Methoden aktivierender Befragung und Beteiligung zur Weiterentwicklung von Angebotsräumen für Kinder und Jugendliche am Beispiel Ostfriesland
Ulrich Deinet, Michael Herschelmann, Jason Niessit
1. Einleitung
In diesem Beitrag geht es um die Situation von Kindern und Jugendlichen in ländlichen Räumen am Beispiel Ostfrieslands aus der Sicht von Jugendlichen, Eltern und Schlüsselpersonen, die in zwei Gemeinden mit partizipativen Methoden befragt und in einem Partizipationsformat sichtbar wurden. Im Fokus steht dabei vor allem die Freizeitsituation von Jugendlichen und die Frage, wie Angebote der Kinder und Jugendarbeit partizipatorisch (weiter-) entwickelt werden können.
Ein erster Untersuchungsbereich bezieht sich auf die Gemeinde Moordorf, wo in einem Lehrforschungsprojekt der Hochschule Emden-Leer eine niedrigschwellige Befragung von Eltern durchgeführt wurde. Hierbei standen sowohl die Wahrnehmung der Situation von Kindern und Jugendlichen als auch die Erwartungen der Eltern an die Gemeinde im Mittelpunkt. Die Ergebnisse geben Aufschluss darüber, welche Bedarfe und Wünsche aus Elternsicht bestehen und welche Herausforderungen sich für die Gestaltung passender Angebote ergeben.
In der Gemeinde Jemgum lag der Fokus einer Befragung durch das das Institut für sozialraumorientierte Praxisforschung und Entwicklung (ISPE e.V.) hingegen auf den Jugendlichen selbst. Die Untersuchung zielte darauf ab, ihre Erwartungen an eine neue Einrichtung der Kinder- und Jugendarbeit zu erfassen und Möglichkeiten zur Mitgestaltung auszuloten. Dabei rückte insbesondere die Perspektive der Jugendlichen in den Vordergrund, um ihre Sichtweisen und Bedürfnisse unmittelbar in die Entwicklung einzubeziehen.
Während sich die beiden Befragungen auf die Bedarfsermittlung konzentrierten, werden im dann folgenden Teil des Beitrags die Erfahrungen mit der partizipativen Methode des Jugendhausrates in einer bereits bestehenden Einrichtung der Kinder- und Jugendarbeit in der Gemeinde Hesel beschrieben und reflektiert. Hier geht es primär nicht nur um die Bedarfe, sondern auch um konkrete Erkenntnis zur Mitbestimmung in der Praxis. Dabei steht, wie auch in der Bedarfsermittlung, die Frage im Mittelpunkt, wie aktivierende Beteiligungsmethoden sowohl in der Planung als auch in der alltäglichen Arbeit der Jugendarbeit gelingend umgesetzt werden können.
Der Beitrag verdeutlicht insgesamt, vor welchen Herausforderungen die Kinder- und Jugendarbeit in ländlichen Räumen steht – insbesondere dann, wenn Angebote fehlen oder nur vereinzelt existieren. Gleichzeitig wird sichtbar, wie durch gezielte Beteiligungsmöglichkeiten die Jugendarbeit selbst zu einem Feld der Mitbestimmung werden kann.
2. Aktivierende Elternbefragung in Moordorf
2.1 Hintergrund
Ausgangspunkt der aktivierenden Befragung unter dem Motto „Groß werden in Moordorf heute – Wie geht es den Kindern und Eltern?“ war das Forschungsvorhaben „Tripolarer Kinderschutz in peripherisierten ländlichen Räumen in Ostfriesland“, dessen Ergebnisse im Sinne eines Transfers zur Weiterentwicklung der regionalen Praxis genutzt werden sollten. Ein Ergebnis der Forschung war, dass Kinderschutz im ländlichen Raum als vernetzte Gemeinwesenarbeit zu gestalten ist, in der bürgerschaftliches Engagement von Ehrenamtlichen/Freiwilligen mit dem Einsatz von Fachkräften verknüpft wird, um aktivierende, niedrigschwellige Zugänge zu Hilfen und Kontaktmöglichkeiten im nachbarschaftlichen Miteinander für alle Eltern und Familien in einem Sozialraum zu schaffen (Herschelmann 2024). Eine Standardmethode in der Gemeinwesenarbeit ist dafür die Aktivierende Befragung (Lüttringhaus/Richers 2022). Es wurden Sichtweisen, Interessen und Ressourcen von Eltern und Familien in Moordorf zusammengetragen und am Ende auf einer Bewohner:innen-Versammlung vorgestellt und diskutiert.
Moordorf wurde für dieses Pilotvorhaben vor dem Hintergrund einer bestehenden längeren Kooperation mit dem Landkreis Aurich ausgewählt, weil hier beste Voraussetzungen für ein solches, bundesweit einmaliges und innovatives Vorhaben gegeben waren: Neben einer interessanten Geschichte, einer außerordentlichen Entwicklung des Dorfes, einer guten historisch/sozial-geographischen Forschungslage, konnte auf dem ausgeprägten Zusammenhalt und Vorzeigeprojekten wie dem Moordorfer Kids-Projekt (MoKi) aufgebaut werden.
Moordorf liegt in der Gemeinde Südbrookmerland im Landkreis Aurich und ist im Rahmen der staatlich geförderten Moorkolonisation im 18. Jahrhundert entstanden (Wojak 1992). Es ist ein Beispiel für die Peripherisierung in ländlichen Räumen, in der territoriale Ungleichheiten gesellschaftlich hervorgebracht und reproduziert werden und zu einer „graduellen Schwächung und/oder Abkopplung sozial-räumlicher Entwicklungen gegenüber dominanten Zentralisierungsvorgängen“ (Keim 2006, 3) führt. Und: In solchen peripherisierten Gebieten verschärfen sich die Lebenslagen für sozial benachteiligte Menschen (Beetz 2015).
2.2 Methode: Aktivierende Befragung (Eltern)
Die Aktivierende Befragung in Moordorf wurde unter der Leitung und Vorbereitung von Prof. Herschelmann von und mit Studierenden des BA-Studiengangs Soziale Arbeit im WiSe 2023/24 durchgeführt. Nach einer inhaltlichen Einarbeitung in das Thema, unter anderem mit einem Gastvortrag von Andreas Wojak (1992) und einem Besuch des Moormuseums in Moordorf, wurden gemeinsam ein Handzettel, ein Gesprächsleitfaden und ein Dokumentationsbogen entwickelt. Zusätzlich fand ein Training zur Vorbereitung der Befrager:innen statt. Die Bewohner:innen in Moordorf wurden vorab über eine begleitende Pressearbeit (Zeitung und Social Media) und den Handzettel informiert.
Die Befragung der Bewohner:innen fand dann am 23.11.2023 und vom 28.11.-01.12.2023 in Moordorf von Tür zu Tür, vor dem Edeka-Markt, auf dem Marktplatz und vor bzw. in den Kindergärten statt. Es konnten insgesamt, trotz Sturm, Kälte, Schnee, Regen und einer Krankheitswelle unter den Studierenden, 197 Gespräche dokumentiert werden. Damit wurden geschätzt ca. 20 % der Familien in Moordorf erreicht. Es wurden 219 Bewohner:innen befragt, 119 Frauen (Æ 36 Jahre alt) und 64 Männer (Æ 39 Jahre alt). Die Auswertung wurde entlang dreier zentraler Fragen aus der Befragung vorgenommen:
- Wie wird das Leben als Familie in Moordorf gesehen: Was gefällt?
- Was ist schwierig oder problematisch: Was gefällt nicht?
- Welche Veränderungswünsche werden genannt: Welche Ideen?
Die von den Bewohner:innen genannten Themen wurden gemeinsam geclustert und verdichtet und wurden auf einer Bewohner:innen-Versammlung am 18.01.2024 im Forum der ehemaligen Haupt- und Realschule Südbrookmerland vorgestellt und diskutiert. Es sollte da gemeinsam überlegt werden, wer sich wie solidarisch für Eltern und Kinder in Moordorf engagieren könnte und wie Bürger:innen sich für ihre eigenen Interessen einsetzen können. Entgegen mancher Befürchtungen im Vorfeld, wurde bei der Befragung auf keine Mauern gestoßen. Alle Verantwortlichen waren sehr hilfsbereit und haben das Vorhaben unterstützt. Und viele „Moordörper“ haben gerne mitgemacht, die vorangegangenen Zeitungsberichte waren dabei ein guter Türöffner. An der Bewohner:innen-Versammlung haben allerdings nur wenige Bürger:innen (aber umso mehr Fachkräfte und Politiker:innen) teilgenommen, sodass es nicht zur Bildung von Aktionsgruppen kam. Trotzdem konnten eine Reihe interessanter Erkenntnisse gewonnen und sowohl dem Ausschuss für Schulen, Kindertagesstätten und Soziales der Gemeinde Südbrookmerland, als auch den Bürger:innen in Moordorf über die Homepage der Gemeinde und der Allgemeinheit durch entsprechende Zeitungsbeiträge präsentiert werden.
2.3 Ausgewählte Ergebnisse
Im Hinblick auf die Situation von Kindern und Jugendlichen in Moordorf aus Sicht von Eltern konnten folgende Erkenntnisse gewonnen werden:
Den befragten Bewohner:innen gefällt zunächst vor allem die gute örtliche und soziale Infrastruktur (67 der 219 Befragten [1]). Insbesondere der neue Kindergarten sei schön und groß und hat die Situation entspannt. „Wir bekommen auf jeden Fall einen Kindergartenplatz, es gibt ja jetzt mehr“, es wurde schnell ein Platz erhalten. Das sei gut für die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit. Die vorhandenen Schulen (14) seien gut erreichbar. Außerdem werden die vielen Vereine und Sportangebote (28) wertgeschätzt. Insbesondere das Kinderturnen der SG Moordorf und das Kinderschwimmen, aber auch das gute Sportangebot insgesamt und die vielen schönen Ferienangebote für Kinder (Ferienpass). Kinder können noch auf der Straße spielen und Häuser für Familien mit Kindern seien noch bezahlbar. Positiv gesehen werden ebenfalls die vielen Spielplätze (13). Die ausgebauten neuen Spielplätze seien toll, besonders der Mehrgenerationenplatz (8) sei gut gelungen, z. B. mit der Skatermöglichkeit. Erwähnt wird punktuell auch das Jugendhaus (6).
Die befragten Bewohner:innen kritisieren gleichzeitig vor allem, dass es trotzdem zu wenig Freizeitangebote für Kinder (27) gibt. Es gäbe zu wenig besonders für kleinere Kinder (2-6 J.) und einen Mangel an Nachmittagskursen, nach der Schule. Es fehlen Beschäftigungsmöglichkeiten für Kinder draußen, etwas mit Musik oder Tanzen und Angebote für gemischte Altersgruppen. Es gibt keinen Raum, wo sich Grundschulkinder treffen können. Kinder verabreden sich nur allein/privat, da es keine Treffpunkte gibt. Und auch zu wenig Plätze in den Sportangeboten, das Schwimmbad sei nur für die Schule. Problematisiert wird auch, dass es immer noch zu wenig Spielplätze (23) gibt (sie würden immer mehr abgebaut, z. B. im Trichterweg) und der Zustand der Spielplätze (22) sei schlecht. Viele Spielplätze seien nicht sauber, ungepflegt oder sehen traurig aus, es fehlen Mülleimer und Bänke. Spielplätze würden von Jugendlichen benutzt, um Alkohol zu trinken, und es gäbe Vandalismus durch Jugendliche. Drogen, Kriminalität, Glasscherben und Müll seien dort zu finden und Verunreinigung durch Tiere. Problematisch wird ebenfalls die Verkehrssituation für Kinder (22) gesehen. Es gibt zu viel Straßenverkehr, insbesondere stark befahrene Straßen bei den Neubaugebieten, und zu wenig Zebrastreifen und Verkehrssicherheit für Kinder. Ein anderes Problem ist, dass es zu wenig Freizeitangebote für Jugendliche (16) gibt. Sie hätten keine Anlaufstelle/Plätze/Treffpunkte und haben nichts zu tun, hängen rum und „sitzen auf den Stromkästen“. Ältere würden die Jüngeren auf öffentlichen Plätzen vertreiben. Zum Beispiel sei der Skater-Park von Älteren besetzt, wodurch Jüngere vertrieben werden. Auch Fußballplätze fehlen. Das Jugendhaus erscheint als nicht attraktiv (12). Es würde nicht genutzt und sollte verbessert werden (z. B. Jüngere von Älteren trennen, attraktiver machen). Es gibt nicht genug Angebote und sei kaum präsent. Außerdem ist dort „nicht das Klientel“, „Nur für sozial Schwache“, der „Rest wird nicht abgeholt“, für Mädchen sei es unsicher. Allgemein wird problematisiert, dass Kinder und Jugendliche nur wenig wahrgenommen werden.
Die befragten Bewohner:innen wünschen sich daher zuallererst eine Verbesserung der Spielplätze (24). Dies betrifft die Reparatur oder den Neubau von Spielplätzen und mehr Spielplätze oder Spielmöglichkeiten (z. B. auf dem Mehrgenerationenplatz) für kleine Kinder. Besonders häufig wird ein Indoor-Spielplatz gewünscht, aber auch ein Wasserspielplatz. Und es werden Spielplatzpatenschaften vorgeschlagen.
Und mehr Freizeitangebote für Jugendliche (23) sollte es geben. Es braucht mehr Treffpunkte für Jugendliche, wie z. B. eine Teestube, und bezahlbare und vernünftige Angebote (speziell auch für 10-15-Jährige). Genannt wurden zudem Bolzplätze (3), eine Skatehalle (2), eine Kletterhalle, Basketballplätze und Pfadfinder.
Außerdem werden mehr Freizeitangebote für Kinder (22) gewünscht, wie der Ferienpass, nur während der Schulzeit, und mehr am Nachmittag für Kleinkinder (U3). Konkret wird Theater spielen/anschauen, Tanzen und musikalische Früherziehung für Kinder gewünscht. Das Schwimmbad sollte zur öffentlichen Nutzung geöffnet und die Liste für den Schwimmkurs ausgebaut werden. Es braucht mehr Sportangebote für Kinder, kostenlos, für verschiedene Altersgruppen. Bei Sportangeboten in Vereinen soll es mehr Aufsichtspersonal geben, dann würde es auch mehr genutzt werden. Auch werden jüngere Trainer in den Sportvereinen gewünscht und Fußball für Mädchen – von einer Trainerin! Schön wären auch regelmäßige Straßenfeste mit Fokus auf Kindern (statt auf Alkohol) und z. B. 1x/Woche Aktionen für Kinder auf dem Marktplatz.
Und Elterncafés und Krabbelgruppen (18) sollten aufgebaut werden. Gewünscht werden Treffpunkte für junge Eltern und junge Mütter, Austauschmöglichkeiten für Mütter und mehr Spielgruppen für Kleinkinder. Die Krabbelgruppe der Kirche sollte in Kooperation mit der Kirchengemeinde geöffnet und weiterentwickelt werden.
Methodisch hat sich die Aktivierende Befragung auch für ländliche Räume als geeignet erwiesen. Es wurden im wahrsten Sinne „offene Türen eingerannt“, wobei der entscheidende Türöffner war, dass alle entsprechenden Gremien und kommunal Verantwortlichen frühzeitig informiert und eingebunden waren und auch die Presse über das Vorhaben und die Unterstützung positiv berichtete. Allerdings war die Durchführung auch sehr viel zeitaufwendiger als in der Stadt, weil in Moordorf die einzelnen Wohnhäuser zum Teil weiter auseinander lagen und damit die Wege von Tür zu Tür deutlich weiter waren.
3. Kinder- und Jugendbefragung in Jemgum
Im Auftrag der Gemeinde Jemgum mit ihren zahlreichen Gemeindeteilen führte das Institut für sozialraumorientierte Praxisforschung und Entwicklung (ISPE e.V.) im November 2023 eine Kinder- und Jugendbefragung durch, deren Ergebnisse auch als Grundlage für die kommunale Kinder- und Jugendarbeit dienen sollen und der Konzipierung von Jugendräumen in einem neuen Bürgerhaus. Ziel war es, Einblicke in die Lebenswelten von älteren Kindern und Jugendlichen zu erhalten und ihre Bedürfnisse, Interessen etc. zu erfragen. Aufgrund der unterschiedlichen Entwicklungsphasen von Kindern und Jugendlichen und der sich daraus ergebenden Bedingungen für Befragungsmethoden wurde sowohl eine Befragung von Kindern als auch eine Jugendbefragung durchgeführt.
In dem Zeitraum vom 21.11.23 bis 24.11.23 hat das Team des Institutes ISPE zusammen mit engagierten Menschen aus Jemgum ca. 50 Kinder und 120 Jugendliche mit unterschiedlichen Methoden befragt. Für die Befragungsphase wurden vor allem die Schulen genutzt als die Orte, an denen sich fast alle Kinder und Jugendliche aufhalten. Die beiden Grundschulen in Jemgum und Ditzum (Ortsteil von Jemgum) beteiligten sich an der Befragung. Für die Jugendbefragung war die Haupt- und Realschule in Jemgum mit den Klassen fünf bis zehn der Befragungsort.
Es wurden qualitative Methoden eingesetzt: die Nadelmethode, Sozialraumbegehungen, subjektive Landkarten und Gruppendiskussion. Darüber hinaus wurden auch noch einige Schlüsselpersonen befragt, die aufgrund ihrer Position einen speziellen Blick auf die Situation von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien mitbrachten. Im Folgenden beziehen wir uns ausschließlich auf die Ergebnisse der Jugendbefragung.
3.1 Ergebnisse
Die Befragung in Jemgum stand im Zusammenhang mit der Eröffnung eines Bürgerhauses und war als Beteiligungsmaßnahme geplant, um Jugendliche in die Gestaltung des Jugendbereiches in diesem Bürgerhaus mit einzubeziehen. Daher lautete eine Frage „Es soll bald eine Jugendraum im neuen Bürgerhaus aufmachen, wirst du dahingehen?“. „Ja, auf jeden Fall“ gaben 20 % an, „Mal gucken“ sagten 55 % der Befragten. Betrachtet man nur die Jugendlichen, die im Hauptort der Gemeinde leben in dem auch das Bürgerhaus eröffnet wird wollen hier 30 % auf jeden Fall hingehen. Die Nutzung oder hier das Interesse daran hängt hier stark mit dem Ort zusammen, an dem die Einrichtung sich befindet, bzw. auch die Mobilität der Jugendlichen ob sie in der Lage sind zur Einrichtung zu kommen. So gab in Jemgum mit 48 % der Großteil der Jugendlichen an, die Freizeit eher in der Nähe des Wohnortes zu verbringen, 36 % im gesamten Gemeindegebiet und 16 % außerhalb der Gemeinde. Das meistgenutzte Mittel der Fortbewegung ist mit knapp 76 % das Fahrrad. Im Vergleich dazu teilt sich im Ruhrgebiet die Gruppe der Befragten bei der Frage nach der Lage der Freizeitorte fast perfekt in Drittel auf.
3.2 Wünsche in Bezug auf Jugendarbeit und Angeboten
In der Jemgum-Studie spielen die Erwartungen und Wünsche der Jugendlichen wie beschrieben eine große Rolle, weil ein neuer Jugendraum im Bürgerhaus eingerichtet werden sollte. Die Jugendlichen wurden deshalb danach gefragt, welche Angebote aus ihrer Sicht dort angeboten werden sollten, damit sie diese besuchen würden und in einer zweiten Frage wurde nach nötigen Ausstattungsmerkmalen des neuen Jugendraumes gefragt. Dabei wünschen sich 48,6 % der Jugendlichen eine gemütliche Sitzecke, 31,4 % wünschen sich diese am besten direkt in Verbindung mit einer Gaming-Konsole, ein Tischkicker wird von 27,6 % gewünscht und generell Gesellschaftsspiele wünschen sich 22,9 % der Befragten. Weiterhin wurde auch nach Angebotswünschen für den Jugendraum gefragt. Spielangebote möchten 21,7 % der Jugendlichen, Videospiele als Angebot 13,3 % der Befragten. Allgemeine Sportangebote wünschen sich 12 %, zudem möchten 10,8 % der Jugendlichen explizit Fußball als Angebot für den Jugendraum. Knapp unter 10 % liegen gemeinsames Kochen und Backen, neue Freund:innen kennenlernen und gemeinsame Ausflüge unternehmen als Angebotswünsche.
3.3 Erwartungen von Jugendlichen an ihre Kommune, Politik usw.
Die Befragung in Jemgum enthielt abschließend die Frage: „Wenn du etwas in deiner Gemeinde verändern könntest – was wäre das?“ mit drei offenen Antwortmöglichkeiten, in einer vergleichbaren Studie im Ruhrgebiet war es ebenso. Entgegen der scheinbar allgemeinen Befürchtung, bei Jugendbeteiligung würden nur unrealistische Einschätzungen und Wünsche von den befragten Jugendlichen kommen, sind die Erwartungen an die Kommune in Jemgum eher pragmatisch und auf eine Verbesserung von allgemeiner Infrastruktur gerichtet. So wünschen sich 20,7 % der befragten Jugendlichen in Jemgum bessere Spielplätze, die Straßen renovieren möchten 17,2 %, und über verbesserte Fußballplätze freuen sich 13,8 % der Befragten. Im Vergleich dazu wünschen sich in der Studie im Ruhrgebiet 32,4 % der Jugendlichen eine Aufwertung des öffentlichen Raumes im Sinne von mehr Sauberkeit und Sicherheit, 17,2 % wünschen sich öffentliche Sportplätze und -angebote und 8,8 % wollen Parks und Spielplätze verbessert wissen.
Von den in Jemgum befragten Jugendlichen wünschen sich 12,6 % der Jugendlichen die örtlichen Möglichkeiten zum Einkaufen sowie das Gastronomieangebot ausbauen. Zudem wünschen sich 11,5 % der Jugendlichen eine Verbesserung des Öffentlichen Personennahverkehrs.
Auf dem Land führt der in der Jemgum-Studie als mager dargestellte Fahrplan hier zu Einschnitten in den Freizeitmöglichkeiten der Jugendlichen:
„Ich bin auch der Meinung, dass das Fahrsystem nicht so wirklich gut ausgestattet ist. Ich wohne ja jetzt auch in Ditzum und wenn ich jetzt zum Beispiel mit meinen Freundinnen einen Film in Leer gucken möchte, der dann um 16:00 Uhr ist und zwei Stunden dauert, ist es dann manchmal so, dass dann um 20:15 kein Bus mehr fährt und man dann nicht mehr nach Hause kommt. Deswegen ist das echt ganz schön blöd.“
In den Befragungen finden sich auch Wünsche nach Angeboten, Veranstaltungen und Aktivitäten für Jugendliche – die sich im Ruhrgebiet 21,6 % der Befragten wünschen – in Jemgum bei 10,3 % der Befragten wieder. Hier wünschen sich 11,5 % der Jugendlichen explizit ein Jugendzentrum, welches dort im Befragungszeitraum erst im Entstehen begriffen war. In der Ba-Wü-Studie (Antes et al. 2022) geben je ca. 16 % der Jugendlichen an, keine Treffpunkte zu haben störe sie an ihrem Wohnort, was in dieser Frage die meisten Nennungen sind.
Beide Studien geben interessante Einblicke in die Lebenssituation von Jugendlichen im ländlichen Raum. Diese ist sowohl durch interessante Möglichkeiten geprägt, besonders in Bezug auf das Erleben von Natur sowie die eigenständige Gestaltung von Freizeit auch ohne Einschränkungen durch Erwachsene, als auch durch fehlende Freizeitmöglichkeiten und Ressourcen sowie eine Abhängigkeit zum Beispiel vom elterlichen Mobilitätsdienst sowie der Schwierigkeit, den eigenen Handlungsraum selbstständig zu erweitern (zum Beispiel in Hinblick auf fehlende Busverbindungen.
Angebote der Jugendarbeit fehlen oder sind vorhanden aber weitgehend unbekannt und erreichen anscheinend auch einen großen Teil der Jugendlichen nicht. Die Erwartungen von Eltern und von Jugendlichen selbst an ihre Gemeinden sind groß – aber auch ihre Bereitschaft zur Mitarbeit und zu einem Engagement für ihr Gemeinwesen scheint vorhanden zu sein.
Für die Weiterentwicklung von Angeboten im Freizeitbereich, vor allen Dingen der Jugendarbeit, ist deshalb zu fragen, wie dort partizipative Methoden umgesetzt werden können und wie die Jugendarbeit selbst zu einem Medium der Beteiligung werden kann. Deshalb werden im Folgenden die Erfahrungen mit der Methode eines Jugendhaus Rates in der Jugendeinrichtung der Gemeinde Hesel vorgestellt.
4. Jugendhausrat als partizipative Methode in der Jugendeinrichtung in Hesel
4.1 Hintergrund
Die Einrichtung eines Jugendhausrates im Jugendhaus Hesel basiert auf dem gesetzlichen Anspruch von Kindern und Jugendlichen auf Partizipation. Als Fachkraft in der Jugendpflege besteht die Verpflichtung, diesen Anspruch aktiv zu gewährleisten. Gleichzeitig spiegeln die aktuellen Entwicklungen in der Samtgemeinde Hesel die Notwendigkeit wider, neue Strukturen zur Mitbestimmung und Beteiligung junger Menschen zu schaffen. Bis 2017/2018 war die Jugendpflege in der Samtgemeinde Hesel augenscheinlich stabil. Ab 2019/2020 zeigte sich jedoch ein deutlicher Einbruch: Personelle Wechsel, Einsparungen sowie ein Mangel an fachlicher Erfahrung führten zu Defiziten in der konzeptionellen Arbeit und der Dokumentation. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie verstärkten diese Problematik zusätzlich. Im Kontext des Jugendhauses war die Situation für Kinder und Jugendliche von einer großen Freiheit geprägt – es gab wenige feste Strukturen und nur begrenzte Möglichkeiten zur aktiven Mitgestaltung. Gleichzeitig wurde das Jugendhaus zunehmend als Auffangbecken für sogenannte „Problemfälle“ wahrgenommen, was zu einem negativen oder kaum vorhandenen Ansehen in der Öffentlichkeit führte.
Nach der Corona-Pandemie wurde verstärkt versucht, die Jugendarbeit – insbesondere im Jugendhaus – wiederzubeleben. Ein wesentlicher Bestandteil dieses Prozesses war die neu geschaffene Stelle für Streetwork, die darauf abzielt, auch Jugendliche in den umliegenden Mitgliedsgemeinden der Samtgemeinde zu erreichen und zu unterstützen. Dennoch bleibt die Jugendarbeit von einem hohen Maß an personeller Fluktuation geprägt. Aktuell konzentrieren sich die Bestrebungen der Samtgemeinde Hesel im Bereich der Jugendpflege auf zwei zentrale Ziele: Zum einen die Etablierung des Jugendhauses als verlässlichen Treffpunkt mit stabilen Öffnungszeiten und zum anderen die Stärkung der Präventionsarbeit in enger Verzahnung mit der Streetwork, um präventive Angebote und sozialpädagogische Begleitung gezielt auszubauen.
Vor diesem Hintergrund stellt der Jugendhausrat eine vielversprechende Methode dar, um jungen Menschen eine aktive Stimme zu geben und sie nachhaltig in die Gestaltung der Jugendarbeit einzubinden. Die gesetzliche Grundlage für Jugendpartizipation in diesem Kontext ergibt sich unter anderem aus dem Sozialgesetzbuch VIII sowie der UN-Kinderrechtskonvention. Diese Regelwerke betonen die Notwendigkeit, junge Menschen aktiv in gesellschaftliche Prozesse einzubeziehen. Der gesetzliche Auftrag an die Soziale Arbeit ist dabei klar definiert und wird durch mehrere Paragraphen des SGB VIII gestützt.
4.2 Methode: Jugendhausrat
Ein Jugendhausrat ist ein konkretes Beispiel für Partizipation in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit und die Chance für Kinder und Jugendliche, im Kontext Jugendhaus aktiv zu werden. Eigene Ideen und Wünsche im Gemeinwesen einzubringen und zu realisieren ist zudem ein wichtiges Handlungsfeld für die Tätigkeit in der Kinder- und Jugendarbeit.
Im Kontext des Jugendhausrats dient die Form des Jugendhausrates als Werkzeug um die Mitbestimmung nachhaltig zu fördern. Die Beteiligung der Kinder und Jugendlichen fand in der Samtgemeinde Hesel bisher nur oberflächlich und eher in einem gelenkten Kontext statt. Außerdem sollen sich politisch-bildende Angebote der Sozialen Arbeit insbesondere an Zielgruppen in schwierigen Lebenslagen richten, da ihnen häufig ein besonderer Hilfebedarf zugesprochen wird (vgl. Görtler 2022, 188.). Damit der Jugendhausrat als nachhaltiges Mitbestimmungsgremium wirksam werden kann, ist es essenziell, dass er sich mit konkreten und relevanten Themen befasst, die den Alltag der Jugendlichen direkt betreffen. Die ersten Sitzungen des Rates zeigen bereits, dass die Mitglieder nicht nur an gestalterischen Aspekten interessiert sind, sondern auch Verantwortung für organisatorische und strukturelle Fragen des Jugendhauses übernehmen. Die folgenden Beispiele verdeutlichen, welche Schwerpunkte der Jugendhausrat bisher gesetzt hat und welche Verfahren sowie Wirkungen damit einhergehen.
Ein zentrales Anliegen war die Umgestaltung der Haupträume des Jugendhauses. Diese Räume sind der Kern des offenen Treffs, weshalb die Jugendlichen ein starkes Bedürfnis hatten, sie nach ihren Wünschen zu gestalten. In mehreren Sitzungen wurden Gestaltungsmöglichkeiten diskutiert, Konzepte entwickelt und konkrete Veränderungen beschlossen. Dabei übernahmen die Jugendlichen Verantwortung, trafen Entscheidungen und setzten ihre Pläne gemeinschaftlich um.
Um eine verlässliche Grundlage für die Arbeit des Jugendhausrates zu schaffen, wurde gemeinsam eine Satzung erarbeitet. In diesem Prozess setzten sich die Jugendlichen intensiv mit demokratischen Strukturen auseinander, indem sie grundlegende Regeln für ihre Zusammenarbeit festlegten. Dabei stellten sie sich Fragen wie: Wie werden Entscheidungen getroffen? Welche Verantwortlichkeiten gibt es? Wie läuft die Wahl neuer Mitglieder ab? Durch die Diskussion dieser Punkte wurde deutlich, dass demokratische Prozesse klare und transparente Regeln benötigen, die für alle verständlich und verbindlich sind. Die Jugendlichen erlebten, dass eine Satzung nicht nur Struktur gibt, sondern auch Mitbestimmung absichert und Verlässlichkeit schafft. Gleichzeitig wurde ihnen bewusst, dass demokratische Regelwerke flexibel sein müssen, um sich an veränderte Bedingungen und neue Herausforderungen anzupassen. Damit war die Satzung nicht nur ein organisatorisches Dokument, sondern auch ein gelebtes Beispiel für gemeinschaftliche Entscheidungsfindung und aktive Partizipation.
Ein weiteres wichtiges Aufgabenfeld war die Planung und Mitwirkung an den Angeboten für den Osterferienpass. Hierbei übernahm der Jugendhausrat die Aufgabe, Vorschläge für mögliche Aktivitäten zu sammeln, diese mit den Fachkräften des Jugendhauses zu besprechen und aktiv an der Organisation mitzuwirken. Die Organisation von Ferienangeboten erfordert Koordination, Abstimmung und gemeinschaftliche Entscheidungsfindung. Die Jugendlichen erleben hier, dass Entscheidungen oft an begrenzte Ressourcen gebunden sind – sei es Zeit, Geld oder verfügbare Betreuende.
Neben diesen Aufgaben befasste sich der Jugendhausrat mit Regeln im Jugendhaus, etwa mit dem Umgang mit Hausverboten. In einer Sitzung wurde ein konkreter Fall diskutiert, bei dem einige Ratsmitglieder mit der betroffenen Person befreundet waren. Sie mussten verschiedene Perspektiven abwägen und eine faire Lösung finden. Der daraus resultierende Beschluss lautete:
„Man kann ja mal gucken. So eine Art Probezeit oder so, er kommt ins Jugendhaus und wenn er keine Scheiße baut, ist das Hausverbot weg.“
4.3 Ergebnisse
Die Entscheidung über die Gestaltung der Räume ist ein klassisches Beispiel für einen demokratischen Aushandlungsprozess. Die Jugendlichen müssen ihre eigenen Interessen und Bedürfnisse formulieren, gleichzeitig aber auch die Vorstellungen anderer berücksichtigen. In den Diskussionen lernen sie, ihre Argumente sachlich zu vertreten und gemeinsam nach Kompromissen zu suchen. Dabei erleben sie direkt, dass demokratische Entscheidungen nicht immer den eigenen Vorstellungen entsprechen, sondern das Ergebnis eines Mehrheitsentscheids oder einer konsensorientierten Diskussion sind. Gleichzeitig erkennen sie die Bedeutung von Verantwortungsübernahme, indem sie nicht nur Wünsche äußern, sondern auch an der Umsetzung der Veränderungen mitwirken.
Durch den Jugendhausrat lernen sie, realistisch zu planen und mit Einschränkungen umzugehen. Sie üben zudem, sich in einer Gruppe auf gemeinsame Ziele zu verständigen, Aufgaben zu verteilen und Verantwortung zu übernehmen. Besonders wertvoll ist hierbei die Zusammenarbeit mit den Fachkräften des Jugendhauses, da die Jugendlichen so erleben, wie verschiedene Akteur:innen in einem demokratischen Prozess zusammenwirken und welche Abstimmungswege notwendig sind, um Projekte zu realisieren. Durch diese direkte Beteiligung erhielten sie die Möglichkeit, nicht nur als Teilnehmende, sondern auch als Mitgestaltende an den Freizeitangeboten des Jugendhauses mitzuwirken. Dies stärkte zudem ihr Zugehörigkeitsgefühl zu den Mitarbeiter:innen und das Verständnis dafür, dass ein Jugendhaus nicht nur ein Raum zur Freizeitgestaltung ist, sondern ein Ort, an dem sie aktiv mitwirken und Verantwortung übernehmen können.
Die Auseinandersetzung mit Hausverboten ermöglicht es, sich mit Regeln, Rechten und Pflichten in einer Gemeinschaft auseinanderzusetzen. Die Jugendlichen reflektieren, wann Regeln notwendig sind und wie ein faires, transparentes Verfahren aussehen kann. Dabei lernen sie, verschiedene Perspektiven einzunehmen und zu erkennen, dass demokratische Entscheidungsfindung nicht nur Mehrheiten berücksichtigt, sondern auch gerecht und nachvollziehbar sein muss. Durch ihre beratende Funktion entwickeln sie ein besseres Verständnis für gemeinschaftliche Regeln und tragen aktiv zu einem respektvollen Miteinander bei.
5. Schlussfolgerungen
Die durchgeführten Befragungen sowie die Arbeit des Jugendhausrates zeigen, wie wichtig es ist, Kindern und Jugendlichen echte Mitbestimmungsmöglichkeiten zu bieten. Während die Befragungen wertvolle Einblicke in ihre Bedürfnisse und Wünsche geliefert haben, setzt der Jugendhausrat diese Erkenntnisse in konkrete Beteiligungsprozesse um. Neben der Förderung der Partizipation stellt die damit einhergehende politische Bildung einen zentralen Aspekt dar. Sie vermittelt den Jugendlichen nicht nur grundlegende Kenntnisse über demokratische Prozesse, sondern auch die Fähigkeiten, ihre Interessen sachlich zu vertreten und Entscheidungen kritisch zu hinterfragen (vgl. Görtler 2022, 188).
Die Verantwortlichen für die Jugendförderung in ländlichen Gemeinden – seien es Behördenmitglieder, freiwillig Engagierte oder, wo vorhanden, Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeiter – stehen vor besonderen Herausforderungen, wenn es um die Förderung von Partizipation, Beteiligung und Demokratieförderung geht. Diese besteht darin, an den konkreten Themen und Situationen, d. h. den „räumlich-zeitlichen Handlungseinheiten, die das Erleben von Kindern und Jugendlichen bestimmen“ (Deinet 1992, 56) anzuknüpfen ebenso wie an „die expliziten und impliziten ‚Partizipationsa?ußerungen‘ der Jugendlichen [anschlussfähig] zu sein, sich offen zu halten fu?r ihre biografischen Themen und Bewa?ltigungsbedu?rfnisse“ (von Schwanenflügel 2015, 270) – auch ohne einen fest etablierten Ort, im Sinne eines tradierten Jugendtreffs oder ohne ein beständiges Team von Jugendarbeiter:innen. „Es geht darum, Äußerungen und Handlungen Jugendlicher als Ausdruck ihrer Identität und als ein Ringen um Selbstbestimmung zu lesen und sie darin zum einen ernst zu nehmen, zum anderen ihnen Möglichkeitsra?ume zuzugestehen, dieser Identität Ausdruck zu verleihen. Denn erst dort, wo die Jugendlichen sich in ihren Selbstbestimmungsversuchen wahrgenommen wissen und damit zugleich für sich selbst und für die Anderen in ihrer Identität sichtbar werden, erleben sie sich als Teil eines Ganzen, auf das sie sich auch beziehen wollen“ (von Schwanenflügel 2015, 274).
Neben der Schaffung von Orten und Momenten für die (sozialpädagogische) Arbeit mit jungen Menschen stehen die Verantwortlichen für Jugendförderung in den Gemeinden darüber hinaus vor der Herausforderung, solche (sozialpädagogische) Angebotsräume so zu gestalten „(einschließlich der Inszenierung eigenen persönlichen Auftretens), dass es möglich wird, selbst an den Aktivitäten der Jugendlichen zu partizipieren, dabei mitzuspielen, ohne sich ‚mitspielen zu lassen‘ (Mu?ller 2005, S. 55). [...]. Konstitutiv ist [...] die Tatsache, dass [...] [Kinder- und Jugendarbeitende] in der sozialpädagogischen Arena immer zugleich auch Mitwirkende wie die Jugendlichen selbst sind. Gleichzeitig haben sie aber auch dafür zu sorgen, die Veranstaltung ‚Kinder- und Jugendarbeit‘ aufrechtzuerhalten“ (ebd.: 166).
Der Einsatz von partizipativen Methoden in der Befragung von Eltern und Jugendlichen in den beiden kleinen Studien und das Beispiel des Jugendhausrates zeigen das Potential von Methoden, die gleichzeitig eine aktivierende und partizipatorische Funktion haben und nicht nur bloße empirische Erkenntnisse über die betrachteten Lebenssituationen zutage bringen.
Literatur
Antes, Wolfgang/Wenzl, Udo/Wichmann, Stefanie (2022) (Hrsg.): Jugend im Ländlichen Raum Baden-Württembergs. Aufwachsen – Mitgestalten – Leben. Schneider Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler.
Beetz, Stephan (2015): Peripherisierte ländliche Räume – „schrumpfende“ soziale Hilfesysteme? In: Sozialmagazin (40), 3/4, S. 7–13.
Görtler, Michael (2022): Politische Bildung in der Sozialen Arbeit. In: Pohl, Kerstin/Sander, Wolfgang (Hrsg.) (2022): Handbuch politische Bildung. 5. Auflage. Wochenschau Verlag, Frankfurt, S. 186–193.
Herschelmann, Michael (2024): Kinderschutz in ländlichen Räumen. Gemeinwesenarbeit als Perspektive. In: Böwer, Michael/Kotthaus, Jochem (Hrsg.) (2024): Praxisbuch Kinderschutz. Professionelle Herausforderungen bewältigen. 2. Auflage. Beltz Juventa, Weinheim/Basel, S. 98–118.
Keim, Karl-Dieter (2006): Peripherisierung ländlicher Räume. In: APuZ (37), S. 3–7.
Lüttringhaus, Maria/Richers, Hille (2022): Handbuch Aktivierende Befragung. Konzepte, Erfahrungen, Tipps für die Praxis. 5. Auflage. Stiftung Mitarbeit, Bonn.
Oser, Fritz/Biedermann, Horst (2006): Partizipation – Ein Begriff, der Meister der Verwirrung ist. In: Oser, Fritz/Quesel, Carsten (Hrsg.) (2006): Die Mühen der Freiheit: Probleme und Chancen der Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Rüegger Verlag, Zürich, S. 17–38
Schwanenflügel, Larissa von/Schwerthelm, Moritz (2021): Partizipation – ein Handlungskonzept für die offene Kinder- und Jugendarbeit. In: Deinet, Ulrich/Sturzenhecker, Benedikt/Schwanenflügel, Larissa von/Schwerthelm, Moritz (Hrsg.): Handbuch Offene Kinder- und Jugendarbeit. 5. Auflage. Springer, Wiesbaden, S. 987–999.
Wojak, Andreas (1992): Moordorf. Dichtungen und Wahrheiten über ein ungewöhnliches Dorf in Jemgum. Edition Temmen, Bremen.
Fußnote
[1] Zahl der absoluten Nennungen jeweils in Klammern
Zitiervorschlag
Deinet, Ulrich, Michael Herschelmann und Jason Niessit (2025): Methoden aktivierender Befragung und Beteiligung zur Weiterentwicklung von Angebotsräumen für Kinder und Jugendliche am Beispiel Ostfriesland. In: sozialraum.de (16) Ausgabe 1/2025. URL: https://www.sozialraum.de/methoden-aktivierender-befragung-und-beteiligung-zur-weiterentwicklung-von-angebotsraeumen-fuer-kinder-und-jugendliche-am-beispiel-ostfriesland.php, Datum des Zugriffs: 19.06.2025