondern zudem angenommen, dass Räume bestimmten politischen Zielen dienen. Während neue materielle Räume geschaffen werden, wie z.B. Lager für Migrant:innen oder Grenzstationen, war ich auch daran interessiert zu untersuchen, wie verschiedene Kategorien von Räumen diskursiv und rechtlich geschaffen werden (z. B. sicheres Herkunftsland, „Satellite City“). Neben den klassischen Raumtheoretiker:innen (Lefebvre 1992; Harvey 2006), wurde ich auch von denen beeinflusst, die die Grenze als ein Regime von Räumen und Praktiken betrachten (Hess/Kasparek 2010; Tsianos/Karakayali 2010). Auch das Verständnis von Raum und Scale durch feministische (politische) Geographinnen hat meine Arbeit inspiriert (insbesondere Katz 2001; Hiemstra 2012), indem es das skalare Denken in Frage stellt, die binären Kategorien von lokal und global unterbricht und eine stärker relationale und skalenübergreifende Analyse fordert. Katz‘ Arbeit hat mich zum Beispiel dazu inspiriert, über die Verbindungen zwischen verschiedenen Orten nachzudenken, die zwar geographisch sehr weit voneinander entfernt sind, aber im größeren politisch-geographischen Regime der Grenzen sehr eng miteinander verbunden sind. Ein Beispiel dafür wäre, wie verschiedene Räume, wie eine kleine Küstenstadt in der Türkei, mit dem IOM-Büro in Ankara und den EU-Büros in Brüssel verbunden sind. Diese Räume arbeiten zusammen oder stehen sich im Rahmen des allgemeinen Grenzregimes gegenüber.

Wenn man Grenzräume als materielle, diskursive und rechtliche Konstruktionen versteht, die in einem bestimmten politischen Kontext funktionieren, kann man auch unerwartete Räume als Grenzräume untersuchen. Ich habe Grenzräume an Orten „gefunden“, an die ich vorher nicht gedacht habe. Je mehr ich mich mit der Grenze beschäftigte, desto mehr entfernte ich mich geographisch von der physischen Grenze. Straßenecken, Krankenhäuser und Taxis wurden zu zentralen Orten meiner Forschung, an bzw. in denen Grenzen sowohl produziert als auch durchgesetzt werden. Das Interesse an der Produktion von Grenzräumen auf verschiedenen geographischen Ebenen und oft auch im Alltag von Geflüchteten hat es mir ermöglicht, zu analysieren, wie Geflüchtete auf Grenzräume reagieren, sie verstehen und in ihnen handeln.

Im Rückblick würde ich folgende Konsequenzen und „lessons learned“ aus meiner Forschung ziehen: a) Eine Grenze ist per Definition ein räumliches Konstrukt und manifestiert sich durch Räume. Aber die Überbetonung von Grenzräumen, so denke ich jetzt, hat vielleicht die Folge, dass ich etwas anderes übersehen habe, z. B. die diskursiven Konstruktionen, die Legitimationsbildung usw. Diese Aspekte waren nicht der Schwerpunkt meiner Forschung. Aber wenn ich diese Forschung noch einmal machen würde, würde ich genauer darüber nachdenken, was in Grenzräumen tatsächlich räumlich ist und wie man explizit nicht-räumliche Elemente (wenn so etwas gibt – das ist vermutlich die Frage) im Zusammenhang mit räumlichen Elementen untersuchen kann. b) Wenn man Grenzräume „überall“ sieht, wie in der Literatur teilweise behauptet wird, besteht die Gefahr, dass man den Grenzen (als omnipräsenten räumlichen Konstrukten) zu viel Macht zuschreibt. c) Die Untersuchung eines größeren Regimes von Grenzen und Grenzräumen hat mir nicht erlaubt, die Besonderheiten der Räume des Regimes vollständig zu untersuchen. Das war meine Entscheidung. Eine andere Möglichkeit wäre, die Besonderheiten eines oder mehrerer bestimmter Räume zu untersuchen und von dort „rauszuzoomen“. Mit anderen Worten: einen kleinen Ort zu analysieren, um viel größere und geographisch weiter entfernte Prozesse zu untersuchen.

3.3 Vignette 3: Neighbourhood Management as an Infrastructure of Othering (Sylvana Jahre)

In meinem Dissertationsprojekt untersuche ich, durch welche Praktiken ein neues städtisches Politikprogramm umgesetzt wird, das explizit Geflüchtete in sogenannten Gemeinschaftsunterbringungen (GU) sowie die Menschen in umliegenden Wohngebieten adressiert. Ich bin dabei insbesondere an Praktiken wie definieren, kategorisieren, evaluieren, entscheiden etc. des Programms BENN – Berlin entwickelt neue Nachbarschaften interessiert. Der Fokus liegt dabei insbesondere auf der Fragestellung, wie Wissen das Programm informiert, welches Wissen diesem zugrunde liegt, wie Wissen in Handlungen übersetzt wird und wie durch Handlungen wiederum Wissen generiert wird. Dabei stütze ich mich auf feministische Literatur, die einerseits betont, dass Wissen spezifisch historisch und sozial verortet ist, und anderseits mir zu denken hilft, dass alle urbanen Prozesse und Praktiken von Machthierarchien durchzogen und durch Ausschlüsse und Unsichtbarkeiten gekennzeichnet sind. Mein empirisches Material umfasst ethnographische Beobachtungen seit 2018, zahlreiche Interviews, unzählige Dokumente wie Handlungskonzepte, Protokolle, Evaluationen, Notizen und Voicemessages zum Festhalten meiner Beobachtungen und ihrer Interpretationen, die mehrjährige Begleitung von internen Jour Fixe Runden sowie die Betreuung der Abschlussarbeiten von zwei Studierenden, die im BENN-Programm gearbeitet haben.

Ich habe im Sinne eines induktiven und offenen Vorgehens keine eigene Konzeption von Raum in die Forschung eingebracht, sondern lasse mich von der Empirie leiten und diskutiere die sich darin wiederfindenden Konzepte und Vorstellungen. Eine in meiner Empirie wiederkehrende Idee ist das Konzept von Nachbarschaft, das sich für das BENN-Programm als Folie herauskristallisiert, um lokale Gemeinschaft zu denken. Wenn Geflüchtete der GU’s mit der Nachbarschaft interagieren, so die Programmlogik, haben sie bessere Chancen ‚anzukommen‘. Hier zeigt sich bereits ein dem BENN-Programm innewohnendes sozialräumliches Paradox: Einerseits werden Geflüchtete durch die erzwungene Unterbringung in den GU’s von der Wohnbevölkerung separiert, um andererseits durch das BENN-Programm wieder miteinander in Kontakt gebracht zu werden. Ich fokussiere auf dieses räumliche Paradox, weil Raum, im Sinne von Nachbarschaft, als Konzept mobilisiert wird, um ‚Integration vor Ort‘ zu praktizieren. ‚Integration vor Ort‘ als besondere Form der Integration verweist auf eine Fokusverschiebung auf den Raum (Volkmann 2012, 9), die sozial-strukturelle Problemlagen nicht mehr nur allein an bestimmten Bevölkerungsgruppen festmacht, sondern ‚zu fördernde‘ Räume identifiziert und mit einer geeigneten Sozialpolitik versieht (siehe Programm Soziale Stadt, aber eben auch das von mir untersuchte Programm BENN).

Das Programm BENN betrachtet die Unterbringung von Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften als Ausgangspunkt für Interventionen. Diese Annahme führt zu einer Reproduktion der Vorstellung, dass Geflüchtete ausschließlich in GU‘s leben, und verortet sie somit in einem durch Hilfebedarf geprägten räumlichen Kontext. Dies wiederum legimitiert das Programm selbst und die Handlungen, die im Rahmen dessen stattfinden. Es verfestigt aber auch die Vorstellung, dass es überhaupt eine Gruppe der Geflüchteten (im Gegensatz zu Nachbar:innen) gibt. Entscheidend ist dabei die Herstellung und stetige Reproduktion eines hilfebedürftigen und oft auch als minderwertig inszenierten ‚Anderen‘, welches alles das darstellt, was das ‚Wir‘ nicht ist oder nicht sein will (Costa 2007, 5; Mecheril 2011). Diese Lesart eröffnet den Blick für die kritische Reflexion der Herstellung und Reproduktion nicht nur eines ‚migrantischen Anderen‘, sondern auch von ‚anderen Räumen‘ in Form der benachteiligten Quartiere oder GU‘s, die von der Normalität der ‚wir-Räume‘ abweichen und deshalb politischer Intervention bedürfen.

Anhand dieser beiden Beispiele möchte ich darlegen, wie ich mich mit der Empirie auseinandersetze und zeige, wie Objekte oder Tatsachen als in der Praxis hergestellt (Mol 2002, 4) verstanden werden können. Ich habe mich explizit dagegen entschieden, ausgewählte BENN-Standorte vergleichend zu beleuchten, sondern ziehe Beispiele von verschiedenen Standorten heran. Eine vergleichende Analyse hätte eine begründete Auswahl der Gebiete erfordert und sich dabei auf reproduzierende Stigmatisierungen wie West/Ost, Zentrum/Periphere, Plattenbau/Einfamilienhäuser, Ausstattung mit migrantischer Infrastruktur etc. gestützt. Damit will ich nicht sagen, dass solche Merkmale für den Alltag der Menschen keine Rolle spielen – im Gegenteil. Jedoch bringen diese Kategorisierungen für eine wissenschaftlich begründete Auswahl von Gebieten eine Reihe von Fallstricken mit sich.

3.4 Vignette 4: Multilevel Governance of Irregular Migration at the Margins of Europe – A Comparative Study of Actors, Configurations and Lines of Conflict (Jan Schaller)

In meinem Dissertationsprojekt befasse ich mich mit der Governance irregulärer Migration an den Außengrenzen der EU. Governance, verstanden als das Regieren in vertikalen und horizontalen Netzwerken, welches auch andere Akteure als den Staat einbezieht, ist ein zentraler theoretischer Bezugspunkt für meine Arbeit. Im Grunde möchte ich verstehen, welche Akteur:innen wie und mit welchen Folgen auf Migration reagieren, diese (versuchen zu) strukturieren, wie aber auch Migration die Akteur:innen strukturiert. Für dieses Projekt untersuche ich drei Orte an der europäischen Außengrenze: die Kanaren, Sizilien und die bosnische Stadt Bihać, welche kurz vor der kroatischen Grenze liegt. Als ich die Studie(n) konzipierte, stand mir – auch durch meinen disziplinären Hintergrund in den Politikwissenschaften bedingt, in denen Raum selten explizit theoretisch konzeptualisiert wird – kein ausformuliertes Raumkonzept zur Verfügung. Wie sich jedoch zeigen sollte, versteckten sich raumbezogene Aspekte in meiner Arbeit:

Ganz ohne raumbezogene Theorien habe ich aber auch zu Beginn nicht gearbeitet. Insbesondere das Borderscapes-Konzept, welches von Chiara Brambilla (2015) detailliert am Beispiel der libysch-italienischen Grenze ausgearbeitet wurde, war anleitend für meine Arbeit. Borderscapes sind Räume jenseits des nationalstaatlich-administrativer Grenzen, aber auch jenseits von üblichen Untersuchungsräumen wie der Stadt. Sie ermöglichen ein Erfassen sozialer Realitäten und Aktionsformen involvierter Akteure, die nicht an administrativen Grenzen aufhören, sondern diese transzendieren.

Mit der Festlegung auf Governance-Theorien als leitende theoretische Perspektive reproduziere ich zunächst einmal eine Theorie, die für bestimmte räumliche Aspekte nahezu blind ist. Raum ist in klassischen Schriften der Governance-Forschung (Hooghe/Marks 2003) zwar eine beschreibende Größe (z. B. im Sinne von ‚wo hört die jeweilige untersuchte Jurisdiktion auf‘, und auch die Frage nach Ebenen in Multi-Level-Governance-Systemen nutzt räumliche Kategorien zur Beschreibung), wird aber nicht als selbst produktiv gedacht. Hinzu kommt, dass Governance eindeutig bestimmbare legislative Einheiten voraussetzt, was mit einem Blick auf Migration im oben beschriebenen Sinne inkompatibel ist. Und nicht zuletzt reproduziere ich damit die Einteilung von Menschen in Migrant:innen und Nicht-Migrant:innen, in solche, die ‚dazugehören‘ und solche, die außen stehen.

Eine methodologische Reflexion meiner Vorgehensweise macht mehrere Dinge sichtbar: Angefangen beim letzten Punkt, der Reproduktion von Migrant:innen und anderen, sehe ich in diesem Fall kein größeres Problem, so lange man sich bewusst macht, dass es eine Konstruktion ist. Bezogen auf die Forschung ist es nicht per se ein Problem, da genau die sozialen Auswirkungen, die durch die Trennung entstehen, untersucht werden sollen – und auch untersucht werden sollten, da die Trennung, obschon eine Konstruktion, reale soziale Auswirkungen hat. Eine Aufhebung der Trennung würde den Forschungsgegenstand zum Verschwinden bringen.

Es bleibt die Frage, wie man einen Fall so konstruiert, wie er einem empirisch entgegentritt, der aber nicht mit ‚einfachen‘, administrativen Zuschnitten wie Kommune oder Staat zu erfassen ist? Ich schlage hier einen Zweischritt vor: Als Anker und Bezugspunkt ist die Orientierung an eindeutigen Orten (beispielsweise einer Stadt oder Camps zur Unterbringung von irregulären Migrant:innen) sinnvoll. Ein solcher Ort ist dann ein Anhaltspunkt dafür, wo Forschung stattfinden soll. Er gibt aber noch keine klare Idee davon, wie weit der Ort letztendlich reicht, welche Orte und Räume für den Forschungsgegenstand relevant sind (und für wen) und welche nicht. Diese Erkenntnisse konstituieren sich erst während der Forschung – ‚der‘ Raum entsteht also erst im Prozess. Im konkreten Beispiel kommt hier das Wesen der Grenze zum Tragen, die nicht nur an der Grenzlinie existiert, sondern je nach Subjekt produktiv wirkt und sich somit ausdehnt/materialisiert oder verschwindet. Im Rückblick empfinde ich die Offenheit dafür, welche Räume wichtig und welche unwichtig sind, als überraschend hilfreich und als glücklichen, forscherischen Zufall. Gerade bei interpretativen Zugängen erscheint mir ein hinreichend offener Blick als geradezu notwendig für Forschung, die nicht nur das ohnehin schon Bekannte wiederholen möchte.

3.5 Vignette 5: Interaktionen von neosalafistischen, delinquenten und nicht-delinquenten Jugendlichen in marginalisierten Stadtgebieten (Katharina Leimbach)

Als Kriminalsoziologin hatte ich zwar im Rahmen meines Studiums mit der Kategorie Raum durch die Überschneidung der Stadt- und Kriminalsoziologie mit den Arbeiten der Chicago School zu tun, hatte aber bisher kein explizites Forschungsprojekt zu oder über Räume durchgeführt. Der Start des DFG-Projektes „Interaktionen von neosalafistischen,

delinquenten und nicht-delinquenten Jugendlichen in marginalisierten Stadtgebieten“ beförderte mich jedoch in eine Situation, in der ein bestimmter Raum zum Forschungsgegenstand wird. Da ich in der interpretativen Sozialforschung und sozialkonstruktivistischen Problem(Kriminal)Soziologie verortet bin, begann ich das Projekt zunächst einmal damit, den Forschungsantrag auf seine expliziten und impliziten Vorannahmen hin zu befragen (dazu entstand das erste Paper im Projekt siehe Leimbach/Wilke 2023).

Neosalafismus, Delinquenz und Jugend werden durch das Projekt problematisiert und zu

Bearbeitungsgegenständen erhoben und direkt lokalisiert – nämlich im marginalisierten Stadtgebiet. Vor allem implizit werden Migration, Armut und männliche Adoleszenz (das Projekt sollte sich auf jugendliche Männer konzentrieren, da diese in den Kriminalitätsstatistiken überproportional vertreten sind) dadurch problematisiert. Die Problematisierungsweise findet durch die Thematisierung von Neosalafismus im Modus von Sicherheit, potentieller Gefahr, Radikalisierung und Terrorismus statt. Darüber hinaus ist eine grundlegende Annahme des Projektes, dass sich neosalafistische, delinquente und nicht-delinquente Jugendliche in ihrer Interaktion beobachten lassen und somit auch als (sichtbare) Gruppen bestehen.

Die Untersuchungsmethoden im Projekt sind mit einem ethnografischen Zugang (beobachtende Teilnahme), narrativen Einzelinterviews, Gruppendiskussionen und Expert:inneninterviews festgelegt gewesen. Die Entscheidung darüber, welche marginalisierten Stadtgebiete ausgewählt werden, fiel mit ethischen Überlegungen dahingehend zusammen, ob dadurch nicht problematisierende Wissensmuster verfestigt werden. Dies führte zu der Entscheidung alle Untersuchungsorte anonym zu halten.

Die Durchführung des Projektes sollte der Logik interpretativer Sozialforschung entsprechen und daher Offenheit als oberste Prämisse konstatieren. Im Sinne der Situationsanalyse (Clarke et al. 2018) wird die Durchführung des Projektes als Teil der Forschungssituation betrachtet, die vor der Folie bestimmter „situierter Wissensbestände“ entsteht. Die Frage, die sich durch die Situationsanalyse stellt, ist, welche Elemente in der Forschungssituation überhaupt relevant gemacht werden und wie diese relevant gemacht werden (durch die Forschungssubjekte, durch Diskurse über die Forschungssubjekte, durch institutionelle Aspekte etc.). Um den Besonderheiten der Empirie ihren nötigen „Raum“ zu geben, entschied ich mich keine bestimmten Raumverständnisse als analytische Brille zu verwenden. Ganz dem induktiven Prinzip folgend, je weniger Vorwissen, desto mehr Offenheit für die Eigentümlichkeiten der Empirie. Deshalb stoppte ich die Einarbeitung in die Literatur zu „Räumen“ und stellte keine Raumkonzeption an den Beginn des Projektes. Einzig, was ich noch mitnahm, war ein Artikel über „go-along Interviews“ als ethnografische und subjektorientierte Idee, den Fokus auf Räume auch methodisch abzubilden.

Nach den Feldaufenthalten, den zahlreichen Interviews und Gruppendiskussionen entsteht nun nach und nach eine Idee für die Bedeutung des Raumes in der konkreten Forschungssituation. Es zeigt sich, dass viele der Vorannahmen zurückgewiesen werden müssen und die jungen Männer z. B. nicht in Gruppen, die sich nach neosalafistisch, delinquent und nicht-delinquent unterscheiden lassen, eingeteilt werden können. Stattdessen entsteht eine Gruppenkonstruktion, die sich durch die Verschränkung von Klasse und Wohnort vollzieht. Es gibt eine sehr starke „Wir hier und Ihr da“-Konstruktion, deren Grenze sich zwischen der weißen, mittelständischen Dominanzgesellschaft und Menschen, die an sogenannten „sozialen Brennpunkten“ wohnen und enorme Armuts- und Diskriminierungserfahrungen gemacht haben, vollziehen. Dabei fallen soziale und architektonische Grenzziehungen zusammen. So können die Bewohner:innen auf den Meter genau sagen, wo Bessergestellte wohnen und vor allem, wie diese wohnen im Kontrast zur eigenen erlebten Lebenssituation.

Besonders stark fällt die räumliche und soziale Atmosphäre, die durch die Forschungssubjekte hergestellt wurde, ins empirische Gewicht. Die sozialen und architektonischen Grenzen haben etwas „Totales“ – sie sind für die Bewohner:innen der „marginalisierten Stadtgebiete“ undurchlässig, sowohl im Sinne eines Umzugs, als auch im Sinne eines sozialen Aufstiegs. Der „totale“ Raum konstituiert sich nach innen durch spezifische Identitätsentwürfe, die eng verbunden sind mit Armut, Migrations- und Fluchterfahrungen sowie spezifischen (traditionellen) Männlichkeitsentwürfen. Jene Männlichkeitsentwürfe brechen insbesondere dort, wo sie versuchen, gesellschaftlich-verbreiteten Männlichkeitskonstruktionen zu folgen. Zum Beispiel einer Erwerbsarbeit nachzugehen und die Rolle des (ökonomischen) Versorgers einzunehmen. Dies kompensieren die Jugendlichen mit devianten Verhalten und einem spezifischen (jugendkulturellen) Lifestyle (z. B. Gangsterhabitus). Von außen wird der „totale“ Raum konstituiert, weil die weiße Dominanzgesellschaft die jungen Männer nicht „rein“ lässt. Sie werden permanent damit konfrontiert eine potenzielle Gefahr zu sein und werden nur als sozialpädagogische Subjekte institutioneller Hilfen und Kontrolle und damit implizit als Problem thematisiert. Zu dieser Subjektanrufung trägt im Übrigen auch die Durchführung des Forschungsprojektes bei, was wiederholt zum Thema in den Interviews und Feldaufenthalten von den Jugendlichen gemacht wird (z. B. „Du denkst doch wir sind alle kriminell“).

3.6 Vignette 6: Ortsbindung von hochqualifizierten internationalen Migrant:innen (Anna-Lisa Müller)

Mein Forschungsprojekt fragte, auf welche Weise wiederholt migrierende, hochqualifizierte Personen zwischen den Ortswechseln und dem Leben vor Ort balancieren. Im Blick der Forschung waren dabei Raumkonstitutionen vor Ort (d. h. lokal) und zwischen verschiedenen Orten (d. h. translokal).

Raumtheoretischer Ausgangspunkt für meine Forschung war ein relationales Raumverständnis, das explizit an Martina Löws Raumsoziologie orientiert war (Löw 2001). Mit diesem Verständnis von Raum als sozial und durch relationale Anordnungen hergestellt wollte ich anerkennen, dass Migrant:innen spezifische Räume vor Ort und zwischen Orten herstellen. So lagern Migrant:innen z. B. persönliche Gegenstände, die sie nicht mitnehmen konnten, wie z. B. eine Schallplattensammlung oder DJ-Equipment an anderen Orten als dem aktuellen Arbeitsort. Dadurch, dass diese Dinge an anderen Orten lagern, die Person selbst an wiederum einem anderen Ort lebt, wird durch die emotionale Bindung zu den Dingen und das kontinuierliche Erinnertwerden, dass man bestimmte Praktiken, z. B. als DJ, gerade vor Ort nicht ausüben kann, ein emotionaler Raum hergestellt: ein Raum der Erinnerung, ein Raum der Zerrissenheit.

Wichtig war mir insbesondere, die Bedeutung von anderen Menschen, Objekten und den physisch-räumlichen Gegebenheiten vor Ort gleichermaßen zu berücksichtigen. Dazu habe ich das Konzept von Löw aufgenommen, mit dem sie Raumkonstitutionen analytisch zugänglich macht: Sie unterscheidet den Prozess des spacing von dem der Syntheseleistung. Mit dem Konzept des spacing wollte ich in meiner Forschung die Bedeutung von Objekten und konkreten geographischen Orten und ihren Merkmalen für Migrant:innen herausarbeiten. Die forschungsleitende Frage war hier: Welche Dinge und physisch-materiellen Gegebenheiten haben für die Migrant:innen eine Bedeutung? Mein Argument war, dass die Dinge, wenn sie eine Bedeutung haben, Teil des spacing-Prozesses sind. Mit dem Konzept der Syntheseleistung wiederum wollte ich die unterschiedlichen sozialen Kontexte der Migrant:innen anerkennen und in der Analyse berücksichtigen. Mit der Syntheseleistung bezeichnet Löw die Tatsache, dass jede einzelne Person, aber auch ganze Gruppen durch ihre spezifische biographische und kollektive Prägung, durch ihre Erfahrungen, ihre Lebensstile und Lebensweisen, ihre Normen und Werte die Raumkonstitutionen auf eine ganz bestimmte Art und Weise herstellen. Darüber lässt sich erklären, dass Menschen am selben Ort sehr unterschiedliche, aber auch zum Teil sehr ähnliche Räume konstituieren und sich dies auch über den Zeitverlauf verändern kann. Die Vorannahmen, die damit verbunden sind, waren:

Einen dezidierten Raumzuschnitt hatte ich nicht. Ausgangspunkt waren für mich hochqualifizierte internationale Migrant:innen, die ich an dem Ort aufgesucht und interviewt habe, an dem sie leben. Damit ist der erste empirische Zugriff ein räumlicher. Dieser Ortszugriff war zufällig, da für mein Forschungsdesign nicht entscheidend war, an welchen Orten die Personen konkret lebten und in welche politisch-administrativen Räume sie eingebunden waren. Indem ich in den qualitativen, leitfadengestützten Interviews mit biographisch-narrativen Elementen nach den Migrationsbiographien gefragt habe, habe ich Wissen über die grenzüberschreitenden räumlichen Bewegungen der Menschen erhalten und konnte ihre räumlichen Bewegungen in der Auswertung und Analyse nachvollziehbar machen. Indem ich im Interview außerdem nach der Bedeutung von Orten, Objekten und Lebewesen gefragt habe, wurde es in der Analyse möglich, dem spacing auf die Spur zu kommen. Die Fragen nach den persönlichen und kollektiven Einbettungen gaben mir schließlich Hinweise auf die für die Syntheseleistung wichtigen Aspekte wie Sozialisation, biographische Prägung, Lebensstile, Werte und Präferenzen etc.

Durch die Auswahl der Interviewten habe ich die Unterscheidung zwischen Migrant:innen und Nicht-Migrant:innen reproduziert, vor allem vor Ort. Dies habe ich in der Analyse zu adressieren versucht, indem ich ausblickend und kontextualisierend darauf hingewiesen habe, dass sich meiner Annahme nach und basierend auf anderen Studien die Raumkonstitutionen der hochqualifizierten internationalen Migrant:innen nicht per se von denen anderer Menschen unterscheiden. Mein Argument war und wäre es heute noch viel stärker, dass sich die Unterschiede insbesondere durch die spezifischen individuellen und kollektiven Erfahrungen und Prägungen sowie die Biographien erklären lassen. Durch diese Erfahrungen entwickelten meine Interviewpartner:innen spezifische Syntheseleistungen. Dafür konnten sie auf Bekanntschaften und/oder ihr früheres Leben an anderen Orten zurückgreifen, oder sie verfügten über spezifische Voraussetzungen, translokale Räume zu konstruieren, und taten das in spezifischer Weise. Und diese Erfahrungen ließen sie dann wieder in ihr Leben vor Ort einfließen. Meine Forschung zeigte, dass Objekte dafür eine maßgebliche Rolle spielen, etwa wenn eine Interviewee ihr Cello an jeden neuen Lebensmittelpunkt mitnimmt und es dort nutzt, um über das gemeinsame Musizieren mit anderen einen Raum der Zugehörigkeit herzustellen. Derartige Räume, die mithilfe eines Objekts wie dem Cello konkretisiert und – beispielsweise in einem lokalen Orchester – verortet werden, zeigten mir in der Forschung, wie wichtig das Zusammenspiel von Orten, Objekten und Menschen für die Raumkonstruktionen und die Migrationserfahrungen und -biographien ist.

Heute denke ich weiterhin, dass mein empirisches Vorgehen und die theoretisch-konzeptionelle Rahmung sinnvoll und angemessen waren, da die Bedeutung von Objekten aus dem Material heraus und damit induktiv entstanden ist und am Anfang des Projektes zu einer Re-formulierung meines Fokusses geführt hatte. Allerdings sehe ich heute deutlicher die Notwendigkeit, diese Forschung durch Interviews mit unterschiedlich situierten Personen – mit und ohne eigene Migrationsbiographie – zu erweitern. Das würde helfen, die Dichotomie zwischen Migrant:innen und Nicht-Migrant:innen zu überwinden und der Reproduktion der binären Kategorien entgegenwirken. Schließlich war von vornherein die Frage, ob Raumkonstitutionen und die ihnen zugrundeliegenden Praktiken der Raumkonstitution mithilfe von Interviews erforscht werden können oder ob es dazu anderer, z. B. ethnographischer, Ansätze bedarf. Hier stellt sich dann die Frage nach den methodischen Operationalisierungen von Räumen und raumproduzierenden Praktiken. Hier waren es letztlich auch forschungspragmatische Entscheidungen, die für eine Interviewstudie sprachen, da sie sich besser im Kontext meiner Tätigkeit als angestellte Wissenschaftlerin mit Lehr- und Selbstverwaltungsverpflichtungen an einer deutschen Universität realisieren ließ.

3.7 Vignette 7: Lokale Konflikte in Stadt und Land (Antonie Schmiz)

Im Forschungsprojekt „Neuer Lokalismus. Ressource friedlicher Konfliktbearbeitung in Stadt und Land“ [2] untersuchen wir migrationsbezogene und verkehrsbezogene Konflikte in einem großstädtischen Quartier in Berlin-Kreuzberg und einer Kleinstadt in Brandenburg. Wir gehen der Frage nach, wie migrations- und verkehrsbezogene Konflikte in diesen unterschiedlichen räumlichen Settings thematisiert und bearbeitet werden. Im Zentrum unseres Erkenntnisinteresses steht die Frage, welche Rolle das Lokale in den betrachteten Konflikten spielt. An dieser Stelle beschränke ich mich auf eine genauere Darstellung der beiden städtischen Konflikte.

Die Ergebnisse unserer Forschung zeigen für die beiden Konflikte im superdiversen städtischen Raum, dass sich der verkehrsbezogene Konflikt in seinem Verlauf erheblich „migrantisiert“ hat: Ein Verkehrsberuhigungskonzept für das Quartier wird vor allem von den Gewerbetreibenden infrage gestellt, die ihr Gewerbe durch die eingeschränkten Zufahrtsmöglichkeiten für Kundschaft und Lieferungen in Gefahr sehen. Hier hat sich eine Konfliktpartei herausgebildet, die sich stark über die gemeinsame (migrantische) Geschichte und Identifikation mit der Nachbarschaft solidarisiert. Hingegen hat sich der Konflikt um den Handel mit Drogen insofern demigrantisiert, als dass er sich auf angrenzende Themen, wie Drogenkonsum, Polizeiarbeit und geplante Sicherheitsmaßnahmen, verlagert hat. Damit stehen die als „Migrationsandere“ markierten Protagonist:innen nicht mehr im Fokus des Konfliktes.

Über die Wahl der beiden Fallstudien lässt sich der lokal spezifische Umgang mit Konflikten untersuchen; gleichzeitig lassen sich Gemeinsamkeiten herausarbeiten und somit Vorannahmen zu Stadt und Land überwinden: Es zeigt sich, wie wichtig die Betrachtung der historischen Gewordenheit der Konflikte ist und dass historische gesellschaftliche Benachteiligungen, Identifikationen mit Räumen und Anerkennung eine große Rolle in der Aushandlung bzw. Bearbeitung von Konflikten spielen. Auch Ängste vor Verlusten oder Verdrängung sind Gemeinsamkeiten beider Fallbeispiele.

Mit dem Vergleich zweier Konfliktthemen in zwei unterschiedlichen Orten umgehen wir es, Migration zum Ausgangspunkt der Forschung zu machen und damit selbst durch unseren forschenden Blick zu migrantisieren. Die Betrachtung von Konflikten ermöglicht vielmehr eine Demigrantisierung unserer Forschung. Mit dem Zugriff über zwei unterschiedliche räumliche Settings gehen jedoch implizite Vorannahmen – und damit Verräumlichungen – einher, wie z. B. dass gerade migrationsbezogene Konflikte in einem diversen städtischen Quartier eher an kosmopolitische Diskurse anknüpfen und damit anders ausgehandelt werden als im ländlich geprägten Raum, wo sie eher an kommunitaristische Diskurse geknüpft werden.

Konflikte als unseren Ausgangspunkt zu wählen, ermöglicht es uns zu beobachten, wie Migration im Verlauf eines Konfliktes zentriert bzw. dezentriert wird. Aus einer reflexiven Perspektive auf unsere Wissensproduktion lässt sich festhalten, dass es sich lohnen kann, zu beobachten und zu untersuchen, wo Migration auf welche Weise zum Gegenstand von Konflikten wird und in welchen Situationen sie in Konflikten von welchen Gruppen als Argument genutzt wird. Für eine solche Forschung erlaubt es unser Zugriff, Migration zu dezentrieren. Genau in dieser Dezentrierung liegt jedoch auch die Gefahr, Raum bzw. Gesellschaft zu reifizieren, indem wir z. B. davon ausgehen, dass sich eine ländliche Gesellschaft in migrationsbezogenen Konflikten grundlegend anders positioniert als Stadtgesellschaft. Dies zu identifizieren und als Spannungsfeld explizit zu machen ist Teil eines Prozesses, in dem wir unsere Vorannahmen kontinuierlich kritisch reflektieren und herausfordern, indem wir Brüche und Widersprüche zulassen und auch den Gemeinsamkeiten in den beiden Konfliktsettings Aufmerksamkeit schenken.

4. Fallstricke und Auswege: wie geht raumsensibles Forschen?

Nachdem wir nun ausführlich Einblick in unsere eigenen Forschungsprojekte gegeben haben, wollen wir auf einige mögliche Fallstricke in der raumbezogenen Migrationsforschung eingehen. Wir nehmen dabei drei häufig auftretende Problematiken genauer in den Blick: den Fallstrick der Untersuchungsebene, den Fallstrick des othering und Festschreibung von Bedeutungen sowie den Fallstrick der Frage nach Struktur und Agency. Im Forschungsprozess können darüber hinaus noch weitere problematische Aspekte relevant werden, seien sie auf ontologischer, epistemologischer, theoretischer oder methodischer Ebene. Die drei hier aufgeführten Fallstricke dürften aber zu den am häufigsten gehören, weshalb sie eine Behandlung an dieser Stelle rechtfertigen.

Epistemologie: Epistemologie ist ein Konzept, das aus der theoretischen Philosophie kommt und beschreibt, unter welchen Bedingungen Wissen zustande kommt. Das Zustandekommen von Wissen ist immer situations- oder kontextgebunden, das heißt, Wissen wird unter bestimmten Bedingungen produziert. Welches Wissen zu welchen Zeiten entsteht ist also kein Zufall, sondern eingebettet in die gesellschaftlichen Bedingungen. Der Begriff des Epistemischen legt den Fokus auf den Werdungsprozess und die Erzeugung von Wissen.

Ontologie: Ontologie ist ebenfalls ein Konzept aus der theoretischen Philosophie und beschreibt die Lehre des Seins. Das „Sein“ im sozialwissenschaftlich-methodologischen Verständnis verbindet materialistische bzw. objektivistische Vorstellungen mit dem Begriff des Sozialen Phänomens bzw. der sozialen Tatsache. Eine materialisierende Perspektive auf Soziale Wirklichkeit geht also von objektiven Tatbeständen aus. Es wird vielmehr versucht, die Merkmale und damit das Wesen des Phänomens zu beschreiben und zu verstehen.

4.1 Der Fallstrick der Untersuchungsebene

In der empirischen Forschung werden oft ausgewählte Fälle betrachtet, die auf einer bestimmten Untersuchungsebene angesiedelt sind. Betrachten wir Integrationsmaßnahmen in einer deutschen Großstadt, befinden wir uns auf lokaler Ebene. Betrachten wir die Entstehung und Transformation von supranationalen migrationssteuernden Regulierungen, adressieren wir die globale Ebene. Eine Verbindung zwischen beiden Phänomenen liegt auf der Hand, da die international wirksamen Regeln und Maßgaben für die Steuerung und Kontrolle von Migration auch die Migrationsprozesse in einzelnen Staaten betreffen und die Arbeit an den Orten, an denen Menschen leben und in denen Integrationsmaßnahmen für Migrant:innen umgesetzt werden, entsprechend (mit-)bestimmen. Damit wird deutlich, dass räumliche Prozesse nicht nur auf einem einzigen Maßstab wirken, sondern miteinander auf verschiedenen Ebenen verbunden sind, wie ein relationales Verständnis von Raum nahelegt (Massey 1991).

Untersucht man stattdessen nur eine einzige Ebene und fokussiert z. B. ausschließlich die lokale Ebene der Stadt, nimmt das der Forschung wichtige Erkenntnismöglichkeiten für das Verstehen des Phänomens. Ein raumsensibler Fokus auf Translokalität, der sensibel für Verbindungen zwischen Räumen über die Maßstabsebenen hinweg ist, der die verschiedenen Prozesse mit ihren jeweiligen Logiken zueinander in Beziehung setzt und der die Verbindungen, Wechselwirkungen und auch Widersprüche zu erkennen vermag, kann hier Abhilfe schaffen. Dadurch kann letztlich auch der jeweilige Forschungsgegenstand angemessen(er) untersucht werden, wie etwa Vignette 6 zeigt.

Beispiele für diesen Fallstrick sind u.a. die Vignetten 2 und 4. In beiden Fällen werden (Grenz-)Räume untersucht, die erst im Zusammenspiel verschiedener Ebenen (Europa, Nationalstaat, lokaler Kontext) in der jeweiligen Form konstruiert werden. Zugleich machen die beiden Beispiele auch deutlich, dass es in eher kleineren Projekten wie einer Dissertation oft nicht möglich ist, mehrere Untersuchungsebenen im selben Umfang einzubeziehen, sodass alternative Lösungen gefunden werden müssen. Beispielsweise ist es denkbar, lokal zu forschen und weitere Ebenen durch weniger aufwendige Forschungsmethoden wie eine Dokumentenanalyse einzubeziehen.

4.2 Der Fallstrick des othering und der Festschreibung

Dieser Fallstrick umfasst zwei Aspekte, die aber eng zusammenhängen. Zum einen das othering von Gruppen, Individuen oder Orten. Entscheidend ist dabei die Herstellung und stetige Reproduktion eines ‚Anderen‘ in Opposition zum ‚Eigenen‘, welches alles das darstellt, was das ‚Wir‘ nicht ist oder nicht sein will (Costa 2007, 5; Mecheril 2011). In Anlehnung an Foucault (2005) lassen sich solche wissenschaftlichen Projekte als disziplinierende Macht verstehen. Dadurch, dass Wissenschaftler:innen immer wieder an die gleichen Orte gehen, um die gleichen Gruppen zu beforschen, werden jene Orte und Gruppen als soziales Problem reaktualisiert. Auf diese Weise stehen Forscher:innen in der Verantwortung ihre eigenen Praktiken zu hinterfragen, tragen diese doch nur Festsetzung von Normalität und Abweichung bei. Diese Lesart eröffnet den Blick für die kritische Reflexion der Herstellung und Reproduktion nicht nur eines ‚migrantischen Anderen‘, sondern auch von ‚anderen Räumen‘ in Form der benachteiligten Quartiere oder Geflüchtetenunterkünfte, die von der Normalität der ‚wir-Räume‘ abweichen und deshalb Intervention bedürfen. Was an diesem konkreten Fall deutlich wird ist, dass räumliche und soziale othering-Prozesse gegenseitig konstitutiv sind. Besonders deutlich werden diese Dynamiken in den Vignetten 3 und 5.

Vignette 1 wiederum weist auf die Dynamiken hin, die mit othering-Effekten Hand in Hand gehen können, mindestens aber mit diesen in Verbindung stehen. Raum produziert Bedeutungen, und die Forschungspraxis reproduziert sowohl bestimmte Raumbedeutungen als auch Räume von Bedeutung. Wenn ein Forschungsprojekt auf marginalisierte Stadtteile fokussiert, dann besteht nicht nur die Gefahr, dass sich problematisierende Diskurse verfestigen, sondern auch, dass Wissenschaft selbst einen Beitrag dazu leistet, Räumen bestimmte Bedeutungen zuzuschreiben. Insofern hat die Auswahl der konkreten Untersuchungsgebiete starke (forschungs-)ethische Implikationen, wie auch in Vignette 7 deutlich wird. In dem Forschungsprojekt, das Vignette 1 zugrundeliegt, werden wiederum lokale Verhandlungen der Erinnerungskultur einschließlich unterschiedlicher Praktiken sowie den Orten der Erinnerung untersucht. Dies umfasst Diskussionen darüber, wie Erinnerungen in lokalen Gemeinschaften verstanden, interpretiert und ausgehandelt werden, sowie die Bedeutung und Rolle von Gedenkstätten und -ritualen für die lokale Gesellschaft als Ganze und für einzelne Individuen und Gruppen. Die kollektive Erinnerung wird nicht nur auf einer abstrakten, diskursiven Ebene betrachtet, sondern auch entlang praktischer Handlungen und materieller Veränderungen in lokalen Kontexten analysiert. Dies beinhaltet die Erforschung der materiellen Spuren und Symbole, die in den Räumen hinterlassen werden, sowie die Bedeutung dieser Veränderungen für die Gemeinschaft. Damit werden aber auch hier spezifische räumliche Bedeutungszuschreibungen vorgenommen, die homogenisierend wirken: So ist der Ort des Anschlags durch die Erinnerungspraktiken und die materielle und symbolische Gestaltung ausschließlich dies, der Ort der Erinnerung, womit er wiederum auch als Anschlagsort reifiziert wird.

othering: Der Begriff bezeichnet den Prozess, etwas oder jemanden als anders zu identifizieren und diese Andersartigkeit als das Charakteristische dieser Person oder des Phänomens zu verstehen. Damit geht auch eine Reduktion auf diese als charakteristisch verstandenen Merkmale einher. Die Vergleichsfolie, vor der jemand oder etwas als ‚anders‘ identifiziert wird, wird bei dem Prozess des othering oft nicht explizit genannt, wird aber in der Regel als ‚das Normale‘ betrachtet.

Im Fall einer Forschung zu diskursiv problematisierten Stadtteilen wie in Vignette 5 lassen sich die Konsequenzen dieses Fallstricks sehen: Mit dem Diskurs werden auch die Grenzen zwischen einer weißen, mittelständischen Dominanzgesellschaft und den Menschen, die in sogenannten „sozialen Brennpunkten“ leben und erhebliche Erfahrungen mit Armut und Diskriminierung gemacht haben, festgeschrieben. Die Zuschreibung von spezifischen sozialen Merkmalen auf bestimmte Räume findet statt, und soziale Differenzierung wird verräumlicht und mit Machtpositionen verbunden. bell hooks bringt genau diese Produktion von Bedeutung auf den Punkt, wenn sie sagt: „To be in the margin is to be part of the whole but outside the main body” (bell hooks 2015, xvii). Die Bedeutungen haben, auch wenn konstruiert, erheblichen Einfluss auf die Realität derjenigen, die zur „Peripherie“ gehören – und auf die, die zum „Zentrum“ gehören.

Wir können diesen Fallstrick umgehen, indem wir explizit in die Reflexion der Kopplung von Bedeutung und Raum und die damit verbundene Bedeutungsproduktion eintreten. Sowohl Bedeutungsproduktion als auch die Kopplung von Bedeutung und Raum finden sich aufseiten der Forschenden und des Phänomens selbst, das untersucht wird. Für das Forschungsprojekt zur Erinnerungskultur (Vignette 1) heißt dies etwa, zu reflektieren, welche Rolle und Verantwortung die wissenschaftliche Wissensproduktion hat, wenn sie vorhandene Stereotype reproduziert und zur Vertiefung der bereits existierenden negativen Wahrnehmungen gegenüber bestimmten städtischen Räumen beiträgt. Es bedeutet auch zu reflektieren, auf welche Weise die Akteure selbst an verräumlichten Bedeutungsproduktionen beteiligt sind und wie diese entstehen.

Indem eine raumsensible Perspektive eingenommen wird, können auch othering-Prozesse, die Migrant:innen als hinsichtlich bestimmter Merkmale anders konstruieren, kontextualisiert werden. Indem soziale und räumliche Aspekte als zusammengehörig anerkannt werden, wird es möglich zu zeigen, dass soziale Differenzierungen immer auch räumlich verortet werden: Es findet mit der Kategorisierung als ‚anders‘ auch eine Platzierung im „Dort“ statt. Dieses „Dort“ kann ein fernes sein: „dort, wo sie eigentlich herkommen“, aber auch ein räumlich nahes, „dort im anderen Stadtteil sind sie besser aufgehoben“.

4.3 Der Fallstrick der Structure and Agency-Unterscheidung

In der (geographischen) Migrationsforschung stellt sich oft die grundlegende Frage, ob der Fokus auf den strukturellen Gegebenheiten liegt, der „structure“, oder auf den individuellen Handlungsmöglichkeiten der Akteur:innen, also ihrer „agency“. Beide Perspektiven haben ihren Wert, da sie unterschiedliche Schwerpunkte setzen und damit Verschiedenes in den Blick nehmen können: Die Betrachtung der Strukturen ermöglicht es, übergeordnete Machtdynamiken zu analysieren und zu verstehen. Diese Perspektive eröffnet Einblicke in die Mechanismen, die Migration formen und lenken. Jedoch birgt sie den Nachteil, dass dabei leicht übersehen werden kann, dass Menschen über Handlungsfähigkeit verfügen, sich diesen Strukturen zu entziehen vermögen und sogar widerständige Praktiken etablieren können. Die Fokussierung der „agency“ der individuellen Akteure stellt sicher, dass der Blick auf die Menschen und ihre Handlungen gerichtet bleibt, wodurch die menschliche Dimension des Migrationsgeschehens zentral wird. Doch besteht hierbei die Gefahr, die übergeordneten, struckturellen Machtmechanismen aus dem Blick zu verlieren, die den Handlungsspielraum der Individuen einschränken und formen. Eine raumsensible Perspektive hilft auch hier, die Verschränkungen zu verstehen, ohne dafür nur auf die Strukturen oder nur auf die agency zu blicken oder beide Herangehensweisen ganz aufzugeben. Ein exemplarisches Beispiel für ein solches Zusammenspiel von Struktur und Agency findet sich im Thema der Grenzen bzw. der Herstellung von Grenzräumen (siehe Vignetten 2 und 4).

Struktur: In den Sozialwissenschaften bezieht sich der Begriff „Struktur“ auf die übergeordneten sozialen, wirtschaftlichen und politischen, aber auch symbolischen Rahmenbedingungen, die das Verhalten und die Interaktionen von Individuen und Gruppen beeinflussen. Strukturen sind oft stabil und langfristig angelegt und umfassen Institutionen, Normen, Werte und Machtverhältnisse, die das soziale Leben organisieren. Sie bestimmen, welche Handlungsoptionen zur Verfügung stehen und in welchem Maße Individuen in ihren Entscheidungen eingeschränkt oder gefördert werden.

Agency: „Agency“ bezeichnet die Fähigkeit und das Handeln von Individuen oder Gruppen, eigene Entscheidungen zu treffen und aktiv in sozialen Prozessen zu agieren. Es betont die Rolle des Individuums als aktiven Akteur, der in der Lage ist, Handlungsspielräume zu nutzen, um Veränderungen herbeizuführen oder Strukturen zu beeinflussen. Agency impliziert somit ein Maß an Autonomie und Verantwortung, auch in einem durch strukturelle Bedingungen geprägten Kontext.

Zusammen bilden Struktur und Agency ein zentrales Spannungsfeld in der sozialwissenschaftlichen Debatte, da sie unterschiedliche Perspektiven auf das Verhältnis zwischen individuellen Handlungen und sozialen Rahmenbedingungen darstellen.

In diesen Studien wird die Grenze nicht nur als physische Trennlinie betrachtet, sondern vielmehr als ein komplexes Zusammenwirken von unterschiedlichen Prozessen verstanden. Grenzen sind dann nicht nur als Staatsgrenzen oder Außengrenzen, etwa der EU, zu verstehen. Stattdessen finden sich auch Grenzen im Inneren von Staaten, die z. B. spezifische Umgangsweisen mit Asylanträgen lokal verorten und es verständlich machen, warum innerhalb eines Nationalstaates mit seinen institutionellen Verwaltungsstrukturen und Asylgesetzen unterschiedliche Praktiken der Akteur:innen bei der Asylantragsbearbeitung vorliegen. Dies ist etwa der Fall, wenn Kommunen für die Bearbeitung von Anträgen unterschiedlich viel Personal aufwenden oder dieses Personal unterschiedlich gut informiert bzw. engagiert ist; beides kann sich auf die Geschwindigkeit der Bearbeitung, aber auch auf die Bewilligungsquoten auswirken. Gleichzeitig kann bei einem solchen Verständnis von Grenz(e)raum auch die sog. „Autonomie der Migration“ (Bojadžijev/Karakayalı 2007) in den Blick genommen werden.

Diese Herangehensweise mit ihrem expliziten Interesse an der Beziehung zwischen Struktur und Agency hilft uns zu verstehen, wie beispielsweise Migrant:innen und Geflüchtete auf strukturelle Faktoren reagieren und diese selbst wiederum beeinflussen. Sie navigieren durch die Grenzräume und entwickeln neue Strategien, um diese zu umgehen. Der Widerstand gegen strukturelle Elemente wie Grenzen findet immer in Räumen statt und schafft neue Räume, etwa wenn Schiffe in internationalen Gewässern Migrant:innen aus Seenot retten und versorgen. Im Umkehrschluss müssen aber auch die Strukturen auf eben jene Agency von z. B. Migrant:innen reagieren, womit der metaphorische Spieß zumindest in einzelnen Momenten umgedreht wird.

Den Fallstrick der Trennung von Struktur und Agency zu vermeiden und beide gleichermaßen und sowohl top-down als auch bottom-up zu denken (und zu analysieren!) ermöglicht es uns, Machtstrukturen deutlich stärker zu durchdringen, als das ohne eine solche Perspektive möglich wäre.

5. Fazit: Strategien zum Umgang mit Raum in der Migrationsforschung

Wie deutlich geworden sein sollte, ist das Verständnis von Raum und Migration maßgeblich davon abhängig, wie wir als Forscher:innen arbeiten, welche theoretische Sensibilisierung uns leitet, in welcher wissenschaftlichen Kultur wir sozialisiert sind, welchen institutionellen Zwängen und Erwartungen (insbesondere bei Qualifikationsarbeiten) wir ausgesetzt sind, mit welchen Methoden wir arbeiten und wie sich letztlich auch das Feld uns und unseren Methoden gegenüber verhält. Im Folgenden formulieren wir Strategien, die aus unserer Sicht und Forschungserfahrung genutzt werden können, um raumsensibel zu forschen und den Fallstricken zu entgehen, die die Integration von räumlichen Themen in der Migrationsforschung bereithalten.

5.1 Die Strategie der reflexiven Forschungshaltung

Eine Strategie mit solchen Fallstricken umzugehen, ist eine reflexive Forschungshaltung. Darunter verstehen wir in erster Linie den Einbezug von subjektiven Dimensionen in die Forschung (die dabei jedoch keinen Selbstzweck darstellen darf, also Reflexivität bedeutet gerade nicht, sich selbst zu bespiegeln). Stattdessen ist eine reflexive Forschungshaltung, so wie wir sie verstehen, am Erkenntnisgewinn ausgerichtet. Insbesondere aus einer interaktionistischen Perspektive lautet die Nachricht daher, dass Forschung zu sozialen Problemen, wie Migration, problematisierten Orten oder Grenzen, immer eine Ko-Konstruktion enthalten ist. Diese kann jedoch gewendet und analytisch genutzt werden, wenn genau diese Konstruktionsprozesse identifiziert und die in ihnen enthaltenen Verweise auf gesellschaftliche Strukturen, Machtpositionen und Diskursformationen aufgedeckt und expliziert werden (Bereswill/Rieker 2008, 6; auch Nieswand/Drotbohm 2014; Dahinden et al. 2021).

So schlagen wir vor, besonders die sozialen Beziehungen, Relationen und eigenen Verortungen im Feld kritisch und analytisch zu befragen und diese dann für Theoriebildungsprozesse fruchtbar zu machen. Das bedeutet zum Beispiel auch, wie bereits in der Migrationsforschung vorgeschlagen, eine De-Migrantisierung zu verfolgen. Dies impliziert nicht nur, das durch die Migrationsforschung kontinuierlich wieder hervorgebrachte migrantische Andere kritisch zu hinterfragen (siehe z. B. Mecheril et al. 2013, Römhild/Bojadžijev 2014, Dahinden 2016), sondern auch, sich mit den im Feld zu beobachtenden Verbindungen von Migration und Raum auseinanderzusetzen und sie zu explizieren.

Eine reflexive Forschungspraxis beginnt mit dem Schreiben des Forschungsantrages und kann bereits hier in eine analytische Schleife eingebunden werden. So lässt sich danach fragen, an welche politischen und öffentlichen Diskurse das Vorhaben anschließt, in wessen Interesse das Vorhaben durchgeführt werden soll, welche impliziten Annahmen im Forschungsantrag enthalten sind (z. B. Kriminalität ist am ehesten an sogenannten „sozialen Brennpunkten“ zu beforschen) und auf welche (wissenschaftlichen) Wissenskulturen Bezug genommen wird (z. B. wenn überwiegend Literatur aus der Radikalisierungsforschung zitiert und damit das migrantisierte Andere nicht nur als anders herausgestellt, sondern auch als potenzielle:r Terrorist:in konstruiert wird).

Auch das methodische Vorgehen lässt sich kritisch befragen: So kann etwa ketzerisch gefragt werden, warum Personen, die von den Forschenden als professionelle Akteur:innen identifiziert werden, Leitfadenfragen im Rahmen eines Expert:inneninterviews beantworten dürfen und damit auch methodisch als Expert:innen gerahmt werden, dagegen aber Personen, die z. B. als potenziell kriminell adressiert werden, im Rahmen eines narrativen Interviews ihre gesamte Lebensgeschichte erzählen müssen. Insbesondere wenn es darum geht Kriminalität zu beforschen, werden überwiegend (migrantisierte) junge Männer adressiert. Die typischerweise vorgebrachte Begründung dafür lautet, dass sie die statistische Mehrheit in der Polizeilichen Kriminalstatistik ausmachen. Hier ergibt sich aber ein methodologisches Paradox insbesondere für qualitativ-interpretative Studien, da für sie das Prinzip der Offenheit gilt (z. B. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2021). Eine offene Forschungshaltung scheint hier also schon in der Anlage des Projektes nicht vorhanden. [3]

5.2 Strategie der gezielten Irritation

Neben der reflexiven Forschungshaltung, die eine solche Bewusstwerdung überhaupt erst ermöglicht, kann nun die Strategie der gezielten Irritation vorgeschlagen werden. Im oben genannten Beispiel hieße das: Anstatt ausschließlich junge Männer für Forschungsinterviews anzusprechen, könnte man sich gezielt darum bemühen, mit jungen Frauen zu sprechen. Eine andere, weitreichende und explizit auf die Raumdimension der Forschung zielende Irritation könnte sein, statt der marginalisierten Sozialräume gezielt auch Räume des Reichtums zu erforschen (jüngst hierzu: Born/Meier 2024). Im vorliegenden Fall (vgl. Vignette 5) hätte eine solche Vorgehensweise das beantragte Projektvorhaben jedoch weit überschritten. Die Strategie der Irritation lässt sich also nicht ins Unermessliche überziehen und sollte einer gewissen (Forschungs- und Förder-)Pragmatik standhalten.

Eine weitere Entscheidung, die im Forschungsprojekt „Interaktionen von Jugendlichen“ getroffen wurden (siehe Vignette 5), ist, dass die beforschten Orte anonym bleiben. Es wird nicht an Personen außerhalb des Projektes (auch nicht in Publikationen oder auf Konferenzen) kommuniziert, wo die Forschung durchgeführt wurde. Dies soll die Orte von einem zusätzlichen othering, von Kriminalisierung und Problematisierung – zumindest durch dieses eine Forschungsprojekt – entlasten. Deutungsmacht, in diesem Fall von Forschenden, kann so auch produktiv eingesetzt werden, indem sich explizit dem Wunsch der Benennung und konkreten Verortung entzogen wird. [4] Eine solche Form der Anonymisierung übersteigt dabei die aus forschungsethischen und datenschutzrechtlichen Gründen durchgeführte Pseudonymisierung von Daten, da sie aus der Motivation einer gezielten „De-Thematisierung“ von besonders politisch aufgeladenen Orten und Gruppen, durchgeführt wird. Damit stellt diese Vorgehensweise eine weitere Strategie der De-Reproduktion und De-Thematisierung dar, um Fallstricken der Reproduktion zu entkommen.

Alle benannten Punkte haben auch eine forschungsethische Dimension, die wir hier noch einmal besonders hervorheben wollen. Bestimmte Orte, zu denen wir forschen, wie zum Beispiel (nationalstaatlichen) Grenzen, mögen für uns Forschende „interessante“ Orte sein, während sie für andere Menschen gefährliche, traumatische oder hoffnungsvolle Orte sind. Diese unterschiedlichen Aufladungen ergeben sich oft aus den unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionierungen und der damit verbundenen Machtasymmetrie. Als Wissenschaftler:innen haben wir deutungsmächtige Positionen; das bedeutet, in bestimmten Forschungssituationen eine privilegiertere Position zu haben als die Menschen, zu denen wir forschen. Eine solche privilegiertere Position kann sich etwa auf den ökonomischen Status der Personen beziehen, auf ihren Aufenthaltsstatus im Land der Forschung oder auf die soziale Position in der Gesellschaft. Daraus ergibt sich eine forschungsethische Verantwortung, der wir uns als Forschende transparent stellen müssen. Das betrifft z. B. das Sprechen über unsere Forschung: Wenn wir nur an marginalisierten Orten forschen und als Forschende auch ausschließlich diese Orte in Verbindung mit Migration bringen und sie dann noch z. B. mit Kriminalität in Verbindung bringen, müssen wir hochsensibel über diese Forschung kommunizieren, um Vereinfachungen und der Reproduktion von Raumbildern und stereotypen Vorstellungen von Migration nicht entstehen zu lassen. Eine weitere Strategie, die forschungsethische Verantwortung ernst zu nehmen, kann es sein, den Blick gleichsam umzukehren, anstatt immer und immer wieder marginalisierte Gruppen zu beforschen. Mit einer solchen Perspektive rücken dann etwa die herrschenden Akteur:innen ins Scheinwerferlicht. Für die (auf Europa bezogene) Migrationsforschung könnten das die EU und ihre Organe und hier vor allem Agenturen wie Frontex sein, aber auch zwischenstaatliche Organisationen wie die International Organization for Migration (IOM), die das aktuelle weltweite Migrationsregime maßgeblich stützen.

5.3 Strategie der zusätzlichen Reflexionsschleife im Forschungsprozess

Schließlich kann es eine weitere Strategie es sein, in der Mitte (oder auch gegen Ende) des Forschungszeitraums noch einmal explizit ‚die Raumfrage‘ zu stellen. Dies bietet sich insbesondere bei Forschungsprojekten an, die nicht von vornherein mit einem Raumfokus gearbeitet haben, sondern in denen sich über den Forschungsprozess hinweg gezeigt hat, dass eine raumsensible Perspektive sinnvoll ist, um die empirischen Phänomene besser zu verstehen und erklären zu können. Die Strategie würde dann vorsehen, in Forschungsprojekten zu Migration und migrationsbezogenen Phänomenen im Forschungsdesign einen Moment der konzeptionellen Reflexion zu integrieren. Da es sich bei Migration (auch) um ein räumliches Phänomen handelt und Forschung verortet ist, kommt, so ja unser Argument, ist „Raum“ auf die eine oder andere Weise Teil des Forschungsprozesses. Indem man zu einem Zeitpunkt, zu dem das Projekt schon fortgeschrittenen ist, explizit die Daten danach befragt, welche Raumdimensionen angesprochen sind, wird es möglich, die expliziten ebenso wie die impliziten Raumannahmen und -konzeptionen zu identifizieren. Derartige Annahmen und Konzeptionen können sowohl auf Seiten des Forschungsteams vorliegen als auch bei den Menschen, mit denen man forscht.

Für die Auswertung und Interpretation des Datenmaterials kann es außerdem hilfreich sein, es im Sinn einer Befremdung des eigenen Materials und der eigenen Interpretation explizit mit dem jeweils anderen Raumverständnis zu lesen und nach alternativen Deutungen zu suchen. Mit der Leitfrage, wie eine andere Raumperspektive die Interpretation des Materials bzw. den Forschungsprozess verändert hätte, lassen sich dann, so unsere Überzeugung, produktive Schärfungen der eigenen Interpretation, eine Sensibilität für Blindstellen und Uneindeutigkeiten und Erkenntnisgewinn für mögliche Folgeprojekte erreichen.

Wir hoffen, dass dieses Working Paper die Merkmale und Potentiale einer raumsensiblen Migrationsforschung überzeugend dargestellt hat und eine Orientierung gibt sowohl für Personen, die am Anfang raumbezogener (Migrations-)Forschung stehen und sich auf der Suche nach einem geeigneten Raumverständnis befinden, als auch für Personen, die in ihren Forschungsdaten räumliche Dimensionen als produktive Elemente von Migration erkennen oder Themen beforschen, die eine räumliche Verortung voraussetzen und Migration nur implizit thematisieren. Danach zu fragen, wie und unter welchen Vorannahmen wir in unserer Forschung Raum konzipieren und dann zu reflektieren, welche Implikationen unser Zugriff auf Raum für den Feldzugang, die empirischen Daten und die Ergebnisse hat, betrachten wir als zentral für eine verantwortungsvolle Forschung.

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Fußnoten

[1] Damit ist auch formuliert, was das Working Paper nicht ist: ein Übersichtsartikel über gängige Raumtheorien oder eine Diskussion ihrer epistemologischen Merkmale. Für eben solche Überblicke siehe exemplarisch Löw et al. 2008; Miggelbrink 2005; 2009; Müller 2015; Rau 2017.

[2] Das Kooperationsprojekt zwischen der Humboldt-Universität zu Berlin und der Freien Universität Berlin (Leitung Prof. Henning Nuissl und Prof. Antonie Schmiz) wird von der Deutschen Stiftung Friedensforschung gefördert.

[3] Ein solches reflexives „Durchspielen“ bei einem Forschungsantrag lässt sich in Leimbach/Wilke (2023) nachlesen.

[4] Diese Strategie ist zu unterscheiden von der etablierten Strategie der Pseudonymisierung und Anonymisierung von Forschungsdaten. Insbesondere in der qualitativen Sozialforschung werden oft nicht nur die Personen, mit denen geforscht wird, pseudonymisiert/anonymisiert, sondern auch die Orte, an denen sie leben, zwischen denen sie sich bewegen oder auf die sie sich beziehen. Diese Strategie wurde beispielsweise auch in der Forschung zu hochqualifizierten internationalen Migrant:innen angewandt (Vignette 6). Hier geht es dann allerdings in erster Linie darum, die Forschungssubjekte davor zu schützen, identifiziert zu werden – und nicht darum, sich der Reproduktion von Orts-Stereotypen und Raumbildern zu entsagen.


Zitiervorschlag

Müller, Anna-Lisa, Katharina Leimbach, Jan Schaller, Emma Brahm, Kübra Gencal, Sylvana Jahre, Mert Pekşen und Antonie Schmiz (2025): Raumsensibel forschen in der Migrationsforschung. In: sozialraum.de (16) Ausgabe 1/2025. URL: https://www.sozialraum.de/raumsensibel-forschen-in-der-migrationsforschung.php, Datum des Zugriffs: 19.06.2025