Klimakrise und Klimagerechtigkeit

Sozialraumanalysen und Handlungsansätze der Sozialen Arbeit

Christian Schröder, Ulrich Deinet

1. Einleitung: Klimakrise und soziale Gerechtigkeit – Herausforderungen und Chancen für die Soziale Arbeit im urbanen Kontext

Der menschengemachte Klimawandel schreitet mit beispielloser Geschwindigkeit voran und führte im Jahr 2024 zum global wärmsten Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Nach dem bisherigen Rekordjahr 2023 stieg die durchschnittliche globale Lufttemperatur nochmals an und übertraf mit rund 1,6 °C über dem vorindustriellen Niveau erstmals dauerhaft die im Pariser Abkommen gesetzte 1,5-Grad-Grenze. Diese Entwicklung ging einher mit extremen Wetterereignissen wie Hitzewellen, Starkregen und Waldbränden, die Millionen Menschen weltweit beeinträchtigten. Besonders alarmierend sind die Rekordwerte von Meeresoberflächentemperaturen und atmosphärischem Wasserdampf, die wesentlich zur Zunahme klimabedingter Extremereignisse beitrugen. Auch in Europa – das sich doppelt so schnell erwärmt wie der globale Durchschnitt – waren die Auswirkungen 2024 deutlich spürbar, etwa durch außergewöhnliche Überschwemmungen und massive Hitzebelastungen (Copernicus 2024).

Vor dem Hintergrund dieser zunehmenden Erderwärmung gewinnen urbane Räume als Brennpunkte klimatischer Belastungen zunehmend an Bedeutung. Hitzewellen treffen besonders Städte, in denen sich durch dichte Bebauung, versiegelte Flächen und fehlende Durchlüftung sogenannte Wärmeinseln bilden, die das Risiko für gesundheitliche Belastungen deutlich erhöhen. Bereits heute lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten, und bis 2050 wird ein Anstieg auf über zwei Drittel prognostiziert (UN-Habitat 2022). Allein zwischen 2015 und 2020 wuchs die städtische Bevölkerung um fast 400 Millionen Menschen – Tendenz steigend. Damit nimmt auch die Zahl der Menschen zu, die in hohem Maße den gesundheitlichen und sozialen Folgen des Klimawandels ausgesetzt sind, insbesondere in dicht besiedelten und strukturell benachteiligten Quartieren.

Als ökologische Krise offenbart der Klimawandel die Grenzen des vermeintlich unbegrenzten Wachstums der neoliberalen Ökonomie und stellt die Soziale Arbeit vor neue Herausforderungen. Die ökologischen Folgen – wie extreme Wetterereignisse, Umweltflucht und Ressourcenknappheit – schaffen neue soziale Disparitäten und verstärken bestehende Ungleichheiten. Diese Entwicklungen verdeutlichen die Notwendigkeit eines sozial gerechten Umgangs mit ökologischen Krisen.

Während 1990 noch 62 % der globalen Emissionen durch Unterschiede zwischen Ländern verursacht wurden, gehen heute zwei Drittel auf soziale Ungleichheiten innerhalb von Gesellschaften zurück (Chancel et al. 2022). Die wachsende Bedeutung innerstaatlicher sozialer Ungleichheiten für den Klimaschutz zeigt, dass der Kampf gegen den Klimawandel untrennbar mit der Bekämpfung sozialer Ungerechtigkeit verbunden ist. Reiche Haushalte treiben den Klimawandel durch Luxuskonsum und Investitionen voran, während ärmere Bevölkerungsgruppen unverhältnismäßig unter dessen Folgen leiden (Chancel/Piketty 2015).

Wirksamer Klimaschutz erfordert deshalb eine sozial gerechtere Gesellschaft, da Armut die Entwicklung eines Zukunftsbewusstseins behindert, das für die Priorisierung von Nachhaltigkeitszielen essenziell ist (vgl. UN SDG 1: Bekämpfung von Armut). Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels, wie beispielsweise CO2-Steuern oder strengere Umweltauflagen, könnten ohne soziale Ausgleichsinstrumente insbesondere einkommensschwache Haushalte überproportional belasten und somit bestehende soziale Ungleichheiten weiter verstärken. Populistische Diskurse greifen diese Dynamik auf, um Umweltpolitik pauschal als sozial ungerecht darzustellen. Sie porträtieren Klimaschutzmaßnahmen als Belastung für den „kleinen Mann“, wodurch sie das Ziel verfolgen, die Legitimität jeglicher Klimaschutzmaßnahmen zu untergraben (Sommer et al. 2022).

Um diesen Herausforderungen entgegenzuwirken, braucht es Ansätze der Sozialen Arbeit, die Klimagerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit zusammendenken. Wie in diesem Beitrag zu zeigen sein wird, sollten Maßnahmen im urbanen Raum entwickelt werden, die sich an den Bedürfnissen der Bewohner*innen orientieren und zur Bewältigung der Klimakrise beitragen.

2. Die Rolle der Sozialen Arbeit in der Bewältigung ökologischer und sozialer Ungleichheiten

Die Integration von Umweltfragen in die Praxis Sozialer Arbeit wird zunehmend unverzichtbar, da Umweltprobleme wie der Klimawandel die soziale Gerechtigkeit und die Lebensqualität stark beeinflussen. Besonders in urbanen, benachteiligten Stadtteilen und unter vulnerablen Personengruppen werden die Auswirkungen des Klimawandels spürbar, was neue Ansätze und eine Neuausrichtung in den Ansätzen Sozialer Arbeit erfordert. Ansätze wie das eco-soziale Framework und Green Social Work (vgl. z. B. Stamm 2021; Dominelli et al. 2018) betonen die Verknüpfung von sozialen und ökologischen Dimensionen und fordern ein Handeln auf struktureller, kommunaler und individueller Ebene.

Der Ansatz einer Green Social Work geht von einer ganzheitlichen Betrachtung der Verbindung von Mensch und Umwelt aus. Er erweitert den klassischen Ansatz des „Menschen in seiner Umwelt“ und versteht den Menschen als Teil eines interdependenten ökologischen Systems. Ziel ist es, soziale und ökologische Gerechtigkeit miteinander zu verbinden und benachteiligte Gruppen zu stärken. Insbesondere in urbanen Räumen können Sozialarbeiter*innen durch partizipative Klimaschutzmaßnahmen transformative Veränderungen bewirken, indem sie soziale und ökologische Anliegen zusammenführen (Kennedy 2018).

Sozial benachteiligte Stadtteile sind häufig durch sozioökonomische Ungleichheiten, mangelnden Zugang zu Ressourcen und eine höhere Belastung durch Umweltfaktoren geprägt. Der Klimawandel verschärft diese Problematik, beispielsweise durch Hitzewellen, die besonders ältere Menschen, Kinder, Migrant*innen und einkommensschwache Gruppen treffen. Diese Bevölkerungsgruppen leben oft in schlecht isolierten Gebäuden und haben weniger Zugang zu Klimaanlagen oder gesundheitlicher Versorgung (IPCC 2022). Hitzestress, gesundheitliche Risiken und soziale Isolation sind direkte Folgen, die Sozialarbeiter*innen in diesen Stadtteilen adressieren müssen.

Umweltprobleme wie der Klimawandel und soziale Ungerechtigkeit sind eng miteinander verknüpft und erfordern eine integrative Herangehensweise. Soziale Arbeit spielt eine zentrale Rolle, indem sie die sozialen und psychischen Folgen von Umweltkrisen adressiert und betroffene Gemeinschaften unterstützt. Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist dabei unerlässlich: Sozialarbeiter*innen müssen mit Expert*innen aus Umweltwissenschaften, Gesundheit und öffentlichen Institutionen kooperieren, um nachhaltige Lösungen für Klimakrise, Ressourcenknappheit und soziale Ungleichheit zu entwickeln.

Das Projekt „Built Infrastructure for Older People’s Care in Conditions of Climate Change“ (BIOPICCC) demonstriert beispielhaft, wie ein transdisziplinärer Ansatz von Umweltwissenschaftler*innen, Ingenieur*innen und Sozialarbeiter*innen die Resilienz der Gesundheits- und Sozialversorgung gegenüber extremen Wetterereignissen stärken kann. Im Projekt wird die Widerstandsfähigkeit der Infrastruktur in der Altenpflege in England untersucht, insbesondere für ältere Menschen in ländlichen und städtischen Gebieten, die besonders anfällig für Klimarisiken sind. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass lokale Expertise und darauf basierende Lösungsstrategien zentrale Bausteine für eine wirksame Praxis und erfolgreiche Resilienzförderung darstellen (Curtis et al. 2018).

Auch in den USA zeigen sich städtische Ungleichheiten, insbesondere in einkommensschwachen Gemeinschaften und bei ethnischen Minderheiten, die häufig in stark belasteten Zonen leben. Diese Zonen entstehen durch wirtschaftlich motivierte Entscheidungen von städtischen Wirtschaftseliten und politischen Akteur*innen, oft zulasten der Anwohner*innen. Community Benefits Agreements (CBAs) bieten einen Lösungsansatz, indem sie benachteiligte Gemeinschaften in Entscheidungsprozesse einbinden und ihre gesundheitlichen sowie ökologischen Interessen gegenüber wirtschaftlichen Entwicklungs- und Profitinteressen vertreten (Krings/Thomas 2018). Sozialarbeiter*innen können durch ihre Expertise in Partizipationsverfahren, Community Organizing, der Vernetzung von Akteur*innen im Gemeinwesen und anwaltschaftlicher Verhandlungsführung dazu beitragen, Machtungleichgewichte auszugleichen und nachhaltige Entwicklung zu fördern (Williams 2016).

Ansätze der Sozialen Arbeit sollten nicht nur auf die unmittelbaren Bedürfnisse der betroffenen Individuen eingehen, sondern auch die politischen und ökonomischen Strukturen berücksichtigen, die Umweltprobleme mitverursachen. Dies erfordert eine stärkere Integration von Konzepten aus der Sozial- und Stadtgeographie, der Ökonomie sowie Kultursoziologie, um die komplexen Wechselwirkungen zwischen sozialen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen zu verstehen (Fischer et al. 2022).

Soziale Arbeit hat das Potenzial, als Bindeglied zwischen betroffenen Gemeinschaften und politischen Akteur*innen zu fungieren, um soziale und ökologische Gerechtigkeit zu fördern. Durch interdisziplinäre Zusammenarbeit, die Verbindung von Theorie und Praxis sowie den Einsatz für benachteiligte Stadtteile und Personengruppen kann sie einen Beitrag zur Bewältigung der Herausforderungen der Klimakrise und zu einer klima- und sozialgerechteren Welt leisten.

3. Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit in der Stadtentwicklung

In der „Neuen Leipzig Charta“ von 2020 wird die Stadt als zentraler Ansatzpunkt für eine gerechte, grüne und produktive Zukunft dargestellt (EU 2020). Dabei wird Sozialer Arbeit eine traditionell wichtige Rolle in der Stadt(teil)entwicklung zugeschrieben, auch wenn ihre Funktion in der Charta nicht ausdrücklich betont wird (Oelschlägel 2017). Seit den 1980er Jahren ist Gemeinwesenarbeit ein wichtiger Bestandteil der Sozialen Arbeit (Boulet et al. 1980), und auch sozialraumorientierte Ansätze haben an Bedeutung gewonnen (Kessl/Reutlinger 2013). Sozialarbeiter*innen setzen sich mit den Lebenswelten der Menschen auseinander und fördern kollektive Handlungsmächtigkeit, um benachteiligte Gruppen zu unterstützen. Dabei wird immer wieder diskutiert, inwiefern Soziale Arbeit über die traditionelle staatliche Aufgabe hinausgehen kann, um individuelle und kollektive Interessen zu organisieren und benachteiligten Gruppen in Stadtentwicklungsprozessen Gehör zu verschaffen (Schröder 2022). Der Ansatz des Social Development, der soziale, wirtschaftliche und ökologische Entwicklung miteinander vereinen möchte, stärkt diese Perspektive weiter (Homfeldt/Reutlinger 2009). In der Stadt(teil)entwicklung können Sozialarbeiter*innen als Brückenbauer*innen fungieren, um die Bedürfnisse der Bewohner*innen mit den Interessen der Politik in Einklang zu bringen (Riede 2019).

Die weit verbreitete Sicht auf Sozialräume als soziale Gebiete, Stadtteile oder Nachbarschaften muss daher durch die Berücksichtigung von Nahräumen ergänzt werden – jene Orte, an denen das alltägliche Leben stattfindet. Diese Nahräume sind nicht nur von sozialer Bedeutung, sondern auch von ökologischer Relevanz, da sie die Lebensqualität der Menschen direkt beeinflussen. Ein sozial-ökologischer Ansatz berücksichtigt sowohl die räumliche als auch die soziale Dimension, um das Wohlbefinden von Individuen und Gemeinschaften zu fördern und die Wechselwirkungen zwischen den Menschen und ihrer Umwelt zu stärken. Dieser integrative Blick auf die Umwelt und die sozialen Bedingungen ist besonders wichtig, da die Auswirkungen der Klimakrise immer stärker die Lebensqualität der Menschen beeinflussen.

In ähnlicher Weise betonte das Bundesverfassungsgericht im Klimaschutzbeschluss von 2021 die Bedeutung einer gerechten Verteilung der Klimaschutzlasten zwischen den Generationen und forderte eine langfristige Strategie, um künftige Generationen vor übermäßigen Belastungen zu schützen. Diese Forderung nach Gerechtigkeit im Umgang mit den ökologischen Herausforderungen zeigt die Dringlichkeit, auch im städtischen Raum nachhaltige Lösungen zu finden (Schink 2022). Die Anpassung der Klimaziele, wie die Klimaneutralität bis 2045 und eine signifikante Reduktion des CO2-Ausstoßes, verdeutlicht die Notwendigkeit, die sozialen und ökologischen Dimensionen von Entwicklung gemeinsam zu denken (Hilbert 2023). Insbesondere Kommunen stehen hier vor großen Herausforderungen: Sie müssen Klimaschutzmaßnahmen entwickeln und umsetzen, die nicht nur ökologisch, sondern auch sozial gerecht sind, um die Lebensbedingungen der Bewohner*innen in den betroffenen Gebieten zu verbessern. In diesem Kontext wächst die Bedeutung spezialisierter Fachkräfte innerhalb der kommunalen Verwaltung. Die Einrichtung von Stellen für Klimabeauftragte wird als zentraler Schritt gesehen, um die Planung, Koordination und Umsetzung notwendiger Maßnahmen effektiv zu gestalten. Diese neuen Aufgaben erfordern eine lernfähige Verwaltungsorganisation, die mit den dynamischen klimatischen Herausforderungen umgehen und resiliente Lösungen für die Zukunft entwickeln kann. Die Förderung von sozial-ökologischen Modellen auf kommunaler Ebene könnte einen zentralen Beitrag zur Erreichung dieser Ziele leisten (Schröder 2025).

3.1 Sozialräume und ihre Bedeutung: Vom geografischen Raum zur sozialen Realität

Verbreitet ist die Gleichsetzung mit Stadt- und Ortsteilen bzw. geografisch-territorialen Räumen, also den physisch-materiellen Gegebenheiten, unter denen Menschen ihr Leben gestalten. Insbesondere im Bereich der kommunalen Verwaltungen spielt ein solches Verständnis eine große Rolle, da es bspw. darum geht, besondere Entwicklungsbedarfe innerhalb einer Stadt oder eines Landes zu verorten und diese Gebiete gezielt zu fördern.

Dahinter liegt die Vorstellung, dass Gebiete wie beispielsweise einzelne Stadtteile über (sozial-)strukturelle Merkmale verfügen, die z. B. für Planungsaufgaben relevant sind (Franke 2011). In den Fokus rücken bspw. die Siedlungs- und die Bevölkerungsstruktur, soziale Belastungen, von der Norm abweichende soziale Indikatoren etc. (Urban/Weiser 2006; Klein 2009). Typischerweise werden dafür anhand sozialökonomischer und kriminalstatistischer Daten Sozial- und Kriminalitätsatlanten erstellt, um auf der Basis einer solchen „Sozialkartografie“ möglichst präzise Instrumente der sozialpädagogischen und sozialarbeiterischen Intervention erarbeiten zu können (Kessl 2001, 41f.). Diese Sozialraumvorstellung wird insbesondere durch die vielfältigen Planungs- und Entwicklungsaufgaben der Jugendhilfe- bzw. Sozialplanung forciert, da eine sozialräumliche Gliederung der jeweiligen Gebietskörperschaft als notwendige Grundlage für das Handeln von Politik und Verwaltung betrachtet wird.

Solche ‚traditionelle‘ Raumvorstellungen, wie sie auch im Alltag häufig anzutreffen sind, setzen Raum entweder mit den materiellen Gegebenheiten eines Gebiets – also Dingen und deren Lagerelationen als distinkte Elemente der physisch-materiellen Welt – gleich oder begreifen ihn als von sozialen Prozessen unabhängiges Behältnis, das mit Dingen und Körpern (auch menschlichen) gefüllt werden kann (Werlen 1997; Weichhart 2010). Entfernt man diese Inhalte, bleibt ein vermeintlich leerer Raum übrig. In diesen klassischen Konzepten wird Raum als Bühne oder Hintergrund verstanden. Menschliches Handeln vollzieht sich dabei auf dieser Bühne oder vor diesem Hintergrund.

Eine alternative Perspektive auf Raum eröffnet sich, wenn man ihn als Ergebnis von Aneignungsprozessen physisch-materieller Gegebenheiten sowie der erdräumlich angeordneten Objekte und Körper versteht (Werlen 2005, 28). An diese Sichtweise lässt sich der relationale und dynamische Raumbegriff anschließen, wie ihn Martina Löw in ihrer Raumsoziologie entwickelt hat. Damit wird die lange Zeit dominierende Trennung von Subjekt und Raum infrage gestellt und potenziell überwunden: „Meine These ist, dass nur, wenn nicht länger zwei verschiedene Realitäten – auf der einen Seite der Raum, auf der anderen die sozialen Güter, Menschen und ihr Handeln – unterstellt werden, sondern stattdessen Raum aus der Struktur der Menschen und sozialen Güter heraus abgeleitet wird, nur dann können die Veränderungen der Raumphänomene erfasst werden“ (Löw 2001, 264). Demzufolge geht Löw (2001) auch davon aus, dass an einem bestimmten Ort (als eindeutig bestimmbare sozialgeografische Lokalisierung, eine bestimmte Stelle unserer Erdoberfläche) unterschiedliche Räume entstehen können, je nachdem, welche Bedeutungen, Veränderungen Menschen den Orten verleihen.

3.2 Raumaneignung und Klimagerechtigkeit

Mit den raumsoziologischen Grundannahmen lässt sich Sozialraum als individuell konstruierter, lebensweltlicher Raum aufschließen. In den Fokus rückt, welche Bedeutungen Menschen konkreten Orten verleihen, wie sie sich die Welt aneignen. „Raumaneignung“ oder „Aneignungsräume“ sind zwei zentrale Begriffe, mit denen das „Geografie-Machen“ von Menschen, ihre subjektiven Deutungen von Welt, aufgeschlossen werden können (Werlen/Reutlinger 2019). Ein relationaler und dynamischer Raumbegriff hilft zu verstehen, wie Kinder und Jugendliche durch Kommunikation und Handeln eigene Bedeutungsräume schaffen – oft an Orten, die von anderen Gruppen oder zu anderen Zeiten anders genutzt werden. Dabei zeigt sich besonders bei ihnen das Phänomen der Raumaneignung: Sie besetzen, umdeuten und verändern Orte durch ihre alltägliche Nutzung. Diese vom Subjekt ausgehende „Gestaltung“ von Sozialräumen schließt den Begriff des Sozialraums in ganz anderer Weise auf als die planerische Betrachtung.

Die autogerechte Stadt, die jahrzehntelang das Leitbild urbaner Entwicklung war, zeigt heute immer deutlicher ihre negativen Folgen – sowohl ökologisch als auch sozial. Der Großteil des öffentlichen Raums wird für Autos reserviert – sei es für Fahrbahnen oder Parkplätze. Diese Priorisierung des Autoverkehrs nimmt Raum, der für Fußgänger*innen, Radfahrer*innen sowie für Kinder und Jugendliche genutzt werden könnte, was zu einer ungleichen Verteilung öffentlicher Räume führt. Besonders Kinder und Jugendliche sind in ihrem Handeln und ihrer Raumaneignung eingeschränkt, da ihnen sichere und zugängliche Räume zum Spielen und Bewegen fehlen und sie zugleich stark den negativen Folgen des Autoverkehrs ausgesetzt sind. Parallel zur autogerechten Stadt wurde im vergangenen Jahrhundert auch die Funktionstrennung für sämtliche Nutzungen eingeführt. Seither wurde das Kinderspiel in der Stadt hauptsächlich auf Spielplätze verlagert. Doch Kinder brauchen für ihre gesunde Entwicklung viele unterschiedliche Gelegenheiten zum Spielen und Bewegen im Freien (Häberlin/Furchtlehner 2017).

Die gesundheitlichen Auswirkungen sind gravierend, da die hohe Luftverschmutzung und der Verkehrslärm in städtischen Gebieten insbesondere für Kinder gesundheitliche Risiken bergen, wie Atemwegserkrankungen und langfristige Schäden durch die schlechte Luftqualität. Diese sozialen Ungleichgewichte verstärken die Problematik, dass die Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen häufig in isolierten, wenig vernetzten Bereichen existieren, die durch die Stadtplanung nicht genügend berücksichtigt werden (Reutlinger/Sturzenhecker 2021).

Autozentrierte Städte stellen ein erhebliches Hindernis für die gesellschaftliche Teilhabe älterer Menschen dar, da sie Mobilität und Zugang zu öffentlichen Räumen stark einschränken. Fehlende barrierefreie Gehwege, unsichere Straßenübergänge und eine generelle Priorisierung des Autoverkehrs erschweren es Senior*innen, sich selbstständig und sicher im öffentlichen Raum zu bewegen (WHO 2023). Besonders betroffen sind ältere Menschen mit geringem Einkommen oder ohne familiäre Unterstützung, da sie stärker auf wohnortnahe Infrastrukturen, öffentlichen Nahverkehr und soziale Netzwerke angewiesen sind. Ihre eingeschränkte Mobilität führt dazu, dass sie in hohem Maße auf ihr direktes Wohnumfeld für soziale Kontakte und alltägliche Erledigungen angewiesen sind, wodurch sich Defizite in der Stadtgestaltung unmittelbar auf ihre Lebensqualität auswirken. Gleichzeitig machen gesundheitliche Einschränkungen, geringere Anpassungsfähigkeit an extreme Wetterbedingungen und steigende Energiekosten diese Bevölkerungsgruppe besonders verletzlich (Mahler 2023). Eine altersfreundliche, klimaresiliente Stadtentwicklung, die soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit miteinander verbindet, trägt auch zur Selbstständigkeit, Gesundheit und Teilhabe älterer Menschen bei (Brandt & Höppner 2024).

4. Analysen des Sozialraums aus Klimagerechtigkeitsperspektive

In dem im Folgenden dargestellten Lehrforschungsprojekt „Klima und Gesundheit“ untersuchten Master-Studierende der Sozialen Arbeit an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (htw saar) im Sommersemester 2023 gemeinsam mit dem Gesundheitsamt, dem Regionalverband Saarbrücken und der Gemeinwesenarbeit die Auswirkungen von Hitzetagen auf die Bewohner*innen in den Saarbrücker Quartieren Folsterhöhe und Brebach. Ziel war es, im Rahmen einer Sozialraumanalyse die sozialen Auswirkungen der Folgen der Klimakrise sichtbar zu machen und aus Perspektive der Menschen vor Ort partizipative und alltagsnahe Maßnahmen zu entwickeln, die das gesundheitliche Wohlbefinden stärken und zur Klimaanpassung beitragen (Schröder 2024).

Zunächst wurde eine Sozialraumanalyse der beiden Quartiere durchgeführt. Die Sozialraumanalyse ist ein zentrales Verfahren der Sozialen Arbeit und spielt eine wesentliche Rolle bei der Analyse von Lebenswelten und den spezifischen Bedürfnissen der Menschen vor Ort. Dieser methodisch geleitete Zugang ermöglicht es, soziale, wirtschaftliche und ökologische Herausforderungen zu erkennen und gemeinsam mit den Beteiligten gezielte Maßnahmen zu entwickeln (Spatscheck/Wolf-Ostermann 2023). Dabei umfasst die sozialräumliche Beobachtung sowohl quantitative als auch qualitative Ansätze, die sich idealerweise gegenseitig ergänzen (Muscutt et al. 2023).

Die Perspektive der Klimagerechtigkeit erweitert Sozialraumanalysen indem sie den Fokus auf die Wechselwirkungen zwischen sozialen und ökologischen Aspekten legt. Klimagerechtigkeit bedeutet, soziale und ökologische Belange miteinander zu verknüpfen und dabei insbesondere benachteiligte Gruppen in den Blick zu nehmen. In sozial benachteiligten Gebieten sind die Auswirkungen der Klimakrise häufig stärker spürbar, sei es durch unzureichende Begrünung, mangelnden Zugang zu grünen Flächen oder höhere Belastungen durch Hitze und Luftverschmutzung. Eine sozialräumliche Analyse kann hier wichtige Informationen liefern, um Maßnahmen zu entwickeln, die sowohl soziale Ungleichheit als auch ökologische Herausforderungen adressieren.

4.1 Sozialraumanalyse unter einer Perspektive der Klimagerechtigkeit – Feldzugang und konzeptionelle Vorüberlegungen

Das Projekt „Klima und Gesundheit“ in den Saarbrücker Quartieren Brebach und Folsterhöhe verfolgte einen experimentellen Ansatz, bei dem Kommunen, private und zivilgesellschaftliche Akteur*innen durch eine Vielzahl von Maßnahmen lernen, wie sie auf die Klimakrise reagieren können (vgl. für diesen integrativen Ansatz auch Bulkeley et al. 2015). Ziel war es, sowohl Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasemissionen (Mitigation) als auch zur Anpassung an klimatische Veränderungen (Adaption) zu entwickeln. Eine sozialraum- und bedarfsorientierte Analyse diente dabei als Grundlage, um passgenaue Lösungen für die spezifischen Bedürfnisse der Bewohner*innen zu entwickeln.

In der Sozialraumanalyse konnten zunächst die Besonderheiten der beiden Stadtteile erfasst werden. Dabei zeigte sich, dass Brebach eine industriell geprägte Struktur mit einer dörflichen Prägung hat, während die Folsterhöhe eine Großwohnsiedlung mit einer angespannten sozialen Lage darstellt. Die Stadtteile unterscheiden sich auch hinsichtlich ihrer Wahrnehmung des öffentlichen Raums. Die Hypothese war hier, dass junge Menschen den Stadtteil vor allem hinsichtlich Freizeitmöglichkeiten und Aufenthaltsorten bewerten, während ältere Menschen den Fokus eher auf Aspekte wie Regeneration und Mobilität legen (Naumann/Oswald 2020).

Eine weitere leitende Überlegung war, dass die Untersuchung sozialer Räume untrennbar mit Fragen der sozialen und ökologischen Gerechtigkeit verbunden ist und dass dabei marginalisierte Gruppen besonders stark von den Folgen der Klimakrise betroffen sind. Diese Gruppen leben häufig in Wohnungen an vielbefahrenen Straßen, leiden unter beengten Wohnverhältnissen oder haben keinen Zugang zu ausreichend Grünflächen, die als natürliche Klimaregulatoren fungieren.

Eine autoethnografische Reflexion und Auswertung der Eindrücke aus dem Feld diente im Projekt als Methode, um die eigene Position sowie die sozialen und räumlichen Strukturen, die bestimmte Ungleichheiten begünstigen, zu beleuchten. Sie erlaubte es, systematisch zu analysieren, wie räumliche Ungerechtigkeiten entstehen und wie diese durch klimagerechte Maßnahmen angegangen werden können. Besonders relevant ist es dabei, auf die Wechselwirkungen zwischen Umweltbedingungen und sozialen Faktoren zu achten: Welche Lebensrealitäten prägen jene Menschen, die in den am stärksten belasteten Gebieten leben? Welche politischen und strukturellen Maßnahmen fehlen, um soziale und klimatische Gerechtigkeit zu fördern?

In diesem Kontext wurde die im folgenden Abschnitt dargestellt Nadelmethode als praxisnaher und partizipativer Ansatz genutzt, um die Betroffenen direkt in die Analyse und Gestaltung eines klimagerechten Sozialraums einzubeziehen.

4.2 Die Nadelmethode: Sozialraumanalyse mit Fokus auf Klimagerechtigkeit

Die Nadelmethode ist eine partizipative Technik, die es ermöglicht, räumliche und soziale Zusammenhänge in einem Quartier oder Stadtteil zu erfassen. Sie basiert auf der Grundannahme, dass die Betroffenen selbst Expert*innen ihres Lebensraums sind und ihr Wissen für die Analyse genutzt werden kann.

Kern der Nadelmethode ist die Arbeit mit Karten, auf denen die Teilnehmenden mit Hilfe von Nadeln oder Markern ihre Perspektiven und Erfahrungen sichtbar machen. Für eine Analyse unter der Perspektive der Klimagerechtigkeit wurde die Methode speziell angepasst, indem gezielte Fragestellungen eingebracht werden, die klimatische und soziale Aspekte miteinander verknüpfen. Gefragt wurde unter anderem danach:

Diese Fragen schaffen eine Verbindung zwischen der Wahrnehmung des alltäglichen Lebensraums und konkreten klimatischen Herausforderungen. Die Teilnehmenden markieren in Einzelgesprächen Orte auf der Karte, die für sie in diesem Kontext relevant sind, oder diskutieren in moderierten Gruppen ihre Beobachtungen und Erfahrungen. Dies bietet zugleich einen geeigneten Anlasspunkt, um im Gespräch gezielt nach den körperlichen Belastungen zu fragen, die mit den markierten Orten oder Situationen verbunden sind. So können etwa Erfahrungen mit Erschöpfung, Kreislaufproblemen oder Atembeschwerden zur Sprache kommen, die durch Hitze, Luftverschmutzung oder mangelnde Aufenthaltsqualität ausgelöst werden. Ebenso lassen sich psychische Belastungen thematisieren, etwa das Gefühl von Vereinsamung, Stress oder Depressionen, die durch eingeschränkte Bewegungsräume oder fehlende Rückzugsorte verstärkt werden. Auch Klimaangst – also Sorgen und Ängste im Hinblick auf die langfristigen Folgen des Klimawandels – kann ein relevantes Thema sein, das in diesen Gesprächen Raum finden sollte. Solche vertiefenden Fragen ermöglichen es, sowohl subjektive Gesundheitswahrnehmungen als auch emotionale Belastungen in den räumlichen Kontext einzubetten. Damit wird sichtbar, wie soziale Ungleichheiten klimabedingte Belastungen auf unterschiedlichen Ebenen verstärken können.

Die Stärke der Nadelmethode liegt in ihrer Offenheit und Flexibilität. Sie erlaubt es, sowohl subjektive Wahrnehmungen als auch objektive Daten zu integrieren. Gleichzeitig fördert sie die Partizipation der betroffenen, die nicht nur ihre Probleme benennen, sondern auch Ideen und Vorschläge für Verbesserungen einbringen können. Die Ergebnisse der Nadelmethode konnten somit nicht nur eine Bestandsaufnahme, sondern auch eine Grundlage für konkrete Handlungsempfehlungen liefern.

Eine Erweiterung der Methode ist die Erhebung spezifischer Daten zu klimatischen Belastungen. Hierzu könnten Temperaturmessungen in verschiedenen Bereichen des Quartiers mit den von den Teilnehmenden identifizierten Problemstellen verglichen werden. Ergänzend können sozialräumliche Daten, wie etwa die Anzahl von Haushalten ohne Zugang zu einem Garten oder Balkon, hinzugezogen werden, um ein umfassendes Bild der sozialen und klimatischen Ungerechtigkeiten zu erhalten.

4.3 Ergebnisse: Vorschläge für klimagerechtere Sozialräume

Die zentrale Stärke der Nadelmethode liegt in ihrer Fähigkeit, sowohl soziale als auch klimatische Aspekte sichtbar zu machen und miteinander zu verknüpfen. Sie ermöglicht nicht nur eine Diagnose der aktuellen Zustände, sondern schafft auch einen Raum für kollektive Reflexion und Entwicklung klimagerechter Lösungen. Die Ergebnisse der Nadelmethode bildeten die Grundlage um Maßnahmen zur Förderung klimagerechter Sozialräume zu entwickeln. Anhand der markierten Orte können gezielt Bäume gepflanzt, grüne Begegnungsräume geschaffen oder kühlende Wasserelemente installiert werden. Dazu gehörten Klimaanpassungsstrategien wie die Schaffung von „kühlen Orten“ im Stadtteil durch beschattete Plätze, die Installation von Trinkwasserbrunnen und Sonnencremespendern sowie die Entwicklung von Karten und Wegweisern, die den Bewohner*innen bei Hitzeperioden zu diesen Orten führen (vgl. Abbildungen 1a und 1b).

Kartierung der Ergebnisse für das Saarbrücker Quartier Folsterhöhe

Abbildung 1a: Kartierung der Ergebnisse für das Saarbrücker Quartier Folsterhöhe (Illustrationen von Freepik.com unter Bearbeitung von Christian Bart/fugeefilms gGmbH)

Kartierung der Ergebnisse für das Saarbrücker Quartier Brebach

Abbildung 1b: Kartierung der Ergebnisse für das Saarbrücker Quartier Brebach (Illustrationen von Freepik.com unter Bearbeitung von Christian Bart/fugeefilms gGmbH)

Die im Projekt zur Klimaanpassung in den Saarbrücker Quartieren Brebach und Folsterhöhe in den Sozialraum- und Bedarfsanalysen gewonnenen Erkenntnisse führten zur Entwicklung spezifischer Maßnahmen, die auf die Bedürfnisse der Bewohner*innen ausgerichtet sind (Schröder 2024). Für Senior*innen wurden im Stadtteil Brebach Parklets, sogenannte „Brebacher Wohlfühloasen“, eingerichtet (Abbildung 2a). Diese bieten schattige Zwischenstopps auf dem Weg zum Einkaufen und ermöglichen es den Senior*innen, an heißen Tagen die Wohnung zu verlassen und soziale Kontakte zu pflegen, ohne durch die extreme Hitze belastet zu werden. Zur Unterstützung von Senior*innen wurde in der Folsterhöhe eine mobile Sozial- und Gesundheitsberatung eingerichtet, die in einem Café als wohnortnaher Treffpunkt fungiert und eine niedrigschwellige Beratung zur Hitzeprävention und Kühlung der Wohnungen bietet (Abbildung 2b). In Brebach zeigte sich zudem, dass die Kinder und Jugendlichen vorwiegend den Sportplatz als Aufenthaltsort nutzen, obwohl dieser ohne Schatten eine hohe Gesundheitsgefahr bei Hitze darstellt. Das „Sportplatz-Klima-Upgrade“ zielt daher darauf ab, diesen Bereich mit Schattenspendern auszustatten und zugleich die Jugendlichen aktiv in die Gestaltung des Projekts einzubinden (Abbildung 2a). In der Folsterhöhe wurde das Projekt ‚Patchwork-Sonnensegel‘ entwickelt – eine gemeinschaftliche Aktion der Bewohnerschaft, die während heißer Tage durch beschattete Bereiche Abhilfe schaffen, das Gemeinwesen stärken, das Bewusstsein für die Klimakrise fördern und gleichzeitig die Aufenthaltsqualität erhöhen soll (Abbildung 2b).

Ideen für die Bewohner*innen des Saarbrücker Quartiers Brebach

Abbildung 2a: Ideen für die Bewohner*innen des Saarbrücker Quartiers Brebach (Illustrationen von Freepik.com unter Bearbeitung von Christian Bart/fugeefilms gGmbH)

Ideen für die Bewohner*innen des Saarbrücker Quartiers Folsterhöhe

Abbildung 2b: Ideen für die Bewohner*innen des Saarbrücker Quartiers Folsterhöhe (Illustrationen von Freepik.com unter Bearbeitung von Christian Bart/fugeefilms gGmbH)

Die Projekte zeigen, wie durch einfache und kostengünstige Lösungen, wie der Verwendung von Upcycling-Materialien, eine nachhaltige Anpassung an die Klimakrise erzielt werden kann. Die Beteiligung der Bewohner*innen, die die Nutzung von Sponsor*innen zur Finanzierung von Maßnahmen, ermöglichen es, solche Lösungen mit geringem finanziellem Aufwand umzusetzen und gleichzeitig den Gemeinschaftssinn zu stärken. Insgesamt verdeutlichen die Ergebnisse des Projekts, dass Klimaanpassungsstrategien, die an den konkreten Bedürfnissen der Menschen orientiert sind, nicht nur die Lebensqualität der Bewohner*innen verbessern, sondern auch zur Stärkung der Resilienz der Stadtteile gegenüber den Auswirkungen der Klimakrise beitragen (Muscutt et al. 2023).

5. Resümee in Bezug auf Methoden und Klimarelevanz

Das dargestellte Lehrforschungsprojekt verdeutlicht, dass zur Bewältigung der Auswirkungen der Klimakrise ein umfassender Perspektivwechsel notwendig ist. Im Mittelpunkt steht die Einsicht, dass wir nicht nur in der Welt leben, sondern auch von ihr leben, was den dringenden Schutz unserer Lebensgrundlagen vor der Zerstörung durch menschliche Aktivitäten erfordert (Charbonnier 2022). Hierbei reicht es nicht aus, allein den individuellen Lebensstil zu ändern. Vielmehr ist eine grundlegende Umgestaltung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen erforderlich, die Klimagerechtigkeit und soziale Teilhabe gleichermaßen berücksichtigt.

Von zentraler Bedeutung ist die Entwicklung von Handlungsmethoden, die direkt in den Lebenswelten der Menschen ansetzen und sozialraum- sowie bedarfsgerechte Lösungen gemeinsam mit den Betroffenen erarbeiten (Dietz/Brunnengräber 2015). Klimaanpassungsmaßnahmen werden dabei nicht als vorgegebene, alternativlose Lösungen von Wissenschaft, Politik oder Verwaltung implementiert, sondern als dynamischer sozialer Aushandlungsprozess gestaltet. Dieser Ansatz trägt dazu bei, dass die Maßnahmen von den Menschen als sinnvoll wahrgenommen werden und damit Akzeptanz und Nachhaltigkeit fördern.

Zudem leisten partizipative Ansätze auch einen Beitrag zur Reduktion von CO2-Emissionen. Beispiele dafür sind die Umgestaltung von Parkplätzen zu begrünten Parklets oder die Schaffung schattiger und verkehrsberuhigter Schulwege. Solche Maßnahmen fördern nicht nur die Anpassung an die Klimakrise, sondern schaffen durch die Verbesserung der Lebensqualität eine positive Wahrnehmung und Akzeptanz notwendiger Veränderungen im urbanen Raum.

Die Verknüpfung der sozialräumlichen Analyse mit einer Klimagerechtigkeitsperspektive ermöglicht eine ganzheitliche Betrachtung der Lebensrealitäten in städtischen und ländlichen Gebieten. Analysemethoden wie die Nadelmethode bieten eine wertvolle Grundlage, um soziale und ökologische Herausforderungen sichtbar zu machen und Maßnahmen passgenau zu entwickeln. Dazu braucht es die aktive Beteiligung der betroffenen Gruppen, um Lösungen zu finden, die die Bedürfnisse der Menschen und die Anforderungen des Klimaschutzes gleichermaßen berücksichtigen.

Literatur

Brandt, Martina/Höppner, Grit (2024): Nachhaltiges Alter(n) im Kontext des Klimawandels: Stand der Forschung und konzeptioneller Ausblick. In: Zeitschrift Fur Gerontologie und Geriatrie, 57, 6, S. 467–474.

Bulkeley, Harriet/Castán Broto, Vanessa/Edwards, Gareth A. (2015): An urban politics of climate change: Experimentation and the governing of socio-technical transitions. Routledge, London. https://doi.org/10.4324/9781315763040

Chancel, Lucas/Piketty, Thomas (2015): Carbon and inequality: from Kyoto to Paris. Trends in the global inequality of carbon emissions (1998-2013) & prospects for an equitable adaptation fund. Paris School of Economics, Paris. http://piketty.pse.ens.fr/les/ChancelPiketty2015.pdf

Chancel, Lucas/Piketty, Thomas/Saez, Emmanuel/Zucman, Gabriel (2022): Bericht zur weltweiten Ungleichheit. World Inequality Lab, Paris.

Charbonnier, Pierre (2022): Überfluss und Freiheit. Eine ökologische Geschichte der politischen Ideen. Frankfurt am Main: S. Fischer.

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Curtis, Sarah/Dominelli, Lena/Oven, Katie J. (2018): The challenge of maintaining continuity in health and social care during extreme weather events cross-sectoral and transdisciplinary approaches. In: Dominelli, Lena/Nikku, Bala Raju/Ku, Hok Bun (Hrsg.): The Routledge handbook of green social work. Routledge, London/New York, S. 359–370.

Dietz, Kristina/Brunnengräber, Achim (2015): Klimaanpassung. In: Bauriedl, Sybille (Hrsg.): Wörterbuch Klimadebatte. Transcript Verlag, Bielefeld, S. 127–132.

Dominelli, Lena/Nikku, Bala Raju/Ku, Hok Bun (Hrsg.) (2018): The Routledge handbook of green social work. Routledge, London/New York.

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Zitiervorschlag

Schröder, Christian und Ulrich Deinet (2025): Klimakrise und Klimagerechtigkeit. In: sozialraum.de (16) Ausgabe 1/2025. URL: https://www.sozialraum.de/klimakrise-und-klimagerechtigkeit.php, Datum des Zugriffs: 19.06.2025